Brot

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Sam

Beitragvon Sam » 18.12.2009, 15:11

Brot


Spangenbachs kürzlich erschienener Aufsatz über die in manchen katholischen Sekten praktizierte Brotbuße, wurde nur am Rande zur Kenntnis genommen, was sehr bedauerlich ist. Aber verständlich, da er niemandem wirklich Angst gemacht hat.


Ein junger Mann betritt einen Supermarkt, geht zielstrebig in Richtung der Backwaren und nimmt sich ein Brot aus dem Regal. Er trägt Jeans und einen Kapuzenpulli, sauber, ordentlich, nicht zu groß. Sein Gesicht ist von der Pubertät ein wenig hergenommen, die Augen glanzlos, der Mund schmal. Auffällig sind seine gepflegten Hände, die langen Finger, die fast kreisrunden Nägel. Man kann sie deutlich sehen, als er das Brot umfasst, ein großes Stück aus dem Laib herausreißt und sich in den Mund schiebt. Doch statt zu kauen, schluckt er. Er bricht ein weiteres Stück und stopft nach. Schluckt erneut. Beim dritten Brocken beginnt er zu würgen, schiebt aber noch einen vierten hinterher. Jetzt gerät sein ganzer Körper in Bewegung, verkrampft sich in dem Bemühen, den Brechreiz zu unterdrücken. Noch ein letztes Stück, er presst es auf den Mund, als wolle er ihn damit endgültig verstopfen. Einen eigenartigen Tanz vollführt er, einen Brottanz, einen Erstickungstanz, sein Körper wehrt sich, will kein Brot mehr, will nur Luft.


„Unterernährt? Nein, nicht unterernährt, so was wäre bestimmt schon längst aufgefallen. Wobei manche der Jugendlichen in diesem Alter so aussehen, als hätte man sie gerade aus dem KZ – Sie verstehen...
Sicher, er war sehr leicht und dünn für sein Alter, aber keiner der Tests zeigte irgendwelche Mangelerscheinungen. Im Grunde war er sogar über dem Durchschnitt. Also wenn man diejenigen in Betracht zieht, die so jeden Tag Fastfood essen oder daheim nur Raviolidosen aufgeschraubt bekommen, da war er richtig gut drauf – zumindest blutwertechnisch.“



Eine Angestellte des Supermarktes, schon etwas älter und recht korpulent - Sie wissen schon, die morgens meistens das Gemüse und den Salat aufstapelt, immer mit einem etwas fleckigen Kittel, die Haare oftmals fettig oder unordentlich, wenn die einen Salatkopf ganz oben auf die Kiste legt, nehmen Sie immer den, der darunter liegt - läuft zu dem jungen Mann und versucht ihm die Hände vom Mund wegzudrücken. Der wehrt sich. Erst als ihn die Kräfte verlassen, gibt er nach. Der Körper erschlafft und kann den Hals nicht mehr freiwürgen.


„Ich glaub, der wäre gerne cool gewesen. Aber irgendwie hatte er immer so einen Stock im Arsch. So Typen gibt’s halt. Stehen meist alleine rum, und wenn man dann mal auf sie zugeht, weichen sie gleich zwei Schritt zurück. Kommen sie aber von selber, dann sind sie furchtbar ungeschickt und verkrampft. Das funktioniert einfach nicht. Nein, ich glaub, der wäre irgendwie gerne cool gewesen und hätte es vielleicht auch sein können, wenn da nicht dieses religiöse Dingens gewesen wäre. Ob er das toll fand, weiß ich ja nicht, aber seine Eltern werden es halt gewollt haben. Zum Rebellen hat ihm offenbar der Mumm gefehlt. Zumindest war da nicht viel drin mit locker sein, Disco, Tanzen, Spaß haben. Aber vielleicht wollte er ja so ein Freak sein. Ist mir eigentlich auch egal. Und was hat der nun gestohlen? Ein Brot? Und deswegen der ganze Aufriss?“


„Ganz normaler Junge. Absolut unauffällig. Höchstens ein wenig nachdenklich, aber auch nicht wirklich. Sporadisch apathisch, aber wer von den Jugendlichen ist das nicht? Ich arbeite nun wirklich schon lange genug mit den Kids, um zu wissen, dass die ab und an mal ausschalten. Verarbeitungsphase nenne ich das. Der Eine verprügelt dann seinen Tischnachbarn. Und der Andere, der starrt einfach Löcher in die Luft.“


Spangenbach konzentriert sich zunächst auf die symbolische Bedeutung des Brotes in den religiösen Schriften des Christentums, vornehmlich der Bibel. Er führt aus, dass die erste Erwähnung von Brot nach dem Sündenfall erfolgte, im Zuge der Strafverlesung: „Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen.“ Danach aber stellte es vor allem eine göttliche Segensbekundung dar. Manna z.B., das Brot vom Himmel, auf das sich Christus später bezog, wenn er sich als solches bezeichnete, von dem man essen müsse, um ins Himmelreich zu gelangen. Und so weiter. Spangenbach holt weit aus, natürlich immer im gewohnt süffisanten Ton, der stets den aufgeklärten Atheisten durchscheinen lässt.


