Jedes Jahr kehren Heike und ich zum selben Hotel in Paris, um die Ecke der Sorbonne, zurück. Das Hotel heißt »Excelsior«, im Internet findet man es unter »Excelsior Latin«. An der Rezeption kennen sie uns schon, weil wir uns immer nach dem Befinden von »Boeing«, der Hauskatze erkundigen. Sie heißt so, weil sie im Flughafen gefunden wurde, sie müsste inzwischen an die zwanzig Jahre alt sein. Das Hotel befindet sich in der Rue Cujas, in dieser Straße soll Gabriel García Márquez irgendwo in einer Mansarde gewohnt haben. In dem Haus direkt gegenüber dem Hotel gibt es eine »Ecole Maternelle«. Wenn man im vierten oder fünften Stock des Hotels wohnt, kann man oben an der Fassade des Gebäudes das Stadtwappen der Stadt sehen, ein Schiff, und darunter den Wahlspruch der Stadt: FLUCTUAT NEC MERGITUR.
Letztes Jahr hatte ich ein besonderes Anliegen im Zusammenhang mit dem Besuch der Stadt, ich wollte das Karussell im »Jardin du Luxembourg« sehen, das Rilke zu seinem berühmten Gedicht inspirierte. Am zweiten Tag also, gleich nach dem Frühstück, machten wir uns auf den Weg. Der Haupteingang zum Jardin ist nur zehn Minuten vom Hotel entfernt. Wie jedes Jahr betraten wir die lange Allee des Parks, die zum großen Teich führt. Es war ein schöner, sonniger Tag. Paris hat viel weniger grüne Flächen als London, und die halbe Stadt schien sich an diesem Sonntag hier versammelt zu haben. Überall standen unangekettet alte, schwere Eisenstühle. Mir fiel auf, dass manche Menschen gleich zwei davon in Anspruch genommen hatten, den zweiten, um die Füße darauf auszustrecken. Normalerweise machen wir eine halbe Runde um den Teich, bevor wir nach links, Richtung Rue de Montparnasse, abbiegen, diesmal aber, nachdem ich einen dort Dienst habenden Polizisten fragte, gingen wir weiter geradeaus.
»Immer geradeaus«, hatte der Polizist gesagt, als ich ihn nach dem Karussell fragte. Ich versuchte, ihm zu erklären, warum wir dieses Karussell besichtigen wollten, aber da schaute er mit diesem praktischen, schlauen Blick, den die Franzosen haben, wenn sie vermuten, jemand will sie auf den Arm nehmen. Wir folgten also der von seinem ausgestreckten Arm angedeuteten Richtung. Ich konnte es kaum fassen, dass wir in Kürze vor diesem Karussell stehen würden, vor demselben Karussell, vor dem Rilke Anfang des 20. Jahrhunderts in diesem Park gestanden hatte. Schon von Weitem konnten wir es auf einmal zwischen den Bäumen erkennen.
Ich muss sagen, das Karussell an sich war eine Enttäuschung, es war viel zu klein und viel zu langsam. Es war offensichtlich ein Museumsstück, das aus Pietät hier draußen, im Freien also, wie ein altes Pferd gelassen wurde.
Ich suchte mit den Augen den weißen Elefanten, die zentrale Figur des Gedichts, der immer wieder, immer schneller wiederkehrende Elefant ... Der Elefant war da, ein einziger unter mehreren Pferden und anderen Tieren, war aber genau so klein wie die anderen und grau ...
Ich fragte mich, wie ein so lächerliches Objekt Rilke derart inspirieren konnte. Ich vermute, dieses für mich sich so langsam drehende Karussell drehte sich damals mit derselben Geschwindigkeit, aber die Welt um das Karussell herum muss wesentlich langsamer gewesen sein ...
Das Karussell
Hola Carlos,
mir gefällt dein Spaziergang zum berühmten Karussell richtig gut. Du schreibst so authentisch und natürlich. Klar, genau so war es. Ihr zwei seid dorthin gegangen und du hast es genauso empfunden. Das spürt man einfach und das gefällt mir. Sehr schön finde ich den Schluss. Er klingt in mir nach. Meine Lippen formen sich zu einem Lächeln und ich denke: ja, die Zeit damals war viel ruhiger, nicht so eine hektische, viel zu schnelllebige wie heute. Sehr schön eingefangene Szene mit einer feinen Botschaft am Schluss.
Saludos
Gabriella
mir gefällt dein Spaziergang zum berühmten Karussell richtig gut. Du schreibst so authentisch und natürlich. Klar, genau so war es. Ihr zwei seid dorthin gegangen und du hast es genauso empfunden. Das spürt man einfach und das gefällt mir. Sehr schön finde ich den Schluss. Er klingt in mir nach. Meine Lippen formen sich zu einem Lächeln und ich denke: ja, die Zeit damals war viel ruhiger, nicht so eine hektische, viel zu schnelllebige wie heute. Sehr schön eingefangene Szene mit einer feinen Botschaft am Schluss.

Saludos
Gabriella
Nur ein wenig Geduld, Carlos, das mit dem Lesen und Sichgedankenmachen geht nicht so schnell, vorallem, wenn es die Geschichte wert ist - und das ist sie, diese hier. Ich habe sie gern gelesen, denn ich finde darin auch mein Paris wieder, unter anderem. Und da greifen Motive ineinander, die sich in mehreren Zeitebenen bewegen, mehrere Erwartungen und Enttäuschungen, könnte man sagen - die des heutigen Betrachters, die des Gedichts, mit dem er vergleicht, und die philosophische des
Und das geht hin und eilt sich, daß es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
das dennoch ein seliges Lächeln hervorruft und sich einfach verschwendet an das atemlose blinde Spiel.
