Hallo,
so, ich hoffe, ich bekomme nach dem aufregenden Tag jetzt noch hin, was mir seit gestern abend schon keine Ruhe ließ (hätte ich es mal da doch geschrieben, aber ich war so müde und dachte, der Faden entspannt sich, dass ich mir bis heute Zeit lassen wollte und dann überschlug sich alles und jetzt hab ich den ganzen Tag drüber nachgedacht ohne etwas "machen" zu können und bin schon ganz aufgebracht davon
![rolleyes :rolleyes:](./images/smilies/rolleyes.gif)
).
Erst einmal möchte ich den Punkt herausgreifen, der überhaupt zu der wilden und teilweise verletzenden Diskussion im Faden geführt hat und dafür die Formulierung, auf die immer wieder Bezug genommen wurde, nämlich "Kind mit erotischer Ausstrahlung" herausgreifen. Ab vom Ton und den Streitereien, die sich in die Problematik mit hineingemischt haben und auf die ich hoffe, weiter unten angemessen einzugehen, vermisse ich an der geäußerten Kritik
zu großen Teilen eine tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Kontext, den der Text schafft, innerhalb dessen die Formulierung gebraucht wird. Denn nur daran kann man meines Erachtens ermessen, ob der Text scheitert oder sich bewährt.
Ich kann die Position, dass solch eine Formulierung grundsätzlich nicht zu akzeptieren ist oder durch sie immer schon ein grundsätzlicher moralischer Vorwurf an den Text zu richten sei (Im Sinne einer immer vorhandenen und anzuprangernden Gefahr), nicht nachvollziehen. Mal ganz angesehen davon, dass ich es dem Text gegenüber nicht angemessen finde, glaube ich gerade bei solchen brisanten, schlimmen, ja zerstörerischen Themen wie Kindesmissbrauch, dass Positionen, die sich grundsätzlich abgeschlossen verhalten, ebenso der Gefahr unterliegen, sexuell-aggressives Potential in der Gesellschaft zu fördern (durch Unterdrückung, Tabuisierung und dergleichen), wie die geäußerte Furcht, Texte können durch einen unvorsichtigen und gefährlichen Gebrauch ihrer Suggestionskraft Brandstiftung betreiben (was es natürlich auch ganz klar gibt). Ich sehe beides: Wenn ein Text ein derart sensibles Thema bearbeitet, muss geschaut werden: Tut der Text dies, indem er aufarbeitet, zeigt er etwas, was vielleicht gerade durch ein Kunstwerk ausgesprochen werden kann, wo andere Sprachformen stumm oder hilflos sind? Oder ist der Text willentlich oder unwillentlich "gefährlich"?
Denn für mich ist mehr als klar, dass es in unserer Welt (im Sinne eines Vorkommens) die Wahrnehmung gibt, dass Kinder eine erotische Ausstrahlung haben, sei es von einzelnen "Gestörten" oder in Bezug auf bestimmte Aspekte auch durchaus in der Masse (man sehe sich nur mal die Kleidung für Kinder, insbesondere Mädchen an oder denke an die frühere Diskussion, mit welchen sexuelle Reize auslösende Mitteln Disney-Figuren "verniedlicht wurden). Alice Miller beobachtet etwa sehr genau, wie die gesamte Gesellschaft (denn zu sexuellem Missbrauch gehören meines Erachtens nicht nur die "großen", eindeutigen Taten, die einem als erstes in den Sinn kommen, sondern auch bestimmte Machtstrukturen, bestimmte sich etablierende Umgansgweisen und vieles mehr) von dem Empfindungen her so abgestumpft ist, dass sie auf bestimmte Eigenschaften von Kindern/Babys ("Offenheit" des Körpers (Weichheit, Bereitschaft, Liebesbedürftigkeit und dergleichen)) oft nur sexuell oder zumindest sexuell konnotiert reagieren können. Alles andere ist zu großen Teilen verkümmert.
Und wenn es dieses "Problem", bestimmte Mechanismen, Gewaltätigkeiten, Missbräuche gibt, finde ich es umso wichtiger, dass diese sichtbar sind. Und Kunst ist meiner Meinung eines der talentiertesten und hoffnungswürdigsten Mittel,
um sichtbar zu machen.
