Pig
Verfasst: 10.08.2010, 14:43
Pig
Man nennt mich Pig. Könnten Sie mich sehen, würden Sie verstehen warum. Bei einem Gewicht von mehr als 500 Pfund, steht ein anderes Tier für einen Spitznamen nicht mehr zur Verfügung. Aber auch Pig hat schon lange keiner mehr zu mir gesagt. Der einzige, der noch mit mir spricht, ist der junge Armenier von der Health Care. Und der nennt mich immer brav Mister Templeton. Diese Jungs werden verdammt schlecht bezahlt. Und das, was sie bekommen, erhalten sie weniger fürs Pflegen, als dafür, dass sie immer freundlich sein müssen. Bei mir ist ja noch nicht so viel zu tun. Einmal die Bude durchsehen, Fußnägelschneiden ab und zu oder das ein oder andere Ekzem einschmieren. Ich weiß gar nicht, wie der Junge heißt. Ich nenne ihn Sansibar, und damit ist er offensichtlich zufrieden.
Hemingway hat einmal richtigerweise gesagt, Trinken sei eine Religion. Oder war es Pollock? Egal. Wenn dem so ist, dann ist Essen auch eine Religion. Eine, die wesentlich mehr Hingabe verlangt, sind doch die ästhetischen Opfer viel früher und viel offensichtlicher zu erbringen.
Die hundert Pfund überschritt ich mit sechs, die zweihundert mit vierzehn Jahren. Es war, als wäre man in eine Sekte hineingeboren. Es gab keine unbeantworteten Fragen. Und jedes Problem schien sich darin zu begründen, dass es auf die eine oder andere Weise zu einem Engpass in der Nahrungsaufnahme gekommen war. Man mag eine solche Engstirnigkeit verurteilen. Paradoxerweise entspricht es aber der Wahrheit. Am Ende läuft alles auf das Essen hinaus, daran glaube ich fest.
Nun, ich geh mit dieser Erkenntnis nicht hausieren. Dennoch es ist meine Überzeugung, dass das Essen einen hinreichenden Lebensinhalt bieten kann. Hinreichend genug, um eventuelle negative Folgen in Kauf zu nehmen. Wie im Rennsport zum Beispiel. Oder beim Boxen. Es ist immer der Geist, der die Zerstörung des Körpers billigend in Kauf nimmt. Mein Körper will bestimmt keine fünfzehn Hamburger zum Frühstück haben. Der gäbe sich auch mit ein paar Scheiben Matzen zufrieden. Oder mit ein oder zwei Äpfeln. Ich bin derjenige, der keine Äpfel oder kein ungesäuertes Brot haben will. Ich bin es, der bestimmt, dass die Mayonnaise auf einem Sandwich mindestens einen Zentimeter dick aufgetragen werden muss. Ich ertränke dasselbe Sandwich unter einen halben Liter Ketchup.
Maßloses Essen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern davon, dass man seinen Körper zu einem gehorsamen Hund macht. Man bezwingt dessen Bedürfnis nach Ausgeglichenheit und Mäßigkeit und macht ihn zu einem Gefäß der Gier.
Und das ist gut so, möchte ich sagen.
Witzigerweise ist die erste Frage, die sich vielen Menschen bei meinem Anblick stellen, ob ich es denn noch tun kann. Ich kann Sie beruhigen. Noch kann ich, auch wenn mein Arzt (die einzige Person, die sich außer dem Armenier noch um mich kümmert) mir prophezeit hat, dass damit in den nächsten Monaten endgültig Schluss sei. Verfettung der Drüsen etc. Schwellkörperlähmung infolge von kontinuierlich ansteigendem Cholesteringehalt im Blut. Und und und.
Meinen ersten Sex hatte ich mit einem Pirellikalender, den mein Vater für fünfhundert Dollar bei einer Auktion in Las Vegas ersteigert hatte. Seit ich dreizehn bin, kann ich meinen Schwanz nur noch im Spiegel sehen. Na und? Sex ist die am meisten überschätzte Sache der Welt. Ich habe mir Nutten kommen lassen. Manchmal sogar zwei oder drei zugleich und sie sind über meinen fetten Leib hergefallen, als wären meine kalkweißen Schenkel die Pforten zum Paradies. Sie haben ihre Nasen in meine Fleischfalten gepresst und an mir herumgesaugt und gelutscht. Dennoch bereitet mir ein Tiramisu weit mehr Vergnügen, ja selbst ein Viertelpfünder mit Käse bringt mein Blut eher in Wallung, als ein nackter Frauen- oder Männerarsch, wie jung er auch sei.
