Die Liebkosung der Gebisse . Die Verteufelung der Wälder

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 30.10.2009, 22:28

Die Liebkosung der Gebisse . Die Verteufelung der Wälder

[align=right]Die dunklen Geisterhimmel haben es ganz gern, dass sie den Menschen etwas in die Ferne stellen,
auf dass diese immer tiefer in den Schmerz hineingehen*
[/align]


Mythologie des Schmerzes


Da ruft mich was. Das ist meine eigene Stimme. Meine Schuldstimme. Die lässt mich Geisterhimmel spannen.

In der Ferne ist nicht jetzt. Die Ferne ist nicht wahr, noch nicht.

Eine Wolke - eine Leiche. Leichenwolken.
Licht. Weißes Blut.

Dieses weiche Weh, in dem man treibt;
dass man nichts tun muss, dass man nichts halten muss
und ganze Wälder ihrer Bäume beraubt,
bloß noch Tiere aus dem Boden ragen,
blutende Tiere, die sich allesamt verstecken, indem sie einander wundreißen
und lecken und lecken und lecken.



Knirschen im Park

wie dem zarten Mädchen am Wasser seine durch die Bluse scheinenden Schulterblätter brechen wie den tchibogerüsteten Walkingtanten ihren Kuchenkot ins Gesicht matschen wie der über ihre krebszerfressenden Kinder jammernden Alten auf der Plastikbank ihr fleckiges Häutchen aus dem Gesicht reißen wie dem hektisch joggenden Schnurrbartbeamten mit seinem Dünngürtel den Rücken mit Striemen übersähen wie dem schleimenden H&M-Röhrenjeansdrogenjungen mit der Flasche des im Gebüsch liegenden pseudodiogenessuffschlummernden Penners den Schädel zerspritzen wie oben auf dem Hügel angekommen den sich in weiter Ferne erleichternden labbrig gezüchteten Labrador abknallen bevor er wieder den Kindern durchs Gesicht leckt weil die Hände ihrer Mutter ach lassen wir das wie die zeternde Elster voller Geschwüre mit einer Kinderzwille aus ihren Ästen schießen wie das schon auch durch irgendetwas den Tod verdienende kastanieleuchtende Eichhorn am Ende des Stumpfes mit bloßen Füßen zu Matsch treten ! auf die Zähne beißen wie ein dunkler Magier seinen Zauberstab erhebt, so lange und so fest, so totbringend, bis ich nicht länger mich beiße; bis ich mich hindurchgebissen habe durch alle Gesichter die schon immer wie das eigene Gesicht



Kräuterwünsche

Siehst du das Tier? Jeder sieht einmal solch ein Tier.
Nimm es dir, denn es kann nicht mehr.
Entscheide, was du mit dem Tier tun willst.
Entschließe dich gegenüber dem Tier.
Wenn du nichts mit ihm anzufangen weißt, iss das Tier auf.
Bitte iss es auf, denn es kann nicht mehr.
So hör doch! Du musst das Tier aufessen, wenn du keine andere Verwendung für es hast.

Niemand ist vor Ort, nur ein Dröhnen. Nacht. Regen. Das Tier liegt auf der Seite. Es schlägt sich mit dem eigenen Schweif. Es liegt hautfarben in der violetten Nacht.



Das also, der Anfang des Stumpfes

Er hatte der Fässin ohne Boden von der Frau mit dem großen Gesicht erzählt. In all den Stunden, in denen er nichts gesagt hatte, hat er ihr von dieser Frau erzählt. Und die Fässin ohne Boden hatte gelauscht, nach dem Knirschen seiner Zähne, wie es ihn verriet. Das Lauschen, ihre grausige, einzige Stimme.

Die Fässin ohne Boden flüchtet sich zurück in den Wald. Wie hatte sie ihre dicken Finger vergessen können, ihre feiste Lust, wie hatte sie ihren Blick von sich fort entspannen können zu einem Himmel, unter dem sie als eine andere ging.

Sie dreht sich auf die Seite. Neben ihr ragt ein Fuchs aus dem Boden. Das Aufgerissene, das Faltige, die Schwärze, der Pilz, der Schleim; alles so, wie sie es befürchtet hatte und wie sollte es auch anders sein, denn, das versteht sie nun, befürchten, befürchten kann man nur, was ist. Es ist ein Berühren, das Befürchten.






*Der kleine Satz steht Pate für all das, was ich schreibe, weil ich Peter gelesen habe und zugleich ist es ein Zitat von ihm. Ich hoffe, das gilt (etwas)
Zuletzt geändert von Lisa am 31.10.2009, 20:00, insgesamt 2-mal geändert.

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 01.11.2009, 21:29

Hallo Lisa,

klar gibt es Texte, deren Gewaltdarstellungen mich überzeugen konnten / können. Aber das ist eigentlich hier nicht mein Punkt; was ich oben meinte, ist, dass der Text es für mich nicht aus der Wortebene heraus schafft in irgendeine Vorstellung, die irgendeine Reaktion hervorrufen könnte. Alles bleibt... einfach eine Menge von Buchstaben. Das geht so weit, dass ich nicht mal sicher bin, ob Schreibungen wie übersähen oder totbringend jetzt irgendetwas ganz schlaues sind oder einfach nur Verschreiber.

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Albert

Beitragvon Albert » 01.11.2009, 21:38

Hallo,
also, achja, der Text:

In der mir nur begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit wird es mir leider nicht möglich sein, eine einheitlich-kohärente Interpretation und Kritik dieses Textes zu schreiben, so dass ich im Folgenden nur einzelne Aspekte herausgreifen und untersuchen werde.
Ich beginne mit einem kurzen Schwenker zu der Folgediskussion: Ich lese hier von Reaktionen auf die Inhalte (und natürlich damit deren Darstellung) des Textes, die zu einem Sich-Verschließen vor diesem führen. Darauf hat natürlich jeder sein Recht. Wogegen ich mich aber sperre, sind Empfehlungen wie die folgenden:

Aber dann will ich erstens nicht nur zuschauen, wie jemand in seinen Schmerz immer tiefer hineingeht, sondern begleiten. Und nicht nur hineingehen, sondern gemeinsam einen Weg hinaus suchen


Ich halte dies für arrogant und verfehlt, da es meiner Meinung nach übersieht, dass es einfach Erlebnisse und Empfindungsweisen gibt, in denen so etwas nicht mehr möglich ist und sei es auch nur aus der Perspektive der jeweils betroffenen Person. Damit aber ist es m.M. bereits darstellungswürdig. Und wie man gleich sehen wird, stellen gerade solche Situationen die Kunst vor ein erhebliches Problem, das in diesem Text aber auf höchst interessante Weise angegangen und letztlich erfolgreich gelöst wird.

