Tschüss Wehrpflicht!

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Quoth
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Beitragvon Quoth » 16.12.2010, 09:25

Tschüss Wehrpflicht!

Die Wehrpflicht wird abgeschafft. Trauere ich ihr nach? Keineswegs. Dennoch war sie auch nicht nur schlecht. Sie hat mir das Rückgrat gestärkt, physisch und psychisch. Auch habe ich dort Freundschaften geschlossen, die lange hielten. Es macht einen Unterschied, ob man sich an der Uni einen Freund unter vielen aussucht oder ob man unter dem Druck, unter dem das Soldatenleben steht, jemanden findet, der ihn ertragen hilft. Und es gab in den alten Kasernen dies Gefühl: Hier könnte schon dein Vater gedient haben! Irgendwie bleibt alles immer gleich bei allem Wandel. Soldaten gab es immer, es wird sie immer geben, auch ohne Wehrpflicht. Es ist gut, verstanden zu haben, wie sie denken und fühlen, auch wenn ich nur im brüchigen Frieden des Kalten Krieges Soldat war. Und dann das Schlafen! Seit ich gedient habe, kann ich immer schlafen, wenn ich müde bin. Die nie auszuschließende Möglichkeit, dass man durch einen Nachtalarm aus dem ehedem so heiligen Schlummer gerissen wird, hat mir einen gesunden Fatalismus anerzogen. Ich konnte schließlich im Regen auf nackter Erde schlafen, während sich die Kapuze langsam mit Wasser füllte und die Triebwerke startender Fiat G91 kreischten.

Noch eines hat mir gutgetan. Wir mussten mal rechts-, mal linksum machen, das sind jeweils Vierteldrehungen um die eigene Achse. Oft stand ich und schaute meinem gesamten Zug in die feixenden Gesichter. Ich bin Linkshänder und wurde in der Schule gezwungen, mit Rechts zu schreiben. Die allzu beflissene Linke wurde mir am Stuhl fest gebunden. Seither hatte ich eine Seitenstörung und verwechselte rechts und links. Es müsste mal ein runder Tisch für die erzwungenen Rechtsschreiber ins Leben gerufen werden! Im Wehrdienst habe ich rechts und links besser unterscheiden gelernt. Da auch Gewehre und MGs für Rechtshänder konstruiert sind, hatte ich mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden und wurde mit meinen ungelenken und umständlichen Bewegungen verlacht. Das machte mich wütend. Und aus Wut wurde ich der beste Schütze. Die Rechtshänder standen betreten da, wenn der Unteroffizier kopfschüttelnd feststellte: „Ihr Rechtstrottel schießt schlechter als dieser Linkspoot! Armes Deutschland!“

Nachts durch ein verschlafenes bayrisches Dorf marschieren – im Gleichschritt ... Diese Knobelbechermusik kennt man aus Filmen – aber es gibt sie wirklich, und es ist unheimlich, zu denen zu gehören, die brrrt, brrrrt, brrrrt, brrrrt, in das nur das Klicken und Klirren der Gewehre, der Kochgeschirre und Koppel hineintönt, wie ein Tatzelwurm durch so ein fest schlummerndes Gemeinwesen kriechen ... Wenn man uns jetzt befohlen hätte: „Häuserkampf! Macht alles nieder, was sich euch in den Weg stellt!“ Grauenhafte Vorstellung. Aber wir hätten nicht gehorchen müssen!

Denn es gab Gesetze, zum Beispiel die wirklich gute Wehrbeschwerdeordnung. Ich habe mich einige Male beschwert. Das ist es, was ich meine, wenn ich vom Rückgrat sprach. Aber ich hatte auch Kameraden, die unter dem Druck des Unrechts, das ihnen widerfuhr, einbrachen. Die wurden dann als Wehrpflichtwracks entlassen – ver-, wenn nicht gestört, oft zum Zynismus neigend, verbittert. Ich hatte das Glück, in Feldwebel S. einen Gegner zu finden, der Schwächen hatte. Er trank, auch im Dienst. Eines Tages blieb ich im Gefechtsdienst stehen, als ich mich hätte zu Boden werfen sollen. „Warum liegen Sie nicht auf dem Pinsel?“, wurde ich angebrüllt. „Weil ich es mir auch im Ernstfall nicht leisten könnte, einem Betrunkenen zu gehorchen.“ Der Feldwebel wurde eingekreist und in die Unterkunft geleitet, das Kommando übernahm sein Stellvertreter. Ich wurde zu einem Gefreiten aufs Zimmer geschickt und dort auf urbayrische Weise lustvoll zusammengeschissen. Als ich auf mein Zimmer ging, heulte ich. Das sah ein Offizier und wollte wissen, was los war. Ich sagte es ihm. Feldwebel S. wurde auf Pfingstwache gesetzt. Dafür rächte er sich, indem er die Kompanie gegen mich aufhetzte und ihr ebenfalls den Urlaub strich. Mir drohte der „heilige Geist“. In dieser Situation war es, dass ich Freunde fürs Leben fand. Dann wurde ich für eine Kleinigkeit mit Kloputzen bestraft. So sauber waren die Klos noch nie wie nach meinem Putzen. Die ganze Kompanie war mir dankbar. Ich schrieb eine Beschwerde über Feldwebel S. Der Kompaniechef bat mich, die Beschwerde zurückzunehmen: „Haben Sie die Narbe auf seiner Stirn nicht gesehen? Er ist hirnverletzt!“ „Warum setzt man Hirnverletzte als Ausbilder ein?“ „Wir haben doch zu wenig Leute!“ „Gut, ich ziehe die Beschwerde zurück, wenn er sich entschuldigt.“ Er wurde gerufen. Was dann kam, war schrecklich. Er kroch förmlich vor mir. Dass er mir nicht die Hände küsste, war alles. Er hat sich nie wieder an mir vergriffen.

