Fünf Minuten
Soeben war die Morgensonne durch den großstädtischen Dunsthimmel gedrungen. Der riesenhafte Bau aus Stahl, Glas und Beton beeindruckte sie sehr. Bisher hatte sie soetwas noch nicht gesehen. Aisa saß, eine Zeitung in der Hand, auf einer Bank in der großen weiten Halle des neuen Bahnhofs. Sehr viele Menschen waren hier.
Die große Bahnhofsuhr auf der gegenüberliegenden Seite zeigte noch zwei Minuten bis acht. Die Zeiger bewegten sich exakt. Besonders der für die Sekunden schritt gemächlich, aber zielstrebig voran Bei jeder vollen Runde klappte der Größere nach einem kurzen Moment völliger Ruhe eine Marke weiter. Zeit in Einheiten – kontrollierbar und fassbar. Das gab ein gutes Gefühl – ein Gefühl von Absehbarkeit. Auch sonst schien alles sauber und geordnet.
Den Blick wieder senkend, traf sie auf die Augen eines kleinen Kindes, das an mütterlicher Hand auf die Schriftzeichen ihrer Zeitung starrte. Sie lächelte das Kind an. Es konnte ja nichts dafür!
Sie bemerkte nun auch einen Jungen, der etwas weiter entfernt stand und fasziniert auf eine goldene Statue blickte. Sie schien sich ab und an von selber zu bewegen, immer dann, wenn irgendjemand Geld in die Dose vor ihr fallen ließ. Aisa hätte gerne auch Kinder gehabt. Oder wenigstens mehr über ihre Eltern gewusst.
Die Uhr schritt voran. Es war ihr, als könne sie das Ticken herüberhören, das von den hohen, leeren Wänden und dem vielen Glas gut reflektiert wurde. Auch die Vibrationen der Sekundentakte konnte sie deutlich in den Fingerspitzen spüren, die nun wieder auf der zusammengefalteten Zeitung in ihrem Schoß ruhten. Wie kam sie hierher? Es war egal. Sie war da! Sie wartete.
Neben ihr stellte ein Mann in schwarzem Anzug und einem kleinen Kreuz im Ohr seine Tasche neben sie auf die Bank. Er sprach aufgeregt mit seinem Telefon und schaute dabei oft auf die Uhr. Eine Lautsprecherstimme kündigte die Verspätung eines für acht Uhr geplanten Zuges an. Das Englische am Ende der Durchsage klang vertrauter als alles andere, was sie in den letzten Tagen gehört hatte. Die Welt kann so fremd sein auf der andere Seite! Es war Zeit.
Die Zeitung nicht beachtend stand sie auf. Sie hörte Rufe hinter sich. Der Mann mit dem Telefon rief etwas. Der Gürtel mit den Coladosen lag schwer um die Hüften. Die Sekunden vibrierten nicht mehr. Sie blieb unter einer Wandtafel mit Abfahrtszeiten stehen. Viele Menschen waren hier. Gleich würden sie frei sein.
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Am Montagmorgen um 8.03 Uhr explodiert im Berliner Hauptbahnhof eine Splitterbombe mit Zeitzünder. Augenzeugen berichten von einem Selbstmordattentat.
Fünf Minuten
Hallihallo, ihr Lieben!
Diese Kurzgeschichte entstand in einem Kreativ-Scheiben-Seminar, da zum Ende dieses Semesters zu Ende geht. Es war eine tolle Zeit und viele interessante Texte sind dabei herausgekommen!
Einer davon ist dieser! Ich würde mich über Kommentare und Kritik von euch freuen, da ich selber noch nicht sicher bin, was ich von ihm halten soll..
Danke!
Diese Kurzgeschichte entstand in einem Kreativ-Scheiben-Seminar, da zum Ende dieses Semesters zu Ende geht. Es war eine tolle Zeit und viele interessante Texte sind dabei herausgekommen!
Einer davon ist dieser! Ich würde mich über Kommentare und Kritik von euch freuen, da ich selber noch nicht sicher bin, was ich von ihm halten soll..
Danke!
Hallo,
stilistisch ist die Geschichte einwandfrei.
Natürlich interessant und natürlich auch immer ein Wagnis, den Versuch zu unternehmen, sich in eine fremde Gedankenwelt einzuklinken.
