IX. Verspiele nicht den Ernst des Lebens
Verfasst: 20.01.2011, 20:09
IX. Verspiele nicht den Ernst des Lebens
Spinatlocken. Es war eindeutig Spinat. Feinste Handarbeit, mindestens dreißig Jahre Berufserfahrung. Ausdrücklich beeindruckt wollte ich ihr um den Hals fallen, doch ich starrte sie nur stier an und wollte wissen, wer sie ist, doch mein Wissen war mal wieder sehr unentschlossen.
Es war zu betonen, dass es sich nicht um Pesto handelt, doch der Ton macht die Musik und die war heute die Musik einer automatischen Schiebetür, die im jazzigen Milieu ihre Kreise zog, meist als Kranich im Tiefflug.
Ich oder wir allerdings befanden uns in einem sehr großen leeren Raum, er hatte weder Wände noch ein Dach und lag ein wenig unterhalb. Die Botanik war vorzüglich und ebenfalls Spinat oder Pesto, vielleicht in diesem Falle auch Schnittlauch, man konnte es nicht genau sagen.
Zum Glück war ich nicht man. Das waren drei Herren mit An- und Auszügen, dicken Brillen und dünnen Gehstöcken, alle sehr jung, um die dreiundachtzig. Diese stand in der Mitte und lachte sorglos Wunderkerzenfunken. Sie war auch man, doch noch nicht sehr lange, denn der Trend setzte sich erst in den letzten Jahren durch.
Nun, die junge Frau mit den Spinatlocken wartete, den Blick in die Ferne gerichtet, und schien sehr traurig zu sein. In ihren Augen spielte sich so vieles ab, dass man und ich nur staunend zusehen konnten. Da gab es eine Bühne und einen samtschweren Vorhang aus Nachtblau und sogar einen Dirigenten, der wie Scheibenwischer seinen Taktstock taktvoll hin und her schwang.
In mir wuchs rasch der Wunsch, etwas für sie zu tun, damit es ihr besser ging und sie nicht so traurig wartete, doch durch die Auswirkungen und Einwirkungen eines plötzlichen Schauers, der mir nun auch noch den Rücken hinab fuhr, verschwamm sie unvollständig vor meinen Augen. Ein Glück konnte die dreiundachtzig den Tumult stoppen, denn sie hatte einen Regenschirm in der Brusttasche ihres ausgebeulten Herrensakkos, das sie ein- oder zweimal von ihrem Urgroßvater geerbt hatte, den sie nie kennengelernt hatte. Das Sakko erzählte ihr unentwegt Geschichten über ihn und diese Geschichten waren so spannend, dass das Sakko nun doch passte, damit ihr Busen sichtbar wurde. Der Gedanke daran war so verführerisch, dass ich meinen Blick von dem Mädchen mit den Spinatlocken genommen hatte, doch daraufhin nahm sie sich ebenfalls einfach weg und der Weg zurück war lang, Luftlinie etwa drei Meter um 74 Grad südwestlich. In dem Moment fiel mir ein und auf und immer so weiter, dass es gar keine Dame war, auch kein Mädchen, eine junge Frau vielleicht, doch eigentlich nur ein weibliches Wesen, das kaum weiblicher war als ich selbst und ich kam mir weder nicht im Traum noch im Traum weiblich vor.
Dies war der erste Hinweis auf das, was wahr war, doch das erkennt man meistens erst, wenn man alle Informationen gesammelt hat und am Ende des Puzzles zu spielten aufhörte. Man war schon fleißig dabei, sie sahen jetzt aus wie Detektive mit löwenfellfarbenen Trenchcoats und zwölffach vergrößernden Lupen, das sah drollig aus und ich lachte. Das war jedoch unangebracht, also hörte ich sofort damit auf und drehte mich versehentlich im Kreis, um der Situation auszuweichen, damit sie schnell vorbei gehen konnte, was gar nicht möglich war. Jedenfalls führte das dazu, dass die mit den Spinatlocken wieder da war. Was wiederum dazu führte, dass man spontan die Suche beendete.
