Widerlegung des Solipsismus

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 03.08.2007, 05:20

Ich werde überrascht, also bin ich nicht allein.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.08.2007, 22:46

Hi Pjotr,

Ich hätte mir außerdem mehr Textkritik gewünscht. Version 1 und 2 sind meines Erachtens literarische Texte, sie gehören nicht in eine nichtliterarische Rubrik wie das Café. Ich empfinde Deinen Vorschlag als ziemlich oberflächlich. Ich wette, Du hast meinen Text in zehn Sekunden runtergelesen und gemeint, kein Detail übersehen zu haben.


Sorry, bin gerade erst wieder am PC.

Ich hatte deinen zweiten Text nicht als Alternativversion zur ersten Fassung gelesen, sondern als Diskussionsgrundlage, daher meine Anmerkung. Deshalb ging ich auch erst mal nicht konkret darauf ein, wollte abwarten, ob du dies woanders besprechen willst, aber ok.
Auf dein "Hä?":

Ich las aus deinen Zeilen den Aspekt der Polarität heraus, aufgrund dieser Passage:

Wenn alle Sachen, alle Eigenschaften des Universums, einerlei wären, dann gäbe es Nichts: blau würde sich nicht von grün unterscheiden, Salz nicht von Zucker, Schmerz nicht von Wohlgefühl, Grenze nicht von Durchgang, endlos nicht von endlich ... alles wäre Eins. Nichts würde sein. Denn keinerlei Unterschiede wären vorhanden. Sobald sich etwas aus dem Nichts in die Existenz hervorhebte, würde es sich dank seiner speziellen Anwesenheit unterscheiden von der allgemeinen Abwesenheit.


Und dann würde der Solipsismus in sich zusammenfallen. Sehe ich auch so. Ich glaube nicht an den Solipsismus, weil wir Menschen ohne Polarität gar nicht auskommen. Wie soll das funktionieren? Wir müssten uns alle auf einer derart vergeistigten Metaebene befinden, in der die Unterschiede nicht mehr existieren, in der es absolut kein "Außen" gibt. Aber auf dieser Metaebene befinden wir uns nicht, wenn es irgendwie auch ein reizvoller Gedanke ist, wenn alles Eins wäre. Aber würde uns da nicht etwas fehlen?
Saludos
Mucki

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.08.2007, 22:49

Nachtrag:

1. "Dualismus und Polarität" würde eingeführt, sagst Du. Erstens: Was fange ich mit dieser Bemerkung jetzt an? Will sie etwas widerlegen? Oder etwas bestätigen? Zweitens: Besagtes wird von mir nicht eingeführt, sondern es geht von Anfang an um mehr, nämlich um Vielgestaltigkeit.


Vielgestaltigkeit enthält doch die Polarität, mehr noch als die Polarität.
Saludos
Mucki

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 03.08.2007, 23:02

Hallo Smile.

smile hat geschrieben:Text Nr. 2 habe ich in seinen Schlussfolgerungen noch nicht ganz verstanden fürchte ich. Allerdings stellt sich mir die Frage, wo das Ich dann noch zu finden ist. Welche Bestandteile gehören zum Ich-Begriff, und wo endet er?

Der Autor stimmt Dir zu, in Text 2, der ja eine Erläuterung zu Text 1 sein will, sollte auch eine Erläuterung des hier gemeinten Ich-Begriffs stehen. Nun, der Autor versteht hier unter Ich eine bestimmte Empfindung: die Ich-Empfindung ("das da bin ich"). Sie ist anders als beispielsweise die Fremd-Empfindung ("huch, was ist das?").


smile hat geschrieben:Text Nr. 1 halte ich in seiner Kürze für einen Denkanstoß, der jedoch zu schnell ad absurdum geführt werden kann. Die größten Überraschungen halten wir doch für uns selbst bereit.

Vermutlich hat hier der Autor einen anderen Begriff vom Ich. Er stimmt bedingt zu: In der Alltagssprache hört man Sätze wie: "Ich bin überrascht, dass ich das hinbekommen habe." Das bezieht sich dann aber auch auf die oberflächliche Alltagswahrnehmung: da ist ein Person, die kann denken oder mechanisch agieren. Aber Text 1 und 2 will den Ich-Begriff nicht alltagssprachlich verwenden, sondern geistes-philosophisch tiefbohrend. Wie oben gesagt: nach Auffassung des Autors ist das Ich besten Wissens eine unbeschreibliche Empfindung, während weitere Details über das Ich, wie zum Beispiel "ich habe einen Kopf", strenggenommen nur Spekulation sein kann, denn auch der Besitz eines Kopfs ist letztendlich nur eine Empfindung (dabei soll gar nicht dualisiert werden zwischen Illusion und Realität, denn auch die Illusion ist eine Empfindung, und alle Empfindungen sind wahr; eine Empfindung ist eine Empfindung, egal ob im Träumen oder im Wachen).

