Ist der Teufel tot? Oder hat er selbst geschossen?
Verfasst: 04.05.2011, 11:38
Internes Protokoll einer unerwünschten Verweigerung
Die Nachricht – breaking news! – gibt Grund zur Freude.
(Oder?)
Ich bemühe mich aufrichtig. Ich will mich freuen! Ich muss! (Muss ich?)
Ich kannte den Mann nicht, und mir fällt ein, dass er von keinem Gericht als Schuldiger verurteilt wurde. Nun ist er tot. Sein Tod soll mir, mit all den Beweisen, Berichten und Bekenntnissen der Täter und Ankläger, als Beweis für die immanente Bosheit eines Menschen, dessen Unheilbarkeit und Nicht-(Re)sozialisierbarkeit reichen, soll die Notwendigkeit der Strafe, die keine ist, sondern ein Schießbefehl belegen. Da wird das Recht redundant, denn es ist von vornherein auf „unserer“ Seite. Ein Mörder weniger! Hurra!
Aber… – ach, dieses Aber, es erschöpft mich! Bin ich kleinlich? Sollte ich nicht endlich aufhören, so furchtbar kleinlich zu sein, furchtsam und schwach? Nicht länger all diese Zweifel hegen. (Oder?) Im Recht sein dürfen! Endlich nicht mehr diese lästigen Fragen stellen, die mich selbst am meisten quälen! Nur weil kein Richter das letzte Wort hatte, das gültige Wort, sondern eine Waffe, die den Segen der Mächtigen der Welt hatte. (Ist mein Zweifel an der Legitimität dieser Wortlosigkeit ein rein formaler?) Nur weil – ach, diese lästigen Details... – ohne Gericht und Schuldspruch nicht zweifelsfrei erwiesen ist, wen der Erschossene wann warum ermordet hat. Und ob. Und weil im Zweifel für den Angeklagten sogar bei Vergewaltigern und Kindsschändern gilt, solange sie eben nicht zweifelsfrei undsoweiter. Weil in einem Rechtsstaat nicht Unschuld bewiesen, sondern Schuld nachgewiesen werden muss, und all das mit guten, aufgeklärten Gründen, die eine lange Tradition haben, die es schwer genug hatten, sich durchzusetzen, es immer noch schwer genug haben – und nun also noch schwerer, nach diesem Todesschuss. Ich sollte aufhören, an der Rechtmäßigkeit oder zumindest, oweh, Legitimität dieses befohlenen Todes, dieser Vollstreckung zu zweifeln. (Sollte ich? Wer könnt mir das befehlen?)
Mit diesem Unbehagen fühle ich mich draußen . Sogar meine leidenschaftslose Kanzlerin freut sich öffentlich! Über den Tod! Ich versuche, mich gegen meine Abwehr zu wehren, mich zu freuen dass jemand tot ist, erschossen mit geballter Staatsgewalt, die gesamte freie Welt im Rücken. Ich sollte mich über den Sieg der Freiheit freuen. Mir gelingt jedoch nur Unbehagen, das wächst unter meinem Herzen, allem Unbehagen gegenüber dem Unbehagen zum Trotz. Ich prüfe mich: Bin ich kleinlich? Darf man das überhaupt? Jetzt, wo die Freiheit siegt? Die Guten eine Schlacht gewonnen haben? Darf man sich da – nicht freuen?
Ich erhalte Rückendeckung vom verwalteten Evangelium: Man dürfe sich als Christ nicht freuen, wenn jemand gezielt erschossen wurde. Ich lese: Der Mann war unbewaffnet, als die Schüsse ihn trafen. Und: Es wird keine Bilder vom Toten geben, sondern eine Versenkung im großen, schweigenden Meer. Pietät? Taktik? Strategie? Vorausschauende Vermeidung von Märtyrer-Huldigungen (die werden ohnehin ihre Stätten finden, so wie neue Waffen wachsen an neuen Händen, die neues Blut bringen)? Oder doch auch der Rest eines wie auch immer verworfenen, weil in Gewaltzeiten verwerflich gewordenen schlechten Gewissens, das mahnt, dass nicht Recht sein kann, was Tot mit Tod vergilt – ohne unabhängiges Gericht (auch wenn es kein unabhängiges Gericht der Welt gibt, nirgendwo auf der Welt, weil sie eine Idee bleibt, die Sache mit der Gerechtigkeit, eine dringend notwendige Idee bleiben muss!) Eines schlechtes Gewissens, weil kein Schuss von Kriegsbeteiligten frei von Rache sein kann – und weil Rache nunmal immer ein schlechtes Motiv ist – und verdammt noch mal bleibt und bleiben sollte! –, wenn es um Recht geht? Um Frieden, um Politik, um Heilung.
