Der Riss
Verfasst: 30.03.2011, 08:53
[tabs][tabs: 2. Version]Die Bezüge und Laken meines Bettes sind weiß. Oder besser, sie waren es, als ich sie aufzog. Am Anfang. So weiß wie die Wände dieses Raumes. Ohne eine Spur. Der hölzerne Boden stört den Eindruck, doch den sehe ich nicht von hier, wo ich liege, in meinem Bett, meist auf dem Rücken mit dem Blick zur Zimmerdecke. Schon lange liege ich hier, so lange, dass ich gelernt habe, den Dingen Veränderung zuzugestehen.
Quer über die Decke läuft ein Riss. Recht dünn, nicht ganz gerade, im Zickzack, mäandernd geradezu und doch zielstrebig diagonal durch den Raum. Nur dieser eine, eine feine schwarze Linie, die schon immer da war. Ich weiß, es kann so nicht gewesen sein. Einmal war auch dieser Raum neu und unversehrt so wie alle Dinge und Leben und Ideen irgendwann mal ohne Schäden beginnen. Doch so weit zurück kann ich nicht mehr denken. Das bedeutet nicht, dass ich mein Gedächtnis verloren hätte, ich erinnere mich schon noch. So habe ich bemerkt, dass die Sonne heute wieder ein wenig nördlicher aufgegangen ist als gestern. Für einige Minuten fällt das Licht horizontal in den Raum und verleiht der Luft eine besondere Klarheit. Die Stille vibriert. In diesen wenigen Augenblicken bewege ich mich gar nicht mehr, spare mir das Atmen, um ja keinen Staub aufzuwirbeln, denn ich mag es nicht, wie die Partikel, Zerfallsprodukte meiner Dinge und meiner selbst, aufreizend in den Strahlen tanzen.
Heute habe ich versucht, nur noch ein Auge zu öffnen um mit dem anderen gleichzeitig nach innen zu blicken. Das hat mir nicht gefallen, denn im Licht erscheint das Innen rot. Außerdem kann ich so das Ende des Risses nicht sehen. Ich bin überzeugt, dass er sich verändert, sich weitet und längt. Sein Inneres ist schwarz. Wenn ich absolut still bin, kann ich ihn hören. Mit einem Knirschen verrichtet er sein verstohlenes Werk. Er ist ein Ausdruck der – nein, er ist die Destruktion. Unendlich langsam, nur Millimeter am Tag oder in der Woche oder in längerer Zeit. Doch davon habe ich viel. Ich muss nicht mehr.
Entdeckt habe ich den Riss anhand seiner Hinterlassenschaften. Eine feine, grausandige Spur zieht sich über meine Bettdecke, folgt wie eine verwaschene Kopie der Linie an der Decke auf der Decke. Komposition in Grau, recht harmonisch, und doch geschaffen aus den Exkrementen des Raumes, ausgeschieden aus dem Spalt über mir. Ich stelle mir vor, ich sei es, der einen Riss über den Körper trüge, eine weiter und weiter klaffende Wunde in weißer Haut. Meine Spuren auf dem Laken wären zunächst rot, dann zunehmend gelb und braun. Der Gedanke widert mich an. Ich versuche, mich zu erinnern. Der Spalt in der Zimmerdecke ist ein winziges Stück länger als gestern, da bin ich mir jetzt sicher. Wenn ich mich auf mein Bett stellte, dann käme ich mit ausgestrecktem Arm an die Decke und könnte dort mit dem Fingernagel eine Markierung ans Ende des Risses ritzen und damit festhalten, bis wohin er heute reicht. Und morgen wieder, ebenso übermorgen. So entstünde nach und nach eine Chronologie des Risswachstums. Vielleicht könnte ich auch eine Prognose wagen, die Markierungen für eine Woche im Voraus einritzen, einen Riss-Kalender, eine Uhr gar erschaffen.
Ich denke an eine Uhr, eine große, mechanische mit lautem Ticken. Nicht so etwas Modernes wie mein Wecker. Elektronisch und nutzlos, die Batterien sind schon lange leer. Sie waren schon leer, als ich den Riss zum ersten Mal bemerkte. Ob der Wecker noch da steht, weiß ich nicht. Er ist nutzlos, hat keine Bedeutung für mich, so wende ich den Kopf nicht mehr, um ihn anzusehen. Nutzlos. Das Ticken dröhnt noch immer rhythmisch in meinem Kopf. Ta-tock, ta-tock, ta-tock. Ich werde versuchen, zu schlafen. Es wird langsam dunkel und kühler, ich schließe die Augen. Morgen werde ich die erste Markierung in die Decke ritzen.
