Sie sterben auf der Liste

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Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 08.10.2010, 14:37

Sie sterben auf der Liste

Offiziell gibt es sie nicht, die Zweiklassenmedizin. Inoffiziell sieht die Sache schon anders aus. Als Kassenpatient einen schnellen Termin beim Facharzt zu bekommen ist schon fast aussichtslos. Tritt man als Privatversicherter auf, löst sich die übervolle Praxis und der ausgebuchte Terminkalender plötzlich in Luft auf.
Benachteiligungen, die sogar schon lebensbedrohende Formen für die Kranken angenommen haben, sollen immer mehr gängige Praxis auch in Krankenhäusern sein.

Im Gegenzug versucht man immer wieder auf die Bevölkerung einzuwirken sich doch mit der Ausstellung eines Organspenderausweises anzufreunden. Man zeigt die Not, in der sich kranke Menschen befinden, die auf ein Spenderorgan hoffen und nur damit eine Chance auf Leben erhalten.
Da kann der gesetzlich Versicherte nur misstrauisch werden. Liegt er dann etwa ein paar Stunden länger unbehandelt auf seiner Liege im Krankenhausflur?
Natürlich gibt es das offiziell nicht, aber was gibt es bereits inoffiziell?
Lässt man tunlichst die schwerkranken Menschen auf der Organwarte-Liste sterben, weil man sich nicht mehr sicher sein darf, dass man als gesetzlich versicherter Kassenpatient mit Organspenderausweis überlebt?
Die Schönheit erklärt man nicht, man empfindet sie (Peter Rosegger).

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.10.2010, 21:00

Hallo,

also mich hat der Text nicht überzeugt, weil ich von einer Kolumne eben mehr Aufwand erwarte, als das, was mir selbst zu einem Thema im Kopf herumgeistert, wenn ich mal eben so aufgrund von geweckten Ängsten (die ich durchaus habe, wenn ich mich drauf konzentriere, denn auch ich habe jede Menge "unglaubliche" Geschichte zu dem ganzen gehört). Ich selbst etwa käme zu ähnlichen Gedanken in Bezug auf das, was so ein Krankenkassen- und Versorgungssystem, das Teil des Systems "Geld zu erwirtschaften" ist, auf die der Text kommt. Aber meine Gedanken hören eben (aus Faulheit, letztlicher Unbetroffenheit, Unmündigkeit und dergleichen) an der bloß mutmaßenden Stelle auf - - an der dann aber leider auch der Text aufhört.
Wenn ich den Text lese, dann kommt mir das vor, als würde mich jemand an der Bushaltestelle auf dieses Thema ansprechen und da man sehr schnell an seine Informationsgrenze stößt, wird man (weil der Bus nicht kommen will und man nun mal angefangen hat zu reden) eben "polemischer", "schlagenzeilenhafter", man "tratscht" oder ist zumindest hilflos oder übferfordert das Tratschen des Gegenübers zurückzuweisen.
Doch der Aufwand des Textes legt meines Achtens das Niveau des Textes fest. Für mich sollte ein Text eben genau so nicht sein, er sollte sich anstrengen informativ, versiert, interessant, kurz "bildend" oder zumindest scharfsinnig zu sein. Er sollte den Leser klüger machen oder - sofern die Leser schon klug sind - ihnen Lust verschaffen (weil Realität sein), weiterhin da an dem Thema dran zu bleiben.
Das sehe ich bei diesem Text hier nicht.
Was nicht heißt, dass ich nicht glaube, dass du, Alma, viele Erfahrungen gemacht hast, die die entsprechenden Ängste in dir geweckt haben und darin auch was hintersteckt, was sich lohnt zu bearbeiten. Nur muss dieses Material eben auch entsprechend aufbereitet werden.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Louisa

Beitragvon Louisa » 12.10.2010, 21:02

Formidable!

Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 18.10.2010, 12:13

@Lisa
Das wäre dann schon wieder eher ein Aufsatz, doch ich möchte bei einer Meinungsäußerung bleiben. Mehr ist nun mal eine Kolumne nicht. Nur über das unvollständige wird nachgedacht, das perfekte wird abgelegt. Der Mensch konsumiert, möchte seine Erwartungen erfüllt haben. Nur dort, wo sie nicht erfüllt werden fängt er an nachzudenken und darüber zu sprechen.