Ich denke auch, daß eigentlich nur zwei Varianten möglich sind: 1. Hass und hochgepushte Emotionen oder 2. Man zieht durch, was eben getan werden muß, macht zuvor seinen Frieden mit sich und verfügt über eine Art geschärfte Sinnenswahrnehmung/Aufmerksamkeit und gleichzeitig eine große Distanz zu sich, den Opfern in spe und dem, was man tun wird.
Du hast dich für die zweite Variante entschieden, da ist auch mehr drin.
Vielleicht wäre noch mehr drin gewesen (das sagt sich jetzt leicht) als "nur" äußere Wahrnehmung. Ihre Gedankenwelt erschöpft sich leider in ganz wenigen Überlegungen, nur kurz angerissen (Eltern, Kinderwunsch und das nicht wissen, wie sie dahin gekommen ist), da wäre mehr möglich, denke ich bei mir. So wie der Text jetzt ist, hat er mich ehrlich gesagt ein "bißchen kalt" gelassen.
Alles in allem (auch weil sich die Geschichte flüssig und rasch "runterliest") aber ein Text, der es wert ist, gelesen zu werden - nicht zuletzt, weil er eben, wie gesagt, stilistisch sauber ist.
Gruß
stilistisch ist die Geschichte einwandfrei.
Natürlich interessant und natürlich auch immer ein Wagnis, den Versuch zu unternehmen, sich in eine fremde Gedankenwelt einzuklinken.
Ich denke auch, daß eigentlich nur zwei Varianten möglich sind: 1. Hass und hochgepushte Emotionen oder 2. Man zieht durch, was eben getan werden muß, macht zuvor seinen Frieden mit sich und verfügt über eine Art geschärfte Sinnenswahrnehmung/Aufmerksamkeit und gleichzeitig eine große Distanz zu sich, den Opfern in spe und dem, was man tun wird.
Du hast dich für die zweite Variante entschieden, da ist auch mehr drin.
Vielleicht wäre noch mehr drin gewesen (das sagt sich jetzt leicht) als "nur" äußere Wahrnehmung. Ihre Gedankenwelt erschöpft sich leider in ganz wenigen Überlegungen, nur kurz angerissen (Eltern, Kinderwunsch und das nicht wissen, wie sie dahin gekommen ist), da wäre mehr möglich, denke ich bei mir. So wie der Text jetzt ist, hat er mich ehrlich gesagt ein "bißchen kalt" gelassen.
Alles in allem (auch weil sich die Geschichte flüssig und rasch "runterliest") aber ein Text, der es wert ist, gelesen zu werden - nicht zuletzt, weil er eben, wie gesagt, stilistisch sauber ist.
Gruß
Hallo Werther,
dem schon Gesagten kann mich anschließen. Sauberer Stil, das Kühldistanzierte gut gewählt. Man zieht sein Ding durch - ohne überdrehte Emotionen.
Einziges "Meckerchen". Den letzten Satz "Augenzeugen ... " solltest du ganz fortlassen. Es ist nur zu klar, was da passiert ist.
Ansonsten wirklich prima.
Es grüßt dich
Marlene
dem schon Gesagten kann mich anschließen. Sauberer Stil, das Kühldistanzierte gut gewählt. Man zieht sein Ding durch - ohne überdrehte Emotionen.
Einziges "Meckerchen". Den letzten Satz "Augenzeugen ... " solltest du ganz fortlassen. Es ist nur zu klar, was da passiert ist.
Ansonsten wirklich prima.
Es grüßt dich
Marlene
Danke für euer Feedback!
Ja, wenn ich darüber nachdenke, es wäre sicher mehr drin gewesen! Doch wusste ich auch nicht, ob ich mir das erlauben kann. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie sich solche Menschen wirklich fühlen und habe sozusagen nach einem Gefühl geschrieben. Ich denke, die Geschichte kam damals zu mir (das Ticken meines Weckers) und war sehr schnell auf dem Blatt.
