(Noch ohne Titel)
Verfasst: 23.12.2010, 23:37
Den alten Küchenstuhl mit den vielen Kratzern aus seiner Kindheit hatte er mitgenommen. Nun saß er auf diesem Stuhl, vor einem kargen Frühstück, und versuchte Worte zu denken, die zu ihm passten.
Seit Jahren hatte er keine Worte gefunden für sich, seine Familie, sein Leben. Sein Beruf war anstrengend, aber er war der einzige Ort, an dem es noch Sprache gab, er war eine Heimat aus Sätzen wie: "Kannst Du morgen zur Firma T. fahren und das regeln?". "Klar", sagte er dann, "mach ich gern." Er wunderte sich manchmal, warum er mit seiner Familie nicht sprach. Da lagen für ihn die Wörter wie Blei unter den Lippen, und wenn er endlich eines herauswürgen konnte, hörte er nur die Summe der Buchstaben, die nichts bezeichneten. Die Kinder lachten:"Ach Papa, hast ja keine Ahnung." Seine Frau, eine dralle Person mit Durchsetzungskraft und lustigen Locken, lachte manchmal so laut, dass er sich die Ohren zuhalten wollte. Er hatte jedoch Angst, solche Gesten zu zeigen. Also beschloss er, sich heimlich die Gehörgänge zu verstopfen. So hörte er auch das Kreischen der Kinder nicht mehr, das ihm schon lange auf die Nerven gegangen war. Dass er fortan die schönen Nuancen ihrer treuen Erzählungen nicht mehr wahrnahm, machte ihm nichts aus. Manchmal sah er, wie sie lachten, und es wirkte dümmlich auf ihn. Er schaute dann weg und wollte auch nichts davon wissen, dass sie genau so gerieten, wie er es immer gewünscht hatte: klug und umgänglich. Mit ihrer Fantasie kam er nicht zurecht. Manchmal wurde er böse, weil er entdeckte, dass ihnen seine Frau ihren Stempel aufgedrückt hatte, mit Worten, die er nie benutzte.
Wann immer sich die Gelegenheit bot, ging er auf leisen Sohlen in seinen Hobbyraum, wo er sich in Tätigkeiten verbiss, die zu nichts nutze waren. Er saß dann in seinem Ledersessel, der sich merkwürdig intakt vom Gerümpel abhob, das er herumliegen hatte, und machte wortlose Spiele, bastelte an seinem Leben oder suchte nach Informationen, um sie gleich wieder zu vergessen.
Nebenan und im ersten Stockwerk, spürte er, war geschäftiges Treiben, das einen normalen Alltag anzeigte. Das machte ihn in seinem Kokon zufrieden, ja sogar dankbar. Wenn er daher seinen Mund öffnete, um seiner Frau nach so vielen Jahren ein Dankeswort zu sagen, brummte statt dessen ein Schwall kritischer Töne heraus. Dann fühlte er sich wie eine Wespe, die einen Schmetterling spielen soll, und gab auf. In der Ferne klang das Zetern seiner Frau, und er war wieder der schwache, dünne Junge, dem die Mutter Küchenverbot erteilt hatte. Er hatte seiner geliebten Mutter eine Hilfe sein wollen, was sie aber nicht duldete. Sie richtete ihn ab wie ein Hündchen, das seine Verspieltheit unter ständigen Befehlen vergaß. So wartete er mit brav zusammengestellten Füßchen, bis sie ihn rief.
Anfangs hatte er sich gewundert, dass niemand ihn aus dem Hobbyraum holte. Er schloss daraus, dass er nirgends gebraucht wurde, wobei er nicht wusste, ob ihm das gefiel oder nicht, da es ihn manchmal daran erinnerte, wie seine Mutter ihn sitzen ließ. Damals hatte er erkannt, dass er warten musste, bis er erwachsen wurde. Und er wartete immer noch, während die Worte langsam Beton wurden und sonst sich nichts tat.
Hin und wieder wollte seine Frau etwas erzählen, läppische Einzelheiten vom Tag. Sie erklärte, warum sie sich freute oder worunter sie litt, vielleicht unter frechen Menschen oder Alltagspech, vielleicht kränkelte sie oder hatte Schmerzen; nichts aber rührte ihn an. Wenn er deswegen erschrak, beruhigte er sich sogleich damit, dass es normal ist. Er sagte sich, dass er es ja nicht wirklich fühlen könne. Wenn seine Frau über ihre Belange sprach, war es nicht selten, dass er währenddessen das Zimmer verließ. Ihr kamen die Tränen, weil sie die Wörter liebte, die nun zu Staubflocken wurden. Sie stellte sich vor, wie sie mit entschiedenen Stichen in ihre Lippen näht, und verbot sich, weiter über Details zu reden. Alles, was sie sagen musste, stauchte sie zusammen zum Einwortsatz. Er hielt das für einen Spiegel seiner schlichten Wirklichkeit und fand die Ruhe angenehm.
Plötzlich sagte sie:"Trennung".
Was, fragte er sich, sollte getrennt werden? Er verstand es nicht, denn es funktionierte doch alles.
Seine Sachen wurden in Umzugskartons verstaut, seine Frau drängte, dass er sich eine billige Wohnung mieten sollte. Er erledigte, was ihm aufgetragen wurde.
