Der Mickerling
Verfasst: 25.12.2010, 11:06
Der Mickerling
„Aus dir wird nie was!“ rief ein stattlicher Baum am anderen Ende des Standes. „Mit deiner krummen Spitze! Und dem Loch mittendrin!“
Der Angesprochene krümmte sich noch mehr zusammen. Zum Glück schneite es, und er war guter Hoffnung, dass der Schnee ihn bald unsichtbar machte.
„Und habt ihr schon gesehen? Er ist oben so breit wie unten!“ rief ein anderer Baum, der sich einer prächtig pyramidenförmigen Gestalt erfreute. „Ne, schmink dir das ab! Du wirst nie eine Kerze zu sehen kriegen!“
„Mir doch egal!“ Der verhöhnte Baum flüchtete sich in Trotz und dachte: „Was nützen den anderen die Kerzen? Weggeschmissen werden sie auch – nur ein bisschen später als ich! Ich ahnte es ja, als ich noch in der Schonung stand: Wir wurden nur gezogen, um in der Blüte unserer Jahre abgeschlagen und als Weihnachtsbäume verheizt zu werden!“ Neben ihm stand der größte Baum von allen, fast fünf Meter hoch. Der würde bestimmt in der Halle des Barons landen. „Findest du mich auch so hässlich?“ fragte ihn der Kleine mit dem Loch. Aber der Riese schwieg erhaben. Es wäre unter seiner Würde gewesen, mit dem Mickerling zu reden.
Die Tage vergingen, und der Stand leerte sich. Alle Bäume fanden einen Käufer, nur der eine war übrig und wurde von dem Arbeiter der Gärtnerei, der den Stand betrieb, auf den Unimog geschmissen zu den Maschendrähten, die den Standt eingefasst hatten. Der Arbeiter fuhr zur Gärtnerei.
Dort sah ihn eine Frau, die so viel hatte arbeiten müssen, dass sie zum Tannenbaumkauf noch nicht gekommen war. Sie hatte ihn immer wieder verschoben. Und nun gab es keine mehr, nur noch dies elende Gestrüpp dort auf der Pritsche des Kleinlasters. Sie lief in den Laden.
„Kann ich den haben?“ fragte die Frau die Chefin der Gärtnerei. Die nickte. „Was soll er kosten?“ „Den können Sie umsonst haben!“
Als die Frau wieder hinauskam, war der Unimog fort. Aber sie ahnte, wohin er gefahren war, und lief ihm nach. Tatsächlich erwischte sie ihn an der Schonung und teilte dem Arbeiter mit, dass sie den Baum für umsonst haben dürfe. Der Arbeiter warf ihn vom Wagen und murmelte: „Das Krepierdl!“ Irgendwie tat ihm die Frau leid, dass sie einen so hässlichen Weihnachtsbaum bekam. „Haben Sie noch ein paar Äste über?“ rief die Frau. Die bekam sie auch. Glücklich schleppte sie den Baum nach Hause.
Dort stellte sie ihn erst einmal in die Badewanne und ließ ihn abtauen. Als sie wieder nach ihm sah, erfüllte würziger Harzduft den Raum. Der Baum hörte die Stimme eines Jungen: „Ich will ihn sehen, ich will ihn sehen!“ „Nein, noch nicht,“ sagte die Mutter. „Ich tue ihn jetzt in den Fuß und dann schmücke ich ihn. Dann kommst du!“
Sie tat ihn aber nicht nur in den Fuß, sie machte noch was anderes. Sie holte grünen Gärnterdraht aus dem Keller, suchte einen geeigneten Ast aus und befestigte ihn mit dem Draht genau an der Stelle, wo der Baum das Loch hatte. Dann senkte sie die Äste, indem sie kleine rote Äpfel daran hängte, befestigte die Kerzenhalter und steckte die Lichter auf. Ein paar Strohsterne kamen auch noch dran und an die krumme Spitze der gläserne Wellensittich, den Lasse in seinem Sportverein geschenkt bekommen hatte.
Dann steckte sie die Kerzen an und ging zu Lasse. Er zappelte in seinem Rollstuhl herum und konnte es kaum noch abwarten.
Aber als er ins Weihnachtszimmer gerollt wurde, wurde er ruhig.