[tabs: 1. Version]Die Bezüge und Laken meines Bettes sind weiß. Oder besser, sie waren es, als ich sie aufzog. Am Anfang. So weiß wie die Wände dieses Raumes. Ohne eine Spur. Der hölzerne Boden stört den Eindruck, doch den sehe ich nicht von hier, wo ich liege, in meinem Bett, meist auf dem Rücken mit dem Blick zur Zimmerdecke. Schon lange liege ich hier, so lange, dass ich gelernt habe, den Dingen Veränderung zuzugestehen.
Quer über die Decke läuft ein Riss. Recht dünn, nicht ganz gerade, im Zickzack, mäandernd geradezu und doch zielstrebig diagonal durch den Raum. Nur dieser eine, eine feine schwarze Linie, die schon immer da war. Ich weiß, er kann nicht immer dagewesen sein. Einmal war auch dieser Raum neu und unversehrt so wie alle Dinge und Leben und Ideen irgendwann mal ohne Schäden beginnen. Doch so weit zurück kann ich nicht mehr denken. Das bedeutet nicht, dass ich mein Gedächtnis verloren hätte, ich erinnere mich schon noch. So habe ich bemerkt, dass die Sonne heute wieder ein wenig nördlicher aufgegangen ist als gestern. Für einige Minuten fällt das Licht horizontal in den Raum und verleiht der Luft eine besondere Klarheit. Die Stille vibriert. In diesen wenigen Augenblicken bewege ich mich gar nicht mehr, spare mir das Atmen, um ja keinen Staub aufzuwirbeln, denn ich mag es nicht, wie die Partikel, Zerfallsprodukte meiner Dinge und meiner selbst, aufreizend in den Strahlen tanzen.
Heute habe ich versucht, nur noch ein Auge zu öffnen um mit dem anderen gleichzeitig nach innen zu blicken. Das hat mir nicht gefallen, denn im Licht erscheint das Innen rot. Außerdem kann ich so das Ende des Risses nicht sehen. Ich bin überzeugt, dass er sich verändert, sich weitet und längt. Sein Inneres ist schwarz. Wenn ich absolut still bin, kann ich ihn hören. Mit einem Knirschen verrichtet er sein verstohlenes Werk. Er ist ein Ausdruck der – nein, er ist die Destruktion. Unendlich langsam, nur Millimeter am Tag oder in der Woche oder in längerer Zeit. Doch davon habe ich viel. Ich muss nicht mal mehr scheißen.
Entdeckt habe ich den Riss anhand seiner Spuren. Eine feine, grausandige Spur zieht sich über meine Bettdecke, folgt wie eine verwaschene Kopie der Linie an der Decke auf der Decke. Komposition in Grau, recht harmonisch, und doch geschaffen aus den Exkrementen des Raumes, ausgeschieden aus dem Spalt über mir. Ich stelle mir vor, ich sei es, der einen Riss über den Körper trüge, eine weiter und weiter klaffende Wunde in weißer Haut. Meine Spuren auf dem Laken wären zunächst rot, dann zunehmend gelb und braun. Der Gedanke widert mich an. Ich versuche, mich zu erinnern. Der Spalt in der Zimmerdecke ist ein winziges Stück länger als gestern, da bin ich mir jetzt sicher. Wenn ich mich auf mein Bett stellte, dann käme ich mit ausgestrecktem Arm an die Decke und könnte dort mit dem Fingernagel eine Markierung ans Ende des Risses ritzen und damit festhalten, bis wohin er heute reicht. Und morgen wieder, ebenso übermorgen. So entstünde nach und nach eine Chronologie des Risswachstums. Vielleicht könnte ich auch eine Prognose wagen, die Markierungen für eine Woche im Voraus einritzen, einen Riss-Kalender, eine Uhr gar erschaffen.