Und so läuft es für mich wie bei jedem Kunstwerk auf die Frage hinaus, ob Renees Text den diesen Anspruch erfüllt bzw. erfüllen möchte). Und ich glaube, es ist kein Zufall, dass eine Auseinandersetzung mit genau dieser Frage in diesem Faden bisher nahezu fehlt.
Ich kann das jetzt aus Zeit- und Energiegründen nicht vollständig machen. Auch möchte ich vorausschicken, dass der Text mich ingesamt im Vergleich etwa mit "Histoire de cou" oder dem Frederic von Renee nicht vollständig überzeugt, das allerdings in Aspekten, die sich nicht in Bezug auf oben gestellte Fragen niederschlagen, damit es nicht so aussieht, als wollte ich den Text nun überbewerten, ich finde schon, dass einzelnes vielleicht noch abgerundet werden könnte. Aber nun zu meiner Lesart...
Man könnte vielleicht so beginnen, dass man fragt, wieso die Charakterisierung von Agathes Tochter als ein "Kind mit erotischer Austrahlung" eigentlich da steht und was sie für den Text bedeutet. Ich denke nicht, dass es sich um ein bloßes "Energie-Reinlegen" handelt, welches durch ein brisant konnotiertes Wort erfolgt, einen Unterhaltungsaspekt, ein Lustpointieren, um etwa schnell Figuren zu beleben, sondern dass man durchaus textimmanente Gründe angeben kann.
Meines Erachtens geht es dem Text in erster Linie um Agathe. Aus dieser zunächst trivialen Feststellung entwickeln sich dann schnell ein paar Antworten. Da wäre zum einen die Frage, die Flora angerissen hat: Wer spricht da eigentlich dem Kind jene erotische Ausstrahlung zu? Sicherlich inszeniert sich die Erzählstimme als allwissende, distanzierte, trocken-ironische, fast schon sardonische Instanz - aber meiner Meinung nach spielen immer wieder auch "Perspektivmomente" von Agathe selbst mit hinein. So auch an besagter Stelle. Ich denke, die Wahrnehmung als "erotisch" passt vor allem zu der verhärmten, "sexuell inaktiven" Frau, die dies gleichzeitig als Lebensweise angenommen zu haben scheint, "bis zum Tode", die sie allerdings nicht zufrieden sein ließ - und die entsprechenden projizierte Wünsche ("Neid") in das Kind hineinliest (aus dieser Sichtweise, die ja nicht am Anfang steht, sondern auch schon Produkt aus allen möglichem ist, auch von den Männern selbst, entstehen dann durchaus sogar wieder auch Dynamiken, die dazu führen, dass Männer sich von Kindern angezogen fühlen usf.).
Die Erzählstimme ist natürlich (auf komplexe Art) mit einem Anspruch auf "Objektivität" ausgestattet, so dass mehr "dahinter stecken muss". Ich denke, es ist leicht vorstellbar dass ein Kind in einer entsprechenden Situation ( "kalte", "seltsame", zurückgezogene und unglückliche/gleichzeitig wahrscheinlich ihr Leben als "richtig" denkende Mutter und auf der anderen Seite kein Vater bzw. einer, der wie ein Loch ist und alle väterliche Energie zurücknimmt) mit Kompensationen reagiert, um woanders (wobei man dieses woanders fataler weise eben als unfreies und damit gleichabhängiges und damit ebenso wie Agathe missbrauchbares Verhalten bezeichnen muss) so etwas wie "Aufmerksamkeit" etc. zu erhalten (das ist psychologisch natürlich zu vereinfacht angerissen).
Stimmig in diesem Zusammenhang auch, dass die Tochter ja geradezu eingerahmt ist von zwei "Guten" (siehe Namensbedeutungen) - einmal der Mutter Agathe, die gut ist, im Sinne eines fast religiösschuldzusprechenden Vorhalten "Gutmenschentums" - (siehe Doktor, Themenbereich, etc.; sie ist davon überzeugt, richtig zu leben in ihrer letztlich nicht-selbst-gewählten Askese die sie nur als selbst-gewählte zu ertragen vermag) und dann der Schulfreundin Adèle, also der Edlen, die als Fluchtpunkt fungiert (eine Familie hat etc.), aber, so meine Lesart jedenfalls, doch nur als eine "Andere" fühbar ist, was bedeutet, dass sie für die namenlose Tochter nur eine Fantasie und wahrscheinlich ebenso schmerzvoll ist wie die Tochter für Agathe.