Ihre Emotionen waren hochkonzentriert. Heute spielten sie mit viel Stirnrunzeln ein Stück von Verdi und in nur wenigen Spielzügen würde die Neugierde siegen. Schachmatt, wie das karierte Gras bei den Hügeln der Igel zu uns herunter flüsterte. Das Gras flüsterte grundsätzlich, daher wunderte sich niemand.
Schachmatt ängstigte mich. Es war ein Wort aus dünnen Eiszapfen wie Zähne. Es bedeutete nämlich, dass jemand mehr Macht hatte, als man vermuten würde, und auch ich vermutete mich oft, denn mein Mut war, anders als mein Wissen, sehr eigenwillig. Ich wollte nicht mehr spielen. Ich wurde furchtbar langsam oder schnell, je nachdem, älter und ich war davon überzeugt, mir stünde eine gewisse Ernsthaftigkeit zu.
Während ich dies alles erfuhr und der Fahrtwind mir freundlich übers Gesicht streichelte, beobachtete mich nun im Gegenzug das vielleicht beinah erwachsene Mädchen mit den Spinatlocken. Sie faszinierte mich, denn ich kam partout nicht an sie heran, auch jetzt, wo wir Zug fuhren. Der Gegenzug war unerreichbar und wieder einmal war ich machtlos und man sah es mir an, mit Lupen und Trenchcoats, diesmal kopfschüttelnd und mit unlustigen Clownsgesichtern. Es war bedauerlich und dauerte daher länger als erwartet. Das war jedoch nichts Neues, denn mein Gegenüber wartete ohnehin ohne Ende. Ich hoffte so sehr, sie würde damit aufhören können, denn es zerrte und zehrte an ihr und es war so übermäßig klar, dass der Zug irgendwann einmal an seinem Ziel ankommen würde, dass ich den Reinigungsfachkräften ein Lob aussprechen musste.
Doch als ich merkte, dass der Zug tatsächlich ohne uns abgefahren war und die mit den Spinatlocken noch immer verzweifelt wartete, überkam mich plötzlich ebenfalls genau dieselbe Emotion, denn ich ließ es zu und offen. Während Ihre Locken nickend auf und ab wippten wie dicke Kinder auf dem Spielplatz, nahm ihre Verzweiflung Besitz von mir. Sie machte mich zu Staub, auch wenn das nur ein Vergleich sein sollte, was der Anwalt später sicherlich bestätigen würde. Ich hatte mit einem Mal keine raumübergreifende, undurchdringbare Existenzberechtigung mehr. Das war physikalisch schockierend und ich wollte so sehr, dass es aufhörte, dass ich mir ganz professionell die Staubaugen in Gedanken zuhielt, was die Verzweiflung dazu brachte, mich nicht mehr zu sehen, das machten die Kinder auch so und hier spielten schließlich alle.
Als sie tatsächlich sofort wieder fort war, hatte ich Hunger. Ich wollte so gerne ein paar Spinatlocken abbeißen, also sah ich ihrer Trägerin in die Augen und da ging ein Licht über mir an und auf, die Sonne, schätzte ich, und ich schätzte die Sonne, doch es war jene Erkenntnis, die man nicht haben möchte am Ende des Tages, denn da sollte die Sonne nicht aufgehen:
Ich war es, das Mädchen mit den Spinatlocken.
Diese Erkenntnis war so echt, dass ich aufwachte. Ich war vor dem Spiegel eingeschlafen, als ich Großmutters Brautkleid angezogen hatte. Enttäuscht oder desillusioniert, was in diesem bedeutsamen Fall dasselbe war, schnaubte ich den Spiegel an und sofort bildete sich ein dunstiger, herzförmiger Abdruck auf ihm, der ihn zum Weinen brachte. Um uns zu trösten, stimmte das Bild an der Wand ein lauwarmes Lied, während der Flokati unter mir Wellen schlug und mich sachte zurück in einen schöneren Traum wiegte.
