Waschen, Schneiden, Legen (Pfingstprotokoll)

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Klara
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Beitragvon Klara » 24.05.2010, 21:12

Waschen, Schneiden, Legen: Pfingstprotokoll

Vorher. Diese freien Tage sind anders geplant. Nicht durchgestylt, aber als angenehme Unterbrechung, als Mußezeit, mit Schwimmbad, Bewegung, viel Luft für Kind und Kegel. Eine Kurzreise aufs Land, Freundin der Kinder mitnehmen, ein paar Sonnenstrahlen erwarten, etwas Ruhe und, so Gott will, könnte auch gern ein guter Geist mit irgendeiner klasse Botschaft kommen. Er wäre hochwillkommen.

Kommt aber nicht. Schickt seinen Cousin, den Unfall.

14.10 Uhr, Beginn der Kettenreaktion: Schreie. Der Sohn fällt, einfach so, beim harmlosen Fußballrangeln mit seiner Schwester. Der Sohn schreit (man kann das intuitiv unterscheiden: es ist nicht jenes genervte Wehtun-Schreien des „Mach-endlich-dass-es-weg-geht-Mama“, sonders dieses drängende, das sofortige Reaktion verlangende Schreien einer bösen Verletzung). Die Tochter schreit „Mama, Anton hat irgendwas Schlimmes“ . Die Mutter erschreckt, reagiert ebenfalls schreiend, bevor sie die Lage überhaupt einschätzen kann („WasistpassiertverdammteScheiße!“), stürzt hin zum Sohn, sieht einen sechseinhalbjährigen Ellbogen, der absolut nicht so aussieht, wie ein sechseinhalbjähriger Ellbogen aussehen soll (eine Art Kugel wölbt die Haut nach außen), ist paradoxerweise erleichtert, denn die rasch von irgendeinem Teufel eingespielten Horrorbilder – klaffende Kopfwunde, BLUT, Schnitt im Hals, TOD, Nagel im Auge, GENICKBRUCH – sind offenbar für diesmal von der Wirklichkeit nicht bestätigt.

14.15 Uhr. Man rast ins 30 km entfernte Krankenhaus, den schreienden Sohn im Ohr, hilflosen Trost murmelnd, innerlich flehend „bitte lass ihn nicht ohnmächtig werden“, hoffend noch, es sei „nur“ ein ausgekugeltes Gelenk, das „nur“ unter Narkose „mal eben“ wieder reingedreht gehört.

15.15 Uhr. Der vom überforderten Assistenzarzt herbeigerufene Oberarzt des regionalen Krankenhauses spricht nach dem Röntgen nicht nur von Dislokation, sondern auch von Fraktur und OP. Er legt einen provisorischen Gips an. „Fahren Sie nach Berlin, er hat ja zwei gesunde Beine und ist transportfähig. Ich gebe Ihnen die Röntgenbilder auf CD mit.“ Sprich: Er traut sich oder seinen Leuten die Operation nicht zu, verfügt weder über Unfall- noch Kinderchirurgie.

16.00 Uhr. Die Schwester des Patienten und ihre Freundin bei der Oma lassen. Den von Schmerz und Schreien erschöpften Sohn im Regionalexpress nach Berlin bringen, Ankunft 18.19 Uhr. Taxi suchen, „ich kann nicht so schnell, Mama!“, „ins Klinikum Westend bitte“.

18.42 Uhr Notaufnahme Anmeldung. Warten, Hoffen, Verkrampfen, Trösten, Durst, Hunger, Schwitzen, Frieren, die hartnäckige Migräne ignorieren, sich selbst den Nacken massieren, den Sohn auf den Schoß nehmen, ihn (und sich selbst) um Geduld bitten, ein debiles Bilderbuch vorlesen, das auf Bitten des Jungen nach drei Sätzen abbrechen, auf Kaffee aus dem Automaten verzichten, raten, was die anderen haben, zur Untersuchung gerufen werden.