Kurzum, außerhalb der Alltagssprache -- und der Solipsismus ist keine Alltagstheorie, sondern ebenfalls eine geistes-philosophische -- stimmt der Autor Dir nicht mehr zu: Er behauptet, die Ich-Empfindung ist etwas anderes als etwa die Empfindung der Verwunderung, des Fremden, der Überraschung. Desweiteren unterscheidet der Autor nicht zwischen Materie und Geist. Das Universum ist für den Autor ein Begriff, der alles, was ist, umfasst. Auch Empfindungen. Für Theisten: Auch Gott. Eben alles, was ist. Das meiste davon ist nun aber Spekulationswissen, einzig sicher ist, dass Empfindungen sind. Und zwar viele verschiedene. Nicht nur eine. Wenn nun auch noch die Vielgestaltigkeit der Empfindungen zu einer einzigen solipsistischen verschmelzt werden soll, dann verschmilzt damit auch das Universum zu einem quasi einheitsbreiigen Nichts.

Das will Text 2 sagen. Text 1 setzt Kenntnisse über den Solipsismus voraus, insofern ist Text 1 gewissermaßen arrogant.



Hallo Sethe.

Sethe hat geschrieben:
Pjotr hat geschrieben: Mit dieser letzten Konsequenz verliert der Solipsismus seinen Sinn: das Ich ist lediglich ein anderer Name für Universum, während jedoch dessen vielgestaltige Eigenschaften unangetastet bleiben von der Namensreform.

Diesen Satz habe ich inhaltlich nicht verstanden.

Wenn Ich im Solipsismus lediglich ein anderer Name für das Universum ist, dann heißen doch auch die vielgestaltigen Eigenschaften auch "Ich", denn diese sind doch Bestandteil des Universums.

Wieso bleiben dann aber die vielgestaltigen Eigenschaften unangestastet von der Namensreform?

Der Autor betrachtet es als selbstevident, dass es vielerlei Empfindungen gibt. Selbst wenn die Solipsismus-Theorie wahr wäre, gäbe es immer noch einen Unterschied etwa zwischen Schock- und Langeweile-Empfindung. Der Solipsist gibt trotzdem diesen unterschiedlichen Sachen den gleichen Namen: ich, ich, ... -- das ist paradox. Damit entpuppt sich der Solipsismus als reines Namensspiel, das im Kern nichts ändert, denn trotzwohl gilt: die Überraschung überrascht; das Fremde fremdelt; das Ich ichelt.



Nochmal zugegeben: Text 2 hätte, wenn er denn schon erläutern soll, ausführlicher sein sollen. Danke für die Kritik, allerseits.


Ahoi

Autor

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Beitragvon Pjotr » 03.08.2007, 23:17

Mucki hat geschrieben:Vielgestaltigkeit enthält doch die Polarität, mehr noch als die Polarität.


Dem kann ich zustimmen. Lediglich das Ziel Deiner Argumentation war mir unklar.

Pjotr

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Beitragvon Mucki » 03.08.2007, 23:20

Ja, war vielleicht etwas wirr geschrieben. Bin auch nur ein Mensch, der in Polaritäten lebt und denkt, Pjotr,-)
Saludos
Mucki

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 03.08.2007, 23:22

Hallo Autor,

ich denke, jetzt habe ich es.
Trotz, daß alle vielfältigen Eigenschaften mit dem identischen Namen "Ich" bezeichnet werden, bleiben sie trotzdem vielfältigen Eigenschaften. Deshalb bleiben diese Eigenschaften von der Namensreform unangestatet. An der Vielfalt der Eigenschaften hat sich nichts geändert, wird sich nichts ändern, egal ob diese nun alle von den Solipsisten als Ich getauft werden.
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

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Beitragvon Pjotr » 03.08.2007, 23:30

Exakt.

Habe ich die Kontra- und Pro-Perspektiven zu unscharf vermischt für den Leser?

