Unterboden

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 16.07.2011, 04:40

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Zuletzt geändert von Renée Lomris am 06.08.2011, 17:54, insgesamt 8-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 20.07.2011, 11:10

Hallo Renée,

(Entschuldige, dass es eine wenig gedauert hat.)

Das ist ein Text, bei dem ich zwar durch den schönen beschreibenden Einstieg gleich dort bin, aber dann doch auch wieder recht schnell ratlos vor dem Gezeigten stehe. Ich denke, das hat tatsächlich wieder mit der Außen-Innen Thematik zu tun, über die wir gesprochen hatten. Mir scheint diese Geschichte funktioniert nur, wenn man die größere Geschichte dazu kennt und die Lücken und losen Fäden im Text selbst füllen kann. So kann ich am Ende nicht einmal sagen, ob die Vorhänge und Fensterläden Schutz einer schönen, grünen, sauberen Heimat-Welt vor dem bösen Draußen darstellen sollen, oder ob sich klischeebehaftet hinter diesen Vorhängen irgendetwas "Böses" abspielte, das mit dem Vater verknüpft ist, das die Welt nicht sehen darf und der Leser nur erahnen.

Ich versuche mal meinen Irritationen nachzugehen.

Wenn du schreibst, "vom Grün des Gartens", sehe ich einen grünen Garten vor mir, durch den das Licht weichleichtgrünlichsonnig ins Zimmer fällt. Später lese ich aber von geschlossenen Fensterläden und der Vermutung von südlicher Hitze draußen, was sich für mich widerspricht.

Eine dreiflügelige Spiegelkonsole, deren Glasplatte mit drei stets leeren Flacons geschmückt war, ruhendes Kristall mit Pompons an den Füßen. Überall lebte die Erinnerung an einen Hochsommer wie sie ihn hier nicht kannten.
"Überall" – oder "in Allem"/ wirklich "lebte"? Hat diese Erinnerung etwas mit den Flacons zu tun? Warum sind sie leer? Soll mir das irgendetwas sagen? Wer ist "sie"? Welche Erinnerung?
Die Fragen an den Text wecken in mir eine Erwartungshaltung, dass ich im Verlauf der Geschichte noch etwas darüber erfahren werde. Aber das wird alles nicht mehr aufgegriffen und thematisiert, sondern bleibt einfach in der Luft hängen.

wie sie ihn hier nicht kannten.
Es flirrte hier
zwei unterschiedliche "hier" so direkt hintereinander würde ich vermeiden,


bis hin zum Kopfteil des Bettes,
Warum sollte das Flirren am Kopfteil aufhören?

Was mir auch nicht klar ist, warum du das "man" wählst, anstatt in der Ich-Perspektive zu schreiben? Es wird doch sehr deutlich, dass es sich um die Erinnerung einer Person handelt und diese Sicht und Erfahrung sich nicht auf beliebige andere Menschen ausweiten lässt? So entstand für mich kurz der Eindruck, dass es um die gemeinsamen Erfahrungen mehrerer Kinder geht und zwischendurch, das unangenehme Gefühl, dass vorausgesetzt wird, dass die Leser diese Sicht und Gedanken teilen müssten.

Nur einmal ein echter Diebstahl, ein Zehnmarkschein und der erste Kauf von Micky-Maus-heftchen,
Was ist ein unechter Diebstahl? Hier würde ich mir auch den Satzbau nochmal anschauen. "ein Zehnmarkschein, von dem die ersten Mickey-Maus-Heftchen gekauft wurden, ..."
in denen nichts Lesenswertes stand, wie sich herausstellte. Lachen konnte man noch nicht.
Es gibt sicher wenige Kinder, die sagen würden, dass Mickey-Maus Heftchen nicht lesenswert seien? Aber das mag auf eine Besonderheit dieses Kindes zeigen. Aber was soll ich dann mit einem Satz anfangen wie "Lachen konnte man noch nicht"? Auf was soll das verweisen? Hat das einen Bezug zu den Heftchen? Warum konnte man/sie nicht lachen?

In dieser verbotenen Stätte lebte etwas Besonderes.
siehe oben ... wirklich "lebte"?

Die strenge Ordnung und Sauberkeit verlieh dem pompösen Brokatgrün eine besondere Weihe. Der dreiflügelige Spiegel warf das Bild des Eindringlings dreifach zurück. Man ging schnell vorbei, verharrte einen Augenblick auf dem Bettvorleger, zupfte an der Bettdecke.
Diesen Absatz finde ich sehr gelungen.