20.00 Uhr Im Untersuchungsraum weiter warten. Die Dehnzeit verblüfft zur Kenntnis nehmen. Trösten. Sohn am Einschlafen hindern. Kein Handy dabei haben. Ärzte kommen und gehen, mit Erklärungen oder ohne, mit Handschlag oder ohne, Krankenschwestern hin-und-her, jede und jeder mit dem am Boden klebenden Schritt, schwapp-schwapp, alle mit einer ähnlich patenten Art zu gehen. Der Oberarzt der Unfallchirurgie hat grad den Dienst angefangen und wirkt frisch, autoritär, kompetent. „Ich werde operieren.“ Verantwortung abgeben müssen, und wollen. Informationen erhalten. Fragebögen ausfüllen, Risiken unterschreiben.

20.45 Uhr. Staunen über eine unglaublich freundliche Belegschaft (immerhin hat dieser Nachtdienst statt an einem Feiersonntag vor einem Feiermontag). Die Schwestern spendieren Kräutertee, machen nette Sprüche und veranstalten insgesamt eine Atmosphäre des „Keine Sorge, wir kümmern uns“. Man erinnert sich an andere Aufenthalte hier, mit anderen Kindernotfällen (Schlüsselbeinbruch, Hautverbrennung … und dieses Gefühl dabei, das man nicht beschreiben kann: eine Mischung aus Bangen, Notwendigkeit, Geworfensein, aber auch Gebrauchtwerden, auch Zuversicht), als man ähnlich kompetent und freundlich versorgt wurde, weshalb man auch jetzt, mit dem gebrochenen, dislozierten, sechseinhalbjährigen Ellbogen spontan lieber hierhin fuhr anstatt in die Riesenmaschine Charité oder Virchow. Ungefähr 20 Mal laut, leise oder stumm aus voller Seele „Scheiße“ sagen. Dem Sohn ein Gleiches erlauben.

21 Uhr. Durch die „Schleuse“, „Zutritt verboten“. „Geben Sie ihm ruhig noch einen Kuss“, rät der junge Anästhesist. Der Junge steht schon unter Drogen, liegt kurz vorm Wegdämmern, dennoch wird er am kommenden Morgen das Legen der Kanüle als sehr schmerzhaft beschreiben, sobald er seine Sprache wieder hat detailliert berichten. „Raus mit Ihnen“, sagt der Oberarzt.

Warten. Sitzen, Gang rauf und runter gehen, pinkeln. Weiterwarten. Sich an die seltenen eigenen Narkotisierungen erinnern, an das schöne weiße Wegdämmerndürfen, das hässliche graue Aufwachenmüssen samt Übelkeit und Schmerz. Weiße Wände anstarren, internationale Putzfrauen ihre Arbeit verrichten sehen, die Videokamera entdecken, sich fragen, ob man live beim In-der-Nase-Popeln beobachtet wird. Sich einen Gesprächspartner wünschen, oder einen Arm um die Schulter. Froh sein, nicht reden zu müssen. Kein Buch dabei haben. "Gala“ in die Hand nehmen ( top news: kleine Kinder sind immer noch „in“ in Hollywood, solange sie schick angezogen sind). Sich Sorgen machen – warum dauert das so lange? Man sollte doch um 22 Uhr hereingerufen werden? Die OP-Lampe grellt rot wie ein Warnsignal (komplizierter Bruch, erfährt man später, langwierige Fummelarbeit).

23.30 Uhr, endlich in den Aufwachraum können, doch der Junge schläft und darf das auch, weil die Geräte ("Sättigung" 99) und die Gesichtsfarbe (frischrosa) melden: alles ok. Sich überflüssig fühlen. Small talk mit den Anästhesisten. Warten auf die Kinderschwester. Gemeinsam den Jungen auf dem Krankenbett durch kalte Keller auf die Kinderstation rollen. Informationen über Dusche, WC und Teeausgabe entgegennehmen. Lächeln und freundlich sein, man ist todmüde aber angewiesen.

