Meine Vorstellung durch ein Kurzgeschichte

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Trenck von Tonder

Beitragvon Trenck von Tonder » 22.04.2006, 09:20

Merzenichtagebuch, Eintrag vom 05.12.05

Was kann ich schreiben? Worüber? Alte Ideen? Also, kommt her Ideen. Küss mich, Muse…
Nun ist es – Moment, mal kurz auf die Uhr geschaut - ah ja, nun ist es 6.30 Uhr, ich sitze im Cafe Merzenich mit einer großen Tasse Kaffee und ich sehe mich um.
Eigentlich hatte ich gehofft dass mich die erwachende Großstadt zu ein wenig geschriebener Kreativität führt. Ich horche nach innen, ähh, nein, da kommt nichts. Ich sehe an der Theke mit den tausend Brötchen und noch müden Brotfachverkäuferinnen vorbei, durch die großen Fenster nach draußen. Sollte um diese Uhrzeit nicht schon mehr los sein, sowohl im Cafe als auch auf der Strasse? Was waren denn die alten Ideen? Eine Liste mit Filmtiteln wollte ich aufstellen, von Filmen die meine Vorstellung von Skurrilität und Absurdität besonders gut definieren.
Habe ich jetzt keine Lust zu, später vielleicht. Hey, ich bin ja nicht alleine hier, mal sehen. Mir gegenüber sitzt eine Rentnergruppe, zwei Herren um die siebzig, einer dick und zufrieden, der andere munter seine Zeitung lesend und eine Dame, schlank, wach, agil. Soll ich mal diese Gruppe beschreiben? Warum sollte ich? Nur um meinen Stift in Bewegung zu halten, wie Natalie Goldberg rät? Warum nicht, viel Kreatives spüre ich derzeit nicht in mir. Ok, gut, mal sehen…. Ich blicke auf. Eine Frau in Businesskostüm und Aktentasche steht akkurat geschminkt an der Brottheke und kauft zwei belegte Brötchen. Sie sieht gut aus denke ich, müde zwar, aber sexy und die Müdigkeit würde ich ihr schon aus dem Fell vögeln, ich habe ihre Pussy jetzt genau fünf Zentimeter vor meinem Auge, meinem inneren Auge wohlgemerkt und.... STOP. Du wolltest was über die Rentner schreiben.
Verdammt, ich sitze hier, morgens um 6,45 Uhr, nach nur fünf Stunden Schlaf, mit zwanzig Kilo Übergewicht, kaum noch Kondition, Bluthochdruck wie alle anderen auch und sobald die erste Frau ohne graues Schamhaar hier reinkommt wirst du geil, du alte Sau. Was bist du doch für ein verdammter Stier, immer bereit tausend Amazonen zu besiegen und die stolzesten Frauen im Bett zu brechen. Wie die Geschäftsfrau, der würde ich den Rock im Aufzug langsam mit der einen Hand nach oben schieben, während ihre Kollegen um sie rumstehen und….
STOOOHOOOP, die REEEENTNEEEEEERRR.
Scheiße ja. Genau.
Also, ich habe da jetzt meine drei Rentner sitzen, sie scheinen in guter Stimmung. Warum sitzen sie da? Um diese Uhrzeit. Was schreibt man über Menschen von denen man nichts weiß? Warum beschreibst du nicht die drei unterschiedlichen Arten wie sie Kaffee trinken.
Ja, nee, is klar. Super Idee.
Ruhig bleiben, nicht verkrampfen. Wie sagte Goethe in solchen Fällen: „Wenn ihrs nicht fühlt, ihr werdets nicht erjagen.“
Ich mache mich innerlich leer. Ich warte. Es kommt nichts. Der Zeitung lesende Rentner kommentiert was er gerade liest..
„Die vom FC sollten dem Allpay mal ordentlich einen verbimmeln, für den Scheiß den er da im Stadion gebaut hat.“
.Er sagt es komplett desinteressiert, entweder ist es ihm egal ob ihm jemand zuhört, oder er weiß einfach dass ihm jemand zuhört.
Die Dame denkt nach:“ Ach, das ist doch dieser Fußballspieler?!“
Über die Frau kann ich nicht schreiben, die ist mir über. Sie ist nicht nur schlanker, sie versteht auch mehr von Fußball als ich.
Ok, Themawechsel! Draußen tummeln sich jetzt mehr Leute, ein Handwerker im Blaumann kauft Brötchen.
Eine Liste mit Filmtiteln zu machen ist doch wohl auch Schreiben. Der Gedanke scheint mir schlüssig und ich fange meine Filmliste an:
The Big Lebowski, sowieso alle Coenfilme, Punch Drunk Love, factotum, Barfly, Die Simpsons, SPUN, Schtonk, die Filme von Charlie Kaufman….
Etwas lenkt mich ab, ein Mädchen steht am Tisch der Rentnergruppe, jung, kurzes, hennarot gefärbtes Haar, ein goldenes Brillchen auf der Nase, viel zu dünn für mich, aber wenn ich sie im Bett hätte, ich würde ihr den Verstand aus der Fo…
STOP. Jetzt hör doch mal auf damit.
Das Mädchen geht um den Tisch und setzt sich neben die agile siebzigjährige Dame, das Mädchen sieht besorgt aus, sie sagt mit leiser Verzweiflung was sie auf dem Herzen hat.

