Von der Diskretion des Glücks

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Klara
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Beitragvon Klara » 06.09.2007, 00:58

Von der Diskretion des Glücks

Ob sie will oder nicht – der Debatte kann sich keine entziehen. Kind oder nicht Kind – das ist hier die Gretchenfrage. Natürlich geht es dabei um Glück, lebenslänglich, und die Fronten – wir kennen sie alle – haben sich zwar verschoben, sind aber klar abgesteckt: Die "Nur-Hausfrau", die bis vor kurzem genug damit zu tun hatte, sich gegen die "erwerbstätige und/oder allein erziehende Mutter" abzugrenzen, steht nun unversehens gemeinsam im Kampf gegen die "Karrierefrau ohne Kind". Diese wiederum integriert widerwillig auch die "ungewollt Kinderlose" in ihre Reihen, denn in diesem Kampf zählen ausschließlich Tatsachen – die Kinder. Und jede ergreift Partei.

Von höchster staatlicher Stelle wird die Debatte immer wieder ganz oben auf die Agenda gesetzt, als gelte es, mit aller Macht einen Kinderwunsch in der Bevölkerung zu erzwingen. Die Diskussion läuft heiß, weil die "gebärfähigen Frauen" es ja so oder so falsch machen. Jedes Ja meint auch ein Nein, und jede Entscheidung wiegt gleich schwer: Wer ein Kind hat, hat "nur" eins (und verzieht es zwangsläufig). Wer zwei Kinder hat, ist langweilig. Wer mehr hat, liegt den anderen auf der Tasche und lässt seine Kinder – ohgottogott! – "fremdbetreuen", um sie überhaupt ernähren zu können. Aber am falschesten machen es laut offizieller Meinung diejenigen, die sich bewusst gegen eigene Kinder entscheiden und von sich selbst – halb ironisch – als "Karrierefrauen" sprechen. Klar, dass die jetzt am lautesten schreien.

"Mein Bauch gehört mir" war gestern. Heute heißt es: "Mein Leben gehört mir, und zwar mir ganz allein". Mühsam genug über mehrere Generationen hinweg errungen scheint es nur recht und billig, den Besitzanspruch auf dieses eigene Leben bis aufs Messer zu verteidigen. Denn aus der Perspektive von dessen Besitzerinnen wurde es ja nicht geschenkt, sondern (quasi mutterlos) erworben. Wer sich unter dieser Prämisse zusätzlich ein neues anschafft, erscheint reichlich dumm: Dann ist nämlich erstmal für eine lange Weile nix mehr mit allein, und bestimmt nicht mehr viel mit "selbstbestimmt".

Ein wenig befremdet dennoch die Aggressivität der Nicht-Mütter. Als hätten sie sich auf die Fahnen geschrieben, ein Tabu zu brechen, das es gar nicht mehr gibt. Wie unter "Outing"-Zwang schreiben kinderlose Meinungsmacherinnen ihre Plädoyers, werben um die Legitimation ihres Lebens, und man fragt sich: wem gegenüber eigentlich? Spitzen sie ihre Federn am Ende für sich selbst? Besonders beliebt ist der ironisch-witzige Gestus, als sei es geistreich zu beschreiben, wie grässlich Kinder seien. Wie albern und unfähig deren Mütter. Wie unsexy deren Väter. Und wie schön dagegen – dagegen! – das freie Leben ohne stinkende Windeln, ohne vollgesabberte Blazer, geplatzte Abend-Termine und durchgekotzte Nächte. Als hätte schon immer mal gesagt werden müssen, wie sehr das Kinderhaben überschätzt wird. Wie sehr Kinder als solche überschätzt werden. Beispiele des Furchtbaren (verblödete Eltern, ungezogene Kinder etc.) bieten willkommene Anlässe für abwehrende Anekdoten.