24 Uhr. Das Klappbett für das begleitende Elternteil aufschlagen, beziehen, das Loch im Magen spüren

00.15 Uhr endlich selbst hinlegen, die Plastikplane unterm Laken des Behelfsbettes spüren (man könnte ja einnässen, im Krankenhaus weiß man nie). Jede Stunde wach werden, weil die Schwester Fieber und Puls misst. Die ganze Zeit diese unsagbare Liebe für ein Kleines noch mal durch die Gefahr potenziert spüren, die einzige Liebe, die man kennt, die unbedingt bleibt und lebenslang währt, keine Erschöpfung duldet und doch in diesem Moment (denn er schläft und heilt sich und hat alles, was er braucht) gar nicht nötig wäre. Was macht er auch für Sachen. Nüchtern und sentimental und ohne Ärger sein. Staunen über das Rausfallen, das plötzliche, das Fallen aus der Zeit in diesem Raumschiff übergeordneter Wichtigkeiten und durchstrukturierter Planung: Ein medizinischer Notfall lehrt Abstraktion, Demut, Prioritäten, Dankbarkeit und hinterlässt ein heiseres, leiseres Flüstern, mitten in der Stadt, mitten in der Nacht.

02.12 Uhr, 03.20 Uhr, 04.30 Uhr, 05.46 Uhr. Die unterschiedlichen Geräusche des Morgens wahrnehmen, das Immer-Wieder-Einschlafen hinnehmen, das veränderliche Licht registrieren, die bunten Vorhänge, eine Ruhe, das leise Schnarchen des Jungen hören, sein schwitziges Gesicht streichen, das kleine Beutelchen, das aus dem Verband hängt und restliches Blut sammelt (es wird ihn faszinieren, wenn er wach wird) nicht berühren, halbwach seinen Schlaf begleiten.

07.00 Uhr. Aufstehen, duschen, in die dreckigen Klamotten zurück steigen. Sich von der Tagschwester begrüßen lassen. Dem erwachten Sohn zu bequemerer Lage verhelfen. Mit ihm frühstücken und jeden Bissen genießen. Feststellen, dass er verschiedene Strümpfe, ein vollgekleckertes T-Shirt und dreckige Fingernägel hat. Sich vornehmen, vor dem nächsten Unfall darauf zu achten.

09.00 Uhr Warten. Den Sohn zur Toilette begleiten. Es geht ihm gut: Er quatscht schon wieder am Stück.

10.15 Uhr Wieder durch die Kellergänge (diesmal mit Rollstuhl, diesmal mit der Schwesternschülerin) von der Kinder- zurück in die Unfallstation. Warten. Noch mal röntgen. Verband aufschneiden. 8 cm Wunde mit blauem Faden bestaunen. Sich wundern, dass dem mit frischer Unterhose und warmer Kinderjacke herbeigeeilten Vater beim Anblick der Naht schlecht wird, dem Sohn aber nicht.

10.30 Uhr. Neuer Verband. Halber Gips. Anweisungen („in einer Woche Fäden ziehen, … Sprechstunde Dienstag 14 bis 17 Uhr… dann der richtige Gips, vier Wochen mindestens, in sechs bis zehn Wochen Schraube und Draht raus“…)

11.00 Warten. Drängeln. Regen. Taxi. „Können Sie bitte unterwegs bei einem Bäcker halten, der auf hat.“ Der grummelige Fahrer ist findiger als erwartet. Brötchen holen. „Was für’n Wetter“, schimpft er noch. „Ist nur der Kachelmann dran Schuld. Ist doch’n Witz, dit Janze.“ Sich aufraffen, das nicht so stehen zu lassen: „Seine Frau findet das Ganze wahrscheinlich weniger lustig.“ „Hm-gr-hm.“

12.15 Uhr. In der Wohnung ankern. Jetzt bloß nicht heulen, sich nicht leidtun, man hat der Hafen zu sein, und nicht das schwankende Boot. Kaffee. Darauf einstellen, dass die kommenden Wochen hart werden: Zwar ist der schlimmste Schmerz vorbei, aber das Schwierige kommt erst noch: Kein Ballspielen, kein Toben, kein Klettern, kein Schwimmbad, kein Irgendwas, das Spaß macht. Wochenlang. Vielleicht Monate. Und das bei einem Kind, das schon ausflippt, wenn es ein paar Stunden nicht genug Bewegung bekommt.

15.00 Uhr. Heile-Welt-Kuchen backen. Einen eigenen Gesundheitssegen erfinden – einen mit Kussluft und Duft von frischem Warmen aus dem Ofen. Puzzlespiele und Memory bereit legen.