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Beitragvon Sethe » 03.08.2007, 23:49

Bei dem einem Satz finde ich es schon etwas unscharf. Ich hatte das so verstanden, daß der Solipsismus dem Universum den Namen "Ich" gibt, aber den Eigenschaften nicht. Das fand ich seltsam.
Bis mir dann nach Deiner weiteren Erklärung klar wurde, daß der Satz ab "während" die Gegenposition ist.

Gute Nacht.
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

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Beitragvon Mucki » 04.08.2007, 00:16

Danke Sethe,
durch dein vorletztes posting hast du nun auch bei mir die Glühbirne angemacht,-) :16:
Ich glaube, ich gehe zu verkopft mit solchen Themen um ...
Saludos
Mucki

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 06.08.2007, 13:20

Hallo Pjotr,

mein Licht ist nicht erleuchtet. Ich sehe nach wie vor einen Widerspruch. Auch philosophisch tiefbohrend.
Der Autor sagt, soweit ich das den Erläuterungen entnehmen konnte:
Das Ich wird definiert als die Ansammlung von Empfindungen, die man als bekannt und vertraut wahrnimmt.
Das Andere ist die Ansammlung von Empfindungen, die man als fremd, überraschend empfindet.
Empfindungen sind das Einzige, was als wahr angenommen werden kann. Alles andere ist Spekulation.
Der Solipsismus sagt (nach Auffassung des Autors), dass alles gleich ist, da alles eines ist.
Demzufolge kann der Solipsismus widerlegt werden, da es (durch den Überraschungsmoment bewiesen) unterschiedliche und als fremd empfundene Empfindungen gibt.

Nun frage ich als Leser:
Ist das Ich (als personale Einheit definiert) in der Lage seine Empfindungen, die ihm im Bewusstsein vertraut erscheinen, von denen seines Unterbewußtseins zu unterscheiden, die eine Überraschung und ein Erstaunen hervorrufen können. Wäre das Ich in diesem Fall nicht in der Lage diese scheinbaren "Fremdgefühle" auf ein Anderes zu projizieren, also sich ein Gegenüber zu erschaffen? Führt die vom Autor genannten Definition des "Ich" Begriffes nicht eventuell lediglich zu einer Spaltung des Ichs in "Bewußtsein" und "Unterbewußtsein" und wäre somit als Grundlage eines Widerspruches gegen die Idee des Solipsismus nicht aussagekräftig?

Sagt der Solipsismus tatsächlich, dass alles gleich ist, dass es keine Unterschiede, keine Differenzierung gibt? Oder sagt er nicht vielmehr, dass nicht bewiesen werden kann, ob es tatsächlich ein Anderes, ein Gegenüber gibt, oder dies nur einer Illusion entspringt? Geht es im Solipsismus tatsächlich um die Gleichheit der Dinge, oder um ihren Ursprung.
Wenn alle Sachen, alle Eigenschaften des Universums, einerlei wären, dann gäbe es Nichts: blau würde sich nicht von grün unterscheiden, Salz nicht von Zucker, Schmerz nicht von Wohlgefühl, Grenze nicht von Durchgang, endlos nicht von endlich ... alles wäre Eins.

Sagt dies der Solipsismus? Weshalb sollte alles einerlei sein, nur weil es aus einem Prinzip entsteht?

So, ich hoffe das war nun tiefbohrend genug. Vielleicht ist ja noch eine Anregung dabei, die sich über die oberflächlichen Alltagsgedanken erhebt und vielleicht bringt mir ja eine Antwort auch noch Erleuchtung.

liebe Grüße smile

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Beitragvon Pjotr » 06.08.2007, 14:07

Hallo Smile,

ja, Dein Kommentar finde ich tiefbohrend. Das ist gut. Aus ihm lerne ich, an welchen Stellen es meinem Text an Präzision mangelt. Entweder schreibe ich ihn bei Gelegenheit neu und beantworte dann mit ihm Deine Fragen, oder ich beantworte sie direkt in Kommentarform. Frühestens jedoch erst heute nacht.


Danke für die Anregung

Pjotr

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Beitragvon Pjotr » 06.08.2007, 19:06

Kurze Zwischenfrage an Smile: Was verstehst Du selbst unter dem Ich-Begriff? Wenn Du darauf eine Antwort hast, könnte ich eventuell direkter auf Deine Fragen eingehen.

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Beitragvon Pjotr » 06.08.2007, 21:43

Hallo Smile,

um den Text neu zu schreiben, bin ich momentan zu faul. Daher antworte ich Dir nach Foren-Art. Ist aber trotzdem sehr aufwändig und lang geworden ...