Ich wehre mich, doch die Fragen bleiben hartnäckig.
Wurde der Mann in einem Krieg erschossen? Gegen welches Land? In wessen Namen? Wer war der Mann überhaupt? Warum trug er so einen grauslichen Bart, einen verkehrten Weihnachtsmannbart? War er der Anti-Christ? Muss man Christ sein, um Unbehagen zu spüren statt Freude? Darf man auch Moslem sein? Oder reicht einfach nur „Mensch“? Wiegen Tote Tote auf? Ab welcher Zahl? Wie viele? Und wie lange noch lässt unsere geheiligte, unsere allzu anfällige Vernunft sich bieten, von Gewalt in ihrem Innersten bedroht zu werden, indem sie Gewalt mit Gewalt die Stirn zu bieten sucht, so hilflos dann beide!, und nicht etwa, Gott bewahre, die andere Wange hinhält! Wir sind doch nicht blöd! (Oder doch?) Wann hätte Gewalt je Gewalt besiegt, anstatt neue zu zeugen? In Wahrheit, meine ich, frage ich, nicht in der Propaganda, die jeden Krieg, jeden Sieg, jede Niederlage, jede Unrechtmäßigkeit begleitet.
Dummerweise hat der rechtsfreie Raum die Eigenschaft, sich gierig auszubreiten, je mehr Platz man ihm macht, in jedes Vakuum stößt er vor, nutzt jedes Gefühl hemmungslos aus, denn wenn jemand meinen Bruder tötet, will ich instinktiv den Brudertöter töten. Davon muss mich das Recht abhalten, damit nicht alle Brüder irgendwann tot sind. Dafür hat man das Recht erfunden. Die Aufklärung. Die heiligen Werte der Vernunft, der übergeordneten Menschlichkeit. Dafür, dass der rechtsfreie Raum sich nicht gierig ausbreitet, sondern so klein wie möglich in jeder Herzkammer klopfen muss. In jenem Individuum, dessen Rechte es zu verteidigen gilt, weil es sich bei all diesen Individuen um Menschen handelt. Ich fürchte: Das Individuum steht genauso wie die Freiheit auf dem Spiel mit diesem Sieg der Freiheit über die Vernunft. Der tote Mann wird über sich selbst hinauswachsen, ein Monster der Unfreiheit, uns zur Geisel nehmen, weil wir uns über seine Unrechtmäßigkeit freuen. Endlich wieder zuschlagen dürfen (Ein Feind!) (Dürfen wir?)
Für jeden getöteten Gewalttäter wachsen zehn neue nach; das ist wahrscheinlich wie mit den Besen, die der alte Hexenmeister gewesen machen muss, nur dass kein Hexenmeister in Sicht ist, nichts als kleinlaute Stimmen, Stimmchen, die sich nicht aus ihrer instinktlosen Ecke trauen, zu laut wüten all die Lehrlinge der barbarischen Aufklärung, die – ach, Dialektik, vergessene! – in ihrer Ohnmacht und Hilflosigkeit ihre eisernen Besen so gnadenlos überschätzen, dass sie all jene Werte, die sie zu verteidigen glauben, gleich mit auskehren, mit ihrer eisernen Hand.
Der Hexenmeister schaut zu, aus seinem stimmlosen Loch, wartet: Wie lange noch, ehe die „aufgeklärte Welt“ (der Westen, mein Gott!) wieder aufgeklärt handeln darf, anstatt Alternativlosigkeit zu behaupten?
Man ahnt, und man hat es immer wieder neu zu wissen: Die * Verletztlichkeit und Gefährdung des Rechtsstaats, der Demokratie gehören zu ihrem Wesen, darin liegt ihre Kraft: im Zweifel! Unsere eigene Verletzlichkeit als Mensch ist Bedingung für unsere Lebendigkeit. Vielleicht hat man ihn erschießen dürfen, weil er ein Zombie war, aber ich hätte es gerne korrekt. Ich hätte es gerne menschlich. Ich hätte gerne, dass das wieder zusammen gehört, auch in den Nachrichten, die ich lesen und hören muss: das Recht und das Rechthaben, das Menschsein und die Vernunft. So anspruchsvoll sollten wir sein, mit uns selbst, wir aufgeklärten Menschen, finde ich. Anmaßend im Zweifel bleiben. Das ist das Gegenteil von kleinlich! Andernfalls überlassen wir, mit jedem Schuss, der die Unabänderlichkeit behauptet, den zweifelsfrei Brutalen das Feld und werden – unabhängig von deren Motivation! – in die zweifelsfreie Brutalität des Terrors genötigt.
Also, man vergebe mir, freue ich* mich nicht, sondern fürchte mich, und hoffe weiter: dass die Hoffnung zuletzt stirbt.