Die Mütter ihrerseits rufen nicht gar so laut in der Wüste, weil sie das gar nicht nötig haben. Ausnahmsweise stehen ja nicht sie am Pranger, die sonst regelmäßig nicht nur ihr eigenes Verhalten gegen die widersprüchlichsten Anwürfe verteidigen müssen – "Rabenmutter", "Überbehüterin" u. a. – sondern auch gleich das ihrer Kinder – "zu wenig selbstbewusst", "laut-dreckig-unhöflich", "unbegabt" – je nachdem. Aber hier, beim Reden um Sein oder Nicht-Sein (des Kindes) könnten sie sich eigentlich entspannt zurücklehnen – wenn sie es denn könnten.
Jedes neugeborenes Kind potenziert den Binnenlärm, und die Notwendigkeit, die Nerven zu Drahtseilen zu frisieren, dehnt die eigene Flexibilität auf ein Maß aus, das vorher unvorstellbar schien. Nur das Glück bleibt diskret. Von ihm ist kaum die Rede, weil es nicht erklärbar ist. Bestimmte Sachen weiß man nur, indem man sie erfährt, und wer sich dieses Glückes absichtlich beraubt – sei es aus Feigheit, Vorsicht, Vernunft, oder mangels Zuversicht – der tut dies tatsächlich aus einem Verlust heraus, der unerfahren bleibt. Es gilt nicht nur, dass man erst weiß, was man hatte, wenn man es nicht mehr hat. Man weiß auch erst, was man nicht hatte, wenn man es hat. Soll heißen: Eltern wissen nicht nur, was sie hatten, als sie noch nichts versäumten – sie wissen auch erst mit einem Kind, was sie versäumten, als sie noch keines hatten.

Man spricht darüber, welche Zahl an Kinderkrippenplätzen politisch korrekt wäre, und manchmal auch darüber, wie sehr ein neues Leben das alte aus der Bahn wirft. Aber kaum eine erzählt ohne rot zu werden davon, wie sehr sie zum Beispiel – nunja – wachsen kann an einem Kind und mit einem Kind. Niemand erzählt vom Lachen. Das Glück mit Kindern ist so individuell, veränderlich und zugleich so schwer in Worte zu fassen, dass es schweigt. Zu groß ist die Angst vor Plattitüden, oder vor Pathos.

Ich wage jetzt trotzdem das "ich", denn ich verrate jetzt ein Geheimnis: Manchmal beneide ich die kinderlosen Frauen – vor allem um das, was sie nicht wissen, denn der Preis ist hoch. Es ist tatsächlich teuer, Kinder zu haben. Es ist schwierig, oft genug lästig, und der Geruch oben auf dem Scheitel, wie ihn nur Säuglinge haben, ist keine Entschädigung. Weil es keinen Schaden gibt. Es gibt nur diesen Geruch auf dem Babykopf, auf der Haut unterm Flaum, ein Duft direkt aus dem Paradies, sinnlich und rein, nach dem absoluten Zuhause, vertraut und süß, als hätte man das vor Menschengedenken gerochen und erinnerte sich wieder daran. Und ich verrate noch ein Geheimnis: So riecht Glück.

Es gibt tausend Gründe, kein Kind in die Welt zu setzen, und keine macht ein Kind, weil sie sich um die Rentensicherheit des Landes sorgt. Ein Kind zu bekommen, kann man nicht begründen. Es hat zwar soziale Konsequenzen, ist aber immer ein egoistischer Entschluss, im Grunde genetisch: Man pflanzt sich fort. Männer machen übrigens (man höre und staune!) nicht so viel Aufhebens um ihre Vaterschaft. Wenn Männer sich zum Thema "Kind" äußern, wird es schnell (obacht!) persönlich, anekdotenhaft, oder rührend – und nur selten prinzipiell. Prinzipiell werden nur gern jene Männer, die sich der Vaterschaft verweigern – weil sie keusche katholische Würdenträger sind, oder indem sie auf die böse Welt verweisen, in die sie keine Kinder setzen möchten, und zeigen auf die weltweite Bevölkerungsexplosion … Wundert mich ohnehin, dass die Frauen, die meinen, sich für ihre Kinderlosigkeit öffentlich verteidigen zu müssen, dieses Totschlag-Argument nicht anführen. Denn ist es nicht eigentlich egal, ob Mitteleuropa ausstirbt oder nicht? Weltweit betrachtet? Die globale Öko-Bilanz der Nicht-Eltern ist doch die denkbar beste! Think global – act local!Aber solcherlei Logik ist für Frauen schon biologisch undenkbar. Beim Thema Kind-oder-nicht-Kind stellt sich eine jede sofort en garde, als ginge es um ihr Leben.

