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Cicero
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Beitragvon Cicero » 17.02.2014, 14:08

Der Besucher

Der Sturm fuhr mit Getöse durch die kahlen Äste der Bäume, die rund um die alte Jugendstil-Villa standen. Regen peitschte gegen die Fensterscheiben im Herrenzimmer. Das Kaminfeuer tauchte den Raum mit den bis an die Decke reichenden Bücherregalen in flackerndes, rotes Licht.

Der Hausherr, Ulrich Wagner, saß in seinem Ohrensessel. Aus den Boxen der Stereoanlage tönte Puccinis „Turandot“, seine Lieblingsoper. Er griff zur Cognac-Flasche, füllte den Schwenker aus Bleikristall und leerte ihn in einem Zug. Wagner war Strafverteidiger, seine Plädoyers waren gefürchtet. Er brannte im Gerichtssaal rhetorische Feuerwerke ab, mancher Staatsanwalt zollte ihm Anerkennung, obwohl er auf der Gegenseite stand.

Wagner hob sich aus seinem Sessel und ging leicht schwankend zum Fenster. Noch immer tobte der Sturm, ächzten die Bäume und trommelte der Regen gegen die Scheiben. Minutenlang starrte Wagner regungslos auf dieses Schauspiel der Natur, dann schlurfte er zum Kamin, legte Holz nach und holte eine neue Flasche „Remy Martin“ aus dem großen Globus, der als Hausbar diente.

Leise knisterten die Holzscheite im Kamin, die alte Pendeluhr im Wohnzimmer schlug die zwölfte Stunde. Wagner war in seinem Sessel eingeschlafen, doch plötzlich ließ ihn ein Geräusch hochfahren. Irgendwo klirrte Glas, eine dunkle Stimme fluchte, er hörte Schritte auf dem Flur. Jetzt war er hellwach, er ging zum Schreibtisch, holte seine Pistole aus der Schublade und griff zum Telefon, die Leitung war tot. Er begann zu zittern, zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Angst, Todesangst. Er griff zur Cognac-Flasche, nahm einen kräftigen Schluck, dann entsicherte er die Pistole und taumelte aus dem Herrenzimmer zur Treppe, die ins Erdgeschoss führte.

Langsam, Stufe für Stufe, sich mit einer Hand am Treppengeländer festhaltend stieg er abwärts. Die Haustür aus schwerem Eichenholz stand halb offen, der Sturm peitschte Regen und Laub auf die weiß-schwarzen Fliesen mit denen der ganze Boden im Flur ausgelegt war. Im Türrahmen stand ein Mann mit Trenchcoat und tief ins Gesicht gezogenem Hut.

Wagner fluchte, er hatte vergessen seine Brille aufzusetzen. „Wer sind Sie, was fällt Ihnen ein in mein Haus einzudringen?“, rief er dem Fremden entgegen.

„Ich will nur ein Gespräch mit Ihnen, Herr Rechtsanwalt“, der Mann hustete und schüttelte den Regen aus seinem Hut. „Dauert gar nicht lange, nur ein paar Minuten.“ Dann schloss er die Tür hinter sich.

Wagners Angst wuchs und wuchs. „Ich habe die Polizei angerufen, sie muss jeden Moment hier sein!“, schrie er.

„Die Polizei gerufen? Womit denn? Mit dem Telefon sicher nicht. Sehen Sie? Ich habe ein Taschenmesser in der Hand. Damit habe ich das Kabel durchgeschnitten.“

„Und ich habe eine Pistole in der Hand, sehen Sie die, sehen Sie sie?“, die Stimme des Anwalts überschlug sich.

„Aber lieber Herr Wagner, sie wollen als Rechtsanwalt zum Mörder werden?“, der Ton des nächtlichen Besuchers wurde spöttisch. „Sie waren doch schon vor 12 Jahren kurzsichtig, damals, als Sie mich verteidigten, da ist eine Pistole kein gutes Mordinstrument.“

„Ich soll Sie verteidigt haben? In welchem Fall? Wer sind Sie?“, Wagner kniff die Augen zusammen, aber das Gesicht seines Gegenübers blieb verschwommen.

„Ich heiße Wegmann, August Wegmann. Fällt jetzt der Groschen? Vor fünfzehn Jahren wurde mein Vater ermordet, mich hat man festgenommen, Sie haben mich verteidigt, ich war unschuldig, ein reiner Indizienprozess, Sie hatten eine lausige Verteidigungsstrategie, ich ging für 12 Jahre hinter Gitter, meine Schwester erbte das Vermögen meines Vaters,“, seine Stimme wurde schneidend: „Vor vier Wochen wurde ich entlassen, wegen guter Führung. Gestern hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit meiner Schwester, zugegeben, ich musste ein wenig rau werden, aber dann hat sie gebeichtet. Sie, Herr Rechtsanwalt Wagner, haben von meiner Schwester eine halbe Million dafür bekommen, dass mein Fall nicht mit Freispruch endete, was auf Grund mangelhafter Beweislage durchaus möglich gewesen wäre.“ Er hüstelte wieder ein wenig, dann setzte er sich langsam in Bewegung.