Teil 8
Teil 7
Teil 6
Teil 5
Teil 4
Teil 1
Spinatlocken. Es war eindeutig Spinat. Feinste Handarbeit, mindestens dreißig Jahre Berufserfahrung. Ausdrücklich beeindruckt wollte ich ihr um den Hals fallen, doch ich starrte sie nur stier an und wollte wissen, wer sie ist, doch mein Wissen war mal wieder sehr unentschlossen.
Es war zu betonen, dass es sich nicht um Pesto handelt, doch der Ton macht die Musik und die war heute die Musik einer automatischen Schiebetür, die im jazzigen Milieu ihre Kreise zog, meist als Kranich im Tiefflug.
Ich oder wir allerdings befanden uns in einem sehr großen leeren Raum, er hatte weder Wände noch ein Dach und lag ein wenig unterhalb. Die Botanik war vorzüglich und ebenfalls Spinat oder Pesto, vielleicht in diesem Falle auch Schnittlauch, man konnte es nicht genau sagen.
Zum Glück war ich nicht man. Das waren drei Herren mit An- und Auszügen, dicken Brillen und dünnen Gehstöcken, alle sehr jung, um die dreiundachtzig. Diese stand in der Mitte und lachte sorglos Wunderkerzenfunken. Sie war auch man, doch noch nicht sehr lange, denn der Trend setzte sich erst in den letzten Jahren durch.
Nun, die junge Frau mit den Spinatlocken wartete, den Blick in die Ferne gerichtet, und schien sehr traurig zu sein. In ihren Augen spielte sich so vieles ab, dass man und ich nur staunend zusehen konnten. Da gab es eine Bühne und einen samtschweren Vorhang aus Nachtblau und sogar einen Dirigenten, der wie Scheibenwischer seinen Taktstock taktvoll hin und her schwang.
In mir wuchs rasch der Wunsch, etwas für sie zu tun, damit es ihr besser ging und sie nicht so traurig wartete, doch durch die Auswirkungen und Einwirkungen eines plötzlichen Schauers, der mir nun auch noch den Rücken hinab fuhr, verschwamm sie unvollständig vor meinen Augen. Ein Glück konnte die dreiundachtzig den Tumult stoppen, denn sie hatte einen Regenschirm in der Brusttasche ihres ausgebeulten Herrensakkos, das sie ein- oder zweimal von ihrem Urgroßvater geerbt hatte, den sie nie kennengelernt hatte. Das Sakko erzählte ihr unentwegt Geschichten über ihn und diese Geschichten waren so spannend, dass das Sakko nun doch passte, damit ihr Busen sichtbar wurde. Der Gedanke daran war so verführerisch, dass ich meinen Blick von dem Mädchen mit den Spinatlocken genommen hatte, doch daraufhin nahm sie sich ebenfalls einfach weg und der Weg zurück war lang, Luftlinie etwa drei Meter um 74 Grad südwestlich. In dem Moment fiel mir ein und auf und immer so weiter, dass es gar keine Dame war, auch kein Mädchen, eine junge Frau vielleicht, doch eigentlich nur ein weibliches Wesen, das kaum weiblicher war als ich selbst und ich kam mir weder nicht im Traum noch im Traum weiblich vor.
Dies war der erste Hinweis auf das, was wahr war, doch das erkennt man meistens erst, wenn man alle Informationen gesammelt hat und am Ende des Puzzles zu spielten aufhörte. Man war schon fleißig dabei, sie sahen jetzt aus wie Detektive mit löwenfellfarbenen Trenchcoats und zwölffach vergrößernden Lupen, das sah drollig aus und ich lachte. Das war jedoch unangebracht, also hörte ich sofort damit auf und drehte mich versehentlich im Kreis, um der Situation auszuweichen, damit sie schnell vorbei gehen konnte, was gar nicht möglich war. Jedenfalls führte das dazu, dass die mit den Spinatlocken wieder da war. Was wiederum dazu führte, dass man spontan die Suche beendete.