Mittlerweile mache ich meine Hausarbeit zu diesem Thema, weil es mich nicht mehr losgelassen hat. Ich weiß mittlerweile auch, dass eigentlich nur weniger drin gewesen wäre, denn die wenigsten Selbstmordattentäter sind "kaputte" Menschen mit schlimmer Kindheit oder sonstigen Traumen. Eine solche Tat bringt nur unser komplettes Weltbild und das Fundament unseres Sicherheitssystem (denn welche Strafe bleibt da noch?) so dermaßen zum Schwanken, dass wir uns nichts anderes vorstellen können, als das dieser Mensch voll Wut, "kaputt" oder zumindest beeinflusst sein muss.
Aber ich möchte hier nicht zu tief in eine Sache einsteigen, die hier nicht hingehört! Ich wollte damit nur sagen, dass ich eben eigentlich schon zu weit gegangen bin und die Geschichte eine, wenn überhaupt, verzerrte Realität darstellt und sie deshalb für mich auch mehr und mehr verliert. Das sind jetzt ganz aktuelle Gedanken dazu und noch weiß ich nicht, wohin ich da noch komme. Vielleicht dazu, dass ich sie nochmal schreibe -nach meiner Hausarbeit!
Ich habe dich, Frankiteur, so verstanden, dass sie dich kalt ließ, weil du schon früh wusstest, wohin das führt und dir dafür zu wenig über die Protagonistin an sich verraten wurde. Ein guter Freund von mir meinte darüber mal etwas ähnliches. Die Zeit vergeht und dann die Katastrophe - ohne Erkenntnisgewinn. Wenn sie dich "kalt gelassen" hat, dann hat sie ihr Ziel offenkundig verfehlt. Vielleicht ist es der zu saubere Stil, den ihr beide ansprecht, der eben auch kalt lässt...
Werther
Ja, wenn ich darüber nachdenke, es wäre sicher mehr drin gewesen! Doch wusste ich auch nicht, ob ich mir das erlauben kann. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie sich solche Menschen wirklich fühlen und habe sozusagen nach einem Gefühl geschrieben. Ich denke, die Geschichte kam damals zu mir (das Ticken meines Weckers) und war sehr schnell auf dem Blatt.
Mittlerweile mache ich meine Hausarbeit zu diesem Thema, weil es mich nicht mehr losgelassen hat. Ich weiß mittlerweile auch, dass eigentlich nur weniger drin gewesen wäre, denn die wenigsten Selbstmordattentäter sind "kaputte" Menschen mit schlimmer Kindheit oder sonstigen Traumen. Eine solche Tat bringt nur unser komplettes Weltbild und das Fundament unseres Sicherheitssystem (denn welche Strafe bleibt da noch?) so dermaßen zum Schwanken, dass wir uns nichts anderes vorstellen können, als das dieser Mensch voll Wut, "kaputt" oder zumindest beeinflusst sein muss.
Aber ich möchte hier nicht zu tief in eine Sache einsteigen, die hier nicht hingehört! Ich wollte damit nur sagen, dass ich eben eigentlich schon zu weit gegangen bin und die Geschichte eine, wenn überhaupt, verzerrte Realität darstellt und sie deshalb für mich auch mehr und mehr verliert. Das sind jetzt ganz aktuelle Gedanken dazu und noch weiß ich nicht, wohin ich da noch komme. Vielleicht dazu, dass ich sie nochmal schreibe -nach meiner Hausarbeit!
Ich habe dich, Frankiteur, so verstanden, dass sie dich kalt ließ, weil du schon früh wusstest, wohin das führt und dir dafür zu wenig über die Protagonistin an sich verraten wurde. Ein guter Freund von mir meinte darüber mal etwas ähnliches. Die Zeit vergeht und dann die Katastrophe - ohne Erkenntnisgewinn. Wenn sie dich "kalt gelassen" hat, dann hat sie ihr Ziel offenkundig verfehlt. Vielleicht ist es der zu saubere Stil, den ihr beide ansprecht, der eben auch kalt lässt...
Werther
Werther schrieb:
Mittlerweile mache ich meine Hausarbeit zu diesem Thema, weil es mich nicht mehr losgelassen hat. Ich weiß mittlerweile auch, dass eigentlich nur weniger drin gewesen wäre, denn die wenigsten Selbstmordattentäter sind "kaputte" Menschen mit schlimmer Kindheit oder sonstigen Traumen. Eine solche Tat bringt nur unser komplettes Weltbild und das Fundament unseres Sicherheitssystem (denn welche Strafe bleibt da noch?) so dermaßen zum Schwanken, dass wir uns nichts anderes vorstellen können, als das dieser Mensch voll Wut, "kaputt" oder zumindest beeinflusst sein muss.