Der Vater erfährt von dem Vorfall, als sein Sohn schon im Krankenhaus ist. Durch eine Mail seiner Sekretärin, weil er sich für den ganzen Tag sämtliche Störungen verbeten hat. „Die“, hatte er gleich am Morgen gesagt und auf die dicke Tür gezeigt, welche sein Büro von dem Vorzimmer trennte, „wird heute nur noch von Innen geöffnet.“
Die Sekretärin verschwand mit einem Knurren und er ging hinter seinen Schreibtisch und ließ sich in den Stuhl fallen. Die Lehne eines sündhaft teuren Bürostuhls im Rücken zu fühlen, das gefiel ihm schon immer. Heute aber spürt er nichts. Nur ein Ziehen aus unbestimmter Richtung. Er hat in seinem Leben schon so oft über Prüfungen geredet, dass sie ihm völlig fremd geworden sind. Ihnen direkt gegenüber zu stehen, war etwas ganz anderes. Er war ein Theoretiker des Glaubens, das Praktische aber hatte viele Tücken. Es gab zweierlei Schmerzen, das wusste er. Den Schmerz der Versuchung und den Schmerz der Konsequenz. Die Konsequenz – vor allem bei seinem Sohn. Das war notwendig. Weil es in sich richtig ist, einen Weg konsequent zu gehen, sei er nun wahr oder falsch. In der Konsequenz erkennt Gott die Stärke.
In der Versuchung jedoch war er stets alleine, ihr Schmerz war nur sein Schmerz. Und wem sollte er sagen, dass er schon lange nicht mehr betete?
Die Mail lautet: Anruf Ihrer Frau. Ihr Sohn ist im Krankenhaus. Bitte zurückrufen.
Er ruft zurück, und zwei Stunden später kommt er in die Klinik.


„Wir waren zwei Monate zusammen, aber nicht wirklich. Wir haben uns ein paar Mal nach der Schule getroffen. Sind mal ins Kino oder in die Stadt gefahren. Er mochte Bücher, davon hat er viel geredet. Im Park haben wir heimlich geraucht, obwohl er ziemliche Angst hatte, dass seine Eltern das heraus bekommen. Einmal haben wir sogar geknutscht, aber da war er so was von wild, dass ich dachte, er vergewaltigt mich gleich. Dann hab ich Schluss gemacht.
Über Religion? Nee, über Religion haben wir nicht gesprochen, wieso?“



„Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen, aber wenn man etwas Besonderes ist, dann haben viele Dinge, die als Normal gelten, eine andere Wertigkeit. Und mit etwas Besonderem, meine ich einen wirklich gläubigen Menschen. Gläubig in einer Form, wie man sie heute eigentlich nur noch unter diesen Moslems findet, zu unserer Schande. Glücklicherweise gibt es Ausnahmen. Wie dieser Junge und seine Familie. Echte Christen. Bemüht in jedem Aspekt des Lebens dem Glauben Ausdruck zu verleihen. Nicht nur da, wo es leicht ist, sondern auch da, wo es weh tut. Aber notwendig ist. Wenn es weh tut, dann ist es immer notwendig, sonst ließe sich das ganze Konzept ja nicht mit der allumfassenden Liebe vereinbaren, die mit dem Gottesbegriff verbunden ist.“


Die Mutter sitzt auf der Couch und liest, als das Telefon klingelt. Peer Gynt. Sie hasst diesen Klingelton, weil er etwas Schönes entstellt. Aber sie hat sich daran gewöhnt. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt angespannt. Schon nach den ersten Worten weiß die Mutter, dass etwas passiert ist. Zu umfassend ist ihre Kenntnis von Spannungszuständen. Und wenn sie Schlimmes erwartet, dann immer das Schlimmste: Irgendeinen Tod. Durch die Leitung hört sie „Ihr Sohn...“ und sieht nur noch Schreckensbilder und Blut. Sie rutsch vom Sofa, kniet auf dem Teppich, beugt den Rücken. Mehr Demut geht nicht. Der Herr hat’s gegeben...
Dabei sitzt der Junge so fest in ihrer Brust, wird zum Schmerz, sobald sie sich ihn wegdenkt. Oder unglücklich. Oder unter Strafe.
Wenn es dein Wille ist, dann lass diesen Becher...
Die Stimme im Telefon hat zu Ende geredet und eine eigentümliche Erleichterung macht sich in der Mutter breit. Eine Erleichterung, die man verspürt, wenn dem Schmerz seine Vollkommenheit verloren geht.
Das Telefon noch immer in der Hand, setzt sie sich wieder auf die Couch und versucht, ihren Mann zu erreichen.


