Die Cthulhu-Chroniken -- Episode 3 -- Der Name

[Mnemosyne]

Cthulhu und ich sitzen uns am Küchentisch gegenüber. Genauer gesagt sitze ich am Tisch und Cthulhu darauf. Von der Lehne des anderen Stuhls fällt er immer herunter, und hätte er auf der Sitzfläche Platz genommen, wäre er nicht zu sehen, was unseren aktuellen Absichten eher unzuträglich wäre.

„Sag mir noch einmal, was wir hier machen“, schnaubt Cthulhu.

„Man nennt es ein Interview“, sage ich. „Ich stelle dir Fragen und Du beantwortest sie.“

„Und wozu soll das gut sein?“

Exklusivinterview mit menschenfressendem Alien-Gott, denke ich mir, wenn das sich nicht verkauft wie geschnitten Brot will ich Nyarlathotep heißen. (Das will ich nicht!) Laut sage ich ich: „Na, damit die Menschenwürmer ihren zukünftigen Herrn etwas besser kennenlernen.“

Die Tentakel zucken unruhig. „Ich mag das nicht.“, sagt Cthulhu.

„Was denn?“

„Wenn Du etwas denkst und etwas anderes sagst. Ich höre dann immer so ein Durcheinander.“

Ich frage da lieber nicht näher nach. „Also, können wir anfangen?“

„Ist gut.“, antwortet Cthulhu, „Ich habe genug verstanden. Irgendwas mit „menschfressender Gott“ und „zukünftiger Herr“. Klingt OK.“

Ich hole mein Diktiergerät heraus, schalte es ein und lege es auf den Tisch.

„Ich freue mich“, sage ich laut“, meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen heute einen ganz besonderen Gast vorstellen zu dürfen. Er ist älter als die Menschheit, und wenn es nach ihm geht, wird er sie auch in der Zukunft um lange Zeit überdauern.“

Ich wende mich meinem Gegenüber zu.

„Nun, mein lieber … Herr …“. Ich stutze. „Sag mal, ist „Cthulhu“ eigentlich dein Vor- oder dein Nachname?“

Tschschschschschschsch... Ein Atemstoß bläht Cthulhus schlaff herunterhängende Tentakel, wie wenn ein böser Geist aus einer mit Efeu verhangenen Grotte entweicht. „Zweimal Nein. Erstens: Der einzige Grund, warum ich der Anrede „mein Lieber“ nicht entschieden widerspreche, ist, dass es lieb wäre, dich darauf hinzuweisen, dass ich nicht lieb bin. Und ich bin nicht lieb.“

„Äh... aber jetzt hast Du mich doch darauf hingewiesen?“

Cthulhu ringt seine Fangarme über so viel Dummheit. „Natürlich“, gibt er zurück. „Wenn ich nichts gesagt hätte, wäre ich ja so lieb gewesen, deinen Fehler einfach zu übergehen. Aber ich bin ja nicht lieb.“

Ich beschließe, diesen Punkt nicht weiter zu verfolgen. „Okay. Und zweitens?“

„Zweitens haben wir großen Alten keine Vor- und Nachnamen. Wie stellst Du dir das eigentlich vor, unsere Familien? 'Kriechendes Chaos, räum mal dein Zimmer auf?'; 'Cthulhu, vergiss nicht, das Haustier zu opfern'? Und drittens...“

„Wieso drittens?“, frage ich, „hast Du nicht eben „zweimal Nein“ gesagt?“

Der Tentakelbart spaltet sich zwei etwa gleich große Teile, die sich jeweils zu einem großen Knäuel verdrillen und zu jeder von Cthulhus Silben gegeneinander schlagen. „Zwei! Drei! Das sind doch menschliche Kategorien! Und viertens...“

Ich schlucke den sich in mir regenden Widerspruch herunter.

„...ist Cthulhu weder mein Vor-, noch mein Nach-, noch sonst irgendwie mein Name. Wie kommst Du bloß auf dieses verrückte Gebrabbel? So etwas Beklopptes habe ich ja seit Abdul Alhazred nicht mehr gehört!“

„Äh... aber heißt Du denn nicht so?“

Wieder ordnen sich Tentakel um. Jetzt bilden sie eine Art Flüstertüte, an deren schmalem Ende etwas von der Schwärze von Cthulhus Schlund zu erkennen ist. „JA OFFENBAR NICHT, ODER HABE ICH MICH GERADE VIELLEICHT ETWA UNKLAR AUSGEDRÜCKT?“

Das war deutlich genug. „Aber wie kommt es dann, dass dich jeder so nennt?“

„Ja was weiß ich? Irgendwer hat in seinem wirren Kopf mal ein paar Silben aufgeschnappt, ist dadurch noch wirrer geworden, hat sie irgendeinem anderen Wirrkopf weiter gesagt und so weiter, bis nach einer Reihe von zwei Dutzend Wirrköpfen einer mal versucht hat, das, was noch übrig war, in euer Alphabet zu pressen.“

„Moment mal – willst Du damit sagen, dein richtiger Name klingt nicht einmal so ähnlich wie „Cthulhu“?“

„Nein.“, gibt Cthulhu zurück. „Ebenso gut könnte ich dich Nyarlathotep nennen.“

Jetzt bin ich neugierig. „OK – wie lautet denn dann dein richtiger Name?“

Er stutzt kurz. Die Tentakel bilden kleine Haken und kratzen ihm über das Kinn. „Bist Du sicher, dass Du den wissen willst?“

„Klar“, antworte ich ohne zu zögern, und vergewissere mich durch einen Seitenblick, dass das Diktiergerät auch ganz sicher läuft. Dass schon die Vorstellung des Interviewten eine Sensation darstellt, ist ein journalistischer Coup der Extraklasse.

„Na gut“, sagt Cthulhu. Während er Luft holt, wölben sich die Tentakel leicht nach innen. Dann wieder nach außen. Als die Stimme einsetzt, sehe ich gerade noch, wie aus dem Tonbandgerät Rauch aufsteigt. Dann wird mir schwarz vor Augen.

Als ich wieder zu mir komme, liege ich, von blauen Flecken übersät, nackt inmitten meines verwüsteten Wohnzimmers. Ich muss im Wahn um mich geschlagen und mehrere Möbel umgeschmissen haben. Die Uhr zeigt halb eins. Ich erinnere mich dunkel, das Interview gegen zwölf Uhr Mittag begonnen zu haben. Demnach muss ich eine halbe Stunde weg gewesen sein. Erst da sehe ich von draußen den Mond durchs Fenster scheinen. Es ist eine halbe Stunde nach Mitternacht. Cthulhu sitzt neben mir auf dem Sofa.

„Na, ausgeschlafen? Soll ich dir jetzt vielleicht erzählen, wie das „kriechende Chaos“ wirklich heißt?“

„Bloß nicht!“, antworte ich schnell. Die Lust auf ein Interview ist mir gründlich vergangen. „Aber sagt mal – gibt’s vielleicht einen Rufnamen, mit dem Du einverstanden wärst? Irgendwie muss ich dich doch anreden können.“

Cthulhu überlegt kurz. „Cth klingt nicht übel, finde ich. Das wirst Du dir wohl merken können, oder?“

"Cth? Was ist denn das für ein „Ruf“name, ganz ohne Vokale? Den kann man doch gar nicht rufen?"

Die Tentakel wellen sich zu einem breiten Cthulhu-Grinsen. "Don't call me – I'll call you."