17.00 Uhr Das Gewitter pladdern hören. Gemeinsam lachen über das oder etwas anderes.

21.00 Uhr. "Tatort" verpassen. Stattdessen dies hier schreiben, ohne zu wissen für wen und warum (interessiert doch keinen, der Privatmist), irgendwie nicht loslassen können, irgendwie denken, dass das ganze doch einen Sinn haben muss – eine Botschaft?

So viel zum Heiligen Geist 2010. Er möge sich bessern.

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Eule
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Beitragvon Eule » 24.05.2010, 22:45

Hallo Klara, wünsche Dir sehr, dass diese Collage nicht wirklich einen Tatsachenbericht darstellt. Wenn doch, ist es kein Wunder, dass Inhalt und Technik absolut dramatisch und authentisch wirken. In diesem Fall: Vor allem gute Besserung, viel Kraft und vielen Dank für die literarische, öffentliche "Verarbeitung" - herzliche Grüße !
Ein Klang zum Sprachspiel.

Herby

Beitragvon Herby » 24.05.2010, 23:17

Liebe Klara,

ich gehe jetzt mal davon aus, dass dein Text keine Fiktion ist und kann nur sagen, dass ich dein Pfingstprotokoll mit viel Nach- und Mitempfinden gelesen habe, wobei ich mir an einigen Stellen ein leises Schmunzeln nicht verkneifen konnte (nicht zuletzt nach beendeter Lektüre über den Titel).

Die für mich bemerkenswerteste und zugleich schönste Stelle ist die folgende:

Staunen über das Rausfallen, das plötzliche, das Fallen aus der Zeit in diesem Raumschiff übergeordneter Wichtigkeiten und durchstrukturierter Planung: Ein medizinischer Notfall lehrt Abstraktion, Demut, Prioritäten, Dankbarkeit und hinterlässt ein heiseres, leiseres Flüstern, mitten in der Stadt, mitten in der Nacht.


Die Frage nach einer Botschaft beantwortest du mit der zitierten Textestelle meines Erachtens selbst. Und auch wenn diese Botschaft nicht wirklich neu ist, kann es nicht schaden, sie hin und wieder ins Gedächtnis gerufen zu bekommen.

Und ebenfalls am Ende schreibst du etwas provokativ:

interessiert doch keinen, der Privatmist


Ich bin mir da gar nicht so sicher, Klara. Hat nicht jeder Leser irgendwo seine mehr oder minder ausgeprägten voyeuristischen Neigungen, die ihn (auch) solche Texte lesen lassen, um anschließend getröstet festzustellen, dass er vielleicht nicht der einzige Pechvogel ist oder zu sehen, wie andere mit dem Fall X oder Y fertig werden? Oder wäre dir eine solche Erklärung zu boulevardesk?
Und davon mal ganz abgesehen, die Überlegung, warum oder für wen man so etwas niederschreibt, richtet sich ja nicht nur auf den Leser, sondern da spielt auch der Autor selbst mit rein. Ich könnte mir gut vorstellen, dass du dich nach dem Schreiben etwas besser, erleichterter gefühlt hast. Trotz verpassten Tatorts ;-)


Liebe Grüße und viel Gutes für alle direkt oder indirekt leidtragenden Erwähnten :smile:
Herby

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.05.2010, 23:52

Hallo Klara,

au Mann, du schreibst hier wirklich unglaublich nahegehend und authentisch. So etwas kann wohl nur gelingen, wenn man es genauso erlebt und noch ganz frisch im Kopf hat.
Da sind viele tolle Formulierungen. Der von Herby zitierte Passus ist auch für mich die genialste Stelle.
Ich empfinde solche Erzählungen nicht als etwas, das keinen interessiert. Ganz im Gegenteil. Sie lassen mich als Leser teilhaben, ich gehe jeden Moment mit und erlebe ihn sehr echt, aber nur, weil du so gut schreiben kannst.
Alles Gute deinem Sohnemann und dir wünsche ich starke Nerven für die kommende Zeit.