Ein so schöner feiner Stoff, weich fließend im Gegensatz zu den dichten Vorhängen, auch hier goldenes Grün.
Ich dachte die Vorhänge wären wie Schilfgras und man sähe die geschlossenen Fensterläden hindurch? Auf was bezieht sich das "auch hier"? Auf die Vorhänge, auf den Gegensatz?
Ab hier frage ich mich, warum diese grüngoldene Farbe so wichtig ist, dass sie immer wieder erwähnt werden muss?

Erst später, viel später kommt es einem wieder, dass da zwei, drei Gegenstände lagen.
Das zeigt schön, wie Erinnerung manchmal funktioniert.

In der Schublade ein gebrauchtes Kondom, von dem man natürlich nicht wusste, was es war. Wie hat sich nur das Bild so lange im Gedächtnis halten können? Bis hin zu dem Augenblick, als man verstand, worum es sich gehandelt haben musste.
Das gebrauchte Kondom in der Schublade finde ich in diesem ordentlich sauberen Ambiente völlig unglaubwürdig und frage mich dann, wozu braucht der Erzähler das an dieser Stelle, warum wird es so herausgestellt? Was verbindet der erwachsene Erzähler mit diesem Bild und mit der Erkenntnis?

Im Nachttischschränkchen darunter die zwei drei Bücher, die einem das Grauen verschafften, eine Horrorgeschichte aus Weidenköpfen, an denen entlang ein Knäblein dem Unheil zu entrinnen suchte, das ihn bedrohte, Waldgeister, Schemen, die zu leben begannen, wenn man das alte Büchlein öffnete, kräftiger Expressionismus würde man heute sagen und fragt sich, ob man übertreibt.
Der Vater hatte immer die gleichen Bücher in seinem Nachttisch? Wie konnte das Kind sie lesen? Hat es sie mitgenommen? Dass es sie dort im verbotenen Zimmer gelesen hat, kann ich mir nicht vorstellen.
Horrorgeschichten aus Weidenköpfen??
Ein "Knäblein dem Unheil zu entrinnen suchte"? Warum verändert sich plötzlich die Sprache des Erzählers?

Zwei andere Bücher spuken in der Erinnerung herum, ohne je aus dieser wieder auftauchen zu können.
Sie tauchen doch gerade auf?

Beides Qual- und Folterbücher, die einem jenen Grundton vermitteln, eine Haut- und Lebensfarbe, die nur schwer dem Pastell menschlicher Unschuld weicht,
Wer ist "einem", der Vater, das Kind?

Das Schaurige der Lesewelt des Vaters stand im Gegensatz zu der lindgrünen Pracht der Teppiche und Stoffe, der Pompons und dem hellgrünen Schein, der sich von der Spiegelkommode her auf glänzenden Schranktüren fortsetzte.
Das kann ich aus Kindersicht nachvollziehen. Ich sehe hier aber einen erwachsenen Erzähler und mir fehlt an dieser Stelle die Reflektion. Mir scheint die Kindersicht ungebrochen weitergeführt. Auch hier habe ich den Eindruck, dass mir über die Bücher etwas über den Vater erzählt werden soll, was ich aber weder aus den gezeigten Dingen erschließen kann, noch für mich ein zulässiger Rückschluss auf den Charakter des Vaters oder sein eigenes Handeln wäre.

des proletarischen Ehebetts hing.
Was soll ich mir unter einem proletarischen Ehebett vorstellen?

Zunächst sah man darauf nur feuriges Abendleuchten inmitten eines Sees. Dort ein Nachen. Man erinnert sich genau an das Wort Nachen, wie es seinen feierlichen Einzug hielt und sich festsetzte und immer wieder auftauchte, bei Gelegenheit.
Wie kam das Kind zu diesem Wort? Mit seinen Eltern konnte es ja nicht über das Bild sprechen?

Bestimmt ahnte man zum ersten Mal, was viel später Wagner und Boecklin gemeinsam bewirken sollten, dass man sich nämlich mitten im Gesang einer Mittagsstunde befand, einer jener gestohlenen Stunden des Gottes Pan.
??? Was ahnt das Kind/man da?

