Notizen aus der Steiermark

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
scarlett

Beitragvon scarlett » 27.06.2012, 15:25

I, Mariatrost


Es ist heiß an diesem Tag. Stille säumt den kurzen ansteigenden Weg.
Zwei Häuser nur. Am Ende, rechter Hand, die Nummer vier.
Im Garten wuchert Sommer. Dunkelgrün und bunt. Von einem Eisentor bewacht, den Blicken dennoch preisgegeben.

Hier also hat sie einst gelebt. In diesem Haus, das einer Villa gleicht. Und das seit gut einem Jahrhundert baulich unverändert blieb. Die Ansichtskarte fällt mir ein, die sich vergilbt in einem Fotoalbum findet. Und ich vergleiche das verinnerlichte Bild mit dem, das meine Augen heute sehen. Es stimmt überein bis ins Detail.
Ein Lächeln streift von ferne mein Gesicht, als ich mich an die Randnotiz erinnere, die Großmutter damals der Karte beigegeben: unsere Villa steht da in krakeliger Kinderschrift.

Die Mauern atmen schattig. Die Fenster – eine andere Zeit. Klein und filigran bis hinauf unter das Dach sind sie, bestrebt, mehr zu verbergen als zu zeigen. Und teure Wärme nicht hinaus zu leiten.

Ob es wohl kalt war hinter diesen Steinen, wenn sich darauf der Winter legte? Wie kam sie bloß zur Schule, wenn Eis den abschüssigen Weg bedeckte? Die Straßenbahn nach Graz fuhr damals schon, doch bis zur Haltestelle war es weit.
Gab es für sie wohl Pferd und Kutsche?

Keiner wird das Tor mehr öffnen.
Und ich muss auskommen mit dem, was ich an Zuwendung und Wärme von Großmutter erhalten hab. Und weiter mit den Fragen leben.

Eine luftige Garage, wie man sie oft im Süden sieht, nicht viel mehr als ein überdachter Platz, schließt ab den Blümelweg. Dahinter öffnen sich die wilden Wiesen, geben frei den Blick auf das, was Großmutter gesehen hat. Die Wallfahrtskirche reckt ihre gelben Türme weit hinaus ins Blau. Postkartenblick. Und dennoch echt. Und wieder drängt ein anderes Bild aus der Erinnerung herauf: mit leichtem Pinselstrich in warmen Farben von der Jugendlichen festgehalten, stilisiert zum Aquarell.

Es zirpt und summt und flügelt. Kein andrer Laut stört die Idylle, nicht nur die Landstraße ist fern. Ich setze mich ins Grün, halt Zwiesprache für eine Weile. Mit Gräsern, Blumen und dem Wind. Und hör dazwischen plötzlich ihre Stimme, die aufsteigt aus dem Dunkel, das wohl ein jeder in sich trägt und das zuweilen aufbricht für Momente, wenn wir nur leicht den Schlüssel drehen im Schloss zum Tore der Vergangenheit.

Und unter steirischer Sonne begreife ich zum ersten Mal, warum sich Großmutter niemals zurückgesehnt, als sie mit Großvater in jenes ferne Land gezogen: sie fand dort eine Landschaft vor und eine Lebensform, die nahtlos passte zu der ihren.
Ganz viel /Maria/Trost in Siebenbürgen.


_____________________________________________

Es ist heiß an diesem Tag. Stille säumt den kurzen ansteigenden Weg.
Zwei Häuser nur. Am Ende, rechter Hand, die Nummer vier.
Im Garten wuchert Sommer. Dunkelgrün und bunt. Von einem Eisentor bewacht, den Blicken dennoch preisgegeben.

Hier also hat sie einst gelebt. In diesem Haus, das einer Villa gleicht. Und das seit gut einem Jahrhundert noch unverändert steht. Die Ansichtskarte fällt mir ein, die sich vergilbt in einem Fotoalbum findet. Und ich vergleiche das verinnerlichte Bild mit dem, das meinem Auge heut sich bietet. Es stimmt überein bis ins Detail.
Ein Lächeln streift von ferne mein Gesicht, als ich die Randnotiz erinnere, die Großmutter damals der Karte beigegeben: unsere Villa steht da in krakeliger Kinderschrift.

