2. Fassung
Herzkönig
Er zieht das Herz aus der Tasche, wirft es auf den Tisch. Der Lärm verschluckt das leise Geräusch, sie kann es spüren. ‚Ich liebe dich’, steht darauf. Mit zitternden Fingern umschließt sie das rote Perlmuttimitat.
„Nimm’s bloß nicht so ernst, ey!“ Er entdeckt einen Freund am Nebentisch, zwinkert ihm zu.
Sie kann nicht glauben, dass es ein Geschenk von ihm ist. Hat er es extra für sie gekauft? Er setzt sich neben sie und grinst seinen Kumpel an. Die Sprücheklopferei beginnt. Manchmal sieht er kurz in ihr Gesicht. Seine Blicke sind wie Blitze, die Hände groß, kräftig. Sie wünscht sich, von ihnen berührt zu werden. Er fährt durch ihr Gesicht, streicht über ihre Lippen. Dann erst zieht er die Jacke aus und ein, zwei, drei Pullover. Er trägt ein schwarzes Shirt, Jeans. Einen Nieten beschlagenen Gürtel.
Sie will das Herz in die Tasche stecken. Es fällt zu Boden.
Sein Blick ist abweisend. Er trinkt. Schnaps. Bier. Schnaps. Noch ein Bier und zahlt. „Zwischenbilanz.“
Er grinst. „Weißt du, dein Gesicht ist schön ... willst du mit mir gehen? Woandershin. Ist mir zu hell und laut da.“
Sein Gesicht, der Körper, alles in Bewegung. Angespannte, nervöse Gesten. Selten Gelöstheit, wenn Musik nach seinem Geschmack ertönt. Hingabe für einen Augenblick.
Ohne ihre Antwort abzuwarten, zieht er die Pullover wieder übereinander.
„Ciao“, ruft er dem Freund zu.
Schal, Jacke, er geht zur Tür, achtet nicht auf sie. Dennoch geht er langsam, will er ihr Zeit lassen, den Mantel anzuziehen? Sobald sie hinter ihm steht, stößt er die Tür auf.
„Scheißt du dich jetzt an, ey?“, sagt er und küsst sie erstmals. Die unrasierte Wange kratzt über ihre Haut.
„Ey, hast du Angst?“, bellt er.
Seine Augen funkeln, sie weicht zurück. Er greift nach ihr, lacht. Sie hält das Herz fest auf dem Weg zum nächsten Lokal.
„Er ist kaputt“, wirft ihr die Barfrau über die Theke zu, nachdem sie ihn beim Hereinkommen mit einem verletzten Blick bedacht hat. Männer, die auf Sofas an den Wänden sitzen, sagen: „Heho!“ und kommen an die Theke, umstellen beide. Er nennt ihre Namen, lauter gute Freunde. Sie gibt eine Runde aus. Sie gefällt. Sie ist eine Dame. Die alten Freunde flüstern. Einer beginnt ein Gespräch mit ihr.
„Also, ich kenne ihn wirklich sehr lange.“ Er kraust die Stirn.
Er streift die drei Pullover ab, strafft den Rücken. Zieht die Nase hoch, verzieht den Mund. Das Bier fließt durch seine Kehle. Mit einem Knall schlägt das Glas auf der Theke auf. Er rennt auf die Straße.
Sein Freund sagt, dass es ihm leid tut und: „Man weiß nie bei ihm ...“
Sie hört nicht mehr zu. Es ist kalt, die Pullover liegen auf dem Barhocker. Sie befürchtet, dass er nicht zurückkommt.
Die Frau hinter der Theke sagt: „Er kommt gleich wieder. Lass die Finger von ihm, er ist kaputt!“
Eine nach der anderen raucht sie. Befühlt das Herz.
Er reißt die Tür auf. Rot vor Kälte. Der Blick, den er ihr zuwirft, trifft. Er bestellt Schnaps, trinkt und lässt das Glas aus der Hand gleiten. Es zersplittert. Die Barfrau und er messen einander. Sie nimmt Schaufel und Besen, kauert sich zu ihren Füßen.
Im Aufrichten flüstert sie ihr zu: „Wir waren einmal zusammen. Er ist ziemlich gemein. Jetzt will er dich.“
Er hat sie doch längst, sie vibriert bis in die Zehenspitzen.
„Wohin jetzt?“ Der Finger gleitet über ihre Wange.
„Scheißt du dich jetzt an?“, sagt sie draußen auf der Straße, probiert ein: „Ey!“
Da wird er weich, lacht und küsst.
„Zu mir?“
„Wohin sonst?“, sagt er.
Seine Zärtlichkeit ist flüchtig. Kühl die Leidenschaft. Sie fragt sich, was das nach dem Herz soll. Sein Bart kratzt über ihren Bauch. Sie bemüht sich um Lust, als er sie beobachtet.
„Du fährst voll ab auf mich“‚ sagt er.
Gegen Morgen verlässt er sie. Er ist leise.
„Ich werde dich anrufen“, sagt er noch in der Tür.
Sie blickt das Herz an. Es sind bloß drei Tage – Wochen für sie. Dann klingelt das Telefon. In ihrer Brust hämmert es, als sie seine Stimme hört.
„Hab ich vielleicht meinen Pullover bei dir vergessen?“
„Eins, zwei oder drei?“, fragt sie und hält sich am Tisch fest.
Schweigen.
„Nein. Du hast ihn in der Bar gelassen.“
„Shit.“ Es kracht in der Leitung. „Ey, dann muss ich dorthin.“
„Sicher. Wie geht es dir?“
„Gut. Und dir?“
„Auch gut. Danke.“ Sie hört seinen Atem.
„Ey, ich wünsch dir einen schönen Abend.“, sagt er gedehnt.
„Danke. Bis bald.“ Sie beißt sich auf die Lippen.
„Ja“, sagt er.
Gerade noch schafft sie es zur Toilette. Übergibt sich.
Sie schreibt einen Brief an ihn, wirft ihn an der Ecke ein, will im selben Moment den Briefkasten aufbrechen.
„Scheißt du dich jetzt an?“, fragt sie sich. „Ey!“ Sie muss lachen.
Zuhause sieht sie das Herz an. „Warum nicht einmal anders ...?“
Auf den Brief kommt keine Reaktion, sie weiß, dass sie ihn wirklich überfordert hat. Nur langsam schließen sich die Wunden.
Das ‘Ich liebe Dich‘ dreht sich an der Schnur um sich selbst. Es baumelt von der Schreibtischlampe. Sie bemerkt es manchmal, wenn sie ab und zu das Licht anknipst. Dann brennen auch die Narben.
Als sie ihm viele Wochen später in der Fußgängerzone begegnet, weiß sie noch Wort für Wort. Alles, was sie ihm sagen wollte. Weder berührt er ihr Gesicht, noch verdunkelt sich sein Blick. Er tritt von einem Fuß auf den anderen.
„Dein Brief ... zu heavy für mich ... so starke Gefühle, ey, das ist nichts für mich ... naja. War aber ein hübscher Brief, ehrlich. Also dann, muss weiter. Ciao, Lady.“
Sie sieht zu, wie die Menge seine Gestalt verschlingt und wirft das Herz in den nächsten Müllkorb.
Sätze ohne Verb bereinigt (danke, Gerda)
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1. Fassung
Er zieht das Herz aus der Jackentasche. Wirft es auf den Tisch. Der Kaffeehauslärm verschluckt das leise Klirren, sie kann es spüren. ‚Ich liebe dich’, steht darauf. Mit zitternden Fingern umschließt sie das rote Perlmuttimitat.
„Nimm’s bloß nicht so ernst, ey!“ Er steht auf, um einen Freund zu begrüßen.
Sie hält das Herz fest. Kann nicht glauben, dass es ein Geschenk von ihm ist. Hat er es extra für sie gekauft?
„Was ist hoffentlich?“, sagt er, an den Tisch zurückgekehrt.
„Nichts“, sagt sie.
Er setzt sich neben sie und grinst seine Kumpels an. Die Sprücheklopferei beginnt. Manchmal sieht er kurz in ihr Gesicht an. Seine Blicke wie Blitze. Die Hände groß, kräftig. Sie wünscht sich von ihnen berührt zu werden. Er streckt den Zeigefinger aus und streicht über ihren Wangenknochen. Dann erst zieht er die Jacke aus und ein, zwei, drei Pullover. Er trägt ein schwarzes Shirt, Jeans. Einen Nieten beschlagenen Gürtel.
Sie will das Herz in die Tasche stecken – es fällt zu Boden. Sein Blick ist abweisend. Er trinkt. Schnaps. Bier. Schnaps. Noch ein Bier und zahlt.
„Zwischenbilanz.“ Er grinst. „Weißt du, dein Gesicht ist schön ... willst du mit mir gehen? Woandershin.“
Sein Gesicht, der Körper, alles in Bewegung. Angespannte, nervöse Gestik. Selten, wenn Musik nach seinem Geschmack ertönt, Gelöstheit. Hingabe für einen Augenblick.
Die Pullover wieder übereinander. Schal, Jacke, er geht zur Tür, achtet nicht auf sie. Er geht langsam, hat er ihr Zeit gelassen, den Mantel anzuziehen? Sobald sie hinter ihm steht, reißt er die Tür auf.
„Scheißt du dich jetzt an, ey?“, sagt er und küsst sie erstmals. Die unrasierte Wange kratzt über ihre Haut.
„Ey, hast du Angst?“, bellt er.
Seine Augen funkeln, sie weicht zurück. Er greift nach ihr, lacht. Sie hält das Herz in der Tasche fest.
„Er ist kaputt“, zischt die Barfrau über die Theke im nächsten Lokal. Leute scharen sich um sie beide. Er nennt ihre Namen, lauter gute Freunde. Sie gibt eine Runde aus. Sie gefällt. Sie ist eine Dame. Die alten Freunde flüstern. Einer beginnt ein Gespräch. „Also, ich kenne ihn wirklich sehr lange.“
Er streift die drei Pullover ab, strafft den Rücken. Zieht die Nase hoch, verzieht den Mund. Das Bier fließt durch seine Kehle. Mit einem Knall schlägt das Glas auf der Theke auf. Er rennt auf die Straße.
Sein Freund sagt, dass es ihm leid tut. Es ist kalt, die Pullover liegen auf dem Barhocker. Sie befürchtet, dass er nicht zurückkommt.
Die Frau hinter der Theke sagt: „Er kommt gleich wieder. Lass die Finger von ihm, er ist kaputt!“
Sie raucht Kette. Befühlt das Herz in ihrer Tasche.
Er reißt die Tür auf. Rot vor Kälte. Der Blick, den er ihr zuwirft, trifft. Er bestellt Schnaps, trinkt und lässt das Glas aus der Hand gleiten. Es zersplittert. Er und die Barfrau messen einander. Sie nimmt Schaufel und Besen, kauert sich zu ihren Füßen.
Im Aufrichten flüstert ihr zu: „Wir waren einmal zusammen. Er ist ziemlich gemein. Jetzt will er dich.“
Er hat sie doch längst, sie vibriert bis in die Zehenspitzen.
„Wohin jetzt?“ Der Finger gleitet über ihre Wange.
„Scheißt du dich jetzt an?“, sagt sie draußen auf der Straße, „Ey!“
Da wird er weich, lacht und küsst.
„Zu mir?“, fragt sie.
Seine Zärtlichkeit ist flüchtig. Kühl die Leidenschaft. Sie fragt sich, was das nach dem Herz soll. Sein Bart kratzt über ihren Bauch. Er beobachtet ihre aufsteigende Lust.
„Du fährst voll ab auf mich“ ‚ sagt er.
Gegen Morgen verlässt er sie. Er ist leise.
„Ich werde dich anrufen“, sagt er noch in der Tür.
Sie blickt das Herz an. Es waren bloß drei Tage – Wochen für sie.
Dann klingelt das Telefon.
„Hab ich vielleicht meinen Pullover bei dir vergessen?“
„Eins, zwei oder drei?“, fragt sie und hält sich am Tisch fest.
Schweigen.
„Nein. Du hast ihn in der Bar gelassen.“
„Shit.“ Es kracht in der Leitung. „Ey, dann muss ich dorthin.“
„Sicher. Wie geht es dir?“
„Gut. Und dir?“
„Auch gut. Danke.“ Sie hört seinen Atem.
„Ey, ich wünsch dir einen schönen Abend.“, sagt er gedehnt.
„Danke. Bis bald.“ Sie beisst sich auf die Lippen.
„Ja“, sagt er.
Gerade noch schafft sie es zur Toilette. Übergibt sich.
Sie schreibt einen Brief an ihn, wirft ihn an der Ecke ein, will am liebsten den Briefkasten aufbrechen.
„Scheißt du dich jetzt an?“, fragt sie sich. „Ey!“ Sie muss lachen.
Sie sieht das Perlmuttherz an. „Warum nicht einmal anders ...?“
Auf den Brief kommt keine Reaktion, sie weiß, dass sie ihn wirklich überfordert hat.
Langsam schließen sich die Wunden. Das ‘Ich liebe Dich‘ dreht sich an der Schnur um sich selbst. Es baumelt von der Schreibtischlampe. Sie bemerkt es nur, wenn sie ab und zu das Licht anknipst. Dann brennen auch die Narben.
Als sie ihm in der Fußgängerzone begegnet, weiß sie noch Wort für Wort. Alles, was sie ihm sagen wollte.
Weder berührt er ihr Gesicht, noch verdunkelt sich sein Blick. Er tritt von einem Fuß auf den anderen.
„Dein Brief ... zu heavy für mich ... so starke Gefühle, ey, das ist nichts für mich ... naja. War aber ein hübscher Brief, ehrlich. Also dann, muss weiter. Und nichts für ungut, ey?“
Sie schaut zu, wie die Menge seine Gestalt verschlingt und wirft das Herz in den nächsten Müllkorb.
(c) Elsa Rieger
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