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Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 02.03.2008, 22:37

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Glück braucht Kontrastmittel, das ist das Pech.


© 2004



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glück
gedeiht nur
auf dung
pech!



© 2008



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In der Dauerglücksmaschine weilend, wurde er langsam sauer.


© 2008



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Meine drei Zöglinge hoffen auf die Zusage des Gastwirts, im selben Zimmerlein übernachten zu dürfen. Na zdrovje.

Gast

Beitragvon Gast » 04.03.2008, 18:48

Nur ein paar Eindrücke, ohne, dass ich konkret auf einen der Kommentare eingehen möchte.

Ich finde die Diskussion um "Pech" und "Glück" läuft etwas unglücklich, ;-) nein ein bisschen eingleisig

Nicht ausschließlich deshalb, weil jeder Mensch eine andere Vorstellung von dem hat, was "Glück" ist, sondern weil ich denke "Glück" / "Pech, in Bezug zu setzen kann nur zu einer oberflächlichen Betrachtungsweise führen. Damit unterstelle ich um Himmels niemandem hier, das sie/er das Thema oberflächlich behandelt.

Es deutet allerdings manches daraufhin, dass durch diesen Bezug der Glücksbegriff eher so in Richtung "glücklicher Zufall“ gedeutet wird.

Glück kann aber sehr wohl auf Erfahrung beruhen, die ein Mensch im Guten wie im Bösen, im Schönen wie im Tragischen gemacht hat und Glück muss einem keinesfalls zufliegen. Man kann sich sein ganz persönliches Glück sogar erarbeiten und damit meine ich nicht materiellen Wohlstand.

Pech - so denke ich - ist etwas, das einem widerfährt, selbst dem Glücklichen. Als Pech würde ich niemals ein wirkliches Unglück bezeichnen, dass einen Menschen daran erinnert wie fließend die Grenzen im Leben sind.

Würde ich ein Kontrastmittel für Glück suchen wollen, so müsste ich wohl passen.
Denn auch da gilt für mich: Weder Glück noch Unglück ist Schwarz oder weiß.

Was ich aber nachvollziehen kann, dass es einem Menschen u. U. hilft sein persönliches Glück besser wahrzunehmen, wenn er gefühlt hat was Leid (Unglück), ist.

Ist es nicht so, dass besonders leidensfähige Menschen auch die Begabung dazu haben besonders glücklich zu sein?

Lieber Pjotr,

ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich einfach frei weg meine Gedanken geschrieben habe und somit deine Texte nur indirekt berührt habe.



Liebe Grüße
Gerda

Niko

Beitragvon Niko » 04.03.2008, 19:14

hallo pjotr!
ich halte den spruch 1 sozusagen für psychisch falsch. das eine gibt es nicht ohne das andere. sie sind kein gegenpol, kein kontrast. sondern entstehen aus dem jeweils anderen.
da greift am ehesten spruch 2. den letzten halte ich für zu sehr undifferenziert. ersterer ist einfach lebensfern. das alles aber nur für mich :-)

lieben gruß: Niko

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 04.03.2008, 19:27

Gerda hat geschrieben:Ist es nicht so, dass besonders leidensfähige Menschen auch die Begabung dazu haben besonders glücklich zu sein?


Na klar, Gerda. Sie erleben Emotionen intensiver, sie weinen schnell, sie jubeln schnell. Fifty/fifty. Wie gesagt.

Niko, Dein Kommentar widerspricht sich selbst, denke ich. (Ich sage, Kontrastmittel ist ja auch nur deshalb Kontrastmittel, weil seine Umgebung anders ist. Ich stimme Dir zu: Das eine bedingt das andere und umgekehrt.)

Niko

Beitragvon Niko » 04.03.2008, 19:35

wo widerspreche ich mir?

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 04.03.2008, 23:14

Kann das sein, daß garnicht Leidensfähigkeit gemeint ist, sondern mehr die Leidenschaft?

Welcher Mensch sucht freiwillig nach Situationen und begibt sich freiwillig in Situationen, die ihm Leiden, Schmerz und Unwohlsein verschaffen, um danach dann wenn es vorbei ist, sich wohl und glücklich zu fühlen?
Geht es nicht vielleicht darum, diese negativen Situationen so gut es geht zu vermeiden?

Die Erinnerung an das, was einem Unwohlsein, Leid und Schmerz verursacht hat oder irgendwan mal hatte, geht doch nicht in dem Moment weg, wo diese Situation beendet ist. Die hängt einem doch nach. Demnach gäbe es kein Glück, was aus sich heraus, für sich existieren kann. Ich bezweifel, daß dies so ist.