Ich denke an eine Uhr, eine große, mechanische mit lautem Ticken. Nicht so etwas Modernes wie mein Wecker. Elektronisch und nutzlos, die Batterien sind schon lange leer. Sie waren schon leer, als ich den Riss zum ersten Mal bemerkte. Ob der Wecker noch da steht, weiß ich nicht. Er ist nutzlos, hat keine Bedeutung für mich, so wende ich den Kopf nicht mehr, um ihn anzusehen. Nutzlos. Das Ticken dröhnt noch immer rhythmisch in meinem Kopf. Ta-tock, ta-tock, ta-tock. Ich werde versuchen, zu schlafen. Es wird langsam dunkel und kühler, ich schließe die Augen. Morgen werde ich die erste Markierung in die Decke ritzen. Vielleicht.[/tabs]
Quer über die Decke läuft ein Riss. Recht dünn, nicht ganz gerade, im Zickzack, mäandernd geradezu und doch zielstrebig diagonal durch den Raum. Nur dieser eine, eine feine schwarze Linie, die schon immer da war. Ich weiß, es kann so nicht gewesen sein. Einmal war auch dieser Raum neu und unversehrt so wie alle Dinge und Leben und Ideen irgendwann mal ohne Schäden beginnen. Doch so weit zurück kann ich nicht mehr denken. Das bedeutet nicht, dass ich mein Gedächtnis verloren hätte, ich erinnere mich schon noch. So habe ich bemerkt, dass die Sonne heute wieder ein wenig nördlicher aufgegangen ist als gestern. Für einige Minuten fällt das Licht horizontal in den Raum und verleiht der Luft eine besondere Klarheit. Die Stille vibriert. In diesen wenigen Augenblicken bewege ich mich gar nicht mehr, spare mir das Atmen, um ja keinen Staub aufzuwirbeln, denn ich mag es nicht, wie die Partikel, Zerfallsprodukte meiner Dinge und meiner selbst, aufreizend in den Strahlen tanzen.
Heute habe ich versucht, nur noch ein Auge zu öffnen um mit dem anderen gleichzeitig nach innen zu blicken. Das hat mir nicht gefallen, denn im Licht erscheint das Innen rot. Außerdem kann ich so das Ende des Risses nicht sehen. Ich bin überzeugt, dass er sich verändert, sich weitet und längt. Sein Inneres ist schwarz. Wenn ich absolut still bin, kann ich ihn hören. Mit einem Knirschen verrichtet er sein verstohlenes Werk. Er ist ein Ausdruck der – nein, er ist die Destruktion. Unendlich langsam, nur Millimeter am Tag oder in der Woche oder in längerer Zeit. Doch davon habe ich viel. Ich muss nicht mehr.
Entdeckt habe ich den Riss anhand seiner Hinterlassenschaften. Eine feine, grausandige Spur zieht sich über meine Bettdecke, folgt wie eine verwaschene Kopie der Linie an der Decke auf der Decke. Komposition in Grau, recht harmonisch, und doch geschaffen aus den Exkrementen des Raumes, ausgeschieden aus dem Spalt über mir. Ich stelle mir vor, ich sei es, der einen Riss über den Körper trüge, eine weiter und weiter klaffende Wunde in weißer Haut. Meine Spuren auf dem Laken wären zunächst rot, dann zunehmend gelb und braun. Der Gedanke widert mich an. Ich versuche, mich zu erinnern. Der Spalt in der Zimmerdecke ist ein winziges Stück länger als gestern, da bin ich mir jetzt sicher. Wenn ich mich auf mein Bett stellte, dann käme ich mit ausgestrecktem Arm an die Decke und könnte dort mit dem Fingernagel eine Markierung ans Ende des Risses ritzen und damit festhalten, bis wohin er heute reicht. Und morgen wieder, ebenso übermorgen. So entstünde nach und nach eine Chronologie des Risswachstums. Vielleicht könnte ich auch eine Prognose wagen, die Markierungen für eine Woche im Voraus einritzen, einen Riss-Kalender, eine Uhr gar erschaffen.
Ich denke an eine Uhr, eine große, mechanische mit lautem Ticken. Nicht so etwas Modernes wie mein Wecker. Elektronisch und nutzlos, die Batterien sind schon lange leer. Sie waren schon leer, als ich den Riss zum ersten Mal bemerkte. Ob der Wecker noch da steht, weiß ich nicht. Er ist nutzlos, hat keine Bedeutung für mich, so wende ich den Kopf nicht mehr, um ihn anzusehen. Nutzlos. Das Ticken dröhnt noch immer rhythmisch in meinem Kopf. Ta-tock, ta-tock, ta-tock. Ich werde versuchen, zu schlafen. Es wird langsam dunkel und kühler, ich schließe die Augen. Morgen werde ich die erste Markierung in die Decke ritzen.