Und erst jetzt sah man den Mann, dunkler Leib und helle Augen, man weiß es nicht so genau, man könnte sich das jetzt ausmalen, nur eines ist sicher, dass man sich klein fühlte, vor dem Wahn, der in dem Blick des Mannes lag, vor der freudigen Umkreisung, die diesem Mann entgegengebracht wurde von den drei Wassernymphen und man ist nicht mehr in der Lage festzustellen, was der zeitliche Abstand, die zahlreichen Verdichtungen und Übertreibungen diesem Bild an Glanz und Ausstrahlungskraft verliehen haben.
Das gefällt mir in der Reflektion der Erinnerung gut.

Man weiß nur eines, dass diese Szenerie so gewollt war, dass die Abwesenheit jeglichen christlichen Symbols hier ebenso deutliche Worte sprach, wie das Tagebuch eines Exorzisten und der Irrlauf eines Knaben durchs Moor. Micky Maus und die Späße eines Heinz Erhardt waren fern.
Hier passiert nun genau das, was ich die ganze Geschichte über befürchtet hatte, dass alles Vorgezeigte ein Zeichen sein sollte, mit Bedeutung aufgeladen war, die ich im Sinne der Erzählerin zu verstehen habe. Dieser Interpretationsdruck durch die Herausstellung nimmt dem Gezeigten aber aus meiner Sicht die Möglichkeit wirklich erzählen und eine Stimmung aufbauen zu können.

In diesem Haus, hinter diesen verschlossenen Vorhängen, in grüner Brokatimitation lebte man noch woanders, fern von hier, in einer schilfgrünen Heimat, unter dem bösen Blick der Vergangenheit.
Es ging doch bis jetzt nur um das Schlafzimmer, über die anderen Zimmer habe ich nichts erfahren und wo ist woanders, welche Heimat, welcher böse Blick, welche Vergangenheit?

Fragen über Fragen und ich finde im Text nichts, was mir persönliche eine schlüssige Antwort ermöglichen würde. Als vom Kontext losgelöster, für sich stehender Text, wirkt er daher auf mich noch nicht ausgereift. Der Ansatz über einen Raum und die Erinnerungen, die damit verbunden sind, die Entdeckungen des Kindes darin, zu erzählen, gefällt mir aber sehr gut.
Ich möchte dich mit der ausführlichen Antwort auf keinen Fall entmutigen und würde an dieser Geschichte auf jeden Fall weiterarbeiten. (Die Fragen sollst du mir natürlich auch nicht alle beantworten, .-) es soll dir nur zeigen, an welchen Stellen der Text für mich Fragen aufwirft.)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 21.07.2011, 14:10

Hallo Flora, ich hatte eine ausführliche Antwort begonnen und musste dann abbrechen, ich verspreche baldige Antwort auf beide Kommentare.

lG
R

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 23.07.2011, 23:08

Liebe Flora,

Deine Textanalyse habe ich als einigermaßen positiv empfunden - das hat mir durchaus gut getan. Natürlich sehe ich auch die Kritik, und mag diese u.U. sogar etwas sanfter entgegen nehmen als sie gemeint ist, aber ich spüre doc h den Versuch, meinen Text ernst zu nehmen. Das ist schon ein wichtiger Punkt. Dafür also herzlichen Dank.

Flora hat geschrieben:Das ist ein Text, bei dem ich zwar durch den schönen beschreibenden Einstieg gleich dort bin, aber dann doch auch wieder recht schnell ratlos vor dem Gezeigten stehe.


Das Gezeigte ist eigentlich recht einfach, wie Ferdi in einem anderen Faden schrieb, sind hier einfache gegenstände gezeigt, ein Spiegel, ein Bett, ein Bild. Nur dass bei mir den Dingen eine gewisse Bedeutung zukommt.

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 Ich denke, das hat tatsächlich wieder mit der Außen-Innen Thematik zu tun, über die wir gesprochen hatten. Mir scheint diese Geschichte funktioniert nur, wenn man die größere Geschichte dazu kennt und die Lücken und losen Fäden im Text selbst füllen kann.