„Richtige Freunde waren wir nicht. Wir haben in der Schule nebeneinander gesessen. Ab und zu trafen wir uns am Nachmittag. Manchmal zum Lernen, manchmal einfach um ein bisschen abzuhängen. Aber nur bis um sechs, dann musste er nach Hause. Abends durfte er so gut wie nie weg. Auch am Wochenende nicht. Er wollte Tierarzt werden, oder Dichter. Von zu Hause hat er selten geredet, aber wenn, dann hatte ich das Gefühl, dass er Angst vor irgendetwas hatte. Ja, von Strafen erzählte er auch, aber immer so komische Sachen, wo ich mir dachte, das sind doch keine wirklichen Strafen. Bestimmte Bücher lesen, einen Tag nichts sagen und so was. Ums Essen ging es da aber nie.“


Spangenbach schreibt:
„Die Brotbuße ist eine symbolische Strafe. Brot als Zeichen der Gunst. Unser täglich Brot gib uns heute. Wem man das Brot entzieht, dem entzieht man den Segen Gottes. Die psychologische Wirkung ist tiefgreifend. Es handelt sich um eine Vorstufe der Exkommunikation. Der Sünder bekommt für eine gewisse Zeit kein Brot und darf auch nicht in Gemeinschaft essen. Eigentlich eine zeitgemäße Strafe, denn sie kommt ohne Prügel aus. Niemand stirbt, wenn er mal für eine Weile kein Brot ist.“


„Sehen Sie, wir haben genug Fälle, in denen wir tatsächlich einschreiten müssen, weil den Jugendlichen Gefahr droht. Das sind dann aber konkrete Dinge. Körperverletzung, Missbrauch, grobe Vernachlässigung und solche Sachen. Und oft genug kommen wir nicht rechtzeitig. Was dann passiert, wissen Sie. Wenn wir da noch jedem hinterherlaufen würden, der seine Kinder mit steinzeitlichen Glaubensvorstellungen großzieht, dann hätten wir viel zu tun. Allein bei den vielen Ausländern. Wie? Gut, in diesem Fall waren es keine Ausländer. Von mir aus auch was christliches, ist doch egal. Es gab nie irgendwelche Hinweise darauf, dass der Junge gefährdet sei. Und bei dem Elternhaus, ich meine, der Vater ist Verkaufsleiter bei einer nicht unbekannten Firma, verdient nicht schlecht, die Mutter ist nur Hausfrau, d.h. ständig zu Hause, um das Kind zu versorgen. Das sind Traumvoraussetzungen. Ich würde mir wünschen, alle Eltern wären so. Da könnten die religiös gerne ein wenig überzogen sein. Aber ansonsten ist das doch optimal.“


Kann es sein, fragt am nächsten Tag eine Tageszeitung, dass sich ein junger Mensch umbringen möchte, indem er sich solange den Hals mit Brot vollstopft, bis er erstickt?


Einer seiner Klassenkameraden bemerkt:
„Wer weiß, vielleicht hatte er einfach nur Hunger.“

Einige Tippfehler beseitigt - Merci Renée
Zuletzt geändert von Sam am 20.12.2009, 11:58, insgesamt 1-mal geändert.

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 20.12.2009, 22:12

Hallo Sam,

es ist manchmal seltsam, was der erste Gedanke sein kann, wenn man einen Text anfängt zu lesen.
Bei Deinem kam mir sofort als ich den Namen Spangenbach las, Friedrich Dürrematt in den Sinn. Wieso schießt mir beim Lesen des ersten Satzes Der Richter und sein Henker in den Kopf? Ich kann es mir nur immer noch nicht erklären. Das wurmt mich. (Zumal ich gerade das besagte Buch nicht finde, um nachzusehen, ob da ein Herr ähnlichen Namens auftaucht).

---
Sam hat geschrieben:Sein Gesicht ist von der Pubertät ein wenig hergenommen

Ich bin dann über das "hergommen" gestolpert. Sagt man das so? Dieser Ausdruck ist mir nicht geläufig, deshalb las ich erst "mitgenommen".

Tja, ansonsten frage ich mich, wozu die Einschübe von Herrn Spangenbach da sein sollen. Mich stören sie gewaltig. Der ganze Text leidet dadurch, für mich, so rein subjektiv.
Der Inhalt der Geschichte spricht doch für sich selber, wozu also diese Einschübe? Der Sinn und Zweck erschließt sich mir nicht.
Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ich Dich dazu überreden kann, diese Passagen komplett zu streichen. ;- )

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 21.12.2009, 13:44

Hallo Sam!

Ich habe den Text gern gelesen. Vom Gefühl her ein wenig lang, aber nicht, dass es mich stören würde... Ein paar Kleinigkeiten zur Form:

Das Komma in Z1 (hinter "Brotbuße") gehört da wohl nicht hin?

Im "Vater-Abschnitt" komme ich nicht ganz klar mit der Art, wie du zwischen den Zeitformen wechselst.