Ihre Emotionen waren hochkonzentriert. Heute spielten sie mit viel Stirnrunzeln ein Stück von Verdi und in nur wenigen Spielzügen würde die Neugierde siegen. Schachmatt, wie das karierte Gras bei den Hügeln der Igel zu uns herunter flüsterte. Das Gras flüsterte grundsätzlich, daher wunderte sich niemand.
Schachmatt ängstigte mich. Es war ein Wort aus dünnen Eiszapfen wie Zähne. Es bedeutete nämlich, dass jemand mehr Macht hatte, als man vermuten würde, und auch ich vermutete mich oft, denn mein Mut war, anders als mein Wissen, sehr eigenwillig. Ich wollte nicht mehr spielen. Ich wurde furchtbar langsam oder schnell, je nachdem, älter und ich war davon überzeugt, mir stünde eine gewisse Ernsthaftigkeit zu.
Während ich dies alles erfuhr und der Fahrtwind mir freundlich übers Gesicht streichelte, beobachtete mich nun im Gegenzug das vielleicht beinah erwachsene Mädchen mit den Spinatlocken. Sie faszinierte mich, denn ich kam partout nicht an sie heran, auch jetzt, wo wir Zug fuhren. Der Gegenzug war unerreichbar und wieder einmal war ich machtlos und man sah es mir an, mit Lupen und Trenchcoats, diesmal kopfschüttelnd und mit unlustigen Clownsgesichtern. Es war bedauerlich und dauerte daher länger als erwartet. Das war jedoch nichts Neues, denn mein Gegenüber wartete ohnehin ohne Ende. Ich hoffte so sehr, sie würde damit aufhören können, denn es zerrte und zehrte an ihr und es war so übermäßig klar, dass der Zug irgendwann einmal an seinem Ziel ankommen würde, dass ich den Reinigungsfachkräften ein Lob aussprechen musste.
Doch als ich merkte, dass der Zug tatsächlich ohne uns abgefahren war und die mit den Spinatlocken noch immer verzweifelt wartete, überkam mich plötzlich ebenfalls genau dieselbe Emotion, denn ich ließ es zu und offen. Während Ihre Locken nickend auf und ab wippten wie dicke Kinder auf dem Spielplatz, nahm ihre Verzweiflung Besitz von mir. Sie machte mich zu Staub, auch wenn das nur ein Vergleich sein sollte, was der Anwalt später sicherlich bestätigen würde. Ich hatte mit einem Mal keine raumübergreifende, undurchdringbare Existenzberechtigung mehr. Das war physikalisch schockierend und ich wollte so sehr, dass es aufhörte, dass ich mir ganz professionell die Staubaugen in Gedanken zuhielt, was die Verzweiflung dazu brachte, mich nicht mehr zu sehen, das machten die Kinder auch so und hier spielten schließlich alle.
Als sie tatsächlich sofort wieder fort war, hatte ich Hunger. Ich wollte so gerne ein paar Spinatlocken abbeißen, also sah ich ihrer Trägerin in die Augen und da ging ein Licht über mir an und auf, die Sonne, schätzte ich, und ich schätzte die Sonne, doch es war jene Erkenntnis, die man nicht haben möchte am Ende des Tages, denn da sollte die Sonne nicht aufgehen:
Ich war es, das Mädchen mit den Spinatlocken.
Diese Erkenntnis war so echt, dass ich aufwachte. Ich war vor dem Spiegel eingeschlafen, als ich Großmutters Brautkleid angezogen hatte. Enttäuscht oder desillusioniert, was in diesem bedeutsamen Fall dasselbe war, schnaubte ich den Spiegel an und sofort bildete sich ein dunstiger, herzförmiger Abdruck auf ihm, der ihn zum Weinen brachte. Um uns zu trösten, stimmte das Bild an der Wand ein lauwarmes Lied, während der Flokati unter mir Wellen schlug und mich sachte zurück in einen schöneren Traum wiegte.
Teil 8
Teil 7
Teil 6
Teil 5
Teil 4
Teil 1