Die Völlerei ist der Sieg des Willens über das Bedürfnis. Und weit intensiver in seinem Ausleben, als jedwedes sexuelle Verlangen. Wie oft kann man innerhalb von vierundzwanzig Stunden Sex haben? Drei Mal, vier Mal, fünf Mal vielleicht. Essen können sie den ganzen Tag. Und das Schöne dabei: Das Essen alleine hat nichts von der Lächerlichkeit der Selbstbefriedigung, nichts von jener erbärmlichen Halbheit der Selbststimulierung, die nur dadurch funktioniert, dass man sich eine weitere Person vorstellt. Denn das andächtige Fressen, wie auch das Trinken, ist eine gewollt einsame Tätigkeit. Es ist kein Ersatz, es ist genau das, was man möchte. Der Unterschied zwischen dem Duft eines guten Essens und Musik ist der, dass Musik niemals die Bedürfnisse befriedigen kann, die sie weckt. Aber der Bissen im Mund erfüllt jenes Versprechen, welches der Duft bereits gemacht hat.
Ob ich Angst vor dem Tod habe? Natürlich nicht! Angst vor dem Tod haben nur diejenigen, die sich Diäten verordnen lassen und sie dann durchhalten. Schließlich ist der Tod das finale Abspecken. Damit muss man ja nicht schon vorzeitig beginnen. Und so, wie sich mein Körper bei vielen Dingen endlos Zeit lässt, sei es das Scheißen, das Pissen oder das Einschlafen, ja mit der gleichen Mühsal, mit der ich aufstehe und ein paar Schritte umhergehe, mit der ich mich in die Badewanne hinein und wieder hinauswuchte, mit der gleichen Gemächlichkeit, mit der alle meine Muskeln auf zerebrale Befehle reagieren, wird sich auch mein Körper an das Sterben machen. Da muss ich nun wirklich keine Befürchtungen haben. Zumal sich mein Schmerzempfinden auf angenehme zehn Prozent des Normalen eingependelt hat. Da könnte sich sogar meine Bauchspeicheldrüse verflüssigen, ohne dass es mir den Appetit verschlüge.
Wenn es noch etwas gäbe, für das ich mich stark machen würde, dann für mehr gesellschaftliche Akzeptanz von Fettleibigkeit. Ich wünsche mir, die Leute sähen ein, dass es sich hier nicht um eine Schwäche, sondern eine Stärke handelt. Und mehr noch. Um eine Art Kunst. Man formt den eigenen Körper zu etwas, das einerseits dem eigenen Wesen entspricht, unberührt von den Strömungen der Mode, gleichzeitig aber auch eine Abstraktion dessen darstellt, was weithin als akzeptabel gilt. So bereite ich mein Essen wie der Maler die Farbe anrührt und der Schriftsteller nach den richtigen Worten sucht. Bei den einen steht am Ende das Bild oder das Buch. Bei mir ist es der Körper als amorpher Kontrapunkt zum allgemeinen ästhetischen Empfinden. Und wenn ich in einigen Monaten das Stadium der absoluten Unbeweglichkeit erreicht habe, wäre mein Platz eher der in einer Kunstausstellung, als in einem Krankenhaus oder Pflegeheim.
Zugegeben, dies sind Träume. Aber eines Tages wird es vielleicht so sein. Unsere Lobby ist stark und wächst mit jedem Jahr, das der Wohlstand noch unter uns zu weilen gedenkt.
Was uns zustößt, enthält kein Urteil über uns, habe ich mal gelesen. Das mag stimmen. Aber unser Aussehen provoziert jede Menge Beurteilungen über das, was wir sind, was wir waren oder sein werden. Wenn die Leute mich anschauen, will ich, dass sie urteilen. Sie sollen den unvermeidlichen Rückschluss ziehen, von der Form zum Wesen, von der Gestalt zum Charakter. Und die Menschen tun es. Ich habe es oft gesehen. Niemanden treffen ehrlichere Blicke als einen fettleibigen Menschen.