Sie rutsch vom Sofa Schau mal, ob du noch irgendwo ein t findest ;-)

Ob ich die Abkürzung d.h. in einer wörtlichen Rede am Platz finde, weiß ich nicht... Eher nicht?!

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Yorick

Beitragvon Yorick » 21.12.2009, 15:42

Hallo Sam,

vielen Dank für deine ausführliche Antwort!

Ich glaube, ich möchte dich dazu bringen, so zu schreiben, wie ich es von dir lesen will. Das ist natürlich blanker Unsinn. Es gibt da so ein paar Texte von dir, da möchte ich mehr von haben, und wenn es dann in eine andere Richtung geht, werde ich nörgelig.
Trotzdem wollte ich dir gerne diese Rückmeldung geben, so als Positionsboje, aber natürlich will ich dir nicht vorschreiben, was du nachschreiben sollst... :)

liebe Grüße,
York.

Sam

Beitragvon Sam » 23.12.2009, 15:15

Hallo Sethe,

vielen dank für deinen Kommentar!

Ob es bei Dürrenmatt einen ähnlichen Namen gibt, weiß ich leider auch nicht. meine Lektüre vom Richter liegt auch schon gute 25 Jahre zurück. Da kann ich mich gerade noch knapp an die Handlung erinnern.

"Hergenommen" ist glaube ich schon ein gebräuchlicher Umgangssprachenausdruck.

Tja, ansonsten frage ich mich, wozu die Einschübe von Herrn Spangenbach da sein sollen. Mich stören sie gewaltig. Der ganze Text leidet dadurch, für mich, so rein subjektiv. Der Inhalt der Geschichte spricht doch für sich selber...


Nun, sie sind Teil des Konzepts. Neben den verschiedenen Stimmen eben auch die, für mich feulletonistischen Einschübe über Spangenbachs Aufsatz. Die wegzulassen geht in die gleiche Richtung wie Floras Bemerkung, wozu denn der religiöse Hintergrund. Natürlich kann man das auslassen, nur dann wird es eine andere Geschichte und nicht mehr die, die ich schreiben wollte.

Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ich Dich dazu überreden kann, diese Passagen komplett zu streichen.

Stimmt! :-)


Hallo Ferdi,

Dank dir für's Lesen und Kommentieren. Und auch für die Korrekturen.

Im "Vater-Abschnitt" komme ich nicht ganz klar mit der Art, wie du zwischen den Zeitformen wechselst.

Erzählt wird in der Gegenwart, in dem Moment, als er von dem Vorfall erfährt. Die Rückblende ist nur kurz das Zusammentreffen mit der Sekretärin, als er das Büro betrat.

Mit der Abkürzung d.h. gebe ich dir Recht. In einer wörtlichen Rede ist das eher unglücklich.


Hallo Yorick,

auch dir nochmals herzlichen Dank!

Ich glaube, ich möchte dich dazu bringen, so zu schreiben, wie ich es von dir lesen will.

Das ist natürlich ein schwieriges Unterfangen ;-) Zumal ja auch einem der Stoff irgendwie vorgibt, wie er denn behandelt werden möchte.
Aber ich hoffe, dass ich auch mal wieder einen Text schreibe, der dann so ist, wie du es lesen möchtest.

Deine Postitionsboje hat mich jedenfalls sehr gefreut, auch wenn sie diesmal ablehnende Signale gesendet hat. Die sind für mich aber dennoch sehr aufschlussreich (so wie die negativen Reaktionen anderer). Auch wenn es dem geschrieben Text nicht mehr weiterhilft im Sinne einer Änderung, so ist man als Schreiber durch solche Reaktionen immer wieder angehalten, sich selbst zu hinterfragen und sich Gedanken zu machen, wieso schreibe ich das jetzt so und ich nicht anders.