Lücken und lose Enden gibt es in jedem Text? Ferdi schreibt in einem anderen Faden von einem König und von dessen Sohn, dem er einen Spiegel verschafft, den Spiegel der vielen Stunden und diese Information scheint dem Text genügend Material zu bieten, das der Fantasie entweder jegliches Vorhandensein untersagt, oder aber genauestens festlegt, wohin der Leser den Text zu lesen hat. Entschuldige diesen Exkurs, ich versuche einfach zu verstehen, warum die Genauigkeit, die Festlegung in einem Fall zu funktionieren scheinen (in Ferdis Geschichte, die einem dichterischen Gesetz zu entsprechen scheint) und warum bei einer gewissen bewussten Festlegung einer durchaus ähnlich konzipierten dichterischen Prosa der Sinn dem Leser nicht mehr Verpflichtung ist, sondern ihm entfällt wie ein saurer Apfel.

Die losen Enden gibt es in jedem Text, immer, ich kenne keinen, der sie nicht hätte und der Leser kommt mit ihnen zurecht, oder nicht. Aus anderen Gründen, nicht WEIL es lose Enden gibt. (Das hast du, muss ich zugeben, so auch nicht formuliert. --- aber ich frage mich, ob die Lesebereitschaft eines Textes nur am Autor liegt.



So kann ich am Ende nicht einmal sagen, ob die Vorhänge und Fensterläden Schutz einer schönen, grünen, sauberen Heimat-Welt vor dem bösen Draußen darstellen sollen, oder ob sich klischeebehaftet hinter diesen Vorhängen irgendetwas "Böses" abspielte, das mit dem Vater verknüpft ist, das die Welt nicht sehen darf und der Leser nur erahnen.


Ist das so wichtig? Es ist von der bösen Vergangenheit die Rede. Das könnte ebenso explizit klar und unüberlegbar sein, wie Ferdis Spiegel der vielen Stunden. Wir haben eine Vergangenheit, jeder weiß, was das ist. Sie ist nicht gut, sondern böse. Auch da können sich alsbald Einrastungen der Fantasie ergeben. Nix ist, wo nix intendiert ist

Ich versuche mal meinen Irritationen nachzugehen.

Wenn du schreibst, "vom Grün des Gartens", sehe ich einen grünen Garten vor mir, durch den das Licht weichleichtgrünlichsonnig ins Zimmer fällt. Später lese ich aber von geschlossenen Fensterläden und der Vermutung von südlicher Hitze draußen, was sich für mich widerspricht.


die südliche Landschaft kennt auch Grün, das Grün der Maulbeerbäume. das Grün der Maispflanzen, das Grün der Tomatenpflanzen, und dieses Grün wird angedeutet. Es entspricht einem sehr viel lebhafteren Goldgrün, das an grüne Eidechsen erinnern soll...

Eine dreiflügelige Spiegelkonsole, deren Glasplatte mit drei stets leeren Flacons geschmückt war, ruhendes Kristall mit Pompons an den Füßen. Überall lebte die Erinnerung an einen Hochsommer wie sie ihn hier nicht kannten.
"Überall" – oder "in Allem"/ wirklich "lebte"? Hat diese Erinnerung etwas mit den Flacons zu tun? Warum sind sie leer? Soll mir das irgendetwas sagen? Wer ist "sie"? Welche Erinnerung?[/quote]

In diesem Raum lebt die Erinnerung an eine alte Heimat, die es nicht mehr gibt. Eine Art Sommer, wie "sie - die Leute - ihn hier (neue Heimat) nicht kennen. Ja, die Bedeutung der leeren Flacons ist, dass sie leer sind. Dass sie also nicht dienen, nicht benutzt werden. Das Unbenutztlassen der Gegenstände hat eine Bedeutung.




Die Fragen an den Text wecken in mir eine Erwartungshaltung, dass ich im Verlauf der Geschichte noch etwas darüber erfahren werde. Aber das wird alles nicht mehr aufgegriffen und thematisiert, sondern bleibt einfach in der Luft hängen.


Dass eine Erwartungshaltung entsteht finde ich gut. Ob ich darauf eingehen möchte, ist eine andere Frage. Vermutlich würde ich durch andere, parallele Texte eine idrekte Antwort geben wollen ..




bis hin zum Kopfteil des Bettes,
Warum sollte das Flirren am Kopfteil aufhören?[/quote]

Meiner Meinung nach ist dort die Wand und an der Wand hört das Zimmer auf. Das Sirrende befindet sich nur in diesem Schlafzimmer ...

Was mir auch nicht klar ist, warum du das "man" wählst, anstatt in der Ich-Perspektive zu schreiben? Es wird doch sehr deutlich, dass es sich um die Erinnerung einer Person handelt und diese Sicht und Erfahrung sich nicht auf beliebige andere Menschen ausweiten lässt? So entstand für mich kurz der Eindruck, dass es um die gemeinsamen Erfahrungen mehrerer Kinder geht und zwischendurch, das unangenehme Gefühl, dass vorausgesetzt wird, dass die Leser diese Sicht und Gedanken teilen müssten.