„Ich kann meine Wäsche nicht in den Trockner tun. Im Waschsalon sitzt ein Mann und kifft, mit ner Flasche Bier.“

Oha!!! Auf der Stelle rattert und arbeitet es in mir. Irgendwas stimmt hier nicht, aber ich weiß noch nicht was. Wieso kann ich das junge Ding auf der Stelle nicht mehr leiden?
Ich denke.
Ein Blick auf die Uhr, ein Blick in den Raum, mit dem Bewusstsein nach innen horchend. Da, jetzt steigt die Lösung in mir auf:
Es ist 6.55 Uhr, die Brillenschlange wollte ihre Wäsche aus der Waschmaschine in den Trockner tun, eine Maschine braucht ungefähr eine dreiviertel Stunde. Sie hat die Maschine demnach also um zehn nach sechs voll gepackt.
Was muss das für ein Mensch sein, der um diese Uhrzeit seine Wäsche in den Waschsalon bringt? Ein totaler Streber und somit ein Oberarschloch.
Jetzt fällt mir der weinerliche Ton und ihr offensichtlich Nervosität auf. Ich denke nach. Ich fälle mein Urteil: Die Frau ist scheiße!
„Hat der Mann dich angefasst?“ will die agile alte Dame wissen. Der Zeitungsrentner hört jetzt zu, der dritte dicke Rentner scheint auch zuzuhören.
„Nein, der sitzt da und kifft. Dieser Geruch ist unglaublich. Der ist total zugedröhnt.
“Sie hat diese, schamlos nach Bestätigung heischende Betroffenheit in der Stimme, die nur Gutmenschen, Veganer und andere Sozialversager glaubhaft rüberbringen können.
„Der ganze Waschsalon stinkt nach seinem Joint. Ich habe ihm gesagt dass es hier Rauchmelder gibt. Er hat gesagt: `Dann mach ich die Zigarette aus. und da hat er die Zigarette ausgemacht. Also, rauchen darf man da drin, aber, nein ich finde das geht zu weit.“
Der Zeitungsrentner mischt sich ein: „Wie alt ist er? Dreißig? Vierzig?“
Ich bin perplex. Wie alt er ist??? Warum will er das denn wissen?
Aber ich kann nicht drüber nachdenken, weil der in mir aufsteigende Zorn mich ablenkt. Dieses hennarote Weichei fängt an mir auf die Eier zu gehen. Hat die denn gar keine Ahnung?
Wenn der Bursche wirklich dicht ist, oder wie dieses Kindergärtnerinnending sich in ihrer Sozialarbeitersprache ausdrückt – zugedröhnt – , dann hat sie doch nichts vor ihm zu befürchten, WEIL er dicht ist.
Hätte er ne Flasche Jack, Johnny oder Jim neben sich stehen, würd ich’s noch kapieren, aber ein Kiffer?! Dann ist der Bursche auch noch so freundlich und drückt seine Tüte aus, als sie ihn drauf anspricht, aber Frau Gräfin hat trotzdem Angst ihre Wäsche in den Trockner zu bugsieren.
Ich werde langsam sauer. Was fällt ihr ein, ihre Ängste auf den harmlosesten Typen, von dem ich je gehört habe zu projizieren. Diese wachsweiche, ignorante dusselige Kuh, ich hätte nicht übel Lust sie am Kragen zu packen und durchzuschütteln. Meine Stimmung ist jetzt gröber geworden: Ich stell dich mal ein paar meiner Freunde vor und dann holen wir nach, was andere schon vor langer Zeit hätten tun sollen: WIR MACHEN EINE RICHTIGE FRAU AUS DIR. Dann ziehen wir mal um die Häuser, dabei ziehen wir ordentlich einen durch und danach ziehen wir alle unser Ding durch, nämlich durch dich, und dein enges, behaartes, kleines….
STOOOOP, reiß dich zusammen. Konzentrier dich.
Schluck Kaffee trinken.