I Konstruktion

Denn die in diesem Text dargestellte Empfindungssituation zeichnet sich dadurch aus, dass sie erstens höchste Subjektivität für sich beansprucht und gleichzeitig daran krankt, diese Subjektivität trotz aller Reflexivität nicht mehr zu einer irgendwie kohärenten Perspektive zu synthetisieren. Dem lyr. Ich, so könnte man sagen, geht das Ich verloren, es kann nicht mehr wissen: war mein Leben bisher an Wunschvorstellungen ausgerichtet? Oder ist die Realität, die ich nun zu sehen meine, nur Resultat eben solcher Suggestionen? Das Dilemma dieses Ich ist, dass es keinen Maßstab mehr hat – es hat die Orientierung verloren (da ich, obwohl es sich hier um einen Prosatext handelt, stets das Gefühl hatte, ein Gedicht vor mir zu haben, nehme ich für mich die Rede vom lyrischen Ich einfach in Anspruch).
Aber, wer so wie ich jetzt darüber redet, so wird nicht nur solch ein ichloses Ich geltend machen, verfehlt notwendig die spezifische Erlebnisweise einer solchen Situation. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem derartigen Empfinden kann also nicht eine objektive Perspektive einnehmen – aber auch nicht eine subjektive! Denn das Ich zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass es sich selbst nicht mehr kohärent wird und genau das ist quasi das begriffsnotwendige Kriterium eines Kunstwerks.
Die Liebkosung der Gebisse . Die Verteufelung der Wälder setzt sich meiner Meinung genau mit dem Problem auseinander, eine solchermaßen sprachlose Subjektivität zum Sprechen zu bringen. Wie kann es aber Inkohärenz kohärent darstellen?
Ich denke, dass diesbezüglich Max‘ Lesart wichtige Hinweise liefert:
Die verschiedenen Abschnitte bieten für mich unterschiedliche Perspektiven auf die gleiche Bewegung. Diese Bewegung ist eine Suche. Eine Suche, nicht aus der Perspektive dessen, der sein Ziel gefunden hat (so, wie man eben meist schreibt), sondern eine Suche aus der Perspektive des gegenwärtig Suchenden, also eine Beschreibung von Innen heraus.

Wie mag dieser Eindruck zustande kommen (denn dies, lieber Max, scheint mir doch die Schwäche deines Kommentars zu sein: Er behauptet seine Deutung nur, stützt sie aber nicht, und ist deshalb natürlich nur mäßig überzeugend für einen vom Text noch nicht eingenommen; trotzdem ist es natürlich wichtig, entsprechende Interpretationen zu artikulieren)? Was diesen Text meiner Meinung nach von seiner Konstruktion her ausmacht, ist seine geradezu exzessive Verwobenheit: Jeder Satz steht mit unzähligen anderen in Beziehung. Ich möchte dies an zwei motivischen Beispielen, den Gebissen und den Tieren, kurz zeigen.

a) Dentologie
Dass die Zähne in diesem Text eine Rolle spielen, zeigt schon der Titel: „Liebkosung der Gebisse“. Der Sinn dieses Satzes, so ist man zunächst versucht zu schließen, ergibt sich über eine Verknüpfung des zweiten und vierten Textteils: In „Knirschen im Park“ ist das Zähneknirschen Bild für einen übersteigerten, nach innen gerichteten Hass, eine Zerstörungswut, von der das lyr. Ich gleichzeitig weiß, dass sie sich nur gegen sich selbst richten wird (hier nochmal ein Wort an die Diskussion: Ich verstehe nicht, wie man solche Nur-Phantasien entsprechend bewerten kann, denn erstens wird ja keiner Fliege etwas zu leide getan und zweitens ist ja genau das das Problem: könnte das Ich einen adäquaten Ausdruck finden, würde es sich nicht selbst so zerfressen. Das Zurückschrecken vor solchen psychischen Bewegungen gerade als humanistisches scheint mir ein umso fürchterlicherer verbrämter Anti-Humanismus, aber ich werde zu spitz). In „Das also, der Anfang des Stumpfes“ wird ein anderes Knirschen beschrieben, nämlich das jenes „er“s, also des Partners der Fässin, hier ebenfalls Ausdruck eines weggeschobenen Schmerzes und von der Erzählerin/Fässin (siehe unten) als authentische Reaktion auf die Mängel der Fässin gewertet. Dadurch wird wiederum ein Bezug zu „Knirschen im Park“ hergestellt, was auf die Hypothese hinausläuft, dass erstens die Fässin und das Ich aus „Knirschen im Park“ identisch sind und dass sowohl dieses Ich als auch der „er“ an den Mängeln des Ich leiden. Und dies wäre die Liebkosung der Gebisse.
Doch der Text belässt es nicht dabei. Im ersten Abschnitt („Mythologie des Schmerzes“) ist nämlich auch von Zähnen die Rede, zwar indirekt, aber umso verstörender. Dort sind es „blutende Tiere“ die „einander wundreißen“ – was die einfache Gleichsetzung zwischen Fässin und Ich aus „Knirschen“ wenigstens kompliziert. Und dialektisch wird es, wenn einem auffällt, dass in „Kräuterwünsche“ das bloße physische Zerstören des Beißens durch die ja ganz andere Beziehung des Essens ersetzt wird. Ich finde es jedenfalls nicht weniger als genial, wie hier die fürchterliche Lösung für das einander Zerbeißen angegeben wird: „Bitte iss es auf, denn es kann nicht mehr“, als läge darin eine seltsame Art von Frieden (und vielleicht tut es das ja).

b) Fauna
Man hat schon gemerkt, wie sich „Tiere“ und die „Personen“ zu vermischen begannen, wenn man sich bloß auf das Motiv der Zähne konzentriert (mal ganz abgesehen davon, dass das etwas archaische Beißen ja sowieso schon „tierisch“ anmutet). Dies verstärkt sich bei genauerem Hinsehen. In „Kräuterwünsche“ liegt das zur Verspeisung vorgesehene Tier allein auf der Seite, die tut auch die Fässin im vierten Abschnitt, und dass diese, wie jenes Tier, „nicht mehr kann“ scheint auch klar. Seltsam dann aber, dass neben ihr noch ein Tier ist, ein Fuchs, der, wie in „Mythologie“, aus dem Boden ragt. In „Knirschen im Park“ wiederum werden drei Tiere (Labrador, Elster und Eichhorn) in die Tötungsphantasien mit einbezogen, und es ist sicher kein Zufall, dass das letzte Tier am Ende des Stumpfes sich befindet – während der vierte Abschnitt gerade als Titel: „Das also, der Anfang des Stumpfes“ hat, und dabei über das „also“ suggeriert, Ausruf jenes lyrischen Ichs zu sein (siehe unten). Ich denke, jeder kann leicht nachvollziehen, inwiefern auf diese Weise einerseits Identitäten zwischen „Tieren“ und dem lyr. Ich/den Menschen gestiftet, diese andererseits gleichzeitig unterminiert werden.

II Stimmen

Nachdem das grundsätzliche Konstruktionsprinzip des Textes denke ich klar geworden ist, scheint es mir angebracht, dieses auf drei Themenkreise zu beziehen: Sprache, Sprechinstanzen (zusammengefasst unter Stimmen) und Topoi. Gerade die ersten beiden sind, wie schon deutlich wurde, meiner Meinung nach von entscheidendem Interesse: Es muss nun deutlich werden, wie das Konstruktionsprinzip dem Text die Möglichkeit verschafft, jene unmögliche Stimme zu finden, von der ich eingangs sprach.