Das Man habe ich sehr absichtlich gewählt, als Distanz zum Ich. Das Man hat in diesem Kontext eine Ersatz funktion für Ich ---


Nur einmal ein echter Diebstahl, ein Zehnmarkschein und der erste Kauf von Micky-Maus-heftchen,
Was ist ein unechter Diebstahl? Hier würde ich mir auch den Satzbau nochmal anschauen. "ein Zehnmarkschein, von dem die ersten Mickey-Maus-Heftchen gekauft wurden, ..."

in denen nichts Lesenswertes stand, wie sich herausstellte. Lachen konnte man noch nicht.-- Es gibt sicher wenige Kinder, die sagen würden, dass Mickey-Maus Heftchen nicht lesenswert seien? Aber das mag auf eine Besonderheit dieses Kindes zeigen. Aber was soll ich dann mit einem Satz anfangen wie "Lachen konnte man noch nicht"? Auf was soll das verweisen? Hat das einen Bezug zu den Heftchen? Warum konnte man/sie nicht lachen? [/quote]

Ma konnte nicht lachen, weil es "Nichts zu lachen gab" man verstand die Heftchen nicht, weil man sie nie in der Hand haatte, auch Micky Maus Heftchen lesen muss man lernen ...



Die strenge Ordnung und Sauberkeit verlieh dem pompösen Brokatgrün eine besondere Weihe. Der dreiflügelige Spiegel warf das Bild des Eindringlings dreifach zurück. Man ging schnell vorbei, verharrte einen Augenblick auf dem Bettvorleger, zupfte an der Bettdecke.
Diesen Absatz finde ich sehr gelungen.


danke

Ein so schöner feiner Stoff, weich fließend im Gegensatz zu den dichten Vorhängen, auch hier goldenes Grün.
Ich dachte die Vorhänge wären wie Schilfgras und man sähe die geschlossenen Fensterläden hindurch? Auf was bezieht sich das "auch hier"? Auf die Vorhänge, auf den Gegensatz?
Ab hier frage ich mich, warum diese grüngoldene Farbe so wichtig ist, dass sie immer wieder erwähnt werden muss?


es gibt mehrere Gründe ... die Erinnerung an dieses Grün ist besonders lebendig, ich habe dieses schwefelartige Gelbgrün im "Moloch" wieder gefunden, einem wunderbaren Fikm des Russen (dessen Namen ich dir eventuell später noch hier einfüge) .... das Grün der Krokodile und Reptilien, der Schlangen ...

Erst später, viel später kommt es einem wieder, dass da zwei, drei Gegenstände lagen.
Das zeigt schön, wie Erinnerung manchmal funktioniert.

In der Schublade ein gebrauchtes Kondom, von dem man natürlich nicht wusste, was es war. Wie hat sich nur das Bild so lange im Gedächtnis halten können? Bis hin zu dem Augenblick, als man verstand, worum es sich gehandelt haben musste.
Das gebrauchte Kondom in der Schublade finde ich in diesem ordentlich sauberen Ambiente völlig unglaubwürdig und frage mich dann, wozu braucht der Erzähler das an dieser Stelle, warum wird es so herausgestellt? Was verbindet der erwachsene Erzähler mit diesem Bild und mit der Erkenntnis?


Diese Unglaubwürdigkeit geht mir völlig ab, ich sehe eigentlich nicht, warum solch ein Detail nicht genau so akzeptiert werden kann wie es da steht? Meiner Ansicht passt es sehr gut. Vermutlich ist es >Aufgabe des Mannes sich "des Dings" zu entledigen und die Frau schließt über diesem Detail die Augen. Das Kind hat dort nichts zu suchen, ist also diesem Anblick eigentlich nicht ausgesetzt.

Im Nachttischschränkchen darunter die zwei drei Bücher, die einem das Grauen verschafften, eine Horrorgeschichte aus Weidenköpfen, an denen entlang ein Knäblein dem Unheil zu entrinnen suchte, das ihn bedrohte, Waldgeister, Schemen, die zu leben begannen, wenn man das alte Büchlein öffnete, kräftiger Expressionismus würde man heute sagen und fragt sich, ob man übertreibt.
Der Vater hatte immer die gleichen Bücher in seinem Nachttisch? Wie konnte das Kind sie lesen? Hat es sie mitgenommen? Dass es sie dort im verbotenen Zimmer gelesen hat, kann ich mir nicht vorstellen.
Horrorgeschichten aus Weidenköpfen??

