TIEF UNTER
Verfasst: 13.10.2006, 02:02
Tief unter
(nach arams schnitt)
Es geschieht in den quecksilberdampferhellten Termitenröhren aus Granit und spiegelndem Kunststoff, in den Ganglien der Mobilitäts-Population, tief unter der Erdoberfläche. Dort wird es einem klar.
Er kreiste scheinbar ziellos in der U-Bahn-Halle herum, während ich mir aus den letzten Krümeln des Bison-Tabaks eine zerknitterte Kippe zusammendrehte. Schon beim Anlecken des Blättchens bekam ich den feinkörnigen Satz des freiheitsverheißenden Krauts in den Mund, den man sonst — als man noch ein frisches Päckchen in seiner Jackentasche wähnte — gnädig dem Schlund der Sammelanlagen des Dualen Systems überließ. Sie mahlen Goldstaub daraus.
Ich spie die bitteren Überreste in die Luft und rotzte ein bräunlichgrünes Sputum aus der Rachenhöhle in den bereitstehenden Abfallbehälter hinterher; man spuckt nicht auf hochpoliertes Tiefengestein.
Der Kondor hatte längst sein Opfer entdeckt und starrte wie aus großer Höhe gebannt auf sein Opfer herab, das sich allem Anschein nach am Boden des Abfallbehälters am anderen Ende der Halle befand. Sein violettroter Kopf mit den typischen, gelblichen Halsflecken zuckte nervös und spähte in alle Richtungen umher; wir sollten sein schändliches Werk nicht sehen. Aasfresserfeigheit. Wie Schakale.
Ich wandte mich ab, den Neuweltgeier nur noch im Augenwinkel. Er fühlte sich unbeobachtet und stieß zu. Er packte den Kadaver einer braunen Glasflasche und würgte ihn in seinen Plastik-Kropf hinein, den er unter seinem speckig-schwarzen Gefieder hervorzog. Heute ein König. Genugtuung troff ihm seitlich aus dem Krummschnabel, doch unersättlich schwang er sich wieder empor, um neue Beute ausfindig zu machen.
Diese Beute bewache ich jetzt. Sie befindet sich in dem Behälter unter dem Aschenbecher, den ich rauchend belagere. Er weiß es. Geierinstinkt. Seine haarlosen Brauen argwöhnen sich schroff nach unten; nun hat er mich im Augenwinkel. Er zieht in konzentrischen Kreisen um Tarifauskunftstafeln und die Edelstahlförderkabine, den Mittelpunkt beständig in meine Richtung verlagernd, scheinbar ziellos. Er will diese acht Cent. Er kann sie riechen. Aber der Löwe muss erst satt sein, bevor der Geier darf.
Ich betrachte die leere Bierflasche im blauen Abfallsack unter mir. Bin runter auf neun Euro sieben. Frischer Tabak ist noch drin; für die andere Hälfte Brot, Kartoffeln und zerquetschte Tomaten in Weißblech. Butter erst wieder nächste Woche.
Ich drücke die Kippe aus. Die Bahn kommt. Eiiiijn-steiiiij-geeeehnn quietschen ihre Hydraulik-Bremsen, und ich stempele den letzten freien Abschnitt des arschdurchweichten Tickets in der Stechuhr einer längst vergessenen Schicht am Treppenabsatz, bevor ich die Stufen zum Gleis hinunterlaufe.
(nach arams schnitt)
Es geschieht in den quecksilberdampferhellten Termitenröhren aus Granit und spiegelndem Kunststoff, in den Ganglien der Mobilitäts-Population, tief unter der Erdoberfläche. Dort wird es einem klar.
Er kreiste scheinbar ziellos in der U-Bahn-Halle herum, während ich mir aus den letzten Krümeln des Bison-Tabaks eine zerknitterte Kippe zusammendrehte. Schon beim Anlecken des Blättchens bekam ich den feinkörnigen Satz des freiheitsverheißenden Krauts in den Mund, den man sonst — als man noch ein frisches Päckchen in seiner Jackentasche wähnte — gnädig dem Schlund der Sammelanlagen des Dualen Systems überließ. Sie mahlen Goldstaub daraus.
Ich spie die bitteren Überreste in die Luft und rotzte ein bräunlichgrünes Sputum aus der Rachenhöhle in den bereitstehenden Abfallbehälter hinterher; man spuckt nicht auf hochpoliertes Tiefengestein.
Der Kondor hatte längst sein Opfer entdeckt und starrte wie aus großer Höhe gebannt auf sein Opfer herab, das sich allem Anschein nach am Boden des Abfallbehälters am anderen Ende der Halle befand. Sein violettroter Kopf mit den typischen, gelblichen Halsflecken zuckte nervös und spähte in alle Richtungen umher; wir sollten sein schändliches Werk nicht sehen. Aasfresserfeigheit. Wie Schakale.
Ich wandte mich ab, den Neuweltgeier nur noch im Augenwinkel. Er fühlte sich unbeobachtet und stieß zu. Er packte den Kadaver einer braunen Glasflasche und würgte ihn in seinen Plastik-Kropf hinein, den er unter seinem speckig-schwarzen Gefieder hervorzog. Heute ein König. Genugtuung troff ihm seitlich aus dem Krummschnabel, doch unersättlich schwang er sich wieder empor, um neue Beute ausfindig zu machen.
Diese Beute bewache ich jetzt. Sie befindet sich in dem Behälter unter dem Aschenbecher, den ich rauchend belagere. Er weiß es. Geierinstinkt. Seine haarlosen Brauen argwöhnen sich schroff nach unten; nun hat er mich im Augenwinkel. Er zieht in konzentrischen Kreisen um Tarifauskunftstafeln und die Edelstahlförderkabine, den Mittelpunkt beständig in meine Richtung verlagernd, scheinbar ziellos. Er will diese acht Cent. Er kann sie riechen. Aber der Löwe muss erst satt sein, bevor der Geier darf.
Ich betrachte die leere Bierflasche im blauen Abfallsack unter mir. Bin runter auf neun Euro sieben. Frischer Tabak ist noch drin; für die andere Hälfte Brot, Kartoffeln und zerquetschte Tomaten in Weißblech. Butter erst wieder nächste Woche.
Ich drücke die Kippe aus. Die Bahn kommt. Eiiiijn-steiiiij-geeeehnn quietschen ihre Hydraulik-Bremsen, und ich stempele den letzten freien Abschnitt des arschdurchweichten Tickets in der Stechuhr einer längst vergessenen Schicht am Treppenabsatz, bevor ich die Stufen zum Gleis hinunterlaufe.