a) Sprache
Der erste Eindruck, den ich nach dem Lesen des Textes hatte war: Dies Ding ist gestaltet. Mir war wenig von seiner Konstruktion klar geworden, nur dies, dass es einiges zu entdecken geben würde. Am deutlichsten, neben den Querverweisen, wird dies für mich in der sprachlichen Gestaltung.
Der Text erzeugt meiner Meinung nach erhebliche sprachliche Dynamiken, die ich hier kurz nachzeichnen will. Wichtig scheint mir dabei, dass diese nicht den Text durchziehen – die Sprache selbst schafft keine Kohärenz, auch nicht als sich verändernde. Der Einfachheit halber gehe ich den Text von vorne bis hinten durch.
In „Mythologie des Schmerzes“ fällt vor allem die Satzgestaltung und die Lautlichkeit auf. Es handelt sich um eine „sprechende Sprache“, sie klingt. Die Sätze jedoch verkümmern: Im ersten Absatz haben wir Hauptsätze mit halbwegs dynamischen Verben (ruft, lässt mich spannen), im zweiten werden daraus zwei „ist“. Im dritten Absatz fehlen die Verben schon ganz, und im vierten, als perverse Steigerung, werden die Verben in die Relativsätze gedrückt oder als Partizipalkonstruktionen eingeschmuggelt, die gleichzeitig den Satz völlig zerfleddern (denn man weiß ja gar nicht, wie soll man lesen: „dass man nichts halten muss und (dass man) ganze Wälder ihrer Bäume beraubt“, aber dann: „bloß noch Tiere aus dem Boden ragen“? oder eher: „dass man nichts tun muss, dass man nichts halten muss und [dass] bloß noch Tiere aus dem Boden ragen“ – passt aber beides nicht zusammen, passt aber in den Text.
Denn in „Knirschen im Park“ hat sich der Satz verabschiedet, ihn hats zerrissen, übrig sind verb-lose Fragmente, die dynamisiert werden nur durch ihre Steigerung in Länge und Abstrusität der Wortschöpfungen (man vgl.: „wie dem zarten Mädchen am Wasser seine durch die Bluse scheinenden Schulterblätter brechen“ mit: „wie dem schleimenden H&M-Röhrenjeansdrogenjungen mit der Flasche des im Gebüsch liegenden pseudodiogenessuffschlummernden Penners den Schädel zerspritzen wie“ (und noch eine Kritik an Max: genau deshalb ist „pseudodiogenessuffschlummernd hier auch berechtigt, es ist folgerichtig – und ich habs auch verstanden). Wenn die Verben mit dem Sprecher-Ich zurückkehren, so doch nur kurz, denn der Abschnitt schließt, ohne zu enden („bis ich mich hindurchgebissen habe durch alle Gesichter die schon immer wie das eigene Gesicht“).
Wenn so in den ersten beiden Abschnitten die Sprache des Ich geradezu zertrümmert wird, hebt in „Kräuterwünsche“ plötzlich ein ganz neue, seltsame Stimme an, stilisiert jemanden, man weiß nur nicht wen, ansprechend. Auch hier gibt es wieder eine interessante Dynamik, nämlich zweimal Gruppen von drei Imperativen (nimm es, entscheide was, entschließe dich; „wenn du …, iss es auf; Bitte iss es auf, denn…; So hör doch! Du musst…, wenn…; gerade die zweite Gruppe hat einen seltsamen Effekt mit ihrer sich steigernder Vehemenz, die gleichzeitig zurückgenommen wird durch Erklärungen usw. als wollte sie nicht zu sehr verschrecken). Der zweite Absatz wiederum erinnert etwas an den Anfang (Satzstruktur), ist jetzt jedoch ganz in der dritten Person und im Ton irgendwie beklemmender.
Um zur Sprache des vierten Teils zu kommen, muss ich noch etwas zu den

b) Sprechinstanzen
sagen. In „Mythologie“ und „Knirschen“ geht ein Ich seiner Sprache verlustig. Deshalb tritt in „Kräuterwünsche“ auch eine scheinbar dissoziierte Stimme auf, die einen eigenen Ton anschlägt, scheinbar eine funktionierende Sprache besitzt, dann aber wieder in den Tonfall von „Mythologie“ einmündet bzw. diesen an Bedrohlichkeit noch übertrifft. In „Das also, der Anfang des Stumpfes“ kommt es daher zu der aufregendsten Veränderung der Sprechinstanzen im ganzen Text: Der Text wird von einer Art Erzähler an sich gerissen, der plötzlich von einem „er“ redet, ganz selbstverständlich, ganz allwissend. Aber schon in der Bezeichnung „Fässin ohne Boden“ kommt ein subjektives Element hinein, das auf dem geringen Raum, den der Textabschnitt bietet, die gesamte Erzählstimme infiltriert, so dass die letzten Sätze und sogar schon Absätze bereits wie aus dem Mund der Fässin, des Ichs, wem auch immer zu kommen scheinen.
Umso gespenstischer mutet dabei etwa die Wiederaufnahme der „wie“-Konstruktionen aus dem zweiten Textabschnitt an, umso furchtbarer sieht man, wie verschiedene Elemente des vorangegangenen wieder auftauchen (der Fuchs, ihr sich auf die Seite drehen usw.). Die Geisterhimmel, so könnte man meinen, schließen sich um sie.
Aber wer ist „sie“? Wer ist diese Stimme, die anfangs behauptet, ihre eigene Stimme würde sie rufen, also den Text bereits mit einer dissoziierenden Geste behauptet. Ist das die Stimme aus „Kräuterwünsche“? Und ist die Fässin mit dem Ich aus „Knirschen“ identisch, wie ja die sich liebkosenden Gebisse suggerieren, oder mit dem Tier aus „Kräuterwünsche“, und passt das oder beides wiederum zu den sich wundreißenden Tieren aus „Mythologie“; wer soll dann aber das Tier noch essen, wer wird angesprochen? Das mag in so einer Straffung vielleicht lächerlich klingen, doch meiner Meinung sind es diese unauflöslichen Verschränkungen von Stimmen und Identitäten, um die es hier letztlich geht (und das muss man ernst nehmen: nicht nur die Personen werden parallelisiert! Sondern gerade auch der Text selbst kann sich davon nicht ausnehmen, und gerade deshalb ist es auch nicht lächerlich oder beliebig). Aus meiner Sicht ist der Text eine absolut feinfühlige und höchst vorsichtige Auseinandersetzung mit einem schwierigen, unsere Kultur aber vielleicht sogar definierenden „Geisteszustand“ und dessen „Stimmen“.
(Stimme ist übrigens auch so ein zentrales Motiv, vgl. „Mythologie“ erster Abatz, „Knirschen“, „zeternde Elster“, „jammernde Alte“, in „Das also“ ist das „Knirschen seiner Zähne“ verratend, und das Lauschen der Fässin selbst ihre einzige Stimme).

III Topologien

Ich schließe mit dem Nachvollzug der zentralen Topoi von Himmel und Wald. Einerseits machen beide ähnliche „Verwandlungen“ durch wie die bereits betrachteten Motive, andererseits stehen sie in einem desto spannenderen Verhältnis. Himmel oder „Geisterhimmel“ scheinen zunächst für eine Art kranke „Ferne“ zu stehen (es wäre hier höchst interessant, auf das Verhältnis des Satzes von Peter und dessen Bearbeitung durch den Text einzugehen, aber das würde alles sprengen), eine Art geistigen Tod, im Sinne einer Flucht ins Irreale. In „Mythologie“ wird dies in Verbindung gebracht mit einem Berauben der Wälder um ihre Bäume, d.h. ja strenggenommen um ihr „Wesen“ (Wälder sind durch Bäume geradezu definiert); es scheint also einerseits ein Gegensatz zwischen den Geisterhimmeln und den Wäldern zu bestehen (Wälder als das möglicherweise „gesunde“), andererseits führen die Geisterhimmel zu der Zerstörung, Pervertierung, „Verteufelung“? der Wälder.
In „Das also“ finden wir beide Motive wieder. Doch irgendwie sind sie grundverkehrt. Die Fässin flüchtet in den Wald; das wäre nachvollziehbar, bestünde tatsächlich ein Gegensatz zwischen den Geisterhimmeln und dem Wald, aber: erstens ist der Wald ja versehrt, zweitens sind es nicht die Geisterhimmel vor denen sie flieht, sondern es ist der „Himmel, unter dem sie als eine andere ging“, als eine, die sie ertragen konnte – vielleicht eine Illusion (in gewisser Hinsicht, aber darauf kommt es an), aber jedenfalls keine tote. Das sieht man auch an folgendem Vergleich:
1. Textabschnitt: „Meine Schuldstimme. Die lässt mich Geisterhimmel spannen“
2. Textabschnitt: „wie hatte sie ihren Blick von sich fort entspannen können zu einem Himmel, unter dem sie als eine andere ging“
Himmel statt Geisterhimmel, der Blick entspannt sich, statt dass der Geisterhimmel gespannt wird. Gleichzeitig wird nun aber genau dieses Entspannen zu einem anderen Himmel negiert, bejammert! Von wem aber, einer quasi-objektiven Instanz, in die sich wiederum das Ich einmischt usw. An diesem Beispiel kann man meiner Meinung nach meine Eingangsthesen gut untermauern: Das Ich kann für sich nicht mehr bestimmen, was kranke oder gesunde „Illusion“ ist, es ist ohne Orientierung. Ihm(ihr) werden die Befürchtungen zur Realität, sie verschmäht die befreienden Himmel, sieht aber gleichzeitig, dass sie selbst sich in Geisterhimmeln verliert (man sieht ja, was der Fässin an „Beweismaterial“ ausreicht, um sich zur Flucht zu entschließen; freilich ein leerer Hinweis auf ihre Irrationalität).