Und das tut es ja auch.

Gast

Beitragvon Gast » 06.09.2007, 18:26

Liebe Klara,

ich kann zu fast allem in deinem Text, mit dem Kopf nicken und sagen, ja, da hat sie Recht. Widersprüchliches wird ausgebügelt. Nach dem Lesen bin ich verwundert weil ich bemerke, dass der vorletzte Satz eigentlich alles beinhaltet, um es einmal etwas überspitzt zu formulieren. Aber ich habe deinen Text gerne gelesen.
Was ich neben allem persönlichen von dir im Text - in gewohnt gekonnter Erzählweise finde - sind jene Aussprüche zum Thema "Familie, Kinder, berufstätige Frau oder Hausfrau", die man tagtäglich in den Medien lesen, hören oder sehen kann.
Das finde ich irgendwo schade, weil ich glaube, dass dein Text gewinnen könnte, wenn du abseits jener bekannten Pfade bei deiner persönlichen Würdigung bzw. Ansicht/ Erkenntnis bleibst.
Vielleicht ist auch die Entwicklung zum Kernsatz, am Ende des Ganzen einfach nur ein wenig zu lang geraten.
Das war mein erster Leseeindruck.

Liebe Grüße
Gerda

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 06.09.2007, 19:06

Hallo Klara,

in kann nicht sagen, ja Klara hat in vielem Recht.

"Kind oder nicht Kind – das ist hier die Gretchenfrage."

Das ist das Problem, daß diese Frage zu einer Gretchenfrage gemacht wird. Diese Frage mit all den Auseinandersetzungen darüber, Argumenten hier und Argumenten dort, sollte - ja dürfte- eigentlich nicht gestellt werden.
Die Frage Kind oder nicht Kind, ist eine Frage, auf die ein jede und ein jeder nur höchstpersönlich eine Antwort für sich selber geben kann.
Die Gesellschaft hat keinen Anspruch darauf, diese Frage beantwortet zu bekommen.
Die Gesellschaft - und damit meine ich uns alle- hat daraufhinzuwirken, daß ein jede und ein jeder, diese Entscheidung ohne Druck treffen kann. Ich meine damit nicht nur wirtschafliche Rahmenbedingungen, Betreuungssituationen und was weiß ich noch. Nein ich meine vorallem die Einstellung zu diesem Thema. In kaum einem anderen europäischen Land wird diese Frage so heiß, so verbittert geführt, wie in Deutschland.
Wie kann in diesem Klima diese höchstpersönliche Gretchenfrage ein jede und ein jeder frei und ohne Druck beantworten können, und zu der getroffen Entscheidung stehen können?
Nicht möglich, derzeit.

Die Mehrzahl der kinderlosen Frauen meint nicht, sich rechtfertigen oder verteidigen zu müssen.
Nein, sie werden vielmehr oft in die Situation gebracht, daß sich sich rechtfertigen müssen.
(Das gilt auch für die Frauen mit Kindern, nur nicht in dem Umfang.)

Ich für meinen Teil ignoriere mittlerweile solche Ansinnen von welcher Seite auch immer. Entweder es gibt von mir keine Antwort, oder die Antwort hat es in sich.

Schön geschrieben, übrigens.

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 06.09.2007, 22:04

Hallo Klara

Ich wage es mal, als kinderloser Mann zu kommentieren. Du erlaubst mir einen gut geschriebenen Einblick und das möchte ich würdigen. Mir geht es allerdings ähnlich wie Sethe. Die Gesellschaft oder die Politik machen die Frage erst so umkämpft und verteidigt, wie Du es darstellst. Und vielleicht täusche ich mich, wenn ich behaupte, dass der Druck eher auf kinderlose Frauen als auf kinderlose Männer ausgeübt wird, aber diesen Eindruck habe ich.

"Mühsam genug über mehrere Generationen hinweg errungen scheint es nur recht und billig"
Da fehlt ein Komma.

"die Nerven zu Drahtseilen zu frisieren"
diese Formulierung liest sich wegen des doppelten "zu" eigenartig.