Ja nun, wenn ein Lesebedürfnis da ist, wird es in jeder Situation mögllich, wenn auch unter besonders gefährlichen Bedingungen ...

Ein "Knäblein dem Unheil zu entrinnen suchte"? Warum verändert sich plötzlich die Sprache des Erzählers?

Zwei andere Bücher spuken in der Erinnerung herum, ohne je aus dieser wieder auftauchen zu können.
Sie tauchen doch gerade auf?

Beides Qual- und Folterbücher, die einem jenen Grundton vermitteln, eine Haut- und Lebensfarbe, die nur schwer dem Pastell menschlicher Unschuld weicht,
Wer ist "einem", der Vater, das Kind?

Das Schaurige der Lesewelt des Vaters stand im Gegensatz zu der lindgrünen Pracht der Teppiche und Stoffe, der Pompons und dem hellgrünen Schein, der sich von der Spiegelkommode her auf glänzenden Schranktüren fortsetzte.
Das kann ich aus Kindersicht nachvollziehen. Ich sehe hier aber einen erwachsenen Erzähler und mir fehlt an dieser Stelle die Reflektion. Mir scheint die Kindersicht ungebrochen weitergeführt. Auch hier habe ich den Eindruck, dass mir über die Bücher etwas über den Vater erzählt werden soll, was ich aber weder aus den gezeigten Dingen erschließen kann, noch für mich ein zulässiger Rückschluss auf den Charakter des Vaters oder sein eigenes Handeln wäre.

Ja, der Vater wird hier charakterisiert. Eine Art Störung

.
Nun, wer einen Arbeiterhaushalt gesehen hat, weiß möglicherweise, dass das Mobiliar in vielen Dingen von dem der Klein und Grpßbürger abweicht. Das Bett ist groß,c grobschlächtig, scheint enorm ...


des proletarischen Ehebetts hing.
Was soll ich mir unter einem proletarischen Ehebett vorstellen?

Zunächst sah man darauf nur feuriges Abendleuchten inmitten eines Sees. Dort ein Nachen. Man erinnert sich genau an das Wort Nachen, wie es seinen feierlichen Einzug hielt und sich festsetzte und immer wieder auftauchte, bei Gelegenheit.
Wie kam das Kind zu diesem Wort? Mit seinen Eltern konnte es ja nicht über das Bild sprechen?

Bestimmt ahnte man zum ersten Mal, was viel später Wagner und Boecklin gemeinsam bewirken sollten, dass man sich nämlich mitten im Gesang einer Mittagsstunde befand, einer jener gestohlenen Stunden des Gottes Pan.
??? Was ahnt das Kind/man da?

Eine Art Schönheit. Darstellung des Faun.

Und erst jetzt sah man den Mann, dunkler Leib und helle Augen, man weiß es nicht so genau, man könnte sich das jetzt ausmalen, nur eines ist sicher, dass man sich klein fühlte, vor dem Wahn, der in dem Blick des Mannes lag, vor der freudigen Umkreisung, die diesem Mann entgegengebracht wurde von den drei Wassernymphen und man ist nicht mehr in der Lage festzustellen, was der zeitliche Abstand, die zahlreichen Verdichtungen und Übertreibungen diesem Bild an Glanz und Ausstrahlungskraft verliehen haben.
Das gefällt mir in der Reflektion der Erinnerung gut.

Man weiß nur eines, dass diese Szenerie so gewollt war, dass die Abwesenheit jeglichen christlichen Symbols hier ebenso deutliche Worte sprach, wie das Tagebuch eines Exorzisten und der Irrlauf eines Knaben durchs Moor. Micky Maus und die Späße eines Heinz Erhardt waren fern.
Hier passiert nun genau das, was ich die ganze Geschichte über befürchtet hatte, dass alles Vorgezeigte ein Zeichen sein sollte, mit Bedeutung aufgeladen war, die ich im Sinne der Erzählerin zu verstehen habe. Dieser Interpretationsdruck durch die Herausstellung nimmt dem Gezeigten aber aus meiner Sicht die Möglichkeit wirklich erzählen und eine Stimmung aufbauen zu können.

