Kampf auf dem Schachbrett des Lebens
Das Leben erscheint mir gleich dem Königsspiel, kennzeichnen doch Kampf, Sieg, Verlust, Patt, Strategie, Logik, Rückzug, Angriff und Zeit die einzelnen Züge der Existenz.
Prägnanterweise kleiden sich die Protagonisten in Schwarz und Weiß - Ebenbild zum polarisierten Denken im Sein.
Als König, Herrscher des Spiels und wichtigste Figur, wähne ich meinen Geist. Matt gesetzt, bedeutet Tod. Des Königs stärkste Mitstreiterin ist die Dame, die Intuition. Mit den zahlreichsten Zugvarianten tritt sie am Häufigsten auf den Lebensplan. Intuition als schwerste Waffe im Kampf des Lebens? Einen ebenbürtigen Begleiter hat sie, wohl wahr. Den Springer! In aussichtsloser Position, blockierter Lebensstellung, ist er stärker als die Intuition, vermag er doch, in die schmalen, seitlich abgelegenen Nischen des Lebens zu springen, zu denen keine andere Figur Zugang findet. Als Springer, im unschlagbaren Paar auf sich gegenseitig deckender Position, stellen sich mir das Duett der Geduld und Zielorientierung in den Fokus. Der Turm als Schutzwall bedeutet Zufluchtsort für meine Verwundbarkeit. So schütze ich in der Rochade meinen Geist durch die Macht des Felsens.
Fianchettiere ich, offenbart sich der Läufer als verborgene Raffinesse auf der Lauer und, im zuschlagenden Moment, als diagonaler Angriffsvorstreiter.
Der Bauer, die vermeintlich schwächste Figur, jedoch hoch an der Zahl und zur größten Wandlung fähig, wird nicht selten zum zentralen Kämpfer. Wie oft wird aus Kleinem Großes geboren? Ein kleiner Funken vermag den Kampfgeist zentral zu formieren und den Sieg herbeizuführen. Einmal durchgezogen, ist mein Lebensgegner in die Knie gezwungen. Der Bauer, zum Gambit eingesetzt, führt durch sein Opfer so manches Spiel im Leben kräftig voran. Wie oft gilt es, etwas loszulassen, um gerade dadurch den entscheidenden Weg zu finden. Zudem hat er eine ganz besondere Gabe. En passent geht er zwei Schritte in einem. So erscheint mir der Bauer allegorisch meine Gedanken darzustellen. Sie mutieren zur Intuition, zur Dame, der Kampfstärksten, Spiegelbild der inneren Stimme, oftmals auch wider die Vernunft und gerade deshalb, so man auf sie hört, zum Befreiungsschlag aus dem Sog der Selbstzweifel.
Im Königsspiel ist es wie im Leben. Kampf bis zum letzten Atemzug. Durch Kapitulation hat noch niemand gesiegt. Stehe ich mit dem Rücken zur Wand, stellt Angriff nach vorn die beste Verteidigung dar. Doch wähle ich meine Figuren mit Bedacht. Mal bin ich König, mal bin ich Bauer.
Blitzschach ist mir Sinnbild für Spontaneität und Spiegelbild der zerrinnenden Zeit. Ich hetze ihr hinterher, statt mich in Geduld zu üben und auf den geeigneten Augenblick zu warten, wie es die Springer mir vorleben. Turnierschach hingegen lässt die Zeit zäh wie die Monotonie des Alltags dahinfließen, die tickende Uhr quälend im Nacken.
Ein Remis repräsentiert die Stagnation im Leben. Kein Weiterkommen, aussichtslos, Patt-Situation. Angesagtes gardé lässt die Alarmglocken im Innern schrillen und mich aufhorchen. Schachmatt ist der Tod, der Verlust, doch sehe ich meinen Gegner nicht als Feind, sondern als Partner, zumal stets eine Revanche, eine neue Chance sich offenbart. Ist die Niederlage besiegelt, so verliere ich mit Würde und zolle dem Sieger Respekt, so wie auch ich mir diesen als Sieger wünschte. Erst dann wird die gewonnene Schlacht zum wahren Sieg, erzeugt Freude und verdienten Stolz. Stelle ich den Verlierer bloß, ist der Sieg kein Gewinn, sondern zollt von Hochmut. Das Leben erscheint oft als Spiel mit dem Feuer. Wagemut, Risiko und Konzentration sind gefordert, so manches Mal jedoch auch vernünftiger Rückzug, um erneut, mit besonnenen Gedanken und Plänen zu beginnen. Unendliche Varianten liegen vor mir. Spiele ich mein Leben jedoch verbissen, engstirnig und kompromisslos, werde ich niemals Sieger sein. Wie im Spiel, so auch im Leben.
© Gabriella Marten Cortes