Liebe Grüße

Sam

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 26.12.2009, 21:53

Lieber Sam,

ich bilde wohl irgendwie die Mitte von allen bisherigen Kommentaren - irgendwie ging es mir (und das ist der erste Text von dir, bei dem es mir so geht) nach dem Lesen so ähnlich wie Gabriella und Yorick, ich kam am Ende des Textes an und war vollkommen emotionslos. Ich war nicht einmal enttäuscht oder ähnliches. Was zugleich sofort da war, war die Assoziation zu bestimmten Medienereignissen wie Natascha Kampusch, Selbstmördern oder gar Amokläufern und dergleichen, die man irgendwie mitbekommt, selbst wenn man keinen Fernseher hat. Deine Geschichte ist ähnlich aufgebaut, wie man Bericht erstattet bekommt, mischt man die verschiedenen Erstatter: BILD, Dokus, Interviews, Explosiv und wie die alle heißen: Da tauchen Stimmen auf, private (Freundinnen, Schulkameraden), öffentliche, analysierende, plumpe, primitive, feinere und man nimmt daran teil, indem man das ganze meiner Meinung nach in erster Linie konsumiert. Konsumiert meiner Meinung nach, weil man sofort und unmittelbar während des Schauens eine Haltung zu dem ganzen aufbaut (mal ganz platt: das arme Schwein, die Bestie, die Rabenmutter etc.), ohne dass man eigentlich ein "natürliches" Gefühl dazu haben kann. Und man hält dann diese Haltung für ein authentisches Gefühl. von dem aus man dann verurteilt oder freispricht. Wie fern diese Zustände aber von den betroffenen Menschen entfernt sind, sieht man, wenn man selbst Betroffener ist: Da sieht man auf einmal, dass solche eingenommenen Haltungen nur scheinbar mögliche moralische Positionen sind, werden sie praktisch geprüft fällt man mit seinen Urteilen wie eine von diesen Comicfiguren hinab, wenn die über einen Abgrund hinausgerannt sind und nach unten schauen (erst wenn es ihnen auffällt). Mir kommt das manchmal so vor, dass in unserer dermaßen berichterstattenden Medienwelt, die ganze Gesellschaft sich in einer solchen ÜberdenAbgrundhinausluftsphäre befindet..wir sind Millionen schon längst über den Abgrund hinausgeschossene Comiccfiguren, die nur nicht fallen, weil untereinander abgemacht ist, nicht nach unten zu sehen...und das schlimmste eben: Man denkt, dass seien echte Empfindungen.

Bei deiner Geschichte dann ist es anders: Sie ist - wie gesagt ähnlich konstruiert wie der Presserummel nach einem bestimmten Vorfall: die verschiedenen (durchaus stereotypischen (@Klischeevorwurf) Stimmen (man könnte die Stimmen ziemlich leicht bildlich werden lassen, sich Millieu, Kleidungsstil, Photos etc. dazu denken, so leicht, dass es einem Sorgen machen sollte) und vor allem das Fehlen der Anwesenheit der betroffenen Person(en), was hier stilistisch sehr gut auserzählt ist, indem man erahnt, dass die innere Weichheit (keine Gegenspannung aufbauen zu können) des (x-beliebigen) Jungen, die zu dem Brotschlucken führt, sehr zusammenfällt mit dem, wie dann mit seinem Fall umgegangen wird von den anderen, die hören &sagen.

Es blieb dabei, dass der Text mich kühl/reglos zurückließ und dass ich immer noch überlege, er hätte erzähltechnisch oder andersweitig irgendetwas anders machen müssen, aber er hat mich doch zu den oben stehenden Gedanken und Bewegungen gebracht und das sind ja in der heutigen zeit nicht gerade unwichtige Reflexionen.
Es ist dann die Frage, ob ich dennoch nach all dem an die Geschichte die genannten Ansprüche stelle, weil ich eben genau so gepolt bin, wie ich es oben beschrieb (Comicfigur), oder ob man es anders noch emotionaler (aber eben echt emotional) hätte gestalten können. Für mich das auch eine Frage, wie Kunst eigentlich wirkt, insbesondere im Vergleich zu den angesprochenen Medien - wirken sie letztlich, ihre Suggestionen, nicht sehr ähnlich und kann diese Geschichte nicht deshalb durch die medienanaloge Methode gerade dies/uns vorführen?

Derzeit glaube ich: Ja, das kann sie. In diesem Sinne musste ich beim Titel auch an "Brot&Spiele" denken, nur dass der Unterhaltungsfaktor hier eben fortgelassen wurde bzw.: werden konnte. Wir sitzen alle in einer Arena und fressen Brot in uns hinein, nur wird kein Spiel daraus ...

(Als äußerst kirchenkritische Person hat mir übrigens der konkrete Hintergrund, auf den das alles aufgebaut ist, sehr gefallen. Einfach, weil ich da Parallelen sehe: Zwischen den zu großen Teilen hohlen Gesetzen der Kirche oder religiösen Ideen und Engnissen und der Wahrheitsverkündung der Medien. Das finde ich sehr gelungen.)

liebe Grüße,
Lisa

Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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leonie
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Beitragvon leonie » 26.12.2009, 23:02

Liebe Lisa,

nach diesem differenzierten Kommentar, dem ich mich wirklich in den allermeisten Teilen anschließen kann, muss ich aber doch sagen, dass ich das hier
Lisa hat geschrieben:Zwischen den zu großen Teilen hohlen Gesetzen der Kirche oder religiösen Ideen
als ein Klischee empfinde, von dem ich vermute, dass es genau in die Falle tappt, die Du weiter oben beschrieben hast.
Ich jedenfalls frage mich, was Du meinst und wieweit das, was Du meinst, an der Realität überprüft ist.
(Ich kann das nicht mehr hören, ich kenne einfach viele Kirchenvertreter, die "Drecksarbeiten" machen, die sonst niemand machen möchte, Todesnachrichten überbringen, Suizidanten von Fermeldemasten runterquatschen, demente Menschen besuchen, Trauernde und Sterbende begleiten und vieles mehr. Ich kenne auch ziemlich viele, die weitaus weniger moralisch sind, als Leute, die sich für besonders fortschrittlich und liberal halten. Zumindest in der protestantischen Kirche gibt es auch keine "Gesetze" in der Art wie Du sie vermutlich meinst, sondern aoft eine differenzierte Meinungsvielfalt....)