Man nennt mich Pig. Könnten Sie mich sehen, würden Sie verstehen warum. Bei einem Gewicht von mehr als 500 Pfund, steht ein anderes Tier für einen Spitznamen nicht mehr zur Verfügung. Aber auch Pig hat schon lange keiner mehr zu mir gesagt. Der einzige, der noch mit mir spricht, ist der junge Armenier von der Health Care. Und der nennt mich immer brav Mister Templeton. Diese Jungs werden verdammt schlecht bezahlt. Und das, was sie bekommen, erhalten sie weniger fürs Pflegen, als dafür, dass sie immer freundlich sein müssen. Bei mir ist ja noch nicht so viel zu tun. Einmal die Bude durchsehen, Fußnägelschneiden ab und zu oder das ein oder andere Ekzem einschmieren. Ich weiß gar nicht, wie der Junge heißt. Ich nenne ihn Sansibar, und damit ist er offensichtlich zufrieden.
Hemingway hat einmal richtigerweise gesagt, Trinken sei eine Religion. Oder war es Pollock? Egal. Wenn dem so ist, dann ist Essen auch eine Religion. Eine, die wesentlich mehr Hingabe verlangt, sind doch die ästhetischen Opfer viel früher und viel offensichtlicher zu erbringen.
Die hundert Pfund überschritt ich mit sechs, die zweihundert mit vierzehn Jahren. Es war, als wäre man in eine Sekte hineingeboren. Es gab keine unbeantworteten Fragen. Und jedes Problem schien sich darin zu begründen, dass es auf die eine oder andere Weise zu einem Engpass in der Nahrungsaufnahme gekommen war. Man mag eine solche Engstirnigkeit verurteilen. Paradoxerweise entspricht es aber der Wahrheit. Am Ende läuft alles auf das Essen hinaus, daran glaube ich fest.
Nun, ich geh mit dieser Erkenntnis nicht hausieren. Dennoch es ist meine Überzeugung, dass das Essen einen hinreichenden Lebensinhalt bieten kann. Hinreichend genug, um eventuelle negative Folgen in Kauf zu nehmen. Wie im Rennsport zum Beispiel. Oder beim Boxen. Es ist immer der Geist, der die Zerstörung des Körpers billigend in Kauf nimmt. Mein Körper will bestimmt keine fünfzehn Hamburger zum Frühstück haben. Der gäbe sich auch mit ein paar Scheiben Matzen zufrieden. Oder mit ein oder zwei Äpfeln. Ich bin derjenige, der keine Äpfel oder kein ungesäuertes Brot haben will. Ich bin es, der bestimmt, dass die Mayonnaise auf einem Sandwich mindestens einen Zentimeter dick aufgetragen werden muss. Ich ertränke dasselbe Sandwich unter einen halben Liter Ketchup.
Maßloses Essen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern davon, dass man seinen Körper zu einem gehorsamen Hund macht. Man bezwingt dessen Bedürfnis nach Ausgeglichenheit und Mäßigkeit und macht ihn zu einem Gefäß der Gier.
Und das ist gut so, möchte ich sagen.
Witzigerweise ist die erste Frage, die sich vielen Menschen bei meinem Anblick stellen, ob ich es denn noch tun kann. Ich kann Sie beruhigen. Noch kann ich, auch wenn mein Arzt (die einzige Person, die sich außer dem Armenier noch um mich kümmert) mir prophezeit hat, dass damit in den nächsten Monaten endgültig Schluss sei. Verfettung der Drüsen etc. Schwellkörperlähmung infolge von kontinuierlich ansteigendem Cholesteringehalt im Blut. Und und und.
Meinen ersten Sex hatte ich mit einem Pirellikalender, den mein Vater für fünfhundert Dollar bei einer Auktion in Las Vegas ersteigert hatte. Seit ich dreizehn bin, kann ich meinen Schwanz nur noch im Spiegel sehen. Na und? Sex ist die am meisten überschätzte Sache der Welt. Ich habe mir Nutten kommen lassen. Manchmal sogar zwei oder drei zugleich und sie sind über meinen fetten Leib hergefallen, als wären meine kalkweißen Schenkel die Pforten zum Paradies. Sie haben ihre Nasen in meine Fleischfalten gepresst und an mir herumgesaugt und gelutscht. Dennoch bereitet mir ein Tiramisu weit mehr Vergnügen, ja selbst ein Viertelpfünder mit Käse bringt mein Blut eher in Wallung, als ein nackter Frauen- oder Männerarsch, wie jung er auch sei.