Man wartet doch nicht nur auf sein Glück, man kann es sich doch auch selber machen, in dem man eben, soweit man die Möglichkeit dazu hat, all das vermeidet, was einem Leid, Schmerz etc. verursachen kann.

Immer wenn ich Diskussionen zu diesem Thema lese, sei es nun hier oder in einem anderem Forum, ich kann es nicht nachvollziehen, wenn davon die Rede ist, Glück und Pech (jetzt mal so kurz zusammengefaßt) sind Gegensätze die notwendig sind, damit Glück sein kann.
Bislang hat mich noch keiner davon überzeugt, daß Pech und Glück sich gegenseitig bedingen, oder Pech notwendige Bedingung für Glück ist.
Diesbezüglich schmeiße ich das Handtuch.

Gute Nacht.
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Gast

Beitragvon Gast » 04.03.2008, 23:28

Liebe Sethe,

ich denke nicht, dass du das Handtuch werfen solltest. ;-) Ich finde nicht, dass "Pech" und "Glück" sich bedingen.
Siehe weiter oben, besonders hier.
Glück kann aber sehr wohl auf Erfahrung beruhen, die ein Mensch im Guten wie im Bösen, im Schönen wie im Tragischen gemacht hat und Glück muss einem keinesfalls zufliegen. Man kann sich sein ganz persönliches Glück sogar erarbeiten und damit meine ich nicht materiellen Wohlstand.

Liebe Nachtgrüße
Gerda

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 05.03.2008, 04:00

NJKahlen hat geschrieben:wo widerspreche ich mir?


Ich habe mich vertan, Niko. Jetzt verstehe ich erst, worauf Du hinauswillst. Die Problemquelle: Die Leserichtung als Bedingungsrichtung. X braucht Y. Was in meinem Text Dir fehlt, ist die Möglichkeit der Umkehr: Y braucht X. – Das kann behoben werden dank Wegbleiben der Artikel.

Glück braucht Kontrastmittel. Das ist das Pech.

Nun lies das "brauchen" mal rückwärtsbedingt, wie in diesem Beispiel:

Glück braucht der Mensch. Das ist der Mensch.

...




Nun möchte ich einen neuen Text hinzufügen. Im Moment erscheint es mir so, als würde er alles sagen, was ich sagen will:



Schmerz und Wohl sind wie Klavierklänge. Sie klingen aus, wenn der Hammer die Saite verlässt.


© 05.03.08 3:30



Pjotr



(Ja, Schmerz kann auch sehr lange andauern und unbehebbar sein. Aber entweder der Mensch gewöhnt sich an den unbehebbaren Schmerz – womit sich die Messlatte senkt –, oder er verliert das Bewußtsein. Ein Ende ist immer in Sicht.)

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Beitragvon Pjotr » 05.03.2008, 04:39

Gerda hat geschrieben:Man kann sich sein ganz persönliches Glück sogar erarbeiten und damit meine ich nicht materiellen Wohlstand.


Dazu behaupte ich:

Je härter die Arbeit war, desto größer das Erfolgserlebnis.

Däumchendrehen führt nur zu geringen Erfolgserlebnissen.

Eine neue Liebe zu gewinnen ist umso erfreulicher, je schmerzlicher sie davor vermisst wurde. Gibt es nur wenig Vermissen, wird ein neuer Gewinn nur wenig erfreuen.

Und so weiter ...

Die Gegner meiner These blenden den Schmerz klammheimlich aus in ihrer Argumentation.

Sam

Beitragvon Sam » 05.03.2008, 06:09

Hallo Pjotr,

Hier wirst Du meiner Ansicht nach wieder paradox, Sam.

Ich bin Zwilling, rede immer aus dem Bauch heraus, bin selten nüchtern, und kommentiere zu einer Zeit, zu der andere gerade mal anfangen aufzuwachen: wie soll ich da nicht paradox sein??? :mrgreen:

Im Ernst:

Das wahre Glück sagst Du, wie ein Pfarrer oder ein Guru, dabei hast Du Dich oben im Zitat drei Zeilen vorher noch abgegrenzt von Philosophen und Theologen.

Ich sagte, dass die Philosophen und Theologen "wissen" warum unsere Sehnsucht nach Glück nicht wirklich erfüllt wird. Das hat mit der Definition von wahrem Glück nichts zu tun. Und das zeigt auch diese spannende Diskussion hier. Jeder hat da ganz andere Vorstellungen.

Vielleicht sollte man einfach unterscheiden zwischen zwei verschiedenen Aussagen:

"Das Pech, dass einem im Laufe des Lebens widerfährt, hilft einem, das Glück wirklich zu schätzen."