Ich denke, ich schließe hier erstmal ab; mein Interesse hat mich wohl mitgerissen… ich möchte nun kurz noch sagen:
Liebe Lisa,
vielen Dank für den Text. Es heißt „todbringend“ statt „totbringend“ und „übersäen“ statt „übersähen“ (Oh-Edit: ferdi ist mir, aber unsicher, zuvorgekommen).

Liebe Grüße,
Albert

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 01.11.2009, 22:05

Hallo Albert!

Ich bin mir ganz sicher, wie man diese Worte schreibt; wie sie im Zusammenhang dieses Textes zu schreiben sind - ja das ist ein anderes Thema ;-)

Ich hoffe, dass du das Recht auf's sich-verschließen auch gegenüber Sekundärtexten einräumst? Ich habe mich nämlich ziemlich genau hier...

Denn die in diesem Text dargestellte Empfindungssituation zeichnet sich dadurch aus, dass sie erstens höchste Subjektivität für sich beansprucht und gleichzeitig daran krankt, diese Subjektivität trotz aller Reflexivität nicht mehr zu einer irgendwie kohärenten Perspektive zu synthetisieren.


...ziemlich genau dazu entschlossen :pfeifen:

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 01.11.2009, 23:29

Hallo Lisa,
Allerdings ist das dann eben auch keine ästhetische Auseinandersetzung mit dem Text, die die einzige ist, welche den Text als Text qualifizieren oder disqualifizieren kann.

Was verstehst du konkret unter einer "ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Text"?
"Die Menge der Legenden von der wir nicht sprechen" und den ich ziemlich genial finde. Wie auch dieser Titel versucht dieser Text etwas zu fassen, was ja eigentlich eine Existenz mit Nullausdehnung hat. Etwas, was gerade durch die Art seines Nichtvorhandenseinkönnens in einem bestimmten Raum, wirkt. So wie sich in der unendlichen Geschichte das Nichts immer weiter ausdehnt, so können auch Legenden, von denen nicht gesprochen wird, aus. Und meines Erachtens versucht der Text einen inneren Zustand zu fassen, der öffentlich nicht da ist, aber eben öffentlich oder sagen wir in der Gemeinschaft wirkt. Kannst du damit etwas anfangen? ich habe es jetzt bewusst noch abstrakter gehalten, dait du selbst vielleicht nochmal schaust, ob du das, was ich konkret meine, nicht doch lesen kannst.
Ich hoffe, das war etwas aufschlussreich.

Für mich nicht. Mir schwirren nur noch mehr Fragezeichen vor den Augen herum.
Ich schrieb u.a:
als ich deinen Text las, musste ich an "das Sterben der Grabsteine" denken. Ich sehe hier einen direkten Zusammenhang. Du legst den Finger in die Wunde, diese Wunde, die Welt heißt. Doch dieser Finger legt sich nicht nur in die Wunde, er bohrt so lange, bis er am anderen Ende wieder herauskommt und somit selbst zum sterbenden Grabstein wird. Vielleicht ist ja genau das von dir gewollt?

Das war ja meine konkrete Frage. Magst du mir diese noch beantworten oder hast du es schon und ich habe sie in all der Abstraktheit nicht erkannt?

Saludos
Mucki mit rauchendem Kopf

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 01.11.2009, 23:49

Hallo Lisa,

ich möchte dir noch antworten, (also eher fragen ;-)) damit das nicht untergeht.

Und es (mir) ist klar, dass es in der Welt Furchtbares/Hässliches/Grausiges gibt, was außer eben im Inneren nur in der Kunst erlebbar und damit vorzeigbar ist.

Wenn es im Inneren von Irgendjemand das alles gibt, (und ich kann und will das nur von dir distanziert lesen, weil ich sonst ganz anders reagieren würde) ist das dann nicht schlimm genug? Müsste man dann nicht gerade einen anderen Text schreiben, der einen Weg zeigt, nicht das Ziel, aber doch eine Möglichkeit, die zwischen den Zeilen aufscheint, zeigen, dass es etwas darüber hinaus gibt? Muss man dann einen Text schreiben, der dem Schmerz in dieser Weise frönt und sich in ihm einnistet?
Warum sollte man es in einem künstlerischen Rahmen vorzeigen wollen?
Warum soll das Jemand (mit)erleben können?
Was soll er am Leser bewirken? Oder was für den Autor?
Verständnis? Abstumpfung? Abgeklärtheit? Schmerz? Konfrontation? Reines Zeigen eines Zustandes?
Was soll der Text denn leisten?
Ich kann das nicht am Text erkennen und auch nicht in deiner Erklärung.
Das sind nun alles keine rhetorischen Fragen, sondern solche, die ich mir dann einfach stelle, die mich beschäftigen, wenn ich lese, dass es deshalb Zumutungen in der Kunst, und darum auch solche Texte braucht.

In diesem Zusammenhang habe ich übrigens den Eindruck, dieser Faden würde sich nicht von einem Faden unterscheiden, in dem ich nur den zweiten Abschnitt (Knirschen im Park) gepostet hätte. Oder?

Nein, wahrscheinlich nicht, was mich betrifft aber auch nicht, wenn du nur die anderen Abschnitte gepostet hättest. Denn ich sehe in allen und das war dann ja wohl auch deine Absicht den Blick auf das Gleiche. Nur ist in diesem Abschnitt die Aggression (nach außen und innen) natürlich am schärfsten und klarsten formuliert.

Ganz allgemein, wirklich nicht provokativ sondern gespannt gefragt, würde mich interessieren, ob es für euch, leonie, Flora, Gabriella oder ferdi, eigentlich einen Text (hier im Forum oder überhaupt einer in der Literatur) gibt, der euch mit dem starken Einsatz von Grusel/Gewalt/Ekel oder dergleichen hat überzeugen können?

Sicher ist es so, dass ich den Einsatz dieser Mittel immer sehr kritisch hinterfrage. Aber wenn es einem Text gelingt, dass er mir über diesen Ekel oder die Gewalt hinaus oder hindurch etwas sagen kann, mir etwas zeigt, dann kann ich das auch als legitimes Kunstmittel annehmen. Nur finde ich muss man da eben auch genau hinschauen dürfen, was denn eigentlich gesagt werden will, wozu gezeigt wird und ob es der Text tatsächlich für sich nutzen kann, ob es für den Leser aufgeht, oder er sich eben abwendet.

liebe Grüße
Flora

Hallo Albert,

Willkommen zurück! ;-)

Ich werde mir morgen deinen ausführlichen Kommentar eingehender anschauen, aber hierzu muss ich kurz etwas loswerden.
Ich beginne mit einem kurzen Schwenker zu der Folgediskussion: Ich lese hier von Reaktionen auf die Inhalte (und natürlich damit deren Darstellung) des Textes, die zu einem Sich-Verschließen vor diesem führen. Darauf hat natürlich jeder sein Recht. Wogegen ich mich aber sperre, sind Empfehlungen wie die folgenden:

Aber dann will ich erstens nicht nur zuschauen, wie jemand in seinen Schmerz immer tiefer hineingeht, sondern begleiten. Und nicht nur hineingehen, sondern gemeinsam einen Weg hinaus suchen

Ich halte dies für arrogant und verfehlt, da es meiner Meinung nach übersieht, dass es einfach Erlebnisse und Empfindungsweisen gibt, in denen so etwas nicht mehr möglich ist und sei es auch nur aus der Perspektive der jeweils betroffenen Person. Damit aber ist es m.M. bereits darstellungswürdig.