In diesem Haus, hinter diesen verschlossenen Vorhängen, in grüner Brokatimitation lebte man noch woanders, fern von hier, in einer schilfgrünen Heimat, unter dem bösen Blick der Vergangenheit.
Es ging doch bis jetzt nur um das Schlafzimmer, über die anderen Zimmer habe ich nichts erfahren und wo ist woanders, welche Heimat, welcher böse Blick, welche Vergangenheit?

Fragen über Fragen und ich finde im Text nichts, was mir persönliche eine schlüssige Antwort ermöglichen würde. Als vom Kontext losgelöster, für sich stehender Text, wirkt er daher auf mich noch nicht ausgereift. Der Ansatz über einen Raum und die Erinnerungen, die damit verbunden sind, die Entdeckungen des Kindes darin, zu erzählen, gefällt mir aber sehr gut.
Ich möchte dich mit der ausführlichen Antwort auf keinen Fall entmutigen und würde an dieser Geschichte auf jeden Fall weiterarbeiten. (Die Fragen sollst du mir natürlich auch nicht alle beantworten, .-) es soll dir nur zeigen, an welchen Stellen der Text für mich Fragen aufwirft.)


Entschuldige bitte, wenn ich am Ende doch ein wenig knapper antworte.

Ich lasse mir deine letzten Bemerkungen noch aufmerksam durh den Kopf gehen ... Allzu viele Antworten verderben den Text ...

Es war sehr interessant, diesen Kommmentar zu lesen, ich danke dir sehr !

liebe Grüße
Renée

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 25.07.2011, 12:29

Dieser Kommentar ging mir per Mail zu:

Wie schwer ist es für mich, etwas Anderes wahrzunehmen als mich und dann auch noch über etwas Anderes zu schreiben. Fragen tauchen auf, warum Miniatur, Miniatur 1, was ist ein Unterboden. Wagner und Boecklin, muss ich zu meiner Schande gestehen. Weidenköpfe. Siedlungshaus. Das Bild “ruhendes Kristall mit Pompons an den Füssen”. Gewagt der Umgang mit “man”, aber doch gelungen. Frage, ob am Ende so eine intellektuelle, deutende Schlussbemerkung von Nöten ist. Aber das ist halt Deine Art, warum nicht ? Du bringst es auf den Punkt, es gibt ein Dasein der Nachkriegszeit fernab der bundesrepublikanischen Belanglosigkeiten, noch getränkt von heidnischer Gewalt.
Dein Feld scheint zu sein, ein Eintauchen in Erinnerungen aber in bewusster Spiegelung und Analyse
. Die Autorin als Man. Aber ein Man, das zeitlos ist, und das Erlebnis mit dem Kommentar und der Brechung verbindet. Du bist auf der Suche und vielleicht ist Schreiben eben das, auf der Suche sein, und nicht ein Ergebnis, oder man findet irgendwann und dann ordnet sich alles schön.

ein deutschsprachiger Freund, der in Paris lebt (mit seiner Erlaubnis hier eingestellt)

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Beitragvon Ylvi » 27.07.2011, 21:23

Hallo Renée,

Du bringst es auf den Punkt, es gibt ein Dasein der Nachkriegszeit fernab der bundesrepublikanischen Belanglosigkeiten, noch getränkt von heidnischer Gewalt.
Das war dein Punkt??? Welche "bundesrepublikanische Belanglosigkeit"? Wo finde ich das im Text? Ist die Gewalt dann positiv besetzt, wenn sie der Belanglosigkeit gegenübergestellt wird? Für mich besteht auch keine automatische Verknüpfung zwischen "heidnisch" und "Gewalt". Ohne jetzt nochmal auf die einzelnen Punkte einzugehen, mir ist das einfach zu viel an "(Vor-)Urteil" das ich fällen soll, auch in Bezug zum Vater, ohne dass ich auch nur annähernd genug Informationen im Text erhalte, um mir selbst ein Bild machen zu können, oder zumindest der Interpretation des Erzählers folgen zu können und zu verstehen, wie er zu dieser Sichtweise kommt.
Ist das so wichtig? Es ist von der bösen Vergangenheit die Rede. Das könnte ebenso explizit klar und unüberlegbar sein, wie Ferdis Spiegel der vielen Stunden. Wir haben eine Vergangenheit, jeder weiß, was das ist. Sie ist nicht gut, sondern böse. Auch da können sich alsbald Einrastungen der Fantasie ergeben. Nix ist, wo nix intendiert ist
Ja, natürlich ist das wichtig??? Und nein, für mich ist eine "böse Vergangenheit" nicht so klar wie Ferdis Spiegel, sondern höchst schwammig. Deshalb kann bei mir da auch nichts einrasten.
Dass eine Erwartungshaltung entsteht finde ich gut. Ob ich darauf eingehen möchte, ist eine andere Frage. Vermutlich würde ich durch andere, parallele Texte eine idrekte Antwort geben wollen ..
Wo wir doch wieder beim "Außen" wären? Wenn man andere Texte (Informationen) braucht, um diesen Text verstehen zu können, dann kann er eben nicht für sich allein stehen?
Ja, der Vater wird hier charakterisiert. Eine Art Störung
Störung des Vaters oder des Erzählers? Woraus soll ich denn auf eine Störung schließen??