Dazu sage ich : JA

"Es braucht das Pech (das Unglück etc), um zu wissen, was Glück wirklich ist (um es als Glück zu empfinden etc)"

Dazu sage ich : NEIN

Edit: Gehen wir mal weg von der philosophischen Ontologie, nehmen wir die empirische Neurologie. These: Wenn ein Wesen konstant Wohlbehagen empfindet, auch dann, wenn es den Finger verbrennt oder einen Freund verliert, dann hat dieses konstante Wohlbehagen keine neurologische Funktion, denn es treibt nicht, es motiviert nicht; das apathische Wesen würde seinen Finger verbrennen lassen und auch sich asozial verhalten. – Um nur ein Beispiel zu nennen, was Empfindungen für einen Überlebensnutzen haben.

Diese Argumentation würde bedeuten, dass du "Unglück" mit einer Schutzreaktion wie Schmerz gleichsetzt. Und auch das, was man gemeinhin des gesunden Menschenverstand nennt, außer acht lässt.

Vielleicht geht es mir aber auch nur darum: Ich mag weder dem "Unglück" noch jedwedem "Bösen" eine Berechtigung (und sei es eine abstrakte, intellektuelle, theoretische oder theologische) zusprechen. Was nicht heißt, dass man sich deren Vorhandensein nicht bewusst ist (oftmals ist man das ja mehr, als einem lieb ist). Leid und Unglück haben keine Berechtigung.

Sam (sich wahrscheinlich mal wieder selbst widersprechend)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 05.03.2008, 08:36

Hallo Sam.

"Das Pech, dass einem im Laufe des Lebens widerfährt, hilft einem, das Glück wirklich zu schätzen."

Dazu sage ich : JA


Zwei Dinge:
- Mir geht es nicht um Wertschätzung (ich sagte das bereits ein paar mal)
- Wenn überhaupt, dann hilft das Pech einem nicht, das Glück toll zu finden, sondern sich über das Mittelmaß nicht zu beklagen. Dass das Glück ein Wertschatz ist, beziehungsweise das Wohl recht wohltut, ist ja trivial.


Den "gesunden Menschenverstand", wie Du es nennst, halte ich für einen Assistenten. Ich nenne ihn Ratio. Klar kann er Schmerz vorab vermeiden, weil er rechnen kann. Schlussendlich liegt auch sein Arbeitsplatz in der Empfindungswelt: er hilft, das Wohl zu maximieren und den Schmerz zu minimieren. Niemals würde dieser rationale Assistent dem empfindenden Wesen raten, etwas emotional sinnloses zu tun, wie etwa sich zwei Mal im Kreis zu drehen, weil in China ein Sack Reis umgefallen ist, sondern eher warme Socken anzuziehen, weil erforene Füße schmerzen würden. Und die Erfrierung schmerzt deshalb, weil das Schmerzsystem sich in der Evolution bewährt hat; die Ratio kam später dazu als Überlebensassistent. Die Ratio ersetzt nicht das Schmerzsystem. Meine These.


Leid und Unglück haben keine Berechtigung.


Berechtigung wofür? Berechtigung in welchem Sinn? Gibt es überhaupt etwas, das Berechtigung hat? Du scheinst mir von Fadenbeginn an auf der Ethik-Ebene zu sitzen. Was mich betrifft, ich will hier kein Moralgesetzbuch konstruieren, kein Gebot, kein Dogma, keine Rechte und Unrechte, nichts dergleichen. Ich trete hier nicht als Jurist auf, sondern als Empfindungsforscher.


Salve

Pjotr

Nicole

Beitragvon Nicole » 05.03.2008, 08:50

Hi Pjotr,
Du solltest Deinen Text von heute morgen, 3.30h ins Thema dieses Fadens aufnehmen ...
Dieses Bild finde ich, ist extrem gelungen und sollte nicht in den Kommentaren untergehen.

Gruß, Nicole

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Beitragvon Pjotr » 05.03.2008, 09:03

Welchen, Nicole? Das Klavier?


Ein Klavier, ein Klavier.

Nicole

Beitragvon Nicole » 05.03.2008, 09:47

Hi Pjotr,

Schmerz und Wohl sind wie Klavierklänge. Sie klingen aus, wenn der Hammer die Saite verlässt.


© 05.03.08 3:30


diesen.

Gruß, Nicole

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Beitragvon Pjotr » 05.03.2008, 10:53

Dieser Aphorismus klingt mir noch nicht rund genug. Ich suche noch ein anders Wort für "...klänge" und für "verlassen". Und dann fehlt inhaltlich der Hinweis, dass Wohlklänge von einem Schmerzhammer angeregt werden, und Schmerzklänge von einem Wohlhammer.


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