Saludos
Mucki

Quoth
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Beitragvon Quoth » 25.05.2010, 09:10

Habe mit vergnügter Anteilnahme Deinen "Privatmist" gelesen. Mit den hektischen Infinitiven hast Du ein Stilmittel gefunden, dem ich mich nicht entziehen kann. Die Darstellung der Klinikatmosphäre, des leeren Wartens ohne Buch und mit Gala gefällt mir besonders gut. Gruß Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

immekeppel

Beitragvon immekeppel » 25.05.2010, 09:37

hallo klara,

da hab ich nun fünfe von diesen nachkommen, aber von so was bin ich bisher verschont geblieben!

und den tatort gibt es zum nachschauen in der ard-mediathek tatort vom 24.05.2010 / Frau Wernicke....(da hab ich gestern später abends noch zugeschlagen *g*)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.05.2010, 10:09

Liebe Klara,

mich freut am Text, dass ich etwas ratlos bin, was ich für einen Kommentar zu ihm schreiben soll - das kann nicht so falsch sein .-) - er ist nicht einzuordnen, hat für keine Literazität, wirkt wie ein Blogeintrag (schon öffentlich strukturiert, nicht wie ein Tagebucheintrag) und zugleich wie exemplifizierender Privatjournalismus (wäre das nicht mal eine tolle investigative Form? .-)) - das gefällt mir, wenn ich auch mit dem Text irgendwie nicht zuende komme, keinen "Bogen" erlebe, mir nicht als Leser vorkomme - aber vielleicht (kein Abschlussurteil möglich meinerseits .-)²) ist das eben was Neues (weil du soviel neues probierst zur Zeit).

Bin weiter gespannt :-),
liebe Grüße,
Lisa
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Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Klara
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Beitragvon Klara » 25.05.2010, 14:26

Hallo,
danke fürs Lesen.
Ja, es ist eher was Tagebuchmäßiges, Blogartiges sowohl inhaltlich wie in der Subjektivität wie in der Aktualität wie in der Gestaltung. Ich hab das mal versucht oder eher: es hat mich versucht.

Was genau ich damit will oder wollte, weiß ich nicht, thematisiere das ja auch im Text. Ob das "gut" ist oder in zwei Wochen noch gut genug ist für meine eigene Qualitätsschleuse - mal gucken. Im Moment hat(te) es erstmal gut getan, das aufzuschreiben und auch mitzuteilen, obwohl mir - ehrlich gesagt - etwas mulmig war und ich ausnahmsweise hoffte, dass da nicht mit der Literarizitäts-Brille drüber geguckt wird ;) Wurde ja offenbar auch nicht - merci.

Lisa, ja das macht dich ratlos - hm. Braucht es glaub ich gar nicht. Lies es als eine Art offener Brief, ein Stück Lebensprotokoll, das interessieren kann oder auch nicht, aber eher persönlich interessieren könnte, nehme ich an, als Blick auf "klara", die man mal gesehen hat oder sich vorstellt. Aber du hast ja schon selbst ein super-Wort gefunden - exemplifizierender Privatjournalismus - der das ganze Kladderadatsch aufwertet - danke dafür! Einen "Bogen" kann man, glaub ich, gar nicht erleben, es fließt halt so mit der Zeit dahin und stockt und fließt weiter... ("das Leben"). Aber ich schätze, wenn ich da tatsächlich mal textüberarbeitungsmäßig rangehen sollte (ist nicht so, dass ich nicht gefeilt hätte, aber eben sehr holterdipolter), würde ich -dringend - kürzen und irgendeinen Bogen erfinden :) Danke, dass du dich auf das Offene, Unabgeschlossene, das Rumprobieren meinerseits mit deinen strengen Augen so wohlwollend einlässt...

immekeppel, mal gucken, ob ich den Tatort noch gucke - danke für den Tipp. Ich bin da aber glaub ich ziemlich altbacken: Tatort Sonntag abends, oder eben nicht ;) Bei mir hier sind's vier, die anderen drei kommen heute Abend zurück, dann langweilt sich der kleine Patient hoffentlich nicht mehr so sehr -

Quoth, ja, die "hektischen Infinitive" (schön gesagt, ein Widerspruch in sich eigentlich, oder? der Inbegriff des Krankenhaus-Wartens: hektische Ewigkeiten aushalten), die schienen angebracht. Bin noch unschlüssig, ob ich da ganz konsequent sein muss (mag nicht!) und alle Ich-Prädikate ad infinitum stelle, also fast ausschließlich Infinitive verwende - aber nee... glaub nicht. Wäre wahrscheinlich zu monoton, wirkte gewollt.