Ok, ok, ganz ruhig. Wie habe ich mir die Situation vorzustellen? Da sitzt ein Kiffer in einem Waschsalon, am frühen Morgen, mit ner Tüte und ner Pulle Bier. Der Waschsalon macht vermutlich um 6 Uhr auf. Der Bursche wird kaum um 5.30 Uhr seinen Wecker ausgemacht haben um dann, frisch geduscht, gegen 7.00 Uhr sein erstes Bier zu trinken: In einem WASCHSALON!!!
Nein, es könnte so gewesen sein: Er war bis sechs Uhr morgens unterwegs und nachdem er in einer kalten Dezembernacht richtig durchgefroren ist, hat er einen warmen Platz gesucht um wieder aufzutauen. Jetzt fällt mir gerade ein, dass mir das auch schon mal passiert ist und zwar genau vor drei Jahren, ebenfalls vom 4. auf den 5 Dezember. Ich war damals auf einem niederträchtigen Geburtstagsbesuch und… Obacht, es geht weiter.
„Nein, der ist ungefähr achtzehn oder zwanzig. So alt wie ich.“, beantwortet sie die Frage des Zeitungsrentners.
„Ruf doch die Polizei.“, gibt die Agile einen konstruktiven Ratschlag, aber so beiläufig wie sie es betont, klingt es in meinen Ohren wie:“ Leck mich doch an d’r Hahneporz.“ Natürlich applaudiere ich der Dame innerlich lang und ausgiebig.
Ich sehe die Möchtegern – Mutter – Theresa – Kindergärtnerin nur von hinten. Sie ist ehrlich verzweifelt über ihre Situation. Die Hände in den Schoß gelegt, die Schenkel zusammengedrückt, den Kopf gesenkt, denkt sie nach.
Mit so einer kannst du keine Kriege gewinnen. Ich wette: Die kann auch ihren Namen tanzen.
Ich mache mir erste Notizen über diesen Vorfall, aber nach den ersten drei Worten setze ich mich auf und blicke direkt zu dem Tisch herüber.
„Nein, ich finde das geht jetzt echt zu weit du, von mir aus kann der ja kiffen wo er will, aber nicht in einem Waschsalon, da kommen auch Kinder rein.“
Keine Reaktion am Tisch, aber ich glaube ICH spinne. Ich muss mich verhört haben. Ich merke wie ich mit einem Finger in meinem linken Ohr rummache. Aber ich habe mich nicht verhört.
Gut, ich gebe zu: Ich war noch nie um 7.00 Uhr morgens in einem Waschsalon und das wird auch nicht vorkommen, jetzt erst Recht nicht mehr. Von daher habe ich dort, um die Uhrzeit auch noch keine Kinder sehen können, aber ich war schon hundertmal zu allen anderen Tageszeiten in Waschsalons und ich habe da ebenfalls noch NIE, auch nur ein einziges Kind gesehen. In einen Waschsalon geht man nur, wenn es sich nicht lohnt eine eigene Waschmaschine anzuschaffen. Wenn ich auch nur EIN Kind habe, dann lohnen sich schon fast ZWEI Waschmaschinen…
Jetzt bin ich sauer, ich verachte die Schlampe, das ist ganz klar. Ich spüre dass ich diesen Menschen ekelhaft finde. Erst ist sie zu ungebildet und zu naiv um die Situation anders als mit ihren persönlichen Ängsten zu bewerten und einzuordnen, jetzt fängt sie auch noch an, sich hahnebüchende Scheißargument aus den Fingern zu saugen, die ihre beschissene kleine Ängste vor Männern rechtfertigen sollen. Ich merke wie sich mein Gesichtsausdruck verfinstert. Meine innere Stimme ist bereits deutlich lauter geworden: Du kleine schwache Wohlstandhure, sind DAS etwa deine Probleme??? Wenn man einen dichten Kiffer zu einem solchen Problem machen kann, dann lebt man wohl den Rest des Tages in der heilen Welt einer Vorabendserie. MACH DIE AUGEN AUF: DU BIST KEIN KIND MEHR!!!! DAS LEBEN IST KEIN ARZTROMAN, LIES MAL BUKOWSKI; LIES MILLER; SIEH MAL EINEN PORNO UND LASS DICH MAL RANDVOLL LAUFEN; DU KASTRIERTES KLEINES STÜCK ZIVILISATIONSSCHEISSEEEEEE:
Ich habe nur innerlich geschrieen, aber ich merke wie ich außer Atem bin. Meine Wut macht eine kleine Pause, ich komme wieder etwas zu mir. Den Stift gegriffen und Notizen gemacht. Ich sehe auf und blicke direkt in die Augen des Zeitungrentners. Er sieht mich direkt an. Jetzt wo ich ihn bemerke, dreht er sich weg und faltet die Zeitung zusammen.
Halt dich zusammen, rufe ich mich selber zur Ordnung. Fall jetzt bloß nicht auf, hier entwickelt sich etwas sehr, sehr Seltsames, sehr Komisches. Ich werde ruhiger. Meine Ratio setzt wieder ein, ich denke nach:
Wenn ich dieses dünne Mädchen sehe, wie sie in dieser Situation überfordert ist und wenn ich mich an die Geschichten aus dem zweiten Weltkrieg erinnere und sehe was die Leute auch in der Zeit des Wiederaufbaus leisten mussten, mit welchen Situationen die fertig werden mussten, dann frage ich mich ob es solche Schwächlinge damals auch schon gegeben hat, oder ob wir uns die erst rangezüchtet haben? Durch zuviel Werkenunterricht in der Schule, zu viele Waldorfschulen und zuviel Fürsorge bis hin zu feuchtem Toilettenpapier.
Ich denke an Renate Wallert, die Heulsusengeisel auf den Phillipinen vor ein paar Jahren. Wie sie flennend da sitzt, während sechs, sieben andere Geisel um sie rum sitzen und ihr, noch lieber als ihren Entführern, das Maul stopfen möchten.
Mir kommt die, mit größter Selbstverständlichkeit vorgetragenen, Aussage einer Bekannten in den Sinn: „ Ich esse gerne Fleisch aber nur wenn ich nicht mehr sehen kann, das es aus einem richtigen Tier stammt.“ Aha, dachte ich mir damals, Fischstäbchen sind lecker, bei Forelle blau wird dir schlecht, oder wie? Es gibt die schleichende Gefahr zu verweichlichen, ok, aber nicht kampflos, jeder hat….
Achtung. Was macht sie jetzt? Das kann nicht sein …
Ich spitze meine Ohren wie ein Luchs, verstehe aber nichts. Die Hennafotze steht auf und tippt etwas in ihr Handy. Sie geht raus um draußen zu telefonieren. Die Rentner verlieren kein Wort über die Sache. Der Zeitungsrentner hat sich die nächste Zeitung vorgeknöpft. Der stumme Rentner bleibt weiterhin stumm.
Das Mädchen kommt zurück, mit ihrem Telefon am Ohr und einem verzweifelten Gesichtsausdruck, mit überforderter, fast weinerlicher Stimme fragt sie die Agile:
„Welche Hausnummer hat denn der Waschsalon?“
Ich fass es nicht, ich kann’s verdammt noch mal nicht fassen. Die kleine verkommene Nutte hat tatsächlich die Bullen gerufen. Der Zorn kocht in mir hoch, bevor er mich überwältigt, gibt die rüstige Rentnerin Antwort:
„Mädschen, dat weiß isch doch net. Luxemburger Straße bei dem Mercedeshändler.“
Die rote Drecksfotze gibt die Information ins Handy weiter. Ihr Gesichtsausdruck ist angespannt, sie lauscht und jetzt kommt wieder die Unsicherheit in ihr Gesicht, ihre Stimme wackelt:
„Der weiß nicht wo das ist.“, sie heult fast vor Überforderung.