Die Völlerei ist der Sieg des Willens über das Bedürfnis. Und weit intensiver in seinem Ausleben, als jedwedes sexuelle Verlangen. Wie oft kann man innerhalb von vierundzwanzig Stunden Sex haben? Drei Mal, vier Mal, fünf Mal vielleicht. Essen können sie den ganzen Tag. Und das Schöne dabei: Das Essen alleine hat nichts von der Lächerlichkeit der Selbstbefriedigung, nichts von jener erbärmlichen Halbheit der Selbststimulierung, die nur dadurch funktioniert, dass man sich eine weitere Person vorstellt. Denn das andächtige Fressen, wie auch das Trinken, ist eine gewollt einsame Tätigkeit. Es ist kein Ersatz, es ist genau das, was man möchte. Der Unterschied zwischen dem Duft eines guten Essens und Musik ist der, dass Musik niemals die Bedürfnisse befriedigen kann, die sie weckt. Aber der Bissen im Mund erfüllt jenes Versprechen, welches der Duft bereits gemacht hat.
Ob ich Angst vor dem Tod habe? Natürlich nicht! Angst vor dem Tod haben nur diejenigen, die sich Diäten verordnen lassen und sie dann durchhalten. Schließlich ist der Tod das finale Abspecken. Damit muss man ja nicht schon vorzeitig beginnen. Und so, wie sich mein Körper bei vielen Dingen endlos Zeit lässt, sei es das Scheißen, das Pissen oder das Einschlafen, ja mit der gleichen Mühsal, mit der ich aufstehe und ein paar Schritte umhergehe, mit der ich mich in die Badewanne hinein und wieder hinauswuchte, mit der gleichen Gemächlichkeit, mit der alle meine Muskeln auf zerebrale Befehle reagieren, wird sich auch mein Körper an das Sterben machen. Da muss ich nun wirklich keine Befürchtungen haben. Zumal sich mein Schmerzempfinden auf angenehme zehn Prozent des Normalen eingependelt hat. Da könnte sich sogar meine Bauchspeicheldrüse verflüssigen, ohne dass es mir den Appetit verschlüge.
Wenn es noch etwas gäbe, für das ich mich stark machen würde, dann für mehr gesellschaftliche Akzeptanz von Fettleibigkeit. Ich wünsche mir, die Leute sähen ein, dass es sich hier nicht um eine Schwäche, sondern eine Stärke handelt. Und mehr noch. Um eine Art Kunst. Man formt den eigenen Körper zu etwas, das einerseits dem eigenen Wesen entspricht, unberührt von den Strömungen der Mode, gleichzeitig aber auch eine Abstraktion dessen darstellt, was weithin als akzeptabel gilt. So bereite ich mein Essen wie der Maler die Farbe anrührt und der Schriftsteller nach den richtigen Worten sucht. Bei den einen steht am Ende das Bild oder das Buch. Bei mir ist es der Körper als amorpher Kontrapunkt zum allgemeinen ästhetischen Empfinden. Und wenn ich in einigen Monaten das Stadium der absoluten Unbeweglichkeit erreicht habe, wäre mein Platz eher der in einer Kunstausstellung, als in einem Krankenhaus oder Pflegeheim.
Zugegeben, dies sind Träume. Aber eines Tages wird es vielleicht so sein. Unsere Lobby ist stark und wächst mit jedem Jahr, das der Wohlstand noch unter uns zu weilen gedenkt.
Was uns zustößt, enthält kein Urteil über uns, habe ich mal gelesen. Das mag stimmen. Aber unser Aussehen provoziert jede Menge Beurteilungen über das, was wir sind, was wir waren oder sein werden. Wenn die Leute mich anschauen, will ich, dass sie urteilen. Sie sollen den unvermeidlichen Rückschluss ziehen, von der Form zum Wesen, von der Gestalt zum Charakter. Und die Menschen tun es. Ich habe es oft gesehen. Niemanden treffen ehrlichere Blicke als einen fettleibigen Menschen.