Diese Erinnerung widme ich den Kameraden, die mir damals beistanden (und ich dann später ihnen): Jochen, Hans-Peter und Jürgen.

Tschüss, Wehrpflicht!

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 18.12.2010, 15:20

Was die Komik betrifft: Der hierarchische Druck von Institutionen produziert sie unablässig. Das ist wie mit den Nazi- und Genossenwitzen: Überall wo Menschen sich über andere stellen, machen sie sich auch lächerlich, und dieses Lachen macht die Hierarchien überhaupt aushaltbar.

Absolut richtig. Und so sind mir auch viele Dinge in Erinnerung geblieben: aus der Distanz betrachet absolut lächerlich. Und dennoch scheint mir in Anekdoten über einem Bier, in dem Verbrüdern in verklärter gemeinsamer Erinnerung auch immer die Gefahr der Verharmlosung zu liegen. Nicht, dass Du das mit Deinem Text tätest, das Wort Anekdote kam in der Tat erst später in der Diskussion.

Zum Text: er ist mir zu nah und zu fern. Du ziehst eine recht positive persönliche Bilanz. Ich hatte damals das Rückgrat nicht, aber Glück genug, keinen ernsthaften Schaden zu nehmen. Das Trauma ist bei mir denn auch eher die eigene Schwäche: nicht verweigert zu haben, nicht widerstanden zu haben, nicht oft genug widersprochen zu haben. Vielleicht auch der Schrecken davor, dass mir manche Dinge sogar gefallen haben. Das Schießen an sich z.B. fand ich ganz nett. Ich schoß nicht so schlecht für einen Brillenträger, war eine sportliche Herausforderung. Aber im Hintergrund war (und ist) mir natürlich der Zweck der Übung klar. Es ist kein Spiel. Und damit bleibt mir einfach keine sehr positive Erinnerung an den Bund.

carl
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Beitragvon carl » 04.03.2011, 12:56

Hallo Quoth,

mir gefällt dein Text sehr gut!

Die Beiläufigkeit, mit der du die "Anekdoten" einflichtst, verharmlosen die Situation keineswegs.
Auf mich wirkt sie auch nicht wie ein Stilmittel (das man oft findet, wenn eine Ungeheuerlichkeit durch ironisches Kleinreden extra herausgestellt werden soll).
Besonders, weil dir die zivile Gesellschaft mit ihren Erziehungsmethoden Einschneidenderes angetan hat als der Bund.

Du erzählst beiläufig, weil du ein anderes Thema hast, als den Bund: die Freundschaft.
Eine Freundschaft, die unter schwierigeren Bedingungen geschlossen wurde, als in der Studentenkneipe.
Die tiefer geht. Du widmest den Text sogar ausdrücklich deinen Freunden.
Der Bund ist hier tatsächlich nur Rahmenhandlung. Deshalb auch das lockere "Tschüss Wehrpflicht".

Deshalb hätte ich als Leser gerne mehr über die Situation erfahren, in der ihr "euren Bund fürs Leben" ;-) geschlossen habt .
Ich weiß, das geht ans Eingemachte und du wirst nicht gerne darüber öffentlich reden wollen.
Hier läge nun die literearische Kunst, die nötige Verfremdung mit der nötigen Authentizität zu vereinen.
Die Geschichte würde dadurch enorm gewinnen!

Liebe Grüße, Carl

Quoth
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Beitragvon Quoth » 05.03.2011, 18:04

Hallo Carl,
sehr nett, dass Du den Text noch mal aus der Versenkung geholt hast! Daran, ihn auszubauen, denke ich aber nicht. Ich glaube, dass er gerade die Leerstellen braucht, um zu wirken. Ich habe beim Bund auch meine erste kunsthistorische Unterweisung bekommen. Vielleicht mache ich daraus noch mal was!
Mit Dank für Lektüre und Befassung
Quoth
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