Ich halte „arrogant“ und „verfehlt“ hier für völlig verfehlte Vokabeln. ;-) Weil sie das „Begleitende“ daran übersehen und auch das „Suchende“. Es wird ja nicht der Zustand abgesprochen, sondern es geht um einen anderen Umgang damit. Und eine Empfehlung war es auch nicht.
Dein letzter Satz trifft aber vielleicht wirklich den Kern dieser Diskussion. Ist alles, was es gibt, darstellungswürdig, ohne dass man nach einem Sinn für diese Darstellung fragen darf? Dazu habe ich auch Lisa nochmal geschrieben.

liebe Grüße
Flora

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leonie
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Beitragvon leonie » 02.11.2009, 07:41

Lieber Albert,

schön, dass Du wieder da bist.

Zu Deinem Zitat meines Beitrags nur so viel.
Lisas Text wird von einigen hier als grenzverletzend empfunden, nicht nur von mir. Dann ist "Dichtmachen" eine Selbstschutzfunktion.
Ich habe versucht, das zu begründen, warum die bei mir eintritt. Warum ich bereit bin, Menschen die traumatische Erfahrungen mit spritzenden gehirnen zu begleiten. Dass aber genau das vielleicht ein
Grund ist, weshalb ich das dann in diesem Text nicht akzeptieren kann.
Es steht dir frei, das für verfehlt zu halten. Aber ich denke "arrogant" ist so ungefähr das letzte Adjektiv, das auf mich zutrifft.
Da Du mein Zitat aus dem Zusammenhang reißt und ich noch dazu den Eindruck hab, Du hast nicht wirklich verstanden, worum es mir geht, möchte ich mich dagegen verwahren. Es ging jedenfalls in keiner Weise darum, Lisa irgendwelche Ratschläge zu erteilen. Wer bin ich denn?


da es meiner Meinung nach übersieht, dass es einfach Erlebnisse und Empfindungsweisen gibt, in denen so etwas nicht mehr möglich ist und sei es auch nur aus der Perspektive der jeweils betroffenen Person. Damit aber ist es m.M. bereits darstellungswürdig.


Eigentlich ist genau das mein Kritikpunkt. Ich denke, es wäre nur aus der Sicht der betroffenen Person überhaupt darstellungsmöglich.
Für mich ist genau das einer der Gründe, warum ich es als grenzverletzend empfinde.

Mehr jetzt nicht.

Liebe Grüße

leonie

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 02.11.2009, 15:40

Hallo Albert,

danke für deine Ausführungen, ich habe sie mit Genuss gelesen. Es ändert zwar nichts an meinem persönlichen Gefühl gegenüber dem Text, und zeigt mir auch keinen Einstieg, aber die Feinheiten, die du herausgearbeitet hast kann ich als solche nun sicher anders anschauen. Ein bisschen, als könnte ich das Gesamtbild vergessen und auch die Bedeutung der Worte und den Schmerz, das psychologische oder menschliche darin und die Problematik, die mir das bereitet und nur die (Sprach)Konstruktion dahinter wie ein filigranes kunstvolles Netz anschauen.
(*g* Als könnte ich die Spinne vergessen.)
Aus meiner Sicht ist der Text eine absolut feinfühlige und höchst vorsichtige Auseinandersetzung mit einem schwierigen, unsere Kultur aber vielleicht sogar definierenden „Geisteszustand“ und dessen „Stimmen“.

Das ist jedoch dann wieder etwas, wo ich mich frage, ob es nicht einfach eine innere Übereinstimmung mit der Sicht des Textes auf die Welt und auch auf den inneren Zustand braucht, ein Wiedererkennen. Ob Lisa das einkalkuliert, dass er eben durch seine Absolutheit und Radikalität oder vielleicht besser Übersteigerung dann diejenigen verliert und ihnen auch nichts darüber wird sagen können, die es nicht sowieso schon so sehen. Damit entfällt dann aber auch dieser Gedanke der Zumutung, weil es diese Lesergruppe ja gar nicht mehr erschrecken kann, es für sie keine Zumutung ist.
Also wäre die Frage, will dieser Text sich tatsächlich auch nach Außen wenden, diese Eintrittspforte schaffen, die ich nicht finde? Wenn er das nicht soll, ist es wohl so, dass mein Eingangskommentar Lisas Intention, was die Rezeption anbelangt, nicht widerspricht, sondern sie stützt und insofern natürlich dann auch die Umsetzung gelungen wäre.
Ich kann zwar den Sinn darin noch immer nicht erkennen, aber vielleicht zeigt ihn mir noch irgendwer, oder vielleicht ist es auch sinnlos. ;-)

liebe Grüße
Flora

Albert

Beitragvon Albert » 02.11.2009, 22:45

Hallo,

in aller Kürze:

Liebe leonie,

ich denke, es gibt zwischen uns drei Fragen: Sprichst du nur über deinen Eindruck oder vertrittst du einen Anspruch dem Text gegenüber? Ist dieser Anspruch gerechtfertigt? Ist es arrogant, diesen Anspruch zu vertreten?

Warum denke ich, dass du nicht bloß eine subjektive Reaktion schilderst (dein Verschließen angesichts der Bilder; eine Reaktion, die ich ja bereit bin, anzuerkennen und die auch eine wichtige Rückmeldung für einen Autor ist)? Nun, erstmal schreibst du ja einen Kommentar zu diesem Text, von dem man einfach erwartet, dass er eine begründete Stellungnahme dazu ist. Will man über den eigentlichen Text nichts sagen, muss man das extra kennzeichnen, so, wie du das auch versucht hast. Ich habe aber den Eindruck, dass du daran scheiterst und weiß nun nicht: ist es Ungeschick, unterschwellige Aggression, Berechnung (nehmen wir mal an, mein Eindruck ist richtig, natürlich)? Da ist z.B. die doch seltsam anmutende Ausführlichkeit deiner Kommentare, bloß für die Aussage, dass du dich dem Text verschließt. Darüber hinaus finden sich in eigentlich allen deiner Kommentar Stellen, die sich aus meiner Sicht nur auf den Text beziehen lassen: er führe eine aggressive Bewegung aus, er würde keine Anstrengung unternehmen, sich zu öffnen usw. Ich meine, es ist doch paradox zu sagen: ich erteile Lisa keine Ratschläge - und zwei Absätze weiter zu sagen: Was sie da darstellt, kann sie gar nicht darstellen.
(Das waren jetzt noch nicht die arroganten Äußerungen, nur die falschen).

