Lula, my Girl

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 15.07.2008, 08:52

Lula trägt ein Messer im Hemd. Sie presst es an ihre nackte Haut und genießt das kühle Metall. In ihrem Kopf steigen Luftblasen auf. Ihre Hautgrenzen sind durchlässig und am Rücken trägt sie ein schwarzes Mal, das sie selbst nicht sehen kann. So balanciert sie in viel zu kurzen Röcken über die Dächer der Stadt. Weit unten sieht sie kleine Gestalten und fragt sich, ob es Steinstatuen oder Menschen sind. Mit träumerischer Sicherheit springt sie über Abgründe. Sie erkennt sie am Geruch. Sie lacht und weint gleichzeitig. Ihre Mund ist grellrot geschminkt. Heimlich sucht sie den Clown. Doch er lässt sich nicht finden.
Sie lebt in einem verkommenen Loft. Er liegt in einer alten Fabrik. Eine schiefe Leiter führt direkt in den Himmel, zum Fels der Engel. Sie legt sich nackt auf den Boden und trinkt Milch aus der Tüte. Wenn der rote Kaktus blüht, bemalt sie die Wände in schrillen Farben mit hohlwangigen Gesichtern von Frauen, in deren Augen ein verzehrendes Fieber brennt. Zwei Perserkatzen streichen ihr um die Beine und singen schrille Fugen.
Der Pinsel tropft, der Mond rinnt aus. Sie zerknüllt die Milchtüte und rennt lachend durch die Nacht zum Fluss.

Max

Beitragvon Max » 17.07.2008, 21:02

ah...Danke, aber es heißt Loft....


ja sorry - Tippfehler ....

Yorick

Beitragvon Yorick » 18.07.2008, 17:29

Mir geht es ähnlich wie X.

sobald es zu konkret wird, verfliegt der surreale Charakter.


Ist das schlimm? Ich habe bei dem Text das Gefühl, der surreale Charakter ist draufgesetzt, um die Person interessant zu machen und er entsteht nicht dadurch, dass die Person interessant ist. Mir fällt es schwer die Person in der hübschen Kulisse zu erkennen.

Grüße,
Yorick.

Sam

Beitragvon Sam » 18.07.2008, 17:39

Hallo Wüstenfuchs,

da für mich Billie und auch Lula wie eineiige Zwillinge sind, beschränke ich mich darauf, hier etwas zu sagen, auch wenn es auf den Billie-Text genauso zutrifft.

Das erste Lesen dieser Geschichten ist spannend. Interessante Bilder, schnelle Schnitte. Da alles aber sehr rasch wieder vorbei ist, kommt man nicht umhin, es nochmals zu lesen. In meinem Fall mit dem Wunsch, die Bilder zu verknüpfen. Das gelingt mir aber nicht. Ich muß an einen Jongleur denken, der fünf oder sechs Bälle in den Händen hält. Und nun wirft er sie alle gleichzeitig hoch. Das sieht für einen Moment interessant aus, aber es ergibt nicht das Bild, dass entsteht, wenn er die einzelnen Bälle wirft und fängt und so aus deren Bewegung eine Figur entsteht. Und das fehlt mir hier eindeutig und bei Billie zum größten Teil.

Es gibt ja Leute, die behaupten, je weniger Adjektive man benutzt, desto besser. Ich teile diese Meinung nicht unbedingt, aber deine beiden Texten könnten ihren Argumenten Nahrung geben. Vor allem das Wort "Schrill" hat es dir scheinbar angetan ;-) Das Problem bei so kurzen Texten ist eben, dass so gut wie jedes Wort Gewicht hat. Nochmehr wenn dieser dann auch noch aus einzelnen Bildpaketen besteht. Ein Wort zuviel und schon wird es etwas unförmig, unschlank sozusagen. Bestes Beispiel ist dieser Teil:

Wenn der rote Kaktus blüht, bemalt sie die Wände in schrillen Farben mit hohlwangigen Gesichtern von Frauen, in deren Augen ein verzehrendes Fieber brennt. Zwei Perserkatzen streichen ihr um die Beine und singen schrille Fugen.


Für mich wird beim Lesen weder Lula noch Billie wirklich lebendig. Weil sie von den Bildern, die sie eigentlich beschreiben sollten, irgendwie zugedeckt werden.

LG

Sam

wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 18.07.2008, 19:17

Jo, das, was ihr schreibt, ist okay für mich.

Ich strebe im Moment nicht das Erzählen einer "Geschichte" im traditionellen Stil an. Ich orientiere mich zur Zeit an Getrude Steins Texten, die z.B. Malerportraits schrieb.

Lula ist an sich, also real, eine interessante Person.

Schade, wenn das nicht ankommt.

Ich habe versucht, Lula essentiell rüberzubringen. Also nicht linear, sondern ihre Tiefendimension, ihre Essenz.

So wie im Lindenblütentee noch die Alleen enthalten sind.

Gruß
Ben

wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 19.07.2008, 13:56

Heute morgen wurde mir im Besuch der Ausstellung "Female Trouble" schlagartig klar, dass Lula nicht fassbar wird als Figur, weil sie garnicht fassbar ist.

Die Facetten verweisen auf Bruchstücke, die wieder auf neue Bruchstücke verweisen.

Linearität ist somit aufgehoben und Anschaulichkeit ein Relikt von gestern.

Der Text funktioniert folglich gerade darin, dass er ein gängiges Erzählbild aufbricht.

Lula wird nicht greifbar, weil ihre Identität zersplittert ist.

Benjamin


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