Geburt und Kindheitstage von Muh-muh

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 04.07.2013, 14:13

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Lily-Maus

Gurre-Text 1

Lily-Maus, das Maikätzchen von letztem Jahr ist nun eine junge Mutter voller Fürsorge und Energie. Ihr schönes Pflaumenmündchen (diese Bezeichnung erklärt sich aus einem pflaumenförmigen dunklen Fleck unterhalb vom Mäulchen) singt ganz unterschiedliche Melodien, vom behaglichen Seufzen und Schnurren bis hin zu einer nervösen Schrilltriole, die den Vögeln ihre gefährliche Nähe verrät. Trotz dieser Vorwarnung wurden wir bereits schuldbewusste Empfänger von fünf Singvögeln. Ausgesprochen feines Gefieder, ich wage nicht wissen zu wollen, welche seltenen Arten sie in den hiesigen Büschen aufgestobert hat. Mäuse und Maulwürfe hat sie natürlich ebenfalls nächtens - mit Vorliebe im Morgengrauen - angeschleppt. Doch soll sich der tierliebende Mensch bei Nagetieren weniger entrüstet zeigen.

Ende März, Anfang April dieses Jahres häuften sich die Katerbesuche. Nachts wurde geschrien und gejault, zeitweise gejauchzt, zeitweise beschimpften sich die Freier bösartig und lautstark vor der Dame ihrer Wahl. Ich muss gestehen, ein Mal fasziniert zugesehen zu haben, wie das zierliche Maigeschöpf zwei Anbeter auf Distanz (und dann eben auch wieder nicht !) hielt. Einige turbulente Wochen, die uns die Bekanntschaft der Hauptkater unseres Neubaugebiets einbrachten. Ich persönlich hoffte auf Nachwuchs seitens eines wunderschön wild getigerten Angorakaters.

Dem sollte nicht so sein. Wenn wir die Fell- und Farbdominante von Lilymäuschens Nachkommenschaft betrachten, kommt nur ein Kater als Vater in Frage. Die Nachbarin fragte verlegen, ob das nicht der allseits bekannte Raufbold von Gröbers sein könne. Dieser Badboy von Kater hatte wohl in jungen Jahren weißes, weiches Fell. Inzwischen aber ist sein Fell so vergilbt wie die Zähne eines Gitanerauchers. Ein riesiger dunkler Fleck auf dem rechten Auge verleiht ihm das Aussehen eines wilden Piraten à la Johnny Depp. Sein Schwanz gleicht der ausgewaschenen Rute von Knecht Ruprecht.

Als wir alle zur Niederkunft hin immer nervöser wurden, geschäftig Babyecken einrichteten, mit heugepolsterten Kartons und einer Holzkiste, war Lily-Maus nicht in der Lage uns deutlich mitzuteilen, wo sie ihr Wochenbett einzurichten gedachte. Zuletzt blieben zur Wahl ein großer Karton neben meinem Bett und eine Holzkiste neben meiner Schreibecke – direkt neben der Tastatur, auf Handhöhe sozusagen.

Meine Hebammenkünste halfen dem armen Tier nicht viel. Muh-muh (er gleicht einer scheckigen Kuh, hat aber vom Vater nur die hübscheren Flecken geerbt), kam als erster, nachdem die starken Wehen das junge Katzenmütterchen in unseren Kleiderschrank getrieben hatte. Dort war ihr endlich Muh-muh « entfallen ». Lilymaus irrte im Schrank herum, aber nicht lange, es gelang mir beide, Mutter und Sohn in die von ihr zuletzt bewohnte Kiste zu verfrachten. Im Schrank muss trotz Reinigung eine SPur des Fruchtwassers verblieben sein, denn Tage danach suchte Lilymaus vergeblich nach einem dort geborenen Tier. In jener Nacht waren wir jedoch alle müde und erschöpft, sowohl Muhmuh, als auch die Wochenbettnerin, als auch ich selber. Es war schon zwei Uhr morgens, die junge Mutter schlief in der heugepolsterten Kiste neben meinem Bett, und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich ebenfalls einschlief und die neu einsetzenden Wehen verpasst habe.