Das Wechselspiel, das du daraus entwickelt hast, macht für mich den Reiz des Textes aus, damit ist dir etwas Schönes gelungen.
Liebe Grüße
Eva
Und das geht hin und eilt sich, daß es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
das dennoch ein seliges Lächeln hervorruft und sich einfach verschwendet an das atemlose blinde Spiel.
Das Wechselspiel, das du daraus entwickelt hast, macht für mich den Reiz des Textes aus, damit ist dir etwas Schönes gelungen.
Liebe Grüße
Eva
Liebe Eva,
vom Herzen danke ich dir für deine Worte.
Du hast Recht, außer Naivität ein anderes kindisches Merkmal meines Charakters ist eine gewisse Ungeduld ...
Es freut mich zu hören, dass du auch diese Stadt liebts. Das ist oder war mindestens eine Schwäche, ein Traum der Lateinamerikaner. Bis heute sind viele Namen von bekannten Schriftstellern, nicht nur García Márquez, mit dieser Stadt verbunden.
Julio Cortázar, ein argentinischer Schriftsteller, ist im Montparnasse begraben. "Rayuela" heißt sein Hauptwerk, ein Roman, der komplett in Paris spielt. Manche Exemplare hatten sogar einen Stadtplan von Paris eingebunden, mit den Straßen, die im Roman vorkommen.
Neulich sah ich ein Bild eines finnischen Malers: Albert Edelfelt (1854-1905). "Im Jardin du Luxembourg". Leider sieht man von dem Park nicht viel ...
Herzliche Grüße,
Carlos
vom Herzen danke ich dir für deine Worte.
Du hast Recht, außer Naivität ein anderes kindisches Merkmal meines Charakters ist eine gewisse Ungeduld ...
Es freut mich zu hören, dass du auch diese Stadt liebts. Das ist oder war mindestens eine Schwäche, ein Traum der Lateinamerikaner. Bis heute sind viele Namen von bekannten Schriftstellern, nicht nur García Márquez, mit dieser Stadt verbunden.
Julio Cortázar, ein argentinischer Schriftsteller, ist im Montparnasse begraben. "Rayuela" heißt sein Hauptwerk, ein Roman, der komplett in Paris spielt. Manche Exemplare hatten sogar einen Stadtplan von Paris eingebunden, mit den Straßen, die im Roman vorkommen.
Neulich sah ich ein Bild eines finnischen Malers: Albert Edelfelt (1854-1905). "Im Jardin du Luxembourg". Leider sieht man von dem Park nicht viel ...
Herzliche Grüße,
Carlos
fluctuat nec mergitur - paris wie auch das karussell.
salut carlos,
dein ausflug nach paris hat mir sehr gut gefallen.
er vermittlet authentizität, eine sehr persönlich gefärbte, aber das ist ja mehr, als so manch anderer ausflug vermag.
vor allem gefällt mir, dass du keine scheu davor hast, deine enttäuschung angesichts des karussells zu versprachlichen.
natürlich kann man sich fragen, was hat dein ich-erzähler erwartet?
rilkes gedicht existiert nur in der abstraktion, jenseits von allem konkretem, es versprachlicht etwas universell gültiges- dein ich-erzähler weiß das sicher, dennoch zeigt er sich hier sehr menschlich und losgelöst vom großen dichter.
vielleicht werden in der école maternelle die zukünftigen dichter herangezogen?
diesen gedanken mag ich ganz besonders.
monique
salut carlos,
dein ausflug nach paris hat mir sehr gut gefallen.
er vermittlet authentizität, eine sehr persönlich gefärbte, aber das ist ja mehr, als so manch anderer ausflug vermag.
vor allem gefällt mir, dass du keine scheu davor hast, deine enttäuschung angesichts des karussells zu versprachlichen.
natürlich kann man sich fragen, was hat dein ich-erzähler erwartet?
rilkes gedicht existiert nur in der abstraktion, jenseits von allem konkretem, es versprachlicht etwas universell gültiges- dein ich-erzähler weiß das sicher, dennoch zeigt er sich hier sehr menschlich und losgelöst vom großen dichter.
vielleicht werden in der école maternelle die zukünftigen dichter herangezogen?
diesen gedanken mag ich ganz besonders.
monique
Salut Scarlett,
mein "dimanche" ist, dank deinen Worten, gerettet.
Es tut gut zu wissen, dass man nicht alleine auf der Welt ist. Das man nicht umsonst lebt und lernt ...
Ursprünglich wollte ich Rilkes Gedicht in der kleinen Erzählung mit einbeziehen, das hätte aber meine Sprachbeherrschung übersteigert.
Man wird meistens von der Wirklichkeit enttaüscht. Wobei das, natürlich, eine sehr subjektive Sache ist.
Oft habe ich die Kinder beobachtet, die zu dieser Ecole Maternelle von ihren Eltern gebracht werden ...
Auf dem Bild "Im Jardin du Luxembourg" sind auch viele Kinder zu sehen.
Herzliche Grüße,
mein "dimanche" ist, dank deinen Worten, gerettet.
Es tut gut zu wissen, dass man nicht alleine auf der Welt ist. Das man nicht umsonst lebt und lernt ...
Ursprünglich wollte ich Rilkes Gedicht in der kleinen Erzählung mit einbeziehen, das hätte aber meine Sprachbeherrschung übersteigert.
Man wird meistens von der Wirklichkeit enttaüscht. Wobei das, natürlich, eine sehr subjektive Sache ist.
Oft habe ich die Kinder beobachtet, die zu dieser Ecole Maternelle von ihren Eltern gebracht werden ...
Auf dem Bild "Im Jardin du Luxembourg" sind auch viele Kinder zu sehen.
Herzliche Grüße,
Wer ist online?
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 16 Gäste