Liebe Grüße

leonie

P.S. Den Typen, den Sam beschreibt, gäbe es wohl eher in einer Sekte....

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 27.12.2009, 20:28

Liebe leonie,

natürlich gibt es emsige, unerbittliche, gutherzige und absolut ehrenwerte Menschen, die innerhalb von Kirchen für andere Menschen da sind, natürlich. Es steht wohl aber auch außer Frage, dass auch anderes der Fall ist und ich lese hier in dieser Geschichte von solch einem Fall, darum an dieser Stelle der negative Verweis, es scheint mir natürlich an dieser Stelle in diese Richtung eine Diskussion anzustoßen/ meine Skepsis anzumerken und dass muss dann nich automatisch unangebracht oder klischeehaft sein, oder?
Und ob ich zwischen Kirche und Sekte so klar unterscheiden möchte, wie du es einforderst, das weiß ich auch nicht, schon allein historisch betrachtet bietet sich da ein weites Feld. Für mich(!) bleibt bei aller geleisteten Nächstenliebe von einzelnen Personen die Grundidee/Haltung aller christlichen Religionen ungesund.

liebe Grüße,
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Beitragvon leonie » 27.12.2009, 22:05

Liebe Lisa,

ich empfand die Art wie Du es formuliert hast als Klischee.

Für mich gibt es relativ klare Unterscheidungsmerkmale zwischen Kirche und Sekte.

Und dass es für Dich so ist, ist für mich okay.
Ich möchte aber auch zu bedenken geben, dass es Untersuchungen gibt, die besagen, dass Menschen, die glauben, glücklicher und gesünder sind. Dabei handelt es sich vermutlich unter dem, was mit "Glauben" bezeichnet ist als etwas sehr anderes als das, was Du meinst.

Mich würde interessieren, was Du mit "die Grundhaltung/die Grundidee" aller christlichen Religionen meinst.
Ich glaube, dass es die so nicht gibt, sondern eine Vielfalt von Interpretationen und Haltungen. Und dabei sind sicher solche, die krank machen können. Aber auch solche, die heilsam und befreiend sind. Ich glaube, letztere haben von der Grundidee, wie ich sie sehe, mehr verstanden. Viel mehr.

Ich erlebe z.B. gerade im Familienkreis wie ein Pastor ein Kind, das seinen Vater verloren hat, auf eine Weise in der Trauer begleitet, die ich für richtig gut und heilsam halte. Und das hängt natürlich mit seinen Grundüberzeugungen zusammen....

(Was nicht heißt, dass andere da nicht auch tun würden ohne diese christliche Überzeugung).

Liebe Grüße

leonie

Klara
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Beitragvon Klara » 28.12.2009, 09:24

Hallo Sam,
(keine Kommentare gelesen) ein spannender Text... (Gibt es Spangenbach und diese Brotbuße wirklich?)
Meine Lieblingsstellen:

Off Topic
Sein Gesicht ist von der Pubertät ein wenig hergenommen


Off Topic
"da war er richtig gut drauf – zumindest blutwertechnisch."


Off Topic
"wenn die einen Salatkopf ganz oben auf die Kiste legt, nehmen Sie immer den, der darunter liegt"


Off Topic
Über Religion? Nee, über Religion haben wir nicht gesprochen, wieso?“


Meine Wutstelle:
Off Topic
"Wenn es weh tut, dann ist es immer notwendig, sonst ließe sich das ganze Konzept ja nicht mit der allumfassenden Liebe vereinbaren, die mit dem Gottesbegriff verbunden ist.“
Die Verherrlichung des Leidens. Jesus blutend überall. FÜR UNS. Er wurde geboren, um für uns zu leiden. Das ist so eine traurige Grundlage. Warum durfte er nicht für uns glücklich sein? Warum musste er Feinde hinterlassen, die es zu bekämpfen, zu missionieren gilt? (Stimmt es, dass nur zwei der fünf großen Religionen missionieren: Christentum und Islam? Und Judentum, Hinduismus, Buddhismus nicht?)