"Wundert mich ohnehin, dass die Frauen, die meinen, sich für ihre Kinderlosigkeit öffentlich verteidigen zu müssen, dieses Totschlag-Argument nicht anführen."
Ist das so? Ich frage ganz naiv nach. Ich dachte, dass sagen auch Frauen.

Schönen Abend

Jürgen

Klara
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Beitragvon Klara » 06.09.2007, 23:45

Hallo,

dank euch für eure Statements!

Gerda:
Widersprüchliches wird ausgebügelt. Nach dem Lesen bin ich verwundert weil ich bemerke, dass der vorletzte Satz eigentlich alles beinhaltet, um es einmal etwas überspitzt zu formulieren.

Ich fürchte, ich verstehe deinen Einwand nicht. Erklärst du mir, was du meinst?

Das finde ich irgendwo schade, weil ich glaube, dass dein Text gewinnen könnte, wenn du abseits jener bekannten Pfade bei deiner persönlichen Würdigung bzw. Ansicht/ Erkenntnis bleibst.

Naja, es handelt sich ja um den Versuch eines "Essay", nicht unbedingt um einen polemischen Meinungsbeitrag. Der Text will eigentlich gerade nicht der Aufruf zu einer bestimmten Meinung sein - sondern den Zwang zum Meinungshaben unterlaufen, indem er Meinungen und ihre Berechtigung darstellt. Da ich selbst Kinder habe, bin ich natürlich in gewisserweise "Partei", aber ich wollte ja gerade dieses Parteien-Spiel nicht mitspielen, sondern zu dessen Darstellung meine ganz persönliche Empfindung von Glück ausdrücken. Und dahin will ich gerade führen: vom Allgemeinen, Bekannten hin zum Besonderen, Eigenen. Um aus der Maschine rauszukommen. Nun weiß ich nicht, was daran unpersönlich oder allseits bekannt wäre?

Danke für deinen Leseeindruck!

Sethe:
Ich kann nicht sagen, ja Klara hat in vielem Recht.

Puh! Das erleichtert mich ,-)

Diese Frage mit all den Auseinandersetzungen darüber, Argumenten hier und Argumenten dort, sollte - ja dürfte- eigentlich nicht gestellt werden.

Warum nicht? Die Gesellschaft kann doch auch öffentlich debattieren (und sollte es sogar!), wie mit den Alten und Kranken umgegangen wird.

Die Frage Kind oder nicht Kind, ist eine Frage, auf die ein jede und ein jeder nur höchstpersönlich eine Antwort für sich selber geben kann.
Die Gesellschaft hat keinen Anspruch darauf, diese Frage beantwortet zu bekommen.

Darin sehe ich eine Illusion. Als könnte ein Ich sich abkoppeln von der Gesellschaft und dann für sich ganz allein zu einer Entscheidung kommen. So funktioniert aber Leben nicht.
In kaum einem anderen europäischen Land wird diese Frage so heiß, so verbittert geführt, wie in Deutschland.

Das mag damit zusammen hängen, dass Deutschland auch innerhalb Europas zu den kinderärmsten Familien gehört, während es wirtschaftlich zu den reichsten Ländern gehört.

Ich für meinen Teil ignoriere mittlerweile solche Ansinnen von welcher Seite auch immer. Entweder es gibt von mir keine Antwort, oder die Antwort hat es in sich.

Was für Ansinnen meinst du?
Schön geschrieben, übrigens.

Danke .-)

Gurke/Jürgen: Freut mich sehr, dass du dich outest und äußerst .-)
Und vielleicht täusche ich mich, wenn ich behaupte, dass der Druck eher auf kinderlose Frauen als auf kinderlose Männer ausgeübt wird, aber diesen Eindruck habe ich.

Mein Eindruck ist, dass dein Eindruck richtig ist. Das könnte damit zusammenhängen, dass ein Mann technisch/biologisch ein Leben lang in der Lage ist, ein Kind zu zeugen. Er kann sich theoretisch auch noch als 80jähriger für Fortpflanzung entscheiden, wenn er eine willige junge Frau findet, die sein genetisches Erbe austrägt und aufzieht. Ich kenne allerdings auch kinderlose Männer "im besten Alter", die sich unter Druck sehen, die sich unter Druck gesetzt fühlen "Wie, ihr habt noch kein Kind", als asozial betrachtet, die das Gefühl haben, den legitimen sozialen und emotionalen Ansprüchen an gutverdienende Männer einer Gesellschaft nicht zu genügen. Väter versus Nichtväter wäre allerdings ein eigenes Thema, das habe ich oben nur gestreift.