Agathe hat sicher an etwas gelitten und deshalb ihr Programm aufgefahren. Was wiederum dazu führt, dass auch ihre Tochter ein bestimmtes ("Gegen"-)programm auffährt.
Nicht zuletzt bindet der Todesgrund, der Tumor, für mich das ganze Thema an die Körperlichkeit zurück. So wie die Tochter aus Agathe kommt und sich gegenteilig zur Mutter entwickelt, mutiert auch in Agathe körpereigenes Gewebe, wächst zu etwas eigenständigem, Fremden, "Feindlichen" heran, was sie letztlich sogar tötet. (dass dies im Kopf geschieht, ist sicher kein Zufall, da Agathe ihren Schwierigkeiten genau dort lösen möchte, sich versucht dort zu behaupten).
Für mich ist dadurch eine Figur erschaffen, an der sich erzählen lässt, welche Machstrukturen und welchem Druck eine Frau in Bezug auf die Sexualität ausgeliefert ist und wie man scheitert /stirbt, wenn man versucht, sich auf bestimmte Weise zu entziehen und was das produziert (dass das etwa bedeutet, dass man stirbt, und trotzdem das ganze immer weitergegeben wird...)
(bezeichnend auch dafür die Beschreibung der "Mediziner", den "Göttern", eine Horde junger, gut gekämmter Männer, die Agathes Körper noch nach dem Tode missbrauchen kann, ja man könnte sogar sagen, missbrauchen
muss, aufgrund der Strukturen, die der Text als konsequent erachtet.
Und in diesem Sinne finde ich Renees Überlegungen zu dem Zusammenhang von erotischer Austrahlung und Mangel sehr interessant und schlüssig und die Formulierung im Text genau richtig. Und auch der Titel ist ziemlich ... gelungen...wer oder was ist da eigentlich bösartig?
(...) An der Stelle höre ich jetzt mal auf.
Niemand muss hier meiner Lesart folgen und ich akzeptiere, ja, finde es legitim, dass jemand ganz für sich ohne weitere Auseinandersetzung sagt: so etwas will ich nicht lesen, aber dann steht ihm auch kein Urteil über den Text zu, das bestimmen möchte, ob der Text ein Text ist oder nicht und/oder ob er moralisch in Frage zu stellen ist (die Frage der Literarizität und der Moralität eines Textes fällt für mich zusammen, ist "eine", die gleiche Frage), aber das Auseinandersetzen mit dem Text hat mir gefehlt und ich kann deshalb auch verstehen, dass Sam von reflexartiger Reaktion spricht und noch mehr kann ich verstehen, dass Renee sich nicht in der Lage sieht, auf die Frage, was sie eigentlich mit "erotischer Austrahlung eines Kindes" meint, zu antworten - denn die richtige Frage, um dies beantworten zu können (die kontextgebundene), gab es im Grunde nicht.
Wie die Diskussion dann konkret abgelaufen ist, das Wie, der Tonfall finde ich schon erschreckend.
Ich weiß nicht genau, wie ich jetzt zu später Stunde des Fadens auf Einzelheiten bzw. einzelnes Verhalten eingehen soll, ohne als Administratorin bürgermeisterlich rüberzukommen, und auf einzelne mit dem Finger zu zeigen, zumal ich verstehen kann, dass bei Fragen, bei denen es um den Schutz von Kindern geht, man empfindlich (das ist nicht negativ gemeint) reagiert.
Trotzdem finde ich müssen auch Texte angemessen behandelt werden und wie man etwa an keinsilbigs Reaktion sieht, ist auch der Wunsch da, dass von forenorganisierender Seite auf den angemessenen Umgang des Textes geachtet wird. Ich kann nur sagen (und das ist hoffentlich durch das vorausgeeilte auch ein wenig deutlich geworden): Mir ist es ein Anliegen, dass Texte hier durchaus kritisch, aber immer "würdevoll" diskutiert werden und auch, dass das Forum für Texte, die sich schwieriger Aufgaben annehmen, Raum zu bieten. Mir ist ebenso wichtig, dass im Forum jeder, der irgendwo eine Gefahr sieht, die von einem Text ausgeht, diese und seine Schwierigkeiten benennen darf. Dass das schwierig ist und oft dazu führt, dass man aufgeregt ist, sich wütend verhält, den Autor angreift bzw. der falsche Umgangsweise dann den Autor angreift, sich auch in der Verteidigung wiederum heftig verhält, kann sicher jeder abstrakt verstehen..aushalten muss man es aber eben konkret und das ist eben schwierig und bedarf einer Meta-Ebene...weil nicht jedem leicht fällt, den anderen in jedem Moment zu verstehen in seiner Wut, seinem Frust oder seinem Angegangensein.