„Ganz normaler Junge. Absolut unauffällig. Höchstens ein wenig nachdenklich, aber auch nicht wirklich. Sporadisch apathisch, aber wer von den Jugendlichen ist das nicht? Ich arbeite nun wirklich schon lange genug mit den Kids, um zu wissen, dass die ab und an mal ausschalten. Verarbeitungsphase nenne ich das. Der Eine verprügelt dann seinen Tischnachbarn. Und der Andere, der starrt einfach Löcher in die Luft.“


noch feilen könnte man - in einem so ausgefeilten Text wie diesem - hier:
Off Topic
Spangenbach holt weit aus, natürlich immer im gewohnt süffisanten Ton, der stets den aufgeklärten Atheisten durchscheinen lässt.
"natürlich immer im gewohnt", noch dazu kombiniert mit "stets" ist zu viel für meine Augen. Und auch ein TONfall, der etwas durchSCHEINEN lässt, ist ein Bildbruch. Ausreichend wäre: Spangenbach holt weit aus, im gewohnt süffisanten Tonfall, der den aufgeklärten Atheisten - was weiß ich: durchreicht? zeigt? mitschwingen lässt?

und hier:
Off Topic
Einer seiner Klassenkameraden bemerkt:
„Wer weiß, vielleicht hatte er einfach nur Hunger.“

"Wer weiß" würd ich streichen und schreiben (auch, weil Jugendliche so nicht reden): "Vielleicht hatte er auch einfach nur Hunger."

Schwächer finde ich diese Stelle, weil mir der Innenblick inkonsequent erscheint. Als könnte der Text sich hier nicht entscheiden: Spricht er ÜBER den Vater oder MIT ihm?
Off Topic
Der Vater erfährt von dem Vorfall, als sein Sohn schon im Krankenhaus ist. Durch eine Mail seiner Sekretärin, weil er sich für den ganzen Tag sämtliche Störungen verbeten hat. [verbeten hatte?] „Die“, hatte er gleich am Morgen gesagt und auf die dicke Tür gezeigt, welche sein Büro von dem Vorzimmer trennte, „wird heute nur noch von Innen geöffnet.“
Die Sekretärin verschwand mit einem Knurren und er ging hinter seinen Schreibtisch und ließ sich in den Stuhl fallen. Die Lehne eines sündhaft teuren Bürostuhls im Rücken zu fühlen, das gefiel ihm schon immer. Heute aber spürt er nichts. Nur ein Ziehen aus unbestimmter Richtung. Er hat in seinem Leben schon so oft über Prüfungen geredet, dass sie ihm völlig fremd geworden sind. Ihnen direkt gegenüber zu stehen, war etwas ganz anderes. Er war ein Theoretiker des Glaubens, das Praktische aber hatte viele Tücken. Es gab zweierlei Schmerzen, das wusste er. Den Schmerz der Versuchung und den Schmerz der Konsequenz. Die Konsequenz – vor allem bei seinem Sohn. Das war notwendig. Weil es in sich richtig ist, einen Weg konsequent zu gehen, sei er nun wahr oder falsch. In der Konsequenz erkennt Gott die Stärke.
In der Versuchung jedoch war er stets alleine, ihr Schmerz war nur sein Schmerz. Und wem sollte er sagen, dass er schon lange nicht mehr betete?



Hier würde ich für den Erzählfluss straffen:
Off Topic
Er ruft zurück, und zwei Stunden später kommt er in die Klinik.

("Er ruft zurück, und" streichen.) Er ruft zurück bringt mir keine neue Information oder Spannung. Warum er erst zwei Stunden später kommt, bleibt auch so als Frage im Raum stehen.

(Ist es wichtig, dass die Mutter Peer Gynt liest? Sinnvoll, wenn man keinen "Hint" dazu bekommt? Ibsen war, glaub ich, kein Katholik, auch wenn er wohl auf seine Art mit der kirchlichen Lebensverdrängung kämpfte.)

Verstehe ich nicht:
Off Topic
Sie hasst diesen Klingelton, weil er etwas Schönes entstellt.
Glocken?

Meine Würgstelle:

Off Topic
"Und bei dem Elternhaus, ich meine, der Vater ist Verkaufsleiter bei einer nicht unbekannten Firma, verdient nicht schlecht, die Mutter ist nur Hausfrau, d.h. ständig zu Hause, um das Kind zu versorgen. Das sind Traumvoraussetzungen. Ich würde mir wünschen, alle Eltern wären so. Da könnten die religiös gerne ein wenig überzogen sein. Aber ansonsten ist das doch optimal.“


Das Ende kommt arg abrupt, bricht ab, finde ich. Warum so plötzlich?
Was ist das für ein Hunger?

Grüß dich!
klara

Klara
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Beitragvon Klara » 28.12.2009, 09:36

Off Topic
...ups, ich glaub, ich hab das mit der neuen Zitatfunktion noch nicht raus
vergebt mir :)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 28.12.2009, 10:18

Hallo Lisa,

(Als äußerst kirchenkritische Person hat mir übrigens der konkrete Hintergrund, auf den das alles aufgebaut ist, sehr gefallen. Einfach, weil ich da Parallelen sehe: Zwischen den zu großen Teilen hohlen Gesetzen der Kirche oder religiösen Ideen und Engnissen und der Wahrheitsverkündung der Medien. Das finde ich sehr gelungen.)

Es steht wohl aber auch außer Frage, dass auch anderes der Fall ist und ich lese hier in dieser Geschichte von solch einem Fall

Ich finde das spannend, dass du sehr genau analysierst und erkennst, wie diese Berichterstattung wirkt, aber selbst, so scheint es mir zumindest auch, bei diesem Text dann trotzdem wieder genau diesen Mechanismen unterliegst.