"Wundert mich ohnehin, dass die Frauen, die meinen, sich für ihre Kinderlosigkeit öffentlich verteidigen zu müssen, dieses Totschlag-Argument nicht anführen."

Ist das so? Ich frage ganz naiv nach. Ich dachte, dass sagen auch Frauen.

Habs noch nie von Frauen gehört - du? Ich hab es selbst schon als Argument benutzt, um die Entscheidung für Kinderlosigkeit zu verteidigen, aber bei mir kommt es nicht wirklich überzeugend, weil ich ja vier Kinder habe ,-) Die ackern dann zwar für deine Rente - aber sie fressen auch der Mutter Erde die Haare vom Kopf... (und mir auch...)

Lieber Gruß
Klara

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 07.09.2007, 02:16

Hallo Klara,

richtig ist, daß das soziale Umfeld und die Gesellschaft einen beeinflußt. Aber die Entscheidung, ob Kind oder nicht Kind, ist eine eigene höchstpersönliche Entscheidung. Diese Entscheidung muß ich mit mir alleine ausmachen, und diese Entscheidung auch alleine treffen.
Die Frage "Warum hast Du/warum haben Sie keine Kinder" enthält in den meisten Fällen schon eine Wertung. Nicht immer wird diese aus reiner Neugierde unbefangen gestellt. Oder bei Dir die Frage "Wieso hast Du vier Kinder?".
Diese Gretchenfrage Kind ja oder nein ist hier bei uns keine unbefangende Frage.
Sie ist mit so vielen Wertungen und Vorurteilen beladen, daß auf so eine Frage eine Antwort zu verlangen, einfach nicht in Ordnung ist. So wie diese Frage gestellt wird.
In diesem Sinne ist zu verstehen, warum ich schrieb, die Gesellschaft hat keinen Anspruch auf diese Frage, bzw. die Diskussion darüber, so wie diese jetzt läuft, ist nicht in Ordnung.

Mit Ansinnen ist diese Gretchenfrage gemeint. Auf diese Frage, oftmals auch noch in einem bestimmten Tonfall gestellt, reagiere ich allergisch. Auf Andeutungen diesbezüglich reagiere ich allergisch.

Warum bei uns diese Diskussion so verbittert geführt wird, liegt nicht nur daran, daß wir mit die wenigstens Kinder bekommen, obwohl wir zu den reichsten Ländern gehören. Frankreich gehört auch zu den reichsten Ländern der Welt, aber die Franzosen haben eine der höchsten Geburtenraten in der EU. Die Diskussion über diese Gretchenfrage wird dort ganz anders geführt.
Der Druck auf Frauen ist selbstverständlich größer, als auf Männer. Der biologische Faktor dürfte aber nur eine untergeordnete Rolle spielen, warum dies so ist.

Für beides - verbitterte Diskussion/der Druck auf Frauen- lassen sich Gründe in den gerade bei uns noch stark vorhandenen Rollenbild der Frau als Mutter finden. Und alles was damit zu tun hat.
Die Frage ist, ob Du darauf auch mit dem Text eingehen wolltest.
In Anbetracht der Uhrzeit lasse ich es dabei heute mal bewenden.

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Klara
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Beitragvon Klara » 07.09.2007, 10:50

Hallo Sala,
Oder bei Dir die Frage "Wieso hast Du vier Kinder?".

Das hat sich noch keiner getraut zu fragen ,-)
Wenn Leben da ist, gibt es die Frage nicht mehr. Dann ist Leben (also: Kinder, Menschen, meinetwegen auch Pflanzen, Welpen, Katzenjunge...) gesetzt. Leben wird nicht in Frage gestellt. In Frage gestellt wird nur, warum man kein Leben schaffen will, obwohl man es könnte. Das muss auch keine negative Wertung beinhalten, eher eine Verwunderung (wenn ich es frage: Verwunderung, aber meistens traue ich mich nicht zu fragen bzw.: Viele Frauen geben von sich aus eine Antwort, ohne dass ich sie fragte, als wäre mein Lebenszustand schon Frage genug...)
In diesem Sinne ist zu verstehen, warum ich schrieb, die Gesellschaft hat keinen Anspruch auf diese Frage, bzw. die Diskussion darüber, so wie diese jetzt läuft, ist nicht in Ordnung.

