Lars von Trier

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Sam

Beitragvon Sam » 19.05.2011, 20:22

Lars von Trier

Er ist nun „persona non grata“, nicht nur in Cannes, sondern überall sonst auch. Zu Recht womöglich, denn für Hitler Verständnis zu postulieren ist nun mal eine Unmöglichkeit. Da könnte er gleich auch für Gaddafi ebensolche Gefühle ausdrücken (so etwas kann sich nur Berlusconi erlauben).
Über die Person des Lars von Trier weiß ich überhaupt nichts. Es interessiert mich auch nicht. Aber ich mag seine Filme. Ja, sie sind mit das Beste, was ich je gesehen habe. Meine erste Erfahrung machte ich mit „Dancer in the dark“. Zu der Zeit kulturell noch völlig unbeleckt, schob ich meine Ergriffenheit auf die Geschichte und das pathetische Ende. Die Brille! Aber als ich dann, einige Jahre später, Dogville sah, da verstand ich, warum dieser Regisseur mich so zu rühren vermochte. Es war seine Art zu erzählen, das Reduzierte, welches den Menschen in seinem Sein so sehr fokussiert, dass er völlig nackt dasteht. Und die Frage der Gerechtigkeit.
Die nächste Erfahrung war der Film Antichrist. Zugegeben, der Audiokommentar zur DVD ist völlig belanglos. Wollte ich wissen, warum er die Einstellung wählte, die zeigt, wie ein Glied in eine Vagina eindringt, sprach er über Beleuchtungsprobleme und fehlende Mittel, den Film so zu drehen, wie er es eigentlich wollte. Nichtsdestotrotz ist ein großartiger Film, und es braucht keinerlei Erklärungen seitens seines Machers, um mir das ganze Universum aufzuschließen, das er enthält.
Ich weiß nur eines: Wer solche Filme dreht, entblößt sich bis zum äußersten. Aber was kommt danach? Wie sich erwehren gegen all die angreifenden Fragezeichen? Wie kann man die totale Exhibitionierung noch toppen? Indem man das Unmögliche den Fragenden ins Gesicht rotzt. Eine Steigerung ins Unaussprechliche, weil mehr als nackt, kann man nicht sein. Wer nackt vor einer Menge auf dem Tisch liegt, der darf rufen was er will, es kann ihn nicht mehr beschämen, als der Zustand, in dem er sich befindet.
Ja, vielleicht ist Lars von Trier ein Nazi. Vielleicht ist er nur abgedreht und raucht das falsche Zeug. Aber wer sich in seiner Kunst auf eine solche Unerbittlichkeit einlässt, auf den wird sie über kurz oder lang zurückfallen. Dann wird er ans Feuilleton verfüttert, was aber nicht unbedingt schlecht sein muss. Personenkult kann sich von Trier nun abschminken. Er kann sich zurückziehen (vielleicht nicht lange, denn die veröffentliche Meinung hat kein Langzeitgedächtnis) und neue Ideen ausspinnen, während wir, irritiert von dem Menschen, aber fasziniert von dem Künstler, seinen Einstellungen folgen, die uns weit jenseits von Nazismus, Rassismus, Hitler, und auch dem ganzen Glamour von Filmfestspielen auf unser ganz eigenes Menschsein zurückwerfen.

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Eule
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Beitragvon Eule » 03.06.2011, 19:33

Hallo Sam, ein provozierender Text über provokative Künstler. Viele Leser/Zuhörer/innen haben wohl gelegentlich ähnliche kritische Gedanken. Und trotzdem, ohne Aktionskunst, würde etwas fehlen, u.a. der anachronistische Zug oder Herbert Achternbusch. Deshalb finde ich den versöhnlichen Schluss sehr gelungen. Und Deinen lesenswerten Beitrag im Feuilleton unsres Salons allemal auch.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Sam

Beitragvon Sam » 04.06.2011, 10:26

Hallo Arne,

vielen Dank!

Provozieren wollte ich mit dem Text nicht. Mir geht nur diese heuchlerische Empörung auf den Zeiger. Und ich kann solche Ausfälle, wie den von Trier insofern verstehen, als dass Künstler heutzutage, wollen sie wahrgenommen werden, neben ihrer Kunst auch sich selbst immer wieder zur Schau stellen müssen, was zwangsläufig auf eine Inszenierung hinausläuft. Das ist dann selten ernst zu nehmen und lenkt vom wirklichen Wichtigen, dem Kunstwerk selbst, nur ab. Leider ist für viele genau diese Ablenkung wesentlich interessanter.