Wagner hob seine Pistole und schoss einmal, zweimal, dreimal. „Das war dreimal daneben, Herr Anwalt, ist auch ziemlich schwer, so ohne Brille“, lachte Wegmann und machte wieder einen Schritt vorwärts.

Wieder jagte Wagner zwei Kugeln aus dem Lauf. „Jetzt sind es schon fünf Fahrkarten, die Sie geschossen haben“, seufzte Wegmann mitleidig.

„Aber die letzte Kugel trifft, da können Sie sicher sein“, der Rechtsanwalt hob wieder die Pistole, der Schweiß lief ihm in die Augen, seine Hand zitterte, dann drückte er ab. Dem Schuss folgte kein Aufschrei, er hatte wieder nicht getroffen.

Für Sekunden war es gespenstisch still, kein Regen, kein Sturm war zu hören.

„Und nun?“, Wegmanns leise Stimme durchbrach die Stille. „Jetzt haben wir endlich Zeit, uns in Ruhe zu unterhalten.“ Langsam, Schritt für Schritt, ging er auf die Treppe zu. Wagner lehnte erschöpft am Ende des Geländers, die Pistole glitt ihm aus der Hand und klackerte zu Boden. Er starrte auf das Gesicht Wegmanns, das näher und näher kam. Als er es klar und deutlich vor sich sah stöhnte er leise auf, griff sich ans Herz und sackte zusammen. Wegmann fing ihn fast behutsam auf und legte ihn sanft auf die kalten Fliesen. Er fühlte Wagners Puls, spürte ihn nicht mehr.

„Schade, ich wollte doch eigentlich nur ein wenig mit Ihnen reden“, sagte er leise. Dann setzte er seinen Hut auf, stellte den Mantelkragen hoch und öffnete die schwere Eingangstür. Der Sturm war vorbei.

Er zog die Tür hinter sich zu und ging mit weit ausholenden Schritten in die Nacht …
Zuletzt geändert von Cicero am 17.02.2014, 16:17, insgesamt 3-mal geändert.
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Wolfgang

Beitragvon Wolfgang » 17.02.2014, 14:40

Hallo Cicero,

wie eine Pistole klirrend zu Boden fällt, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Rätselhaft finde ich auch den Rest der Geschichte. Du stellst im Prinzip nur Behauptungen auf; ich hätte zum Beispiel erwartet, dass ein Anwalt Diplome an der Wand hat, oder irgendwas, das ihn als Anwalt auszeichnet. Auch ist mir nicht klar, warum sich der Wegmann mit dem Wagner "unterhalten" will. Ein "Geständnis" durch Folter wird vor Gericht nicht anerkannt. Und am Ende geht er in die Nacht, so als sei nichts gewesen. Bei mir hinterlässt Deine Geschichte ein unbefriedigendes Gefühl.

Gruß

Wolfgang

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 17.02.2014, 15:05

Hallo Wolfgang,

herzlichen Dank für Deine schnelle Rückmeldung, auf dem gefliesten Boden, so denke ich, kann eine Pistole schon ein klirrendes Geräusch erzeugen. Wegmann wollte Wagner nicht foltern, 12 Jahre Knast haben ihm gereicht. Er wollte nur mit ihm reden, für sich ein Ende der Geschichte herstellen, sie abschließen.

Liebe Grüße

Cicero
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Wolfgang

Beitragvon Wolfgang » 17.02.2014, 16:01

Hallo Cicero,

ich glaube, wenn Metall (Pistole) auf Fließen fallen, dann klackert es. Klirren stört mich insofern, weil es mich an Glas erinnert. Aber gut, es ist Dein Text. Noch was: wenn der Wagner mit Sarkasmus sagt, er habe nur reden wollen, dann heißt das doch, dass er genau das nicht will? Sarkasmus ist wie Ironie. Daher kam ich auf den Gedanken mit der Folter.

Gruß

Wolfgang

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 17.02.2014, 16:22

Hallo Wolfgang,

habe jetzt klirrend und sarkastisch entfernt. Danke für den Hinweis.

Liebe Grüße

Cicero
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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 24.02.2014, 01:23

Hallo Cicero!

Gerne habe ich deine Geschichte gelesen, ganz schön gruselig!

Ich finde, der starb ein wenig zu plötzlich, aber mit so viel Remy Martin intus hat er wahrscheinlich nicht viel gelitten.

Ich persönlich hätte in dem Sessel, mit der Pistole in der Hand, auf das Erscheinen des Einbrechers gewartet.

LG

Carlos

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 24.02.2014, 11:44

Hallo Carlos,

lieben Dank für Deine nette Rückmeldung, darauf trinke ich jetzt einen Remy Martin.

Herzlich

Cicero
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