Und der Baum dachte: „Wenn die andern mich jetzt sehen könnten!“
„Aus dir wird nie was!“ rief ein stattlicher Baum am anderen Ende des Standes. „Mit deiner krummen Spitze! Und dem Loch mittendrin!“
Der Angesprochene krümmte sich noch mehr zusammen. Zum Glück schneite es, und er war guter Hoffnung, dass der Schnee ihn bald unsichtbar machte.
„Und habt ihr schon gesehen? Er ist oben so breit wie unten!“ rief ein anderer Baum, der sich einer prächtig pyramidenförmigen Gestalt erfreute. „Ne, schmink dir das ab! Du wirst nie eine Kerze zu sehen kriegen!“
„Mir doch egal!“ Der verhöhnte Baum flüchtete sich in Trotz und dachte: „Was nützen den anderen die Kerzen? Weggeschmissen werden sie auch – nur ein bisschen später als ich! Ich ahnte es ja, als ich noch in der Schonung stand: Wir wurden nur gezogen, um in der Blüte unserer Jahre abgeschlagen und als Weihnachtsbäume verheizt zu werden!“ Neben ihm stand der größte Baum von allen, fast fünf Meter hoch. Der würde bestimmt in der Halle des Barons landen. „Findest du mich auch so hässlich?“ fragte ihn der Kleine mit dem Loch. Aber der Riese schwieg erhaben. Es wäre unter seiner Würde gewesen, mit dem Mickerling zu reden.
Die Tage vergingen, und der Stand leerte sich. Alle Bäume fanden einen Käufer, nur der eine war übrig und wurde von dem Arbeiter der Gärtnerei, der den Stand betrieb, auf den Unimog geschmissen zu den Maschendrähten, die den Standt eingefasst hatten. Der Arbeiter fuhr zur Gärtnerei.
Dort sah ihn eine Frau, die so viel hatte arbeiten müssen, dass sie zum Tannenbaumkauf noch nicht gekommen war. Sie hatte ihn immer wieder verschoben. Und nun gab es keine mehr, nur noch dies elende Gestrüpp dort auf der Pritsche des Kleinlasters. Sie lief in den Laden.
„Kann ich den haben?“ fragte die Frau die Chefin der Gärtnerei. Die nickte. „Was soll er kosten?“ „Den können Sie umsonst haben!“
Als die Frau wieder hinauskam, war der Unimog fort. Aber sie ahnte, wohin er gefahren war, und lief ihm nach. Tatsächlich erwischte sie ihn an der Schonung und teilte dem Arbeiter mit, dass sie den Baum für umsonst haben dürfe. Der Arbeiter warf ihn vom Wagen und murmelte: „Das Krepierdl!“ Irgendwie tat ihm die Frau leid, dass sie einen so hässlichen Weihnachtsbaum bekam. „Haben Sie noch ein paar Äste über?“ rief die Frau. Die bekam sie auch. Glücklich schleppte sie den Baum nach Hause.
Dort stellte sie ihn erst einmal in die Badewanne und ließ ihn abtauen. Als sie wieder nach ihm sah, erfüllte würziger Harzduft den Raum. Der Baum hörte die Stimme eines Jungen: „Ich will ihn sehen, ich will ihn sehen!“ „Nein, noch nicht,“ sagte die Mutter. „Ich tue ihn jetzt in den Fuß und dann schmücke ich ihn. Dann kommst du!“
Sie tat ihn aber nicht nur in den Fuß, sie machte noch was anderes. Sie holte grünen Gärnterdraht aus dem Keller, suchte einen geeigneten Ast aus und befestigte ihn mit dem Draht genau an der Stelle, wo der Baum das Loch hatte. Dann senkte sie die Äste, indem sie kleine rote Äpfel daran hängte, befestigte die Kerzenhalter und steckte die Lichter auf. Ein paar Strohsterne kamen auch noch dran und an die krumme Spitze der gläserne Wellensittich, den Lasse in seinem Sportverein geschenkt bekommen hatte.
Dann steckte sie die Kerzen an und ging zu Lasse. Er zappelte in seinem Rollstuhl herum und konnte es kaum noch abwarten.
Aber als er ins Weihnachtszimmer gerollt wurde, wurde er ruhig.
Und der Baum dachte: „Wenn die andern mich jetzt sehen könnten!“