[*mit Dank an ferdi für Hinweis auf Sprechblasen/Redundanz und ein "ich"]
Die Nachricht – breaking news! – gibt Grund zur Freude.
(Oder?)
Ich bemühe mich aufrichtig. Ich will mich freuen! Ich muss! (Muss ich?)
Ich kannte den Mann nicht, und mir fällt ein, dass er von keinem Gericht als Schuldiger verurteilt wurde. Nun ist er tot. Sein Tod soll mir, mit all den Beweisen, Berichten und Bekenntnissen der Täter und Ankläger, als Beweis für die immanente Bosheit eines Menschen, dessen Unheilbarkeit und Nicht-(Re)sozialisierbarkeit reichen, soll die Notwendigkeit der Strafe, die keine ist, sondern ein Schießbefehl belegen. Da wird das Recht redundant, denn es ist von vornherein auf „unserer“ Seite. Ein Mörder weniger! Hurra!
Aber… – ach, dieses Aber, es erschöpft mich! Bin ich kleinlich? Sollte ich nicht endlich aufhören, so furchtbar kleinlich zu sein, furchtsam und schwach? Nicht länger all diese Zweifel hegen. (Oder?) Im Recht sein dürfen! Endlich nicht mehr diese lästigen Fragen stellen, die mich selbst am meisten quälen! Nur weil kein Richter das letzte Wort hatte, das gültige Wort, sondern eine Waffe, die den Segen der Mächtigen der Welt hatte. (Ist mein Zweifel an der Legitimität dieser Wortlosigkeit ein rein formaler?) Nur weil – ach, diese lästigen Details... – ohne Gericht und Schuldspruch nicht zweifelsfrei erwiesen ist, wen der Erschossene wann warum ermordet hat. Und ob. Und weil im Zweifel für den Angeklagten sogar bei Vergewaltigern und Kindsschändern gilt, solange sie eben nicht zweifelsfrei undsoweiter. Weil in einem Rechtsstaat nicht Unschuld bewiesen, sondern Schuld nachgewiesen werden muss, und all das mit guten, aufgeklärten Gründen, die eine lange Tradition haben, die es schwer genug hatten, sich durchzusetzen, es immer noch schwer genug haben – und nun also noch schwerer, nach diesem Todesschuss. Ich sollte aufhören, an der Rechtmäßigkeit oder zumindest, oweh, Legitimität dieses befohlenen Todes, dieser Vollstreckung zu zweifeln. (Sollte ich? Wer könnt mir das befehlen?)
Mit diesem Unbehagen fühle ich mich draußen . Sogar meine leidenschaftslose Kanzlerin freut sich öffentlich! Über den Tod! Ich versuche, mich gegen meine Abwehr zu wehren, mich zu freuen dass jemand tot ist, erschossen mit geballter Staatsgewalt, die gesamte freie Welt im Rücken. Ich sollte mich über den Sieg der Freiheit freuen. Mir gelingt jedoch nur Unbehagen, das wächst unter meinem Herzen, allem Unbehagen gegenüber dem Unbehagen zum Trotz. Ich prüfe mich: Bin ich kleinlich? Darf man das überhaupt? Jetzt, wo die Freiheit siegt? Die Guten eine Schlacht gewonnen haben? Darf man sich da – nicht freuen?
Ich erhalte Rückendeckung vom verwalteten Evangelium: Man dürfe sich als Christ nicht freuen, wenn jemand gezielt erschossen wurde. Ich lese: Der Mann war unbewaffnet, als die Schüsse ihn trafen. Und: Es wird keine Bilder vom Toten geben, sondern eine Versenkung im großen, schweigenden Meer. Pietät? Taktik? Strategie? Vorausschauende Vermeidung von Märtyrer-Huldigungen (die werden ohnehin ihre Stätten finden, so wie neue Waffen wachsen an neuen Händen, die neues Blut bringen)? Oder doch auch der Rest eines wie auch immer verworfenen, weil in Gewaltzeiten verwerflich gewordenen schlechten Gewissens, das mahnt, dass nicht Recht sein kann, was Tot mit Tod vergilt – ohne unabhängiges Gericht (auch wenn es kein unabhängiges Gericht der Welt gibt, nirgendwo auf der Welt, weil sie eine Idee bleibt, die Sache mit der Gerechtigkeit, eine dringend notwendige Idee bleiben muss!) Eines schlechtes Gewissens, weil kein Schuss von Kriegsbeteiligten frei von Rache sein kann – und weil Rache nunmal immer ein schlechtes Motiv ist – und verdammt noch mal bleibt und bleiben sollte! –, wenn es um Recht geht? Um Frieden, um Politik, um Heilung.
Ich wehre mich, doch die Fragen bleiben hartnäckig.