Gruß

Sam

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Beitragvon Zakkinen » 04.06.2011, 14:55

Hallo Sam,

schöner Text. Ähnliches gedacht, obwohl auch ich von Lars von Trier nichts weiß. Oder gerade deswegen. Es ist gerade sehr in, sich zu empören. Zum nicht unerheblichen Teil ist das sicher auch dem Umsatzzwang der Medien geschuldet - wobei ich mich auch nicht in den Kreis der Medien-Schelter einreihen will. Vielleicht auch der gehassten PC. Dennoch, ebenso, wie LvT wohl den Skandal braucht, weil er schon bis ans Ende gegangen ist, brauchts auch wieder eine Sau fürs globale Dorf. Wenn ich nur denke, wie genüsslich gerade EHEC ausgeschlachtet wird. Wie mies recherchiert zum Teil. Einfach mal los, auf sie mit Gebrüll!
Grüße
Henkki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 04.06.2011, 21:21

Hallo Sam,

ich schätze das, was ich von Lars von Trier kenne, besonders der Antichrist hat es mir "angetan" (die Formulierung trifft es hier). Ich weiß nicht viel über seine Person außer die typischen "Zeichnungen" (Depressionen etc.). Ich hatte weder von Triers Auftritt noch von der Pressereaktion etwas mitbekommen (fernsehlos). Im Sinne Henkkis globalen Dorfs (was für ein genialer Ausdruck, noch nie gehört!) schließe ich mich dem Text und der kurzen Diskussion hier natürlich an. Desweiteren habe ich mir danach Triers Auftritt kurz bei YT angesehen und hatte nicht das Gefühl, dass er sagen wollte, er sei ein Nazi (jedenfalls nicht so, wie man es gängig "versteht"). In diesem konkreten Fall sehe ich es ähnlich wie du:

Aber wer sich in seiner Kunst auf eine solche Unerbittlichkeit einlässt, auf den wird sie über kurz oder lang zurückfallen.


Interessant aber war für mich, dass der Text in mir die Frage aufkommen ließ, ob das Kunstwerk immer autark gegenüber dem Verhalten des Künstlers ist. Diese Frage muss ich mir mir nein beantworten. Es gibt aber auch Fälle, in denen das Verhalten/bestimmte Einstellungen eines Künstlers mir es unmöglich gemacht haben, einen Zugang zu seinem Werk zu behalten oder zu bekommen. Genauso gibt es Fälle, in denen sich die Künstler menschlich oder moralisch oder wie man das nennen will mehr als fragwürdig verhalten haben, deren Werke mir aber viel bedeuten. Es kommt wohl dann je darauf an, wie stark die Werke auf einen wirken, welche "Größe" man ihnen zugesteht und auch, was man menschlich nachempfinden kann und was man verachten kann oder will usf. Ist es doch nur eine Frage der Bedeutsamkeit? Ich weiß nicht, wenn mich ein Werk wirklich überzeugt, durch und durch, wenn ich denke, dass es großartig, einmalig, tief bewegend und bedeutsam für mich ist, gibt es dann etwas, was ich nicht "verzeihen" könnte? Versteht man dann nicht "automatisch" jegliche Schwierigkeiten? Jedenfalls kenne ich keinen Fall, in dem ich bedauere, dass das Verhalten des Künstlers verhindert hätte, dass ich einen Zugang zu seinem Werk finden könnte, sondern immer ist es so, dass ich dann auch die Kunst "fehlerhaft", beschränkt oder unangemessen finde.

Soweit meine etwas abschweifenden Gedanken .-)

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 04.06.2011, 22:53

Hallo Sam,
die Erläuterungen, die LvT danach z.B. via MediaBiz gab (hab leider keinen offenen Link parat) gehen genau in die Richtung, die du andeutetest, Sam. Er ist kein Nazi, sondern in die Schlingen der Erwartungshaltung an böse Buben geraten, politisch unkorrektes, Tabubrüche usw., ein Schuß, der für ihn nach hinten los ging, er hatte Cannes und seine Rolle dabei schon ganz gern, wie es scheint.

Grüße
Franz

Gerda

Beitragvon Gerda » 07.06.2011, 10:00

Lieber Sam,

es sagt sich schnell, dass Lars von Trier nun die Presse hat, die ihm nützt.
