Bürotagebuch
Verfasst: 28.05.2010, 20:41
CONCORDANZ LEBENSVERSICHERUNGS-ACTIEN-GESELLSCHAFT
Freitag, 28. Mai 2010
Arbeitslos werden – was für eine grauenvolle Vorstellung! Dennoch sollte ich mich beizeiten mit ihr anfreunden, allzu unübersehbar sind die Zeichen, die darauf hindeuten, dass keiner verschont bleibt, auch ich nicht! Es stehen bereits ganze Säle leer, die früher mit fröhlichem Arbeitslärm erfüllt waren, und auch ich werde das Büro, belohnt mit einem lauwarmen Händedruck der Abteilungsleiterin, eines Tages verlassen müssen. Stehe ich dann vor dem Nichts? Zunächst mag es so scheinen. Libgart darf es nicht erfahren, ich muss ihr die Kündigung verheimlichen. Ihre Konstitution ist zu zart. Munter und vergnügt wie eh und je werde ich des Morgens das Haus verlassen, um dann in einem Viertel, in dem mich niemand kennt, in einem Café den Tag mit Zeitunglesen zu verbummeln und abends heimzukehren, als sei alles in bester Ordnung. „Wie war’s?“, wird Libgart anteilnehmend fragen, ich werde über die altbekannten Reibereien mit Petersen klagen, er sitzt mir in seiner üblichen aggressiven Geducktheit gegenüber, eine höchst problematische Natur, ein Besserwisser und Rechthaber, der es außerdem darauf abgesehen hat, zum Bürovorsteher befördert zu werden.
Wenn ich das Gekaspere drei/vier Wochen durchhalte, habe ich vielleicht schon einen neuen Job und kann dann schulterzuckend so tun, als sei der Stellenwechsel von mir initiiert worden. „Ich hielt es mit Petersen einfach nicht mehr aus, da hab ich was Andres gesucht, und als ich es hatte, hab ich hingeschmissen!“ Ist es erlaubt, die liebste, treueste und aufopferndste Ehefrau auf diese Weise anzuflunkern? Die Vorstellung, sie in einen Kokon aus Lügen einzuspinnen, behagt mir gar nicht. Aber Arbeitslosigkeit ist kein Kinderspiel und rechtfertigt ungewöhnliche Maßnahmen. Ich habe freilich Angst, dass ich, habe ich erst einmal mit dem Spinnen angefangen, nicht wieder aufhören kann damit. In Cafés macht man Bekanntschaften, vielleicht ist eine darunter, mit der ich meine Verzweiflung teilen kann, und das hat mit Sicherheit die verheerende Wirkung, dass wir mit einander im Bett landen ... Ich muss Schluss machen, ich höre Frau Lucius auf dem Flur, und es wäre aberwitzig, wenn ich gefeuert würde, nur weil ich mir erlaubt habe, mal schriftlich darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn ich gefeuert würde! Schnell ausdrucken und löschen, in die Tasche guckt sie nicht!
(Dank an Sam für die Anregung)
Freitag, 28. Mai 2010
Arbeitslos werden – was für eine grauenvolle Vorstellung! Dennoch sollte ich mich beizeiten mit ihr anfreunden, allzu unübersehbar sind die Zeichen, die darauf hindeuten, dass keiner verschont bleibt, auch ich nicht! Es stehen bereits ganze Säle leer, die früher mit fröhlichem Arbeitslärm erfüllt waren, und auch ich werde das Büro, belohnt mit einem lauwarmen Händedruck der Abteilungsleiterin, eines Tages verlassen müssen. Stehe ich dann vor dem Nichts? Zunächst mag es so scheinen. Libgart darf es nicht erfahren, ich muss ihr die Kündigung verheimlichen. Ihre Konstitution ist zu zart. Munter und vergnügt wie eh und je werde ich des Morgens das Haus verlassen, um dann in einem Viertel, in dem mich niemand kennt, in einem Café den Tag mit Zeitunglesen zu verbummeln und abends heimzukehren, als sei alles in bester Ordnung. „Wie war’s?“, wird Libgart anteilnehmend fragen, ich werde über die altbekannten Reibereien mit Petersen klagen, er sitzt mir in seiner üblichen aggressiven Geducktheit gegenüber, eine höchst problematische Natur, ein Besserwisser und Rechthaber, der es außerdem darauf abgesehen hat, zum Bürovorsteher befördert zu werden.
Wenn ich das Gekaspere drei/vier Wochen durchhalte, habe ich vielleicht schon einen neuen Job und kann dann schulterzuckend so tun, als sei der Stellenwechsel von mir initiiert worden. „Ich hielt es mit Petersen einfach nicht mehr aus, da hab ich was Andres gesucht, und als ich es hatte, hab ich hingeschmissen!“ Ist es erlaubt, die liebste, treueste und aufopferndste Ehefrau auf diese Weise anzuflunkern? Die Vorstellung, sie in einen Kokon aus Lügen einzuspinnen, behagt mir gar nicht. Aber Arbeitslosigkeit ist kein Kinderspiel und rechtfertigt ungewöhnliche Maßnahmen. Ich habe freilich Angst, dass ich, habe ich erst einmal mit dem Spinnen angefangen, nicht wieder aufhören kann damit. In Cafés macht man Bekanntschaften, vielleicht ist eine darunter, mit der ich meine Verzweiflung teilen kann, und das hat mit Sicherheit die verheerende Wirkung, dass wir mit einander im Bett landen ... Ich muss Schluss machen, ich höre Frau Lucius auf dem Flur, und es wäre aberwitzig, wenn ich gefeuert würde, nur weil ich mir erlaubt habe, mal schriftlich darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn ich gefeuert würde! Schnell ausdrucken und löschen, in die Tasche guckt sie nicht!
(Dank an Sam für die Anregung)