Die siebzigjährige Dame steht auf und geht zur Theke. Sie sieht jetzt auch genervt aus, bestimmt nicht so wie ich, aber die rote Schlampe geht ihr auch auf den Sack.
„Lieschen, welche Hausnummer habt ihr hier?“
„Zweihundertfünfzisch.“, kommt es von Lieschen hinter der Theke.
Die Dame dreht sich zu der miesen Drecksau um.
„Hausnummer Zweihundertfünfzisch und dann noch zwanzisch Meter weiter!“
Die Hennahure gibt es durch und geht wieder vor die Tür, wo, wie mir jetzt einfällt, die Hausnummer an der Wand prangt.
Ich könnte kotzen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht soviel gefressen, wie ich jetzt kotzen möchte. Ich bin mir absolut sicher, die Rothaarige ist der Antichrist. So muss es sein. Sie ist geschickt worden um uns zu provozieren und die Menschen in Hader und Zank zu verwirren und gegeneinander auf zu hetzen. Innerlich brülle ich sie aus voller Kehle an: DU MISRATENE KLEINE NUTTEEEE; MICH KANNST DU NICHT PROVOZIEREN. ICH MISCH MICH NICHT EIN, WENN DU NICHT DAS HÄSSLICHSTE WÄRST WAS IN DIESER STADT RUMLÄUFT, DU VERTROCKNETE, ARROGANTE BETSCHWESTER, DANN WÜRDE ICH DIR DEINE BEKACKTE BRILLE SO TIEF REINSTECKEN DAS DU INNERLICH VERBLUTEST DU…
Sie kommt zurück, setzt sich an den Tisch.
„Sie schicken einen Wagen.“
JAAAAAA; JETZT GEHT S DIR WOHL BESSER. DU DUMME SAU. HEY, ICH HABE DICH WAS GEFRAGT, DU BESCHISSENES FLITTCHEN. ICH FLEX DIR GLEICH DEN KOPF AUF UND SCHEISS DIR REIN, DAMIT DU WENIGSTENS IRGENDWAS IN DER BIRNE HAST, DU… DU… DU…
„Hast du einen Vertrag oder telefonierst du über so eine Karte?“
Der Zeitungsrentner bringt mich wieder auf die Erde zurück. Ungeheuerlich, was fragt er sie da? Entweder hat der Mann eine Vollmeise oder er kennt diese Weltverbesserin schon länger und hat den einzig vernünftigen Umgang mit ihr gefunden.
„Die Eins, Eins, Null braucht man nicht zu bezahlen, die ist umsonst.“, kommt es von der ignoranten Denunziantin und sofort bin ich wieder auf hundertachtzig.
HAST DU TOMATEN IN DEN OHREN DU DÄMLICHES MISTVIEH, DAS WILL KEINE SAU WISSEN. DER MANN HAT DICH WAS ANDERES GEFRAGT, GAAAAANZ WAS ANDERES. DER MANN VERAAARSCHT DICH, DU BIST DOCH NOCH DÜMMER UND NUTZLOSER ALS EIN GERUCHSLOSER FURZ .
Ich kann nicht mehr. Ich nehme einen Schluck Kaffee, meine Hand zittert. Ich muss mir Notizen machen. Ich muss nach unten gucken, damit niemand meine Anteilnahme erkennt. Die Rentnerin und die unwürdige, ehrlose, rückrat- und hodenlose Missgeburt murmeln was miteinander Ich kann sie nicht verstehen. Ich höre besser hin und empfange ein Fragment.
„…lieber nicht, das kann er sich wohl denken, das ich die Polizei gerufen habe.“
Mein Verstand fällt kurz aus, dann springt er wieder an.
Erst haust du jemanden in die Pfanne weil du die Kindergeschichten vom bösen Wolf noch immer nicht verwunden hast, und dann willst du auch noch ins Zeugenschutzprogramm und DEINEM UNSCHULDIGEN OPFER NOCH NICHT MAL IN DIE AUGEN SEHEN??? Meine innere Stimme klingt jetzt wie eine Mischung aus Roland Freisler und Klaus Kinski: SIEE, SIEE SIND JA EIN MIIIESEEER LUUUMP, DU DRECKIGE KLEINE FEIGE SCHMEISSFLIEGE – JEDER ITALIENER HAT MEHR MUT ALS DU