Der Autor sagt, soweit ich das den Erläuterungen entnehmen konnte:
Das Ich wird definiert als die Ansammlung von Empfindungen, die man als bekannt und vertraut wahrnimmt.
Das Andere ist die Ansammlung von Empfindungen, die man als fremd, überraschend empfindet.

Genauer gesagt: Der Autor versteht unter dem Ich-Begriff eine Empfindung. Nicht ein Gefäß mit sogenanntem materiellem oder sogenanntem geistigen Inhalt, sondern nur Empfindung an sich: die Ich-Empfindung. Empfindungen sind leider unbeschreiblich (beschreibe "salzig", es geht nicht). Die Ich-Empfindung ist ebenso unbeschreiblich. Hier versagt die Sprache, es wird hochkompliziert. Jedenfalls ist nach Ansicht des Autors das Ich keine Ansammlung von Empfindungen, sondern es ist selbst eine von vielen Empfindungen; und die Fremd-Empfindung ist ebenso eine von vielen Empfindungen. Blau, süß, laut, ich, fremd, bassig, schrill, kalt, heiß etc. pp.

Ein Gegenargument weist auf das sogenannte Subjekt hin, das diese Empfindungen erführe, beziehungsweise erzeuge; und dieses Subjekt sei das Ich. Aber dann fragt besagter Autor wiederum, wo oder wie oder was dieses Subjekt denn sei; letztendlich ist dieses Subjekt an sich ebenso unbeschreiblich wie die Empfindung von blau, sauer oder juckend. Das bedeutet, indem der Autor die Empfindungen nennt, ist er eigentlich schon im Kern der Problematik angelangt, sozusagen im Ich-Kern. Man spricht oft auch von Bewusstseinskern. Ja wo ist denn der? Wo ist seine Außengrenze? Welchen Durchmesser hat er? Die kartesischen Rationalisten hatten ihn dunnemals gesucht, aber nicht gefunden. Er ist unauffindbar. Man kann allerdings sagen, dass ein Ich dann veschwunden ist, wenn die Ich-Empfindung nicht mehr anwesend ist. Kein Ich, ergo kein Ich. Was ist das Subjekt denn mehr, wenn es doch ohnehin nur aus Empfindung besteht. Das Subjekt ist Empfindung per se.

Es gibt noch die Mathematik, die Logik, die Vernunft. Diese basieren, nach Meinung des Autors, der kein purer Empirist ist, auf Empfindungen. Ohne sie gibt es keinen Anlass für rationale Vorgänge.



Der Solipsismus sagt (nach Auffassung des Autors), dass alles gleich ist, da alles eines ist.

Nach Auffassung des Autors ist im Solipsismus das Ich und das Fremde einerlei. Wie im Größenwahn wird das Fremde als Ich annektiert, und das mit simplen Mitteln: Das Fremde bekommt lediglich ein neues Schild aufgeklebt: "Ich". Erkenntnistheoretisch kommt dabei nichts hinzu. Es ist sinnlos. Das Fremde wird weiterhin als fremd empfunden. Das Salz weiterhin als salzig.



Demzufolge kann der Solipsismus widerlegt werden, da es (durch den Überraschungsmoment bewiesen) unterschiedliche und als fremd empfundene Empfindungen gibt.

Ja. Einen Solipsisten kann man hinterrücks erschrecken. Er wird sagen, sein Ich habe diese Überraschung generiert. Aber was hilft ihm diese Pseudo-Erkenntnis? Erschrocken ist er trotzdem. Eben weil er die Überraschung nicht selbst inszeniert hat.



Nun frage ich als Leser:
Ist das Ich (als personale Einheit definiert) in der Lage seine Empfindungen, die ihm im Bewusstsein vertraut erscheinen, von denen seines Unterbewußtseins zu unterscheiden, die eine Überraschung und ein Erstaunen hervorrufen können. Wäre das Ich in diesem Fall nicht in der Lage diese scheinbaren "Fremdgefühle" auf ein Anderes zu projizieren, also sich ein Gegenüber zu erschaffen? Führt die vom Autor genannten Definition des "Ich" Begriffes nicht eventuell lediglich zu einer Spaltung des Ichs in "Bewußtsein" und "Unterbewußtsein" und wäre somit als Grundlage eines Widerspruches gegen die Idee des Solipsismus nicht aussagekräftig?