Gabriella, dank dir für deine guten Wünsche! Sie kommen an!

Herby, freue mich über dein Lesen und Wohlwollen und auch, dass das ein bisschen amüsant für dich war.
Ich könnte mir gut vorstellen, dass du dich nach dem Schreiben etwas besser, erleichterter gefühlt hast. Trotz verpassten Tatorts
In der Tat - so war es :)

Arne, danke für deine Wünsche. Freue mich, dass es spannend für dich rüberkommt... (Ich glaub, irgendwas stimmt mit uns Schreiberlingen nicht - wir müssen alles aufschreiben, alles immer aufschreiben, egal, was passiert. Und das dann auch noch jemandem zeigen, das Aufgeschriebene. Anstatt sich, zum BEispiel, vor dem Fernseher abzuhängen oder in der Badewanne zu entspannen - funktioniert nicht. Erst muss es aufs Papier, in die Tasten, an den Mann/die Frau/den Leser. Merkwürdige Menschen sind wir - oder?)

Sam

Beitragvon Sam » 25.05.2010, 16:47

Hallo Klara,

mir gefällt der Text. Und ähnlich wie Lisa ist mir eine Einordnung nicht möglich. Aber sie ist mir in diesem Fall auch egal. Weil der Text mich mitnimmt. Natürlich tut es mir leid, was da deinem Sohn passiert ist (gute Besserung von dieser Stelle!!), aber das ist es nicht, was mich hier berührt und interessiert. Dir gelingt hier etwas sehr faszinierendes. Die 1:1 Beschreibung eines persönlichen, für dich sehr aufwühlenden Erlebnisses, dass du aber trotz dem hohen Grade des Involviertseins mit einer gewissen Distanz zu erzählen vermagst. Als wäre während all dieser Stunden ein Teil von dir auf deinen Schultern gesessen, hätte dich und alle anderen beobachtet und das Geschehen danach aufgeschrieben. Es ist also, und da widerspreche ich Herby, nicht Voyeurismus, der mich hier bei der Stange hält, sondern mein Interesse an dem Stück Klara, das hier weniger als Mutter, denn als Beobachter agiert. Also nicht die Frage, was da nun genau passiert, sondern was, aus all den Stunden und Geschehnissen, wird festgehalten und wie.
Vielleicht ist es wirklich so, dass dem wahren Schriftsteller alles irgendwie zu Literatur wird, weil es da immer eine Stimme gibt, die im Moment des Erlebens miterzählt. Und im Nachhinein besteht die Erinnerung nicht nur aus dem tatsächlich Erlebten, sondern auch aus eben diesem Erzählten, welches danach drängt aufgeschrieben zu werden.

Wie dem auch sei, würde jeder, der meint, etwas über sich selbst erzählen zu müssen, es auf diese Art tun, gäbe es eine Unzahl mehr von guten Blog- oder Tagebucheinträgen.

Gruß

Sam

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 26.05.2010, 09:18

Liebe Klara,

ich glaube, du hast mir etwas ironisch geantwortet .-), du kannst mir ruhig sagen, wenn du mit meiner Herangehensweise nicht soviel anfangen kann, sie zu überhöht, angestrengt findest, wirklich. Ich habe deinen Text durch meinen Kommentar nicht unterschwellig abwerten wollen oder sowas und auch nicht den Drang verspürt, ihn wenigstens in irgendeine Prognoseschublade stecken zu wollen. Mir hat er wirklich gefallen, ich bin eben nur nicht mit ihm zuende gekommen und ich habe versucht zu beschreiben, woran das liegt. Jedenfalls klingt ein Bedanken bei strengen Augen dafür, dass sie wohlwollend waren, schon ziemlich schlimm, da muss ich definitiv an meiner Kommentiersprache arbeiten, wenn ich so rüberkomme:

http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/ima ... 0copy1.jpg

Lisasuchbild .-)

liebe Grüße,
Lisa
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Klara
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Beitragvon Klara » 26.05.2010, 09:48