Liebe Grüße
Alma Marie
Die Schönheit erklärt man nicht, man empfindet sie (Peter Rosegger).

Louisa

Beitragvon Louisa » 20.10.2010, 14:50

Hallo Alma Marie Schneider,

Hast du mal die gesammelten Kolumnen von Harald Schmidt gelesen?

Das sind sehr schöne Beispiele, wo ebenfalls oft nur über eine Schlagzeile aus den Medien in deutlich längerer Form als bei deinen genau 10 Sätzen (zu wenig!) zu meines Erachtens mindestens 2 großen Themen (zu viel!) gesprochen wird.

Hier ein nettes Beispiel zu einer Schlagzeile:

http://www.focus.de/magazin/harald_schm ... 36791.html

Wenn du es gelesen hast merkst du vielleicht auch, was ich mit Biss/Überspitzung und persönlichen oder fiktiven Erfahrungsberichten (in pointierter Weise) meinte.

Es ist und bleibt für mich zu wenig und zu banal, was in deinem Text steht.

Und die Aussage, dass ein unvollständiger Text, der nicht die Erwartungen des Lesers erfüllt deshalb zum Nachdenken anregen soll finde ich auch höchst zweifelhaft.

Da könnte ich auch sagen:

Schlagzeile: Verliebte empfinden weniger Schmerzen.

Kolumne: Oh, das finde ich gut. Vielleicht emfpinden Verheiratete doppelt so viele Schmerzen. Das Schmerzempfinden des Menschen wird im Gehirn gesteuert. Die Mediziner reden auch jede Woche etwas anderes.

Fertig.

So einen Informations- und Meinungsgehalt hat dein Text für mich.

Und trotzdem finde ich dein Thema und manche deiner Ideen gut und lobenswert - Ich sehe nur (wie so oft) auch hier nicht ein wieso man sich nicht an eine Zweitfassung trauen kann und wieso dieser Text nicht noch einmal überarbeitet werden kann. Verstehe ich nicht.

Noch mals Lisas Beitrag beipflichtend und liebe Grüße versendend,
l

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 20.10.2010, 20:35

Liebe Alma,


Das wäre dann schon wieder eher ein Aufsatz, doch ich möchte bei einer Meinungsäußerung bleiben. Mehr ist nun mal eine Kolumne nicht.


Also ich finde, es sollte schon eine Meinungsäußerung mit einer bestimmten Qualität sein. Der Text sollte sich zwar bewusst sein, dass er eben diese ist, aber etwa mehr Energie darauf verwenden, eine - in seinen Augen - möglichst erstrebenswerte Meinung bzw. Textkonstruktion zu haben.

Nur über das unvollständige wird nachgedacht, das perfekte wird abgelegt. Der Mensch konsumiert, möchte seine Erwartungen erfüllt haben. Nur dort, wo sie nicht erfüllt werden fängt er an nachzudenken und darüber zu sprechen.


Das klingt natürlich richtig. Und wenn ein Text die Intention hat, durch das Nichterfüllen der Erwartungshaltung den Leser zum Nachdenken anzuregen, ist das ein möglicher (und in meinen Augen feiner) Ansatz. Allerdings sollte man diese Definition nicht dazu nutzen, einfach einenText, der als unzureichend kritisiert wird, mit ihr zu rechtfertigen. Ich meine, ich könnte dann auch irgendein polemisches Einsatzurteil schreiben und das Kolumne nennen und sagen: Ich will eben die Erwartungshaltung nicht befriedigen...
Bei diesem Text sehe ich wie gesagt nicht, dass er sich über das gängige Gedankenmachen erhebt. Und darin sehe ich gerade, dass er eher die Erwartungshaltung, die du selbst ansprichst, befriedigt, eben weil er genau das liefert, was die Leute denken: sie können wie bisher auch weiterdenken und polemisieren. Die Leute rennen ja auch nicht ins Theater, weil sie eine Soap im Fernsehen unbefriedigend empfinden, sondern...genau. Im besten Falle setzt du hier einen gebildeten Leser voraus. Der braucht dann deinen Text aber nicht mehr und auch nicht mehr im Sinne des Anspruches des Textes nachzudenken. Ein ausdifferenzierter oder tieferer Text (was auch immer) könnte immer noch genauso offen und denkanstoßend gestaltet sein, so meine Meinung.

liebe Grüße,
Lisa
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