Wurde der Mann in einem Krieg erschossen? Gegen welches Land? In wessen Namen? Wer war der Mann überhaupt? Warum trug er so einen grauslichen Bart, einen verkehrten Weihnachtsmannbart? War er der Anti-Christ? Muss man Christ sein, um Unbehagen zu spüren statt Freude? Darf man auch Moslem sein? Oder reicht einfach nur „Mensch“? Wiegen Tote Tote auf? Ab welcher Zahl? Wie viele? Und wie lange noch lässt unsere geheiligte, unsere allzu anfällige Vernunft sich bieten, von Gewalt in ihrem Innersten bedroht zu werden, indem sie Gewalt mit Gewalt die Stirn zu bieten sucht, so hilflos dann beide!, und nicht etwa, Gott bewahre, die andere Wange hinhält! Wir sind doch nicht blöd! (Oder doch?) Wann hätte Gewalt je Gewalt besiegt, anstatt neue zu zeugen? In Wahrheit, meine ich, frage ich, nicht in der Propaganda, die jeden Krieg, jeden Sieg, jede Niederlage, jede Unrechtmäßigkeit begleitet.
Dummerweise hat der rechtsfreie Raum die Eigenschaft, sich gierig auszubreiten, je mehr Platz man ihm macht, in jedes Vakuum stößt er vor, nutzt jedes Gefühl hemmungslos aus, denn wenn jemand meinen Bruder tötet, will ich instinktiv den Brudertöter töten. Davon muss mich das Recht abhalten, damit nicht alle Brüder irgendwann tot sind. Dafür hat man das Recht erfunden. Die Aufklärung. Die heiligen Werte der Vernunft, der übergeordneten Menschlichkeit. Dafür, dass der rechtsfreie Raum sich nicht gierig ausbreitet, sondern so klein wie möglich in jeder Herzkammer klopfen muss. In jenem Individuum, dessen Rechte es zu verteidigen gilt, weil es sich bei all diesen Individuen um Menschen handelt. Ich fürchte: Das Individuum steht genauso wie die Freiheit auf dem Spiel mit diesem Sieg der Freiheit über die Vernunft. Der tote Mann wird über sich selbst hinauswachsen, ein Monster der Unfreiheit, uns zur Geisel nehmen, weil wir uns über seine Unrechtmäßigkeit freuen. Endlich wieder zuschlagen dürfen (Ein Feind!) (Dürfen wir?)
Für jeden getöteten Gewalttäter wachsen zehn neue nach; das ist wahrscheinlich wie mit den Besen, die der alte Hexenmeister gewesen machen muss, nur dass kein Hexenmeister in Sicht ist, nichts als kleinlaute Stimmen, Stimmchen, die sich nicht aus ihrer instinktlosen Ecke trauen, zu laut wüten all die Lehrlinge der barbarischen Aufklärung, die – ach, Dialektik, vergessene! – in ihrer Ohnmacht und Hilflosigkeit ihre eisernen Besen so gnadenlos überschätzen, dass sie all jene Werte, die sie zu verteidigen glauben, gleich mit auskehren, mit ihrer eisernen Hand.
Der Hexenmeister schaut zu, aus seinem stimmlosen Loch, wartet: Wie lange noch, ehe die „aufgeklärte Welt“ (der Westen, mein Gott!) wieder aufgeklärt handeln darf, anstatt Alternativlosigkeit zu behaupten?
Man ahnt, und man hat es immer wieder neu zu wissen: Die * Verletztlichkeit und Gefährdung des Rechtsstaats, der Demokratie gehören zu ihrem Wesen, darin liegt ihre Kraft: im Zweifel! Unsere eigene Verletzlichkeit als Mensch ist Bedingung für unsere Lebendigkeit. Vielleicht hat man ihn erschießen dürfen, weil er ein Zombie war, aber ich hätte es gerne korrekt. Ich hätte es gerne menschlich. Ich hätte gerne, dass das wieder zusammen gehört, auch in den Nachrichten, die ich lesen und hören muss: das Recht und das Rechthaben, das Menschsein und die Vernunft. So anspruchsvoll sollten wir sein, mit uns selbst, wir aufgeklärten Menschen, finde ich. Anmaßend im Zweifel bleiben. Das ist das Gegenteil von kleinlich! Andernfalls überlassen wir, mit jedem Schuss, der die Unabänderlichkeit behauptet, den zweifelsfrei Brutalen das Feld und werden – unabhängig von deren Motivation! – in die zweifelsfreie Brutalität des Terrors genötigt.
Also, man vergebe mir, freue ich* mich nicht, sondern fürchte mich, und hoffe weiter: dass die Hoffnung zuletzt stirbt.
[*mit Dank an ferdi für Hinweis auf Sprechblasen/Redundanz und ein "ich"]