überhaupt nicht, Lisa!
ein klein bisschen ironisch, aber mehr so neckend-augenzwinkernd, ehrlich!
finde nichts anstrengend, überhöht oder angestrengt - und würde das, wenn es so wäre, selbstverständlich dir direkt und klar sagen, wie es meine Art ist (hoffentlich).
Du brauchst an nichts zu arbeiten und die strengen Augen waren als Kompliment gemeint - hochgeschätzt von mir sind deine Lesarten, deine Ernsthaftigkeit, deine Textkompetenz, deine Offenheit. DAS also - das Bedanken - war überhaupt nicht ironisch.
(Das Bild ist cool, das sollten wir bei der Lesung irgendwie nachstellen - allerdings mit Frauen ;))

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Beitragvon Lisa » 26.05.2010, 13:55

.-) mit dem Nachstellen bin ich einverstanden! Ansonsten: Wahrscheinlich war ich zu unsicher, hab Dank für deine ruhige Antwort!

liebe Grüße,
Lisa
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Trixie

Beitragvon Trixie » 26.05.2010, 16:02

Hallo Klara,

ich möchte gerne Sam in allen Punkten (inklusive dem Bedauern für das, was da tatsächlich letzten Endes passiert ist) nachplappern. Er spricht aus, was ich gerade dachte, als ich mir überlegt habe, was ich denn für einen Kommentar dazu schreiben könnte.

Ich kenne diese Art zu erleben und in Gedanken schonmal oder kurz danach das so aufzuschreiben und "abzusichern". Ich mache das total oft, habe aber, wegen eben jener Banalität, die du hier auch literarisch zweckmäßig einbindest, nie wirklich eine Wichtigkeit oder Künsterlischkeit darin gesehen.
Jetzt sitze ich hier auf der Arbeit und denke "stöber doch ein wenig im Salon, ist ja eh nix los" - sehe einen ansprechenden Titel, auch noch von Klara (ich halte dein Auftreten, also die Person "klara" - was anderes kenne ich ja nicht, übrigens für sehr anspruchsvoll), und Humor sehe ich bei Rubrik. Also klicke ich an und denke: Nein, nee, lass mal, zu lang, zu viel, so viele Abschnitte, Konzentration, Reindenken müssen, nee.
Und dann hab ich doch angefangen. Nur mal reinlesen.
Habe gelächelt, nachvollziehend genickt, mich umgeschaut, niemand guckt, den Kopf geschüttelt, wieder gelächelt, die Stirn gerunzelt, wieder umgeguckt, gearbeitet, wieder gelesen.
Und dann war ich plötzlich fertig.

Sehr feines Stück unverarbeiteter literarischer Alltagsverarbeitung. In dem Fall nicht "mittendrin statt nur dabei" sondern "Dabei" und das ist genau das richtige. Danke, dass du dich "getraut hast", das Niedergeschriebene zu einem Text zu machen und diesem so viel Wert zu schenken, dass du ihn hier teilst. Hastu gut gemacht =).

Alles Gute dem Sohn, natürlich auch von mir!

Liebe Grüße
Trixie

Klara
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Beitragvon Klara » 30.05.2010, 08:21

Hallo Trixie,
danke für deinen Kommentar.

Habe mich drüber gefreut, dein offenherziges Lese-Entscheidungs-Protokoll zu lesen ;): och nee zu lang, na ma kieken - und dann halt doch lesen - das ist für mein Schreiben und Versuchen eine größere Ermutigung (weiter) zu schreiben als es irgendein intellektuelles Begründen sein könnte.

(Und ja, das kenne ich: Lange Texte - und "Länge" begänne im Netz eigentlich schon bei 2500 Zeichen - lese ich online auch nurin Ausnahmefällen, empfinde das als Zumutung und verstehe den Hype um ebooks und ipad nicht. Kenne auch das Nichteinlassenwollenkönnensollen, da muss ich dann schon entweder sehr gelasssen, glücklich, unglücklich oder konzentriert sein - mußevoll, und wann ist man das schon. )

Grüße von
klara


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