[tabs: 1. Version]Die Bezüge und Laken meines Bettes sind weiß. Oder besser, sie waren es, als ich sie aufzog. Am Anfang. So weiß wie die Wände dieses Raumes. Ohne eine Spur. Der hölzerne Boden stört den Eindruck, doch den sehe ich nicht von hier, wo ich liege, in meinem Bett, meist auf dem Rücken mit dem Blick zur Zimmerdecke. Schon lange liege ich hier, so lange, dass ich gelernt habe, den Dingen Veränderung zuzugestehen.
Quer über die Decke läuft ein Riss. Recht dünn, nicht ganz gerade, im Zickzack, mäandernd geradezu und doch zielstrebig diagonal durch den Raum. Nur dieser eine, eine feine schwarze Linie, die schon immer da war. Ich weiß, er kann nicht immer dagewesen sein. Einmal war auch dieser Raum neu und unversehrt so wie alle Dinge und Leben und Ideen irgendwann mal ohne Schäden beginnen. Doch so weit zurück kann ich nicht mehr denken. Das bedeutet nicht, dass ich mein Gedächtnis verloren hätte, ich erinnere mich schon noch. So habe ich bemerkt, dass die Sonne heute wieder ein wenig nördlicher aufgegangen ist als gestern. Für einige Minuten fällt das Licht horizontal in den Raum und verleiht der Luft eine besondere Klarheit. Die Stille vibriert. In diesen wenigen Augenblicken bewege ich mich gar nicht mehr, spare mir das Atmen, um ja keinen Staub aufzuwirbeln, denn ich mag es nicht, wie die Partikel, Zerfallsprodukte meiner Dinge und meiner selbst, aufreizend in den Strahlen tanzen.
Heute habe ich versucht, nur noch ein Auge zu öffnen um mit dem anderen gleichzeitig nach innen zu blicken. Das hat mir nicht gefallen, denn im Licht erscheint das Innen rot. Außerdem kann ich so das Ende des Risses nicht sehen. Ich bin überzeugt, dass er sich verändert, sich weitet und längt. Sein Inneres ist schwarz. Wenn ich absolut still bin, kann ich ihn hören. Mit einem Knirschen verrichtet er sein verstohlenes Werk. Er ist ein Ausdruck der – nein, er ist die Destruktion. Unendlich langsam, nur Millimeter am Tag oder in der Woche oder in längerer Zeit. Doch davon habe ich viel. Ich muss nicht mal mehr scheißen.
Entdeckt habe ich den Riss anhand seiner Spuren. Eine feine, grausandige Spur zieht sich über meine Bettdecke, folgt wie eine verwaschene Kopie der Linie an der Decke auf der Decke. Komposition in Grau, recht harmonisch, und doch geschaffen aus den Exkrementen des Raumes, ausgeschieden aus dem Spalt über mir. Ich stelle mir vor, ich sei es, der einen Riss über den Körper trüge, eine weiter und weiter klaffende Wunde in weißer Haut. Meine Spuren auf dem Laken wären zunächst rot, dann zunehmend gelb und braun. Der Gedanke widert mich an. Ich versuche, mich zu erinnern. Der Spalt in der Zimmerdecke ist ein winziges Stück länger als gestern, da bin ich mir jetzt sicher. Wenn ich mich auf mein Bett stellte, dann käme ich mit ausgestrecktem Arm an die Decke und könnte dort mit dem Fingernagel eine Markierung ans Ende des Risses ritzen und damit festhalten, bis wohin er heute reicht. Und morgen wieder, ebenso übermorgen. So entstünde nach und nach eine Chronologie des Risswachstums. Vielleicht könnte ich auch eine Prognose wagen, die Markierungen für eine Woche im Voraus einritzen, einen Riss-Kalender, eine Uhr gar erschaffen.
Ich denke an eine Uhr, eine große, mechanische mit lautem Ticken. Nicht so etwas Modernes wie mein Wecker. Elektronisch und nutzlos, die Batterien sind schon lange leer. Sie waren schon leer, als ich den Riss zum ersten Mal bemerkte. Ob der Wecker noch da steht, weiß ich nicht. Er ist nutzlos, hat keine Bedeutung für mich, so wende ich den Kopf nicht mehr, um ihn anzusehen. Nutzlos. Das Ticken dröhnt noch immer rhythmisch in meinem Kopf. Ta-tock, ta-tock, ta-tock. Ich werde versuchen, zu schlafen. Es wird langsam dunkel und kühler, ich schließe die Augen. Morgen werde ich die erste Markierung in die Decke ritzen. Vielleicht.[/tabs]