Hallo Sam,

Auch wenn er daherkommt, wie ein Bericht, so sind es doch diese Dinge, wie die erwähnung einer katholischen Sekte in Verbindung mit einer nichtexistierenden Bußform, die erkennen lassen, dass es sich hier um ein Konstrukt handelt.

Aber durch die ganze Anlage und Gestaltung des Textes (unter anderem die von dir angeführten Kritikpunkte) wird doch deutlich, dass man dem Gesagten nicht trauen kann.

Dann hat der Text ja bei mir zumindest in dieser Hinsicht funktioniert. :-)
Danke für deine ausführliche Antwort. Ich bin gespannt, wie sich die Diskussion noch entwickelt.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Herby

Beitragvon Herby » 28.12.2009, 11:13

Irgendwie muss ich bei der folgenden Stelle...

"Wenn es weh tut, dann ist es immer notwendig, sonst ließe sich das ganze Konzept ja nicht mit der allumfassenden Liebe vereinbaren, die mit dem Gottesbegriff verbunden ist.“

...immer an den Wahlspruch meiner Tante denken. Sie war Benediktinernonne in einem Kloster bei Bonn und sagte so oft: "Wen Gott liebt, den züchtigt er." Da sträuben sich mir die Nackenhaare...


LG Herby

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Beitragvon leonie » 28.12.2009, 12:23

Herby hat geschrieben:Irgendwie muss ich bei der folgenden Stelle...

"Wenn es weh tut, dann ist es immer notwendig, sonst ließe sich das ganze Konzept ja nicht mit der allumfassenden Liebe vereinbaren, die mit dem Gottesbegriff verbunden ist.“

"Wen Gott liebt, den züchtigt er." Da sträuben sich mir die Nackenhaare...


LG Herby


Mir auch! Das gehört in die theologische Mülltonne. Das findest Du heute allenfalls am rechten Rand, ist aber keineswegs allgemeine theologische Überzeugung.


Liebe Lisa,

ich kann das so nicht stehen lassen.

Lisa hat geschrieben:Und ob ich zwischen Kirche und Sekte so klar unterscheiden möchte, wie du es einforderst, das weiß ich auch nicht, schon allein historisch betrachtet bietet sich da ein weites Feld.


Wie fändest Du so eine Aussage, um mal provozierend zu werden:

Ob ich zwischen Nazis und Deutschen unterscheiden möchte, weiß ich nicht, schon allein historisch betrachtet bietet sich da ein weites Feld.
Oder zwischen Stasi und Linke oder gar Ossis.

Ich finde, Vorurteile beginnen oft damit, dass jemand nicht bereit ist zu differenzieren. Und auch oft damit, dass jemand etwas von vor zweihundert oder fünfzig Jahren nahtlos auf heute überträgt.
Ich meine, man kann sich nur dann ein Urteil anmaßen, wenn man eine fundierte Kenntnis auch der gegenwärtigen Situation hat. Wenn man mit Menschen gesprochen hat, die einen Einblick haben. Wenn man sich über den aktuellen (theologischen) Stand informiert hat.
Ich habe ehrlich gesagt nicht den Eindruck, dass das hier zutrifft.

Ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Kirche und Sekte ist zum Beispiel, dass Sekten ihren Mitgliedern den Kontakt zur Außenwelt abschneiden, dass sie einen Absolutheitsanspruch auf deren Leben und Besitz stellen.

Ich empfinde es gelinde gesagt als unverschämt, das nicht von den Kirchen unterscheiden zu wollen. Und auch innerhalb der Kirchen gibt es eine Bandbreite von links bis rechts, da wirst Du mit Deiner Haltung dem allergrößten Teil der Mitglieder absolut nicht gerecht, meine ich. Ich hätte da etwas mehr Differenzierungsvermögen erwartet - wie ich es sonst von Dir kenne und an Dir schätze.

Liebe Grüße

leonie

Herby

Beitragvon Herby » 28.12.2009, 13:04

Liebe Lisa,

das führt zwar jetzt vermutlich weg von Sams Text, dennoch möchte und muss ich nachhaken. Auf die eine Stelle deines Kommentars hat leonie schon hingewiesen. Mich beschäftigt daneben eine zweite, nämlich die folgende:

"Für mich(!) bleibt bei aller geleisteten Nächstenliebe von einzelnen Personen die Grundidee/Haltung aller christlichen Religionen ungesund."

Auch wenn du betonst, dass dies deine ganz persönliche Sicht ist, wäre ich dir schon für eine nähere, differenzierte Erklärung dankbar, um sie zu verstehen. Was meinst du mit Grundidee bzw. Haltung? Inwiefern ungesund? In dieser vagen Formulierung bleibt es für mich unverständlich.

Liebe Grüße
Herby


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