Was ich da zitiert habe, finde ich deshalb problematisch, weil du aus meiner Sicht dem Text versuchst abzusprechen, überhaupt funktionieren zu können (es tut hier nichts zur Sache, dass dies bloß deine Sicht ist - das ist selbstverständlich und ist immer so. Du triffst aber Behauptungen über den Text - und denen ist zu widersprechen, sie können sich in dieser Form nicht auf die (übrigens letztlich auch problematisch) Autorität deiner Empfindung stützen). Wie ich versucht habe zu zeigen, ist es für den Text gerade wesentlich, dass er die Anforderungen, die du da postulierst, nicht erfüllt, dass es keinen Ausweg gibt, kein an die Hand nehmen usw. Gleichzeitig halte ich es für eine, wenn hier auch ins Extreme geführte, gleichwohl absolut zentrale Erfahrung, die sich in der europäischen Geistesgeschichte immer wieder findet (man kann eigentlich bis ganz zurück gehen, aber das 19./20. Jahrhundert hat eine besondere Fülle von sich selbst bewussten Darstellungen solcher Empfindungsweisen aufzubieten - Nietzsche, Hofmannsthal, Proust, Beckett... - was soll man etwa zum "Endspiel" sagen, deiner Meinung nach? Gibt es da einen Sinn?). In diesem Sinne ist auch dein Darstellungseinwand nichtig, denn als entsprechend sozialisierter hat jedoch von uns hier einen gewissen Erfahrungshorizont, der uns zu kompetenten Rezipienten derartiger Texte macht. Diese soziale Vermittlung, würde ich sagen, ist sogar mit den entsprechenden innerpsychischen Zuständen mindestens gleichursprünglich.

Und warum nun arrogant? Ich habe noch einmal darüber nachgedacht. Das Wort ist vielleicht voreilig, ich bin nicht sicher. Ich verstehe, dass du für dich wichtige Erfahrungen gemacht hast, die eine entsprechend vehemente Reaktion vielleicht rechtfertigen. Für mich entstand der Eindruck der Arroganz aus zwei Gründen: Zum einen hatte ich das Gefühl, dass du dem Text nicht wirklich versucht hast, gerecht zu werden, es wurde immer nur behauptet, er stelle den Schmerz zu unmittelbar dar usw. aber belegt wurde das ja eigentlich nicht (es findet sich sogar der Satz, der Unterschied zum "Ekel-Fernsehen" müsse beim ersten Lesen klar werden - mir völlig unverständlich). Ich meine, gezeigt zu haben, dass dies alles textimmanent durchaus sinnvoll ist, einem Gestaltungsprinzip gehorcht usw. Der zweite Grund ist der, dass ich glaube, dass der Kunst gerade in Bezug auf solche schwierigen Zustände einen enorm wichtige Funktion zukommt: Sie konstituiert mit, wie man mit solchen Zuständen auskommen kann, sie ist eine Form der (Selbst-)Verständigung darüber, worin diese bestehen usw. Und es erscheint mir dann als vermessen, entsprechende, noch dazu so elaborierte Versuche von vorneherein moralisch abzuwatschen (oder gar unsägliche Vergleiche zu unternehmen). Ich würde also umformulieren und bin nun der Meinung, du könntest in deinen Urteilen über den Text (die, so denke ich doch, tatsächlich solche sind) mehr reflektieren, dass du dich dem Text nicht besonders intensiv gewidmet hast.

Liebe Flora,

ich stelle fest, dass ich dir mit der Antwort auf leonie ebenfalls geantwortet habe. Vielleicht zusätzlich: Ich bin einigermaßen irritiert davon, dass solche Fragen hier tatsächlich gestellt werden:
Warum sollte man es in einem künstlerischen Rahmen vorzeigen wollen?
Warum soll das Jemand (mit)erleben können?
Was soll er am Leser bewirken? Oder was für den Autor?
Verständnis? Abstumpfung? Abgeklärtheit? Schmerz? Konfrontation? Reines Zeigen eines Zustandes?
Was soll der Text denn leisten?


Polemisch: Ist dir die Kunst so wenig wert, dass du ihr einen Zweck aufhalsen willst? Welchen Zweck könnte denn von dir geachtete Kunst erfüllen? Ich halte das für Fragen in die ganz falsche Richtung. Soll ich jetzt unter deine Gedichte schreiben: "Was soll das? Was hast du damit vor?" Soll ich in eine Kunstausttellung gehen und die Leute fragen, warum sie sich diese komischen Leinwände angucken, während ihr Thromboserisiko proportional zu ihrer Müdigkeit steigt? Soll ich meinen Sitznachbarn im Konzert fragen, was er sich eigentlich denkt, in so einem unbequemen Holzstuhl sich zwei Stunden still hinzusetzen? Was hat er ausgeheckt? Will er von diesem Lärm etwa unterhalten werden? Usw.

Kunst ist eine Form, sich in der Welt zu orientieren. In ihr zum Ausdruck kommendes wird bestenfalls in diesem Ausdruck mit konstituiert. Wer die Kunst beschneidet, und das tut jedes instrumentalistische Fragen tendenziell, beschneidet Möglichkeiten der Existenz (ob von Personen, Gruppen, Gesellschaften, was immer). Nicht die Kunst muss sich moralisch rechtfertigen, sondern solche Beschneidungen.

Deinen zweiten Kommentar verstehe ich da schon ein wenig anders. Ich würde einerseits sagen: ja, es ist konstitutiv für den Text, dass er keinen äußeren Sinn anbietet. Andererseits würde ich sagen: nein, der Text verschließt sich durchaus nicht von selbst. Möglich, dass er dich nicht überzeugen kann, aber das ist kein Mangel (aus meiner Sicht). Genauso kann ich sagen: Wer diesen Gedanken als Zumutung empfindet, kann sich natürlich dem Text nicht öffnen - wieso sollte sich der Text statt nach dem, was er darstellt, nach seinen Zuhörern richten (das wäre ja höchst ärgerlich!).

liebe Grüße euch beiden,
Albert

Ich hoffe, dass du das Recht auf's sich-verschließen auch gegenüber Sekundärtexten einräumst? Ich habe mich nämlich ziemlich genau hier...

Denn die in diesem Text dargestellte Empfindungssituation zeichnet sich dadurch aus, dass sie erstens höchste Subjektivität für sich beansprucht und gleichzeitig daran krankt, diese Subjektivität trotz aller Reflexivität nicht mehr zu einer irgendwie kohärenten Perspektive zu synthetisieren.

...ziemlich genau dazu entschlossen

Ferdigruß!


Lieber ferdi,

ich finde es ganz prima, wie offen du damit umgehen kannst! Schön!
Viel Glück weiterhin,
Albert

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 02.11.2009, 23:15

Hallo Albert,

in aller Länge:

Bei Polemik gehn bei mir die Ohren zu. :o)

Hast du was gesagt?

Also ernsthaft. Ich denke fragen darf man alles... und wenn Lisa fragt, ob ihr Texte "das" ... "was?" leistet, dann finde ich es auch legitim, dass ich frage, was der denn leisten soll. Und Zweck und Sinn sind für mich nicht gleichzusetzen.

Und wo beschneide ich denn etwas? Bis jetzt ist doch noch alles dran am Text... :mrgreen: Entschuldige, ich kann das gerade nicht so ernst nehmen, weil ich den Eindruck habe, du liest zwar Lisas Text sehr genau, aber die Kommentare dafür eben so, wie es gerade passt, um sie vorzuführen. Und was du Leonie und mir da um die Ohren haust, finde ich wenig förderlich für eine Diskussion, oder Annäherung. Ich weiß nicht, ist das Ungeschick, unterschwellige Aggression oder Berechnung?

Der Text muss sich natürlich nicht nach mir richten, wird er sicher auch nicht. Da wir hier aber in einem Forum sind, in dem es um Austausch geht, muss ich ja erst mal meine Sichtweise kundtun, um Lisa die Möglichkeit zu geben zu sehen, was sie damit anfangen kann, oder eben nicht. Vielleicht warten wir einfach mal ihre Antwort ab.

liebe Grüße
Flora

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Beitragvon ferdi » 02.11.2009, 23:24

Hallo Albert!