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Ich glaube auch, daß mit den üblichen Sichtweisen und Maßstäben nicht gemessen werden sollte bei diesem Thema, darum fand ich ja sogar gut, daß deine Protagonistin keinen "kaputten" Eindruck machte.
Das mit dem "zu sauberen" Stil, da könnte was dran sein. Jetzt, wo ich deine Antwort gelesen habe komme ich innerlich bei mir mehr und mehr zu dem Schluß, daß die Geschichte wegen der stilistischen Sauberkeit zu glatt ist, es fehlen die Brüche.
Ich meine, das hier ist zwar ein Literaturforum/Kunstforum, trotzdem würde mich interessieren, warum du dir diese Thematik als Hausarbeit vornimmst und zu welchen Erkenntnissen du im Laufe der Arbeit kommst, vielleicht ein Beitrag für die Philosophie-"Ecke"?
Also, mich interessiert das Thema insofern, da ich der Überzeugung bin, daß niemand sich davon freimachen kann (es steckt in vielen Menschen so etwas wie Selbstzerstörungstrieb, fehlgeleiteter Gerechtigkeitssinn u.ä.), zumindest habe ich im Laufe der Jahre beim Schreiben soviel Seelenmüll aus mir herausbefördert, daß auch ich prinzipiell nicht ausschließen könnte, unter bestimmten Voraussetzungen Amok zu laufen. Das meine ich ernst (emotionale und geistige habe ich auch schon durchexerziert). Ich glaube nicht, daß ein Mensch, der sich mit der Tiefe der Psyche beschäftigt, ernsthaft sagen könnte: "Also, ich könnte nie..."
Auch unter diesem Aspekt wäre es für mich interessant, etwas mehr zu erfahren.
Gruß
Mittlerweile mache ich meine Hausarbeit zu diesem Thema, weil es mich nicht mehr losgelassen hat. Ich weiß mittlerweile auch, dass eigentlich nur weniger drin gewesen wäre, denn die wenigsten Selbstmordattentäter sind "kaputte" Menschen mit schlimmer Kindheit oder sonstigen Traumen. Eine solche Tat bringt nur unser komplettes Weltbild und das Fundament unseres Sicherheitssystem (denn welche Strafe bleibt da noch?) so dermaßen zum Schwanken, dass wir uns nichts anderes vorstellen können, als das dieser Mensch voll Wut, "kaputt" oder zumindest beeinflusst sein muss.
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Ich glaube auch, daß mit den üblichen Sichtweisen und Maßstäben nicht gemessen werden sollte bei diesem Thema, darum fand ich ja sogar gut, daß deine Protagonistin keinen "kaputten" Eindruck machte.
Das mit dem "zu sauberen" Stil, da könnte was dran sein. Jetzt, wo ich deine Antwort gelesen habe komme ich innerlich bei mir mehr und mehr zu dem Schluß, daß die Geschichte wegen der stilistischen Sauberkeit zu glatt ist, es fehlen die Brüche.
Ich meine, das hier ist zwar ein Literaturforum/Kunstforum, trotzdem würde mich interessieren, warum du dir diese Thematik als Hausarbeit vornimmst und zu welchen Erkenntnissen du im Laufe der Arbeit kommst, vielleicht ein Beitrag für die Philosophie-"Ecke"?
Also, mich interessiert das Thema insofern, da ich der Überzeugung bin, daß niemand sich davon freimachen kann (es steckt in vielen Menschen so etwas wie Selbstzerstörungstrieb, fehlgeleiteter Gerechtigkeitssinn u.ä.), zumindest habe ich im Laufe der Jahre beim Schreiben soviel Seelenmüll aus mir herausbefördert, daß auch ich prinzipiell nicht ausschließen könnte, unter bestimmten Voraussetzungen Amok zu laufen. Das meine ich ernst (emotionale und geistige habe ich auch schon durchexerziert). Ich glaube nicht, daß ein Mensch, der sich mit der Tiefe der Psyche beschäftigt, ernsthaft sagen könnte: "Also, ich könnte nie..."
Auch unter diesem Aspekt wäre es für mich interessant, etwas mehr zu erfahren.
Gruß
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