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 27.07.2011, 21:38

Liebe Flora,

ich bin erschüttert, wenn ich dies lese:


? Welche "bundesrepublikanische Belanglosigkeit"? Wo finde ich das im Text? Ist die Gewalt dann positiv besetzt, wenn sie der Belanglosigkeit gegenübergestellt wird?


Die Schlafzimmer "garnitur" ---------------------------- das ist eine brd belanglosigkeit
die Leuchter, die Läufer, die Kommode, die Pompons, das habe ich so nur in BRD hesehen .... so etwas gab es in diser Belanglosigkeit nirgendwo.


Wenn ein deutscher Emigrant von bundesrepublikanischer Belanglosigkeit spricht, dann heißt das, dass die heidnische (in diesem ist selbstverständlich die Nazi- Ideologie) Gewalt noch bis in die SCHEINBARE Belanglosigkeit der BRD hinein klingt ....

muss man denn erklären? Muss man sagen Unterboden ist auch ein Anklang an Blut und Boden? Das Pompöse eine Nostalgie der Aufmärsche, das ruhende Kristall an die bewegte Kristallnacht ... etc ....

Ich glaube einfach, dass der Kontext --- das Außen --- so wichtig ist wie das Innen.

Wer außen nicht war, kann das Innen nicht als innen sehen

ich finde diese Art der Erklärungen ermüdend und verstehe das Uvnverständnis nicht.

Aber danke für deine Mühe

ehrlich dieser Gedanke, der Schwulst der pompös grünen Pracht könne nicht verstanden worden sein ...

ich bin doch sehr erstaunt.

lG
Renate

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 29.07.2011, 11:03

Hallo Renée,

Ich glaube einfach, dass der Kontext --- das Außen --- so wichtig ist wie das Innen.

Wer außen nicht war, kann das Innen nicht als innen sehen
Ja, das schrieb ich ja, dass ich das hier so wahrnehme? Mir scheint diese Geschichte funktioniert nur, wenn man die größere Geschichte dazu kennt und die Lücken und losen Fäden im Text selbst füllen kann. Damit schrumpfst du den Leserkreis, der deine Texte in deinem Sinne lesen kann, allerdings drastisch. Wenn du dir dessen bewusst bist, und eben nur für einen bestimmten Personenkreis, oder dich selbst, schreiben möchtest, ist das ja auch völlig in Ordnung. Ich wundere mich nur, warum du dann überrascht oder gar erschüttert bist, wenn das nicht bei allen Leser funktioniert und so Fragen auftauchen, die der Text selbst eben nicht beantworten kann.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 29.07.2011, 11:56

Liebe Flora,

das Innen und Außen ist auch das, was die Allgemeinbildung vermittelt. Ich brauche bei den meisten Texten keine große Einführung in das Thema.

Wenn mein Text auf so großes Unverständnis stößt und man darin eine Aufforderung zu Gewalt, oder eine Verherrlichung der Gewalt lesen kann, dann ist er total missraten.

Ich glaube allerdings, dass der Leser der in meinem Text Verherrlichung von Gewalt sieht, eher in der Minderheit ist.

Nirgendwo habe ich Gewalt verherrlicht, auch nuransatzweise.

lg
R.

eve
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Beitragvon eve » 30.07.2011, 09:22

das thema gewalt hat allerdings dein externer experte, dessen meinung du hier als beispielhaft eingestellt hast, aufgebracht und nicht flora.


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