Ich freue mich, dir Gelegenheit gegeben zu haben, etwas prima zu finden :-) Obwohl dir das neben dem Bewusstsein, die Welt nicht nur verstanden zu haben, sondern sie anderen auch zweifelsfrei und vollständig erklären zu können, sicher nur wie ein sehr kleiner Tropfen auf einem sehr heißen Stein erscheinen wird.

Wer die Kunst beschneidet, beschneidet Möglichkeiten der Existenz.

Wow :-)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Beitragvon Ylvi » 03.11.2009, 09:09

Hallo Alle,

ich muss sagen, mich beschäftigt die Art, wie diese Diskussion läuft sehr, und ich finde vieles verletzend und habe versucht, dem noch mal auf den Grund zu gehen, zu sehen, was eigentlich schief läuft, an welchem Punkt wir aneinander vorbeireden.

So viele unterschiedliche Autoren mit ganz unterschiedlichen Texten es hier im Salon gibt, so unterschiedlich fallen auch die Kommentare aus. Ich empfinde Alberts Herangehensweise als Bereicherung. Und kann auch Max verstehen, der einfordert, man solle versuchen den Text aus sich heraus zu verstehen. Oder auch ferdis Ansatz.

Leonie und ich haben Lisa eine ganz persönliche, vollkommen subjektive Rückmeldung gegeben, wie der Text auf uns wirkt und haben versucht zu erklären, wie und warum es zu dieser Reaktion kommt.

Als Autor kann ich nur sagen, dass das etwas ist, was mir wichtig ist.
Ich möchte sehen, ob der Text - ganz ohne Anspruch darauf, ob er gründlich analysiert und verstanden wurde – ankommt und wie.
Ob er etwas mit dem Leser macht, oder ob ihm das nicht gelingt. Das kann eine ganz spontane Reaktion nach dem ersten Lesen sein, die sich vielleicht dann auch wieder revidiert, oder eine, nachdem sich der Leser lange darauf eingelassen hat.
Interessant sind natürlich auch Kommentare, die sich sprachlich oder formal mit dem Text auseinandersetzen.
Oder solche, die versuchen ihn zu analysieren und ganz von sich heraus zu verstehen.
Oder solche, die Änderungsvorschläge machen, zeigen, wie der andere Autor sprachlich herangehen würde, was er sich vorstellt, wie er vorgehen würde.
Oder solche, die einfach ein kurzes Statement oder einen Gedanken dazu da lassen.
Oder Interpretationen, oder Vergleiche, oder Inspirationen dazu, oder Fragen...

Ich denke es sollte gerade unter Autoren möglich sein, all diese unterschiedlichen Formen der Rückmeldung zuzulassen und auch anzunehmen, weil gerade das für mich auch den Salon ausmacht. Wir sind hier ein bunter, kreativer Haufen und ich fände es schön, wenn man das dann auch für die Kommentierende Seite beanspruchen könnte und diese Formen gleichberechtigt nebeneinander bestehen könnten.

Was der Autor mit der Rückmeldung dann macht, liegt doch immer bei ihm selbst. Ich erhebe in keinster Weise, egal welche Art der Rückmeldung ich wähle, den Anspruch, dass der Autor etwas davon annehmen oder umsetzen muss. Ich freue mich aber, wenn ich darüber in einen Austausch mit ihm komme.

liebe Grüße
Flora

Max

Beitragvon Max » 03.11.2009, 09:11

Lieber Albert,

auch in aller Kürze (wobei Du entweder schneller schreibst als ich oder Deinen Kürzen länger sind als meine): Das ist wirklich einer der bemerkenswertesten Beiträge (von mehr als 120.000) die ich jemals im Salon gelesen habe.

Merci
Max

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Beitragvon leonie » 03.11.2009, 10:19

Lieber Albert,

ich versuche jetzt noch einmal zu vermitteln, was bei ersten lesen dieses Textes mit mir passiert ist und weshalb ich mich dann verschlossen habe.

Also, mir kommt es so vor, als bitte eine Autorin mich hier, ihr auf unbekanntes Terrain zu folgen und zwar mit verbundenen Augen. Lass dich ein, auch wenn Du nicht weißt, was Dich erwartet. (Sie sagt mir nicht warum)
Okay, denke ich mir, Lisa ist eine gute Autorin, probiere ich es aus.

Ich gehe mit und was ich auf dem ersten Abschnitt erfahre, gefällt mir ehrlich gesagt nicht besonders gut. Ich fühle mich unwohl in meiner Haut. Aber ich gehe weiter mit.

Dann werden mir etwas um die Ohren gehauen, die mir weh tun, ich empfinde das halt so. Ich verstehe immer noch nicht genau warum.

Aber ich halte durch bis zum Ende.

Auch da sagt Lisa mir nicht, warum ich diesen Weg gehen sollte. Muss sie auch nciht, ich kann mir darüber ja selber Gedanken machen.

Ich stelle fest: Es war ekelhaft, schmerzhaft, sinnlos. (Vielleicht wollte Lisa mir ja genau das zeigen, aber sie sagt es mir nicht).

Dann nehme ich die Augenbinde ab. Meine Reaktion ist. Das mache ich nicht noch einmal mit.

Ich frage mich, warum Du meinst, von mir fordern zu können, das müsse ich aber, ich müsse mich damit auseinandersetzen. Ich finde, ich habe das Recht und gute Gründe, mich zu verweigern. Ich bin nämlich mit der verarbeiten der Bilder beschäftigt genug.

Das kann sein, dass du mich nicht verstehen kannst und dass du mir sagst, so darf ich mit Kunst nicht umgehen. Ich lasse mir aber nicht anraten, ich müsse mir das im Sinne der Freiheit der Kunst noch einmal gefallen lassen und mich tiefgehender damit auseinandersetzen. (Da machst Du ja auch genau das, was Du mir unter dem Punkt "Arroganz" vorwirfst).

Das mache ich nur, wenn Lisa mir sagen würde: Mich quält das, ich brauch jemanden, der es mit mir aushält. Oder: So fühlt sich ein Mensch, der alles an Orientierung verloren hat (wobei ich dann immer noch frage, woher weißt du das oder willst du das wissen können?, wenn sie mir das plausibel machen kann (denn auch das hat sie hier nicht), dann sage ich vielleicht; okay, es war gut, dass ich das einmal erlebt habe, ich kann verstehen, dass es das Grauen ist und dass man das nie wieder erleben möchte, wenn sie es mir nicht plausibel machen kann, dann sage ich: Es wäre besser gewesen, dazu nichts zu sagen. Und Du hast recht: Das sage ich aus moralischen Gründen, weil ich es unangemessen finde gegenüber den Menschen, die tatsächlich so etwas in der Realität erleben. Ich meine dafür in meinen Erfahrungen ganz gute Gründe zu haben). Es ist aber auch eine Frage nach der Glaubwürdigkeit, denke ich.

Tut sie aber nicht. Sie führt das vor und das ist es. Da kann ich für mich dann nur sagen: Tut mir Leid, es hat nicht nur nicht funktioniert, es hat auch mein Vertrauen in die Autorin erheblich beeinträchtigt. Ich empfinde das als aggressiven Akt und dann wundere dich bitte nicht, wenn ich auch aggressiv darauf reagiere.

Was das Ekelfernsehen betrifft: Es sind die Bilder, die mich daran erinnert haben. Iß das Tier auf. Ist hier natürlich ganz anders gemeint. Das Problem ist, mir erschließt sich nicht wie.

Der andere Punkt ist die Motivation: Das Ekelfernsehen sagt mir: Wir wollen Dich unterhalten. Ich sage. Das gelingt euch erstens nicht, zweitens glaube ich euch das nicht. Ich habe den Eindruck, ihr wollt mich schockieren, das mögen andere mögen, ich aber nicht. Und außerdem glaube ich euch auch gar nciht, ich denke eher, ihr wollt Geld verdienen. Es geht hier gar nicht um mich.