Vielleicht aber kurz zwei Sachen konkret:
Nifl, ich kann verstehen (wenn auch letztlich nicht teilen), warum du die Position einnimmst, die du hier im Faden vertreten hast, und dass du deine Anliegen in diesem Fall für besonders verteidigungswert erachtest. Deine Art zu diskutieren ist ja häufiger etwas raurer, hier fand ich aber, dass sie im Verlaufe des Fadens verunglückt ist, das betrifft insbesondere den Punkt dass, wenn es auch nicht dein Anliegen schien, sich deine Repliken auf Renee und Sam so vermischt zu haben schienen / vermischt haben, dass auch ich tatsächlich finde, dass Renees Text auf eine Art angegangen wurde, die verletzend ist bzw. bei Renee zumindest nicht mehr anders ankommen kann. Fand ich schon ein wenig heftig.
Der jetzt von leonie eröffnete Faden im Cafe trägt hoffentlich dazu bei, dass sich die Diskussion um den Missbrauch an sich und um Renees Text wieder etwas auseinander halten lässt und beide Diskussionen möglich sind.
keinsilbig, vielleicht noch kurz zur Nichtbeteiligung in dem Faden anderer Mitglieder: Wir hatten im Forum schon oft (zu anderen Themen, ähnlich heiße oder persönliche) andere Streitfäden, was dazu führt, dass sich viele, wenn klar wird, dass sich ein Faden problematisch entwickelt, nicht einbringen, weil ihnen das einfach (inzwischen oder als Grundhaltung) zu viel ist, andere haben auch nicht genug Zeit, sodass sie denken, nichts zu sagen, ist vielleicht besser, als etwas nicht durchdachtes einzubringen. Was vielleicht für das Forum anders vielleicht fruchtbarer wäre, aber auch verständlich ist, finde ich. Ich denke nicht, dass eine Nichtbeteiligung deshalb so zu werten ist, dass alle, die sich nicht melden, die Meinung teilen, die du kritisiert hast. Es tut mir Leid, dass mein Nichtvorhandensein vielleicht diesen Eindruck verstärkt hat, da du dadurch stärker in eine Einzelkämpferposition gerückt bist, als es nötig gewesen wäre (inhaltlich bin ich einfach nicht früher dazu gekommen, mich hier zu melden und wegen der Meldung des Beitrages von dir, habe ich dir per Pn nur geschrieben, dass wir
administrativ auf die Meldung nicht weiter reagieren wollen. Ich hätte klarer machen sollen, dass ich davon ab mich natürlich hier noch einbringen wollte.) Auf der anderen Seite denke ich, dass solche haarigen Diskussionen auch nur funktionieren, wenn man erst einmal davon ausgeht, dass der "andere" zum einen weder eine Instanz ist, die aus Alteingesessen oder einer Übermacht oder "Beobachtern" besteht. Natürlich gibt (um mein Anliegen zu vermitteln vermische ich jetzt mal dein Anliegen hier mit anderen Beschreibungen von dir des Salons) Gruppebildungen und dergleichen, wie auch nicht, bestimmt liegt einiges daran auch schief und könnte anders sein und es wichtig, dass immer wieder anzusprechen, gerade "neuere" Mitglieder können da wach halten. Aber ich glaube fest dass in diesem Forum wirklich der Wille vorherrscht, solchen Diskussionen und Anliegen Raum zu geben, um die es dir geht. Natürlich gelingt das nicht immer, der skeptische Blick ist sinnvoll, aber er sollte nicht überwiegen (das meine ich nicht moralisch, sondern so, dass es ansonsten keinen Sinn hat, weil man sich dann gar nicht darauf einlasen kann.). Ich würde mich freuen, wenn du es weiter versuchst hier.
So, bevor jetzt keiner mehr denkt, dass ich mich heute noch melde, schicke ich das ganze mal lieber ab.
liebe grüße,
Lisa