Als er sein dünnes Frühstück verzehrte, fehlte ihm das lustige Lärmen im Nebenraum. Das Wort, das ihm einfiel, war "Ich".
Seit Jahren hatte er keine Worte gefunden für sich, seine Familie, sein Leben. Sein Beruf war anstrengend, aber er war der einzige Ort, an dem es noch Sprache gab, er war eine Heimat aus Sätzen wie: "Kannst Du morgen zur Firma T. fahren und das regeln?". "Klar", sagte er dann, "mach ich gern." Er wunderte sich manchmal, warum er mit seiner Familie nicht sprach. Da lagen für ihn die Wörter wie Blei unter den Lippen, und wenn er endlich eines herauswürgen konnte, hörte er nur die Summe der Buchstaben, die nichts bezeichneten. Die Kinder lachten:"Ach Papa, hast ja keine Ahnung." Seine Frau, eine dralle Person mit Durchsetzungskraft und lustigen Locken, lachte manchmal so laut, dass er sich die Ohren zuhalten wollte. Er hatte jedoch Angst, solche Gesten zu zeigen. Also beschloss er, sich heimlich die Gehörgänge zu verstopfen. So hörte er auch das Kreischen der Kinder nicht mehr, das ihm schon lange auf die Nerven gegangen war. Dass er fortan die schönen Nuancen ihrer treuen Erzählungen nicht mehr wahrnahm, machte ihm nichts aus. Manchmal sah er, wie sie lachten, und es wirkte dümmlich auf ihn. Er schaute dann weg und wollte auch nichts davon wissen, dass sie genau so gerieten, wie er es immer gewünscht hatte: klug und umgänglich. Mit ihrer Fantasie kam er nicht zurecht. Manchmal wurde er böse, weil er entdeckte, dass ihnen seine Frau ihren Stempel aufgedrückt hatte, mit Worten, die er nie benutzte.
Wann immer sich die Gelegenheit bot, ging er auf leisen Sohlen in seinen Hobbyraum, wo er sich in Tätigkeiten verbiss, die zu nichts nutze waren. Er saß dann in seinem Ledersessel, der sich merkwürdig intakt vom Gerümpel abhob, das er herumliegen hatte, und machte wortlose Spiele, bastelte an seinem Leben oder suchte nach Informationen, um sie gleich wieder zu vergessen.
Nebenan und im ersten Stockwerk, spürte er, war geschäftiges Treiben, das einen normalen Alltag anzeigte. Das machte ihn in seinem Kokon zufrieden, ja sogar dankbar. Wenn er daher seinen Mund öffnete, um seiner Frau nach so vielen Jahren ein Dankeswort zu sagen, brummte statt dessen ein Schwall kritischer Töne heraus. Dann fühlte er sich wie eine Wespe, die einen Schmetterling spielen soll, und gab auf. In der Ferne klang das Zetern seiner Frau, und er war wieder der schwache, dünne Junge, dem die Mutter Küchenverbot erteilt hatte. Er hatte seiner geliebten Mutter eine Hilfe sein wollen, was sie aber nicht duldete. Sie richtete ihn ab wie ein Hündchen, das seine Verspieltheit unter ständigen Befehlen vergaß. So wartete er mit brav zusammengestellten Füßchen, bis sie ihn rief.
Anfangs hatte er sich gewundert, dass niemand ihn aus dem Hobbyraum holte. Er schloss daraus, dass er nirgends gebraucht wurde, wobei er nicht wusste, ob ihm das gefiel oder nicht, da es ihn manchmal daran erinnerte, wie seine Mutter ihn sitzen ließ. Damals hatte er erkannt, dass er warten musste, bis er erwachsen wurde. Und er wartete immer noch, während die Worte langsam Beton wurden und sonst sich nichts tat.
Hin und wieder wollte seine Frau etwas erzählen, läppische Einzelheiten vom Tag. Sie erklärte, warum sie sich freute oder worunter sie litt, vielleicht unter frechen Menschen oder Alltagspech, vielleicht kränkelte sie oder hatte Schmerzen; nichts aber rührte ihn an. Wenn er deswegen erschrak, beruhigte er sich sogleich damit, dass es normal ist. Er sagte sich, dass er es ja nicht wirklich fühlen könne. Wenn seine Frau über ihre Belange sprach, war es nicht selten, dass er währenddessen das Zimmer verließ. Ihr kamen die Tränen, weil sie die Wörter liebte, die nun zu Staubflocken wurden. Sie stellte sich vor, wie sie mit entschiedenen Stichen in ihre Lippen näht, und verbot sich, weiter über Details zu reden. Alles, was sie sagen musste, stauchte sie zusammen zum Einwortsatz. Er hielt das für einen Spiegel seiner schlichten Wirklichkeit und fand die Ruhe angenehm.
Plötzlich sagte sie:"Trennung".
Was, fragte er sich, sollte getrennt werden? Er verstand es nicht, denn es funktionierte doch alles.
Seine Sachen wurden in Umzugskartons verstaut, seine Frau drängte, dass er sich eine billige Wohnung mieten sollte. Er erledigte, was ihm aufgetragen wurde.
Als er sein dünnes Frühstück verzehrte, fehlte ihm das lustige Lärmen im Nebenraum. Das Wort, das ihm einfiel, war "Ich".