Ich finde schon, dass die Gesellschaft einen "Anspruch" auf die Frage und die Diskussion hat. Es geht nicht nur die Frau an, ob sie ein Kind bekommt. Wer Kinder aufzieht, dient der Gesellschaft, wenn du so willst (auch wer Alte Leute pflegt, dient der Gesellschaft), weil ohne Kinder eine Gesellschaft keine Zukunft hat. Wenn niemand mehr Kinder macht, dann werden wir alle im Alter in einem traurigen Land leben, in dem uns niemand pflegt, in dem wir niemanden haben, der uns finanziert. Der uns zuhört. Der uns verwirft etc. Zu einer Gesellschaft gehören Kinder. Und wenn nur sehr wenige Kinder geboren werden, so dass die Gesellschaft vorhersehbar ausstirbt, dann ist das durchaus Diskussionsstoff innerhalb dieser Gesellschaft.

Mit Ansinnen ist diese Gretchenfrage gemeint. Auf diese Frage, oftmals auch noch in einem bestimmten Tonfall gestellt, reagiere ich allergisch. Auf Andeutungen diesbezüglich reagiere ich allergisch.

Ich nehme an, dass das eher dein Problem ist als das der Gesellschaft.
Der Druck auf Frauen ist selbstverständlich größer, als auf Männer. Der biologische Faktor dürfte aber nur eine untergeordnete Rolle spielen, warum dies so ist.

Ich glaube, der biologische Faktor spielt schon eine Rolle, rein praktisch: In einem gewissen Zeitraum können Frauen Kinder gebären und aufziehen. Es gibt zwar immer mehr Männer, die Kinder aufziehen, aber die letzte Entscheidung für oder gegen Kind liegt bei der Frau. Wenn die biologische Uhr abgelaufen ist, dann gibt es keine Entscheidung mehr. Ähnlich tickt die Uhr der Gesellschaft: Die biologische Uhr der Gesellschaft ist längst abgelaufen, das war auch schon vor 20 Jahren absehbar, aber erst jetzt wird es bewusst. Wenn Deutschland als Land weiterleben soll, muss es sich öffnen. Wir brauchen Inder und Afrikaner und Leute, die Leben schaffen und bewahren ,-)

Damit du mich nicht missverstehst: Ich respektiere selbstverständlich die Entscheidung, kein Kind in die Welt zu setzen. Ich respektiere aber nicht, wenn man langfristig auf Kosten anderer, die Kinder in die Welt setzen, lebt und das auch noch selbstverständlich findet. Ich finde, jeder muss seinen Teil auf andere Weise beitragen, und das kann man auch nicht unbedingt messen, sondern muss es fühlen. Wenn jemand nur davon ausgeht: Es ist meine private Entscheidung, ähnlich wie die Entscheidung, ob ich umziehe oder nicht, dann ist das egoistisch. Nicht nur wegen des Geldes, das es kostet, ein Kind großzuziehen, sondern auch wegen des Geldes, das das Kind sogottwill dereinst in die Steuer- und Rentenkassen verdienen wird. Und wegen der Lebensqualität. Ich benutze diesen Begriff ungern, aber hier passt er. Das Leben hat ohne neues Leben keine Qualität, weil es dann abstirbt. Weil nichts bleibt.