Der Autor bedankt sich für diese Frage. Er hält den Begriff "Unterbewusstsein" für problematisch. Das sogenannte "Unterbewusstsein" sei, dem Hörensagen nach, ein Bereich jenseits des eigentlichen "Bewusstseins", aber immer noch zum Ich gehörend. Der Autor meint, das Bewusstsein, sprich: die Ich-Empfindung, ist entweder anwesend oder abwesend, aber nicht unterwesend. Mittels der Begrifflichkeit in den Buchstaben "unter" wird suggeriert, es sei etwas bewusst, zugleich aber doch nicht bewusst. Ein Wortspiel nur.



Sagt der Solipsismus tatsächlich, dass alles gleich ist, dass es keine Unterschiede, keine Differenzierung gibt? Oder sagt er nicht vielmehr, dass nicht bewiesen werden kann, ob es tatsächlich ein Anderes, ein Gegenüber gibt, oder dies nur einer Illusion entspringt?

Es gibt, wie so oft, auch in dieser Theorie verschiedene Härtegrade. Die schwachen Solipsisten stellen die Frage in den Raum und liebäugeln damit, die starken Solipsisten sind überzeugt von der Antwort und erfreuen sich ihrer Allmächtigkeit (und generieren trotzdem Zahnweh, obwohl sie es nicht wollen).



Geht es im Solipsismus tatsächlich um die Gleichheit der Dinge, oder um ihren Ursprung.

Bildhaft gesprochen: Wenn das Ich eine Lunge wäre und einatmet, würde die Luft in ihm zum Ich gehören. Lunge und Luft wären zwei gleiche Dinge. Wenn nun die Luft wieder ausgeatmet ist, gehört die Luft nicht mehr zur Lunge? Der Solipsist sagt: Doch! Der Solipsist sei der Ursprung der Dinge. Er sei der Schöpfer über alles. Auch über dasjenige, was ihn verlässt. Das Verlassene sei nicht wirklich fort.

Das heißt, nicht nur örtliche Sachen seien ein Ich-Einerlei, sondern auch kausale und zeitliche Sachen. Nicht nur alle Orte nennt der Solipsist sein eigen, auch über Vergangenheit und Zukunft sei er der Herr.



Wenn alle Sachen, alle Eigenschaften des Universums, einerlei wären, dann gäbe es Nichts: blau würde sich nicht von grün unterscheiden, Salz nicht von Zucker, Schmerz nicht von Wohlgefühl, Grenze nicht von Durchgang, endlos nicht von endlich ... alles wäre Eins.

Sagt dies der Solipsismus? Weshalb sollte alles einerlei sein, nur weil es aus einem Prinzip entsteht?

Dies sagt jener Autor. Es ist seine Schlussfolgerung, wenn er den Solipsismus konsequent zu Ende denkt. Und weil das in ein Paradoxon mündet, sieht er das als Widerlegung des Solipsismus. Der Solipsismus kann nur als Wortspiel bestehen. Erkenntnistheoretisch hat er den Wert Null.


Salute

Autr

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 08.08.2007, 13:27

Hallo Pjotr - pardon- Autr,

Du schreibst:

Pjotr hat geschrieben:Man kann allerdings sagen, dass ein Ich dann veschwunden ist, wenn die Ich-Empfindung nicht mehr anwesend ist. Kein Ich, ergo kein Ich. Was ist das Subjekt denn mehr, wenn es doch ohnehin nur aus Empfindung besteht. Das Subjekt ist Empfindung per se.


Gibt es Menschen, die keine Ich-Empfindung bzw. Bewußtsein haben, z.B. Babys, Koma-Patientin?

Ist im Schlaf meine Ich-Empfindung anwesend oder abwesend? Wenn ich gemeinhin sage, im Schlaf hat man kein Bewußtsein, dann hätte ich im Schlaf auch keine Ich-Empfindung. Trotzdem habe ich z.B. beim Träumen Empfindungen. Ich bin dann kein Ich in dem Moment? Aber was bin ich dann?
Denn so wie ich Deinen Aussagen verstanden habe, ist die Ich-Empfindung eine notwendige Empfindung für das vorhanden sein des „Ich“, obwohl es doch eine von vielen Empfindungen ist.
Wäre es nicht konsequent zu sagen, wenn das Subjekt Empfindung per se ist, dann ist auch dann noch ein Ich, wenn die Ich-Empfindung nicht anwesend ist? Andere Empfindungen sind ja da.
Oder nimmst Du eine Unterscheidung zwischen „Ich“ und „Subjekt“ vor, die ich noch nicht verstanden habe?

Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)


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