Lisa lässt mich im Unklaren über die Motivation. Sie hat vielleicht eine, aber sie sagt sie mir nciht.

Ich will da auch nichts unterstellen. Wenn ich ihr das beste unterstelle, dann ist es ja wirklich: Sie will Ausweglosigkeit, Orientierungslosigkeit aus der Innenperspektive darstellen.

Das ist ja vielleicht sogar gelungen (abgesehen von den Fragen, die ich oben ansprach). Ich fühle mich ja hinterher immerhin orientierungslos, verletzt und auch aggressiv.

Das Problem ist nur auch: Ich als Leserin stehe am Ende da und fühle mich als eine Art Versuchskaninchen missbraucht. Kann ja sein, dass das eine zu formale Betrachtungsweise ist und ich mich nicht mit den Inhalten tief genug auseinandergesetzt habe. Das bestreite ich nicht einmal, ich habe den Text wirklich nur ein Mal gelesen.

Aber es ist ja vielleicht für Lisa auch eine wertvolle Rückmeldung, wenn ich ihr das sage. (Ich habe hier genau wie Du Dinge gründlich reflektiert, nämlich meine Reaktionsweise). Vielleicht hat sie es ja sogar intendiert oder zumindest in Kauf genommen.

Wenn sie mich als Leserin gewinnen wollte, die sich tiefgehend mit den Bildern auseinandersetzt, kann ich nur sagen: Das ist gründlich misslungen. Ich bin da nicht die einzige. Und das Misslingen lasse ich nicht mir anlasten.
Auch nicht mit dem Argument der Freiheit der Kunst.

Nun zu diesen Sätzen:

"Wer die Kunst beschneidet, und das tut jedes instrumentalistische Fragen tendenziell, beschneidet Möglichkeiten der Existenz (ob von Personen, Gruppen, Gesellschaften, was immer). Nicht die Kunst muss sich moralisch rechtfertigen, sondern solche Beschneidungen."

Für mich ist das Satz nicht uneingeschränkt richtig. Es enthält einen Blankoscheck, den ich nciht bereit bin auszustellen. Einen Absolutheitsanspruch, den ich der Komplexität der Wirklichkeit unangemessen finde. Abgesehen davon, dass man dann ja auch nocheinmal definieren müsste, was denn nun "Kunst" ist und was nicht.

Das sage ich jetzt nicht im Bezug auf Lisas Text, sondern nur im Bezug auf diese Sätze. Und ich stelle das bewusst als Frage:

Sollte nicht selbst die Freiheit der Kunst an den Grenzen der Menschlichkeit enden?
Denn sonst beschneidet sie womöglich Menschen in ihren Lebensmöglichkeiten.

Es ist für mich eine ethische Frage. Und ich meine, dass man die sogar an die Kunst stellen darf.



Ich sehe übrigens überhaupt nicht, dass wir hier an einem Punkt wären, wo die Freiheit der Kunst beschnitten würde. Niemand hier fordert, dass Lisa den Text rausnehmen soll, oder droht mit irgendetwas.

Ob das jetzt Kunst ist oder nicht, ob sie gelungen ist oder nicht, das muss meiner Meinung nach diskutiert werden dürfen. Da ist es nicht gerade hilfreich, diese Grundsatzgeschütze aufzufahren. Mich beschleicht dann leider der Verdacht, dass das jetzt die Moralkeule ist, die die Kritiker mundtot machen soll, was Du natürlich bestreiten wirst. (Aber ich werde Dich ja ein bisschen ärgern dürfen...)


Liebe Grüße

leonie
Zuletzt geändert von leonie am 03.11.2009, 13:01, insgesamt 2-mal geändert.

Louisa

Beitragvon Louisa » 03.11.2009, 10:29

Huhu!

Also ich kann nicht genau darauf eingehen, weil ich noch etwas für die Uni lesen muss (lalala...) - Aber ich möchte anmerken: Ich finde auch, dass hier jeder dazu berechtigt ist seine Meinung zu einem Text abzugeben - ich kann zwar Leonies Verstörung auch nicht nachvollziehen (denn dann müsste man doch auch genauso manche Bilder von Dali oder Geschichten von Kafka, Gedichte von Benn ebenso "verstörend" finden und könnte sie nicht mehr ertagen auf Grund des Grauens?) - aber wenn es sie verstört und wenn sie damit wenig anzufangen weiß und sich mehr Begründungen im Text wünscht, dann ist das ja eine legitime Forderung.

Mir würden Begründungen für diesen Schrecken in Lisas Werk gar nicht gefallen - So bleibt das ganze ja relativ Albtraumhaft, es ist für mich eine allgemeine Furcht und ein allgemeines Grauen, dass man mit vielen Motiven ausstaffieren könnte - Irgendein Problem versteckt sich sicherlich dahinter - Aber ich will gar nicht so genau wissen welches. Diese allgemeinen, unkonkreten Bezeichnungen wie "Weh" oder "Schmerz" am Anfang - Ich weiß gar nicht, ob mir nicht sogar die zu viel waren, Lisa! Ich sage dir das immer wieder *schmunzel* - Aber ich finde immer noch, dass deine Texte, dadurch, dass du so oft den "Schmerz" an sich als Wort verwendest abgeschwächt werden - und das klingt jetzt ziemlich pauschalisierend und doof :smile: - ABer das ist seit jeher mein Eindruck :smile: ! Denn die Bilder, die du für Furcht/Schmerz/Grauen/Leid entwickelst sind so granatenmäßig stark, dass ich es nicht verstehen kann wie man das Gefühl dann trotzdem noch beim Namen nennt.
Du hast mir das schon einmal freundlich erklärt, aber ich werde es sicherlich nie verstehen :smile: - Aber erklär es noch einmal, bitte *kicher*

Ja, das wollte ich sagen! Das das so ein allgemeiner Schrecken ist, der hier beschrieben wird - Das man ihn auf alles, alles mögliche beziehen könnte. Sei es nun auf verstörende Beziehungserlebnisse, Kriege oder Verlustefahrungen, Albträume, etc....

Deshalb habe ich auch nicht verstanden, dass Leonie von Menschen erzählt, die ein"echtes Grauen" (oder so ähnlich hast du gesagt) erlebt haben. Wer entscheidet denn, was ein echtes Grauen ist?
Nur weil der eine seine Eltern beim Autounfall verloren hat und der andere es nicht schafft aus seiner Isolation zu entkommen, kann man nicht sagen, dass der eine mehr und der andere weniger leidet, denke ich.

Und wer entscheidet denn, was Kunst eigentlich ist (das ist auch an Albert gerichtet) - Ich finde das sind sehr schwierige Fragen - Genauso wie diese nach der Menschlichkeit und was das sein soll... Da gibt es doch diese schönen Sprüche wie den von Toms Signatur: "Menschheit, du hattest von ANfang an nicht das Zeug dazu!"

- Und das ist ja gerade dieser Wiederspruch - das es da so ein Ideal des Menschen gibt (vielleicht im Hummanismus!?) - das aber gar nicht in der Wirklichkeit erfüllt wird - kein Mensch ist doch ohne Abgründe und Ekel.

Naja...ein weites Feld. Das diente jetzt ebenso der Verteidigung von Lisas Arbeit - aber gleichzeitig finde ich es auch legitim, wenn man damit nichts anzufangen weiß. Ich finde bloß auch auf keinen Fall, dass so ein Text eine ausgesprochene Motivation/Begründung braucht.

Also jedem das seine ;-) !

LIebe Grüße,
l


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