Rockys letzter Gang

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maria

Beitragvon maria » 17.04.2006, 23:24

Rockys letzter Gang

Zufällig schaue ich beim Betten aufschütteln aus dem Fenster. Unten auf der Straße spaziert Mara mit Rocky durch den Nieselregen.
Irgendetwas irritiert mich ...
Von Mara sehe ich nur den lustigen zitronengelben Entenregenschirm, ihre Beine, die in einer Regenhose stecken und die roten Gummistiefel. Rocky trottet an der Leine hinter ihr her, die alten Hundepfoten schleifen bei jedem Schritt über den Asphalt. Was für ein putziges Bild – das kleine Mädchen in den quietschbunten Regensachen mit dem großen Hund im Regen. Wie auf einer Postkarte – dann müsste auf dem Regenschirm stehen: Don´t worry, be happy!
Vor ein paar Tagen traf ich Maras Mutter. Sie erzählte mir, dass Rocky eingeschläfert werden soll. Mara weiß nichts davon.
Rocky ist 15 Jahre alt, blind und fast taub, er frisst kaum noch, jede Bewegung schmerzt offensichtlich. Deshalb döst er am Liebsten nur noch auf seiner alten Karodecke in der Küche, dicht neben der Heizung. In letzter Zeit fletscht er den Kindern manchmal die Zähne, wenn sie mit ihm spielen wollen – das hat dann den Ausschlag gegeben. Die einzig vernünftige Entscheidung.
Mara besucht bald für eine Woche ihre Großeltern – darauf freut sie sich schon lange.
In dieser Woche wird Maras Mutter mit Rocky zum Tierarzt fahren, wo er dann die Spritze bekommt. Weil Rocky ein großer Hund ist, kann er nicht im Garten begraben werden - seinen Kadaver wird also der Tierarzt entsorgen. Wenn Mara wieder nach Hause kommt, wird die Mutter ihr erzählen, dass Rocky gestorben ist, ganz friedlich auf seiner Decke. Im Garten wird es ein Grab geben mit einer hübschen Blume darauf – jetzt im Frühling vielleicht ein Primelchen oder eine Narzisse, stelle ich mir vor.
Jetzt fällt mir ein, dass Mara am Dienstag fährt. Ach ja, das ist ja dann morgen.
Jetzt weiß ich auch, was mich irritiert hat: Ich habe Mara eigentlich noch nie mit Rocky spazieren gehen sehen. Rocky ist uralt und steif, er bleibt ständig stehen und lässt sich bitten. Dazu hat Mara sicher keine Lust. Ich reime mir zusammen, dass Maras Mutter sie zu diesem Spaziergang gedrängt hat, weil sie ja weiß, was Mara nicht wissen kann.
Ich sehe den beiden nach, wie sie die Straße entlanggehen und schließlich in die Querstrasse abbiegen. Zuerst verschwindet Mara aus meinem Blickfeld, den Entenregenschirm auf der Schulter im Kreis drehend, dann, eine Leinenlänge später, auch Rocky.
Seine alten Hundepfoten schleifen über den Asphalt.

maria

Beitragvon maria » 26.04.2006, 21:57

Das Thema Tod und Tiere spielt sich gerade in unserem Garten ab. Unsere dämliche Katze meinte uns ein Vogeljunges vor die Tür legen zu müssen! Schlimm genug. Das Schlimmste ist - es lebt noch. Ja - so ist halt die Natur, ich weiß das ja auch, aber es ist schon traurig so ein neues frisches nacktes Leben im Gras liegen zu sehen, ganz allein. Es bewegt sich nicht mehr, aber man sieht das Herz durch die dünne Haut klopfen...

Danke für eure Rückmeldungen! Ich habe mich sehr darüber gefreut. Es macht mir viel Freude hier im Blauen Salon!

LG maria


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