Die Mauern atmen schattig. Die Fenster eine andere Zeit. Klein und filigran bis hinauf unter das Dach, sind sie bestrebt, mehr zu verbergen als zu zeigen. Und teure Wärme nicht hinaus zu leiten.
Ob es wohl kalt war hinter diesen Steinen, wenn sich der Winter darauf legte? Wie kam sie bloß zur Schule, wenn Eis den abschüssigen Weg bedeckte? Die Straßenbahn nach Graz fuhr damals schon, doch bis zur Haltestelle war es weit. Gab es für sie wohl Pferd und Kutsche?

Ein Hauch von Wehmut fliegt mich an, keiner wird das Tor mehr öffnen.
Und ich muss auskommen mit dem, was ich an Zuwendung und Wärme von Großmutter bekommen hab.

Ein Mattendach, das als Garage dient und zweifelsohne neuen Datums ist, schließt ab den Blümelweg. Dahinter öffnen sich die wilden Wiesen, geben frei den Blick auf das, was Großmutter gesehen hat. Die Wallfahrtskirche reckt die markanten Türme weit hinaus ins Blau. Postkartenblick. Unverfälscht. Und wieder drängt ein anderes Bild aus der Erinnerung herauf: mit leichtem Pinselstrich und warmen Farben von der Jugendlichen festgehalten, stilisiert zum Aquarell.

Es zirpt und summt und flügelt. Kein andrer Laut stört die Idylle, nicht nur die Landstraße ist fern. Ich setze mich ins Grün, halte Zwiesprache für eine Weile. Mit Gräsern, Blumen und dem Wind. Und hör dazwischen plötzlich ihre Stimme, die aufsteigt aus dem Dunkel, das wohl ein jeder in sich trägt und das zuweilen aufbricht, für Momente, wenn wir nur leicht den Schlüssel drehen im Schloss zum Tore der Vergangenheit.

Und unter steirischer Sonne begreife ich zum ersten Mal, warum sich Großmutter niemals zurückgesehnt, als sie mit Großvater in jenes ferne Land gezogen: sie fand dort eine Landschaft vor und eine Lebensform, die nahtlos passte zu der ihren.
Ganz viel /Maria/Trost in Siebenbürgen.




/c/ monika kafka, 06/12
Zuletzt geändert von scarlett am 02.07.2012, 08:03, insgesamt 5-mal geändert.

Benutzeravatar
Amanita
Beiträge: 5650
Registriert: 02.09.2010
Geschlecht:

Beitragvon Amanita » 01.07.2012, 19:43

Das Bild mit den Mauern ist - finde ich - so stark, dass ich zwingend meine, es müsste mit ihnen weitergehen.

Es folgt ein anderes Subjekt (also ein Bruch), und obendrein bekommt das Atmen eine völlig andere Qualität; ein Eindruck, der grammatisch unterstützt wird.

Benutzeravatar
allerleirauh
Beiträge: 766
Registriert: 26.06.2010
Geschlecht:

Beitragvon allerleirauh » 01.07.2012, 19:52

vielleicht die fenstergeschichte auf eine neue zeile schreiben? ich hab den übergang beim ersten/zweiten lesen auch nicht bewältigt und war überrascht, wie eve den zusammenhang erklärte.

Benutzeravatar
birke
Beiträge: 5277
Registriert: 19.05.2012
Geschlecht:

Beitragvon birke » 01.07.2012, 20:06

... also, ich hatte die Stelle direkt so - und nie anders verstanden, wie du sie auch meintest, liebe Mo!
Lieben Abendgruß
deine di
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

Benutzeravatar
Elsa
Beiträge: 5286
Registriert: 25.02.2007
Geschlecht:

Beitragvon Elsa » 01.07.2012, 21:09

*lach* Nein, liebe Mo, ich glaub nicht, dass du deppert bist. Ich verstehe den Text genau, und lese, anderen geht es auch so.

Klar kann man immer in jedem Text, also fast in jedem was finden, was einem nicht klar ist, ich kanns aber hier auch nicht sehen. Es ist lyrische Prosa und das braucht kein SDT @Nifl.
Dass der Wehmutsatz nicht unbedingt sein muss, ja, das stimmt schon, aber sonst?

Liebe Grüße
ELsa
Schreiben ist atmen

scarlett

Beitragvon scarlett » 02.07.2012, 08:10

hallo und guten morgen,

ich hab oben jetzt die überarbeitete version eingestellt.

habt nochmals alle dank, für kritik und zuspruch gleichermaßen!

liebe grüße in die beginnende woche,
scarlett/monika


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 81 Gäste