Frühmorgens lagen dann vier kaum als Käetzchen erkennbare Haut-und Fellwürstchen neben der sichtlich erschöpften Mama. Ich schaute schnell nach dem Geschlecht, das solle man so früh wie möglich tun, solange der Unterschied noch sehr sichtbar war. Ich kann mich aber nicht mehr genau erinnern und bin nicht ganz sicher, dass es stimmt, was ich gesehen habe. Meinem Dafürhalten nach hätten wir drei Kater und ein Kätzchen: Muh-muh, Mimou, Mimoulette (Mädchen) und Bandit. In dieser Reihenfolge wurden sie geboren.

Nun sind die vier schon in der fünften Woche bei uns. Lily Maus ist eine liebende und leicht überbesorgte junge Mutter. Einmal versuchte sie, ihre kleine Familie aus der etwas zu belebten Wohnzimmerecke (wir hofften, die Tiere so aus unserem Schlafbereich fernhalten zu können) nach oben zu verlegen, neben meinen Bürobereich im ersten Stock. Dort hatte sie bereits ihre Gewohnheiten, saß sie doch meistens neben mir, wenn ich vor dem Bildschirm saß und lebhaft auf die Tastatur einhackte. Um Lilymaus keiner weiteren Ortsveränderung auszusetzen, akzeptierten wir fürs erste diese sehr unpassende Behausung. Während die Mutter nämlich rasch ihre elastischen Sprünge wieder fand, standen die Kleinen noch schwach und wackelig auf ihren vier Beinen. Der Tisch neben meinem Schreibtisch war der ideale Beobachtungsposten für alles, was in diesem tagsüber benutzten Raum geschah.

Doch den Kätzchen gelang es ziemlich schnell, aus ihrer Kiste heraus zu gelangen und liefen nicht nur Gefahr, sich beim Herunterfallen zu verletzen, sondern auch, von unseren Bürostühlen irgendwann überrollt zu werden. Es gab also einen weiteren Umzug: eine dritte Heimat. Wieder im Wohnzimmer. Eine höhere Plastikwanne, deren Wände, glaubten wir, sich nicht so schnell erklimmen ließen. Es blieb auch zunächst bei einigen Kletterversuchen, wobei Muhmuh (die kleine Kuh…) wieder den Pionier und Anführer machte.

Wieder gab es eine Aufsichtsbehörde, die aus zwei Menschen und der autoritätsberechtigen Katze bestand. Solange die Kleinen wie Kletten an der nährenden Mutter hingen, gab es keine Ausbruchsversuche. Danach folgten lange Schlafzeiten, die von Lilymaus streng eingehalten wurden. Und seit letzter Woche haben wir bei Lily-Maus ganz besondere Fremdsprachenkenntnisse feststellen dürfen. Da Lily-Maus, ein zierliches Jungkätzlein, die inzwischen kräftig und ländlich ausgewachsenen Rabauken nicht mehr im Schnäuzchen hin- und hertragen kann, hat sie uns zur Betreuung hinzugezogen wurden. Ihr war es inzwischen zu viel, die kleinen im Maul herumzutragen. So wurden wir immer häufiger mit der Aufgabe betraut, die ständig ausbrechenden Kleinen wieder ins Nest zurückzubringen.

Damit wir wissen, was wir zu tun haben, gurrt Lilymaus nun hingebungsvoll zu uns herüber, solange bis wir uns aufmerksamst ihren vier Sprösslingen widmen.

Dann verlässt uns Lilymaus und versucht ihr altes unabhängiges Katzenleben wieder aufzunehmen. Sie gurrt weiter. Sie hat eine melodische, charmante Art zu gurren. Ich fürchte, dass irgendwann die Vögel wieder darunter zu leiden haben.

© Renée Lomris Juli 2013

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Eule
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Beitragvon Eule » 14.07.2013, 14:35

Hallo Renée, dieser Text scheint mir ein Experiment zu sein: Kindersprachliches mischt sich hier mit Retrospektive, Unsinnig-/Hintersinnigem, Sinnlich- und Tierischem.

Als Hauptmotive lese ich Familiäres, Wildheiten, Fortpflanzung, Geburt, Gewalt, Tod und Fantastisches. Eine etwas andere "Katzengeschichte" mit doppeltem "saß" in der fünften Zeile des siebten Abschnitts.

Weiteres Formales: Im neunten ein Tempi-Fehler in "hat sie uns zur Betreuung ..." und im nächster Satz die Wortdopplung: kleinen - Kleinen.
Ein Klang zum Sprachspiel.


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