Lieber Gruß
Klara

Niko

Beitragvon Niko » 07.09.2007, 13:59

hallo klara!
ich finde deine kolumne (ist es eine? ich kenne die feinheiten nicht so recht) sehr nett. es wird so zusammengetragen, was man im allgemeinen an pro und kontra liest. über das kinder kriegen. und das nicht kinder kriegen.
Ich respektiere selbstverständlich die Entscheidung, kein Kind in die Welt zu setzen. Ich respektiere aber nicht, wenn man langfristig auf Kosten anderer, die Kinder in die Welt setzen, lebt und das auch noch selbstverständlich findet.
Ich frag jetzt mal provokant: wer ist "man" leben alle die, die keine kinder in die welt setzen auf kosten derer, die kinder in die welt setzen? das ist mir nicht ganz klar.
generell finde ich ist es jedermanns ureigene sache, ob er kinder will oder nicht. es ist weder rechtens, einen stab über eine 5-köpfige familie zu brechen, noch rechtens diesen über ein kinderloses ehepaar zu brechen. jeder wird seine gründe dafür haben. es liegt am staat, die ramenbedingungen so zu schaffen, dass genügend anreiz da ist, kinder in die welt zu setzen. und wenn ich mich so umsehe, ist das hier in deutschland nicht so zwingend gegeben. (nun bitte nicht mit südafrika kommen, die auch ihre kinder bekommen, arm sind unt ohne unterstützung die kinder groß ziehen)
die gesellschaft hat sich verändert in den letzten ca 20 jahren. und diesen veränderungen der gesellschaft wird in den "rahmenbedingungen" nicht genügend raum gegeben.

ich weiß garnicht.........wolltest du diese diskussion jetzt eigendlich zulassen? wenn nicht, sieh es als halbes offtopic.

lieben gruß: Niko

Klara
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Beitragvon Klara » 07.09.2007, 14:04

generell finde ich ist es jedermanns ureigene sache, ob er kinder will oder nicht. es ist weder rechtens, einen stab über eine 5-köpfige familie zu brechen, noch rechtens diesen über ein kinderloses ehepaar zu brechen. jeder wird seine gründe dafür haben.

Find ich auch.
Ich hab doch hoffentlich keinen Stab gebrochen?
Wollte nur darauf hinweisen, dass aus dieser ureigenen Entscheidung gesellschaftliche Konsequenzen entstehen, für die man dann - je nach Entscheidung - dennoch mitverantwortlich ist. Soll heißen: Wenn ich keine Kinder habe, sollte ich mich verpflichtet fühlen (oder verpflichtet werden) anderweitig einen sozialen Beitrag zu leisten. Die meisten tun das ja hoffentlich auch ohnehin. "Sozialer Beitrag" meint alles Mögliche, auch Freundschaftspflegen, die allgemeine Wärme vergrößern, freundlich sein, großzügig sein gegenüber verschiedenen Lebensformen etc.

Klara

Niko

Beitragvon Niko » 07.09.2007, 15:26

verantwortlichkeit ist ein wechselspiel, finde ich. und - soweit ich mich entsinne - müssen kinderlose aufgrund ihrer steuerklassen eh einen "sozialen beitrag" an mehr leisten. oder?
ich verstehe durchaus, dass sich familien, alleinerziehende, wie auch immer gebeutelt fühlen. ist auch so: in den schulferein - die ohnehin die eltern, selbst wenn sie sich aufteilen, nicht abdecken können mit der betreuung) schnellen die unterkunftspreise für famlien in den urlaubsregionen drastisch in die höhe, der sprit erfährt seltsamerweise ausgerechnet in den ferienzeiten seine preiserhöhungen, die aber rein zufällig sind und nur abhängig von den geförderten barrols, kinder brauchen schulgeld, taschengeld, klassenfahrtsgeld, keidung und..und..und.... - nur: das kann man nun wirklich nicht den kinderlosen anlasten. das ist einfach abzocke pur zu lasten derjenigen, die unsere zukunft sind. da gehört dem staat eins aufs maul, den opec-ländern sowieso der touristikbranch schon lange. ein "whaaleweel" in holland (ein riesiger, feststehender wohnwagen) kostet vielleicht im frühjahr, wenns nicht grade ostert oder pfingstet, 400 euronen. was schon teuer genug ist pro woche. in der saison, sprich: schulferienzeit kostet die selbe kiste 1000 euro und mehr. nur ein beispiel. und nur einer der vielen schläge ins gesicht der familien, die dann drohen finanziell irgendwann das handtuch zu werfen.
lieben gruß: Niko

Klara
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Beitragvon Klara » 07.09.2007, 15:38

An all deinen Beispielen siehst du, dass die Wirtschaft kaputt ginge, wenn es keine Kinder bzw. Familien mehr gäbe ,-)

Was du ansprichst, ist aber eher das Problem des Kapitalismus als das der gerecht verteilten Verantwortung für die Gesellschaft/in der Gesellschaft.