„Komm Kind… „, die resolute Dame steht auf und geht mit dem rothaarigen Nichts zur Tür raus.
Die Naziformulierung vom „Lebensunwertem Leben“ schießt mir durch den Kopf, als ich ihren zu kleinen Lesbenarsch um die Ecke verschwinden sehe und ich kann mich nicht mal für diesen Gedanken schämen. Es geht einfach nicht. Ich notiere, ich denke, ich suche nach einer Erklärung. Aber mir fällt nur eine Floskel ein, zu allgemeingültig um clever zu klingen aber wahr: „Die Arschlöcher sterben nie aus!“
Ich stehe auf, hoppla, ich schwanke leicht. An der Theke gibt man mir einen neuen Kaffee. Ich stelle die Tasse auf meinen Tisch und merke, dass ich die ganze Zeit vergessen habe zu rauchen, das passiert mir wirklich nicht oft. Ich rauche.
Die Agile und das Ding kommen zurück und setzen sich. Ich will dieses Mistvieh mit ihrer Zellenleitermentalität nicht ansehen, aber wie ein Nilpferd drängt sie sich in mein Blickfeld.
Der stumme Rentner nickt der agilen, alten Dame auffordernd zu, er hebt leicht den Kopf und die Augenbrauen. Sie antwortet ihm verbal:
„Wie sie schon sagte, der sitzt da mit seinem Bier und es riecht komisch nach Rauch. Die Wäsche habe ich in den Trockner getan“
Ich schlucke. Der kleine, feige Rotschopf hat sich eine siebzigjährige Frau zur Verstärkung mitgenommen. Und wenn das nicht schon der Gipfel der Feigheit wäre, lässt sie die alte Frau auch noch ihre nasse Wäsche in den Trockner packen!!!! Am Ende hat sie selbst vor lauter Muffensausen vor der Tür gewartet und die Agile alleine reingeschickt. So muss es gewesen sein, ich bin in diesem Moment absolut und total davon überzeugt und ich überlege ob ich irgendwelche Waffen bei mir habe.
Ohne aus der Zeitung aufzuschauen, begehrt der Zeitungsrentner die neuesten Informationen.
„War es Koch- oder Buntwäsche?“.
Der Kerl hat Mumm, denke ich, oder Alzheimer.
Die rote Denunziantin springt auf und zeigt nach draußen auf die Strasse.
„Die Polizei ist da.“, sie läuft raus.
Ich bin entsetzt, ich horche in meinen Körper und merke, dass ich Symptome eines nahenden Schockzustandes zeige. Ich versuche mal zu denken.
Jede Gesellschaft hat ihren Abschaum, aber jetzt scheinen die gesellschaftlichen Deformationen ganz neue Qualitäten zu entwickeln. Für jeden der sich entscheidet lieber einer Frau die Handtasche zu klauen, als zu verhungern, habe ich bisher noch einen Funken Verständnis aufgebracht. Ich bin zu Verständnis in der Lage, ich kann es, ich weiß das. Aber diese Kiste hier hat mich überfordert. Ich lasse meinen Blick umherwandern. Es ist mittlerweile richtig viel los auf der Strasse, die Menschen eilen zur Arbeit, springen schnell noch beim Bäcker rein.
„Sieh mal.“, der Zeitungsrentner hält die Zeitung direkt vor seines Kumpels Nase. „ der Feldbusch ist der Busen aus dem Kleid gefallen.“, das freut ihn richtig. Der stumme Rentner grinst und freut sich mit – stumm natürlich.
„Du und de lecker Mädsche.“, die Agile schüttelt lächelnd den Kopf..
Ich mache mich bereit zu gehen, Zigaretten in die Tasche, auf dem Notizzettel ist sowieso nur noch eine Zeile Platz, als die rothaarige Katastrophe zur Tür rein kommt.. Ich bin baff, das ging schnell. Damit hatte ich nicht mehr gerechnet. Sie setzt sich.
„Haben sie ihn mitgenommen?“, fragt die Dame ohne sie anzusehen.
Die Rothaarige blickt dem Zeitungsrentner direkt in die Augen und sagt mit fester, sicherer Stimme:
„Nein, die Polizisten haben seinen Tabak untersucht. Das ist indischer Tabak mit Aromastoffen. Der kam von der Nachtschicht und hat noch seine Kleider gewaschen und ein Feierabendbier getrunken bevor er ins Bett wollte.“
Mein Verstand gibt auf, mein Hirn schaltet ab.
Mein Hirn schaltet sich wieder ein, es ist Mittag durch, und ich tippe das letzte Wort einer schrecklichen Beobachtung:
ENDE

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Beitragvon Lisa » 22.04.2006, 14:20

Hallo Trenck,

die Geschichte gefällt mir gut...der Stil, die Ausgangssituation, das erzählende Ich, die Situation, manche Gedankenschlaufen...ja, gerne gelesen!


Mich würde interessieren: Ist das wirklich (~so) passiert, viele schreiben ja aus der Beobachterperspektive oder ist supplimiert?

Insgesamt glaubwürdig und schnell erzählt.

Willkommen im Salon

§blumen§

maria

Beitragvon maria » 22.04.2006, 16:19

Hi!

Mir gefällt die Situation: Rumgesitze im Cafe, Zufallsbeobachtungen von Menschen, die rein und rausgehen, man bleibt mit den Ohren hängen an den Gesprächen der Nachbartische, wird zufällig Zeuge einer Episode des alltäglichen Wahnsinns. Dein Stil ist schnell, witzig, originell, du beobachtest scharf - aber mir fehlt bei dieser Geschichte ein "Bruch", damit klarer herauskommt: der Ich-Erzähler ist auf seine Art auch nicht besser als das "Hassobjekt". So geht der Ich-Erzähler sozusagen als Held (der diese lächerliche Szene verfolgt und messerschaft analysiert) aus der Story hervor - und die Verprügel- und Vergewaltigungsfantasieen des Ich-Erzählers (mit dem man ja auch "keinen Krieg gewinnen" kann - Bluthochdruck, lebt sich nur in Gedanken aus, bleibt passiv, trotz Riesenwut...) bleiben unreflektiert stehen. Vielleicht geht es ja nur mir so, aber die Aussage eines Satzes wie:

"Die Naziformulierung vom „Lebensunwertem Leben“ schießt mir durch den Kopf, als ich ihren zu kleinen Lesbenarsch um die Ecke verschwinden sehe und ich kann mich nicht mal für diesen Gedanken schämen. Es geht einfach nicht."

muß durch irgendeinen Hinweis unterlaufen werden, so ist mir das zu positiv, weil der Ich-Erzähler zu positiv rüberkommt. Die Aussage müßte vielleicht (um im Jargon deiner Geschichte zu bleiben) in die Richtung gehen: Sozialversager echauffiert sich über Sozialversager (puh! was für ein Unwort!) ohne sich des eigenen sozialen Versagens bewußt zu sein. Vielleicht geht meine Sicht aber auch am Thema vorbei.

Na ja, ich hab´ jetzt mal versucht mit kühlem Kopf deine Geschichte zu reflektieren, was mir - ehrlich gesagt - sehr schwer fiel, weil es mich bei einigen deiner Formulierungen arg würgt (denken Männer so? ... gut dass meiner ´s nicht tut - jaaa, ich bin mir sicher!), aber dass du mit der Geschichte provozierst, ist ja beabsichtigt :grin: !

LG maria

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 22.04.2006, 17:40

Na dann mal willkommen :smile:

Die Geschichte ist zwar lang (für Lesen am Monitor), aber sie war unterhaltsam genug, daß ich sie zu Ende las.

Der Erzählstil wird konsequent durchgezogen, die Sprache charakterisiert natürlich auch den Ich-Erzähler.

Im Gegensatz zu Lisa ist es mir völlig egal, ob es real passiert ist oder nicht, auch ist mir egal, ob DU der Erzähler bist oder nicht.

Was mir bei derart Geschichten viel wichtiger ist, ist daß sie authentisch rüberkommen.

In einem gebe ich maria recht: es fehlen "Brüche". Die rothaarige Schnepfe ist "gedanklich" und zum Schluß auch noch "real" im Unrecht (war ja kein Kiffer) - der Ich-Erzähler wird also in mehrfacher Hinsicht mit seiner Einschätzung bestätigt. Ein echtes Überraschungsmoment gibts da eigentlich nicht (zumindest ich ahnte so was schon).
Im Gegensatz zu maria allerdings erscheint mir der Ich-Erzähler nicht eindeutig positiv, anfangs schwingt Selbstironie mit, aber die geht irgendwann leider verloren - das ist ein kleiner Kritikpunkt, den ich da habe. Dadurch erscheint mir der Ich-Erzähler selbst als Möchtegern-Selbstgerechter. Vielleicht ist das aber auch beabsichtigt. Vielleicht fällt auch nur mir das auf.

Davon ab gefallen mir sehr viele kleine Details wie z.B. der Rentner, der die scheinbar absurdesten Fragen stellt (meiner Meinung nach der einzige Weise in dem ganzen Haufen). Auch konnte ich mir alle Beschriebenen gut vorstellen (vorm geistigen Auge).

Eine alles in allem gelungene Geschichte, und eine originelle Art des Einstands.

Gruß
Frank

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Beitragvon Lisa » 24.04.2006, 09:30

Hallo,
natürlich ist es für die Geschichte völlig irrelevant, ob die Passagen erfunden oder wirklich beobachtet sind. Es interessiert mich nur an sich, weil viele Kabaratisten angeben so zu arbeiten. So habe ich manchmal im Zug, im Cafe oder im Supermarkt die Ohren gespitzt und auch viele Absurditäten beobachten können. Allerdings fällt es mir selbst schwer, so etwas zu verschriftlichen, das ist weniger meine Art zu schreiben. Obwohl es mich neulich bei einem Gespräch an einem Imbiss schon gereitzt hätte. Drei Leute unterhielten sich das ganze Gespräch lang nur in Floskeln (wirklich nur), wobei sie diese oft sogar falsch formulierten...wäre es nicht so hohl und schlimm gewesen und wäre ich nicht so aufgefallen :cool: , hätte ich mich schütteln können!

Ich empfinde abgesehen vom Mädchen letztlich alle Personen in der Geschiche als gleich schlimm, auch den weisen Narren, der immer skurril anmutende Sätze von sich gibt. Letztlich gehört er ja zu ihnen und ich möchte das lyrische Ich sehen, wenn es regelmäßig mit diesem Mann etwas unternehmen müsste :grin: .

Ungebrochen sind mir eigentlich nur zwei Stellen, die oben schon erwähnte

"Die Naziformulierung vom „Lebensunwertem Leben“ schießt mir durch den Kopf, als ich ihren zu kleinen Lesbenarsch um die Ecke verschwinden sehe und ich kann mich nicht mal für diesen Gedanken schämen. Es geht einfach nicht."


und die Formulierung mit der weinerlichen Geisel...nicht nur, weil sie recht provozierend sind, was die Absicht ist, sondern auch, weil es das Ich an allen konkret viel mehr ihn aufregenden Formulierungen sich selbst zurücknimmt...


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