Die Steuerklasse ist lächerlich, wenn du rechnest. Geh von einem mittelständischen Kind aus, jemand hat mal gerechnet: kostet die Eltern und Großeltern 1 Million Mark, bis es sich selbst ernährt. Die ungünstige Steuerklasse hast du schon durch etwaige Betreuungskosten ausgeglichen, und dann hab ich noch kein einziges Paar Schuhe gekauft. Zu schweigen von der Zeit, von der Zeit...

Es gibt Leute, die keine Kinder haben, und die behaupten, sie werden vom Staat ungerecht behandelt. Solche Leute sind denkfaul, kurzsichtig und gefühlskalt. Mit solchen Leuten möchte ich kein Bier trinken gehen.

Lieber Gruß
KLara

Niko

Beitragvon Niko » 07.09.2007, 15:53

dann gibt es aber noch kindergeld, bauzuschüsse und andere vergünstigungen........das hin und herrechnen bringt nix, klara. den kapitalismus haben sich weder familien noch singels zurechtgebastelt. er ist halt grundlage für alles. der kommunismus mag zwar kinderreiche familien besser berücksichtigen, aber manche formen dieser staatsform haben auch gezeigt, dass sie zum zwecke der steuerung der kinder missbraucht werden. und selbst im kommunismus gibt es gleichere unter den gleichen. kinder (und der en eltern sowieso) bestimmter schichten waren auch da bevorzugt. also selbst innerhalb des "kinderfreundlichen" regimes sind alle die gebeutelten. in der demokratie kann man sich wenigstens das maß an ausbeutelung aussuchen.
den letzten passus von dir unterschreibe ich dir bedingungslos. und ich füge hinzu: mit müttern, die kinderlose frauen abqualifizieren wollen, gehe ich auch kein bier trinken. wie schon gesagt: nicht alle, aber doch die meisten haben gute gründe, warum sie kinder nicht wollen. und ich finde es auch einen wichtigen wesenszug einer demokratie, das zu akzeptieren. kinderlose frauen sind keine schlechteren menschen als mütter. ich kenne frauen, die den kinderlosen so ziemlich jedes recht absprechen. soetwas ist blind, fanatisch und...-dumm. aber ich denke, da sind wir uns einig

lieben gruß: Niko

Klara
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Beitragvon Klara » 07.09.2007, 15:59

in der demokratie kann man sich wenigstens das maß an ausbeutelung aussuchen.

sure?

Aber Niko, mit Müttern wie den von dir skizzierten würde ich noch weniger Bier trinken gehen wollen ,-) Im Zweifel trinken sie auch gar keinen Alkohol und wissen alles besser. Mütter sind eine der grausligsten Angelegenheiten, die es gibt, nur noch übertroffen von Politikern und Elternsprechern - and I know what I'm talkin about (Achtung: Ironie! Selbstironie! Doppelte Böden! Wahrheit!)

;-)
Klara

Niko

Beitragvon Niko » 07.09.2007, 16:32

ja......elternsprecher sind eine spezies für sich, kann ich dir sagen.
ich mag vor allem mütter, die nur ihr kind thematisieren. es bekommt nur fenchel aus bioanbau, natürlich 2 jahre die brust, die mutter ergießt sich darin, mit techniken zu glänzen, wie man ein kind denn nun 100%ig richtig wickelt, was man gegen kulicken macht und überhaupt: sie weiß alles.wie toll es schon läuft. und später ist das kind in der klasse natürlich völlig unterfordert. abitur macht es sowieso und wird wahrscheinlich jurist oder arzt. auch wenn die lehrer in klasse 4 von einer gesamtschule abraten. *g. naja........aber es schreibt so nette gedichte in klein-ernas poesiealbum! bestimmt wirds dann ein kleiner goethe-scheisserl.
ich hasse das.
lieben gruß: Niko, doppelter vater, ex-erziehungs"urlauber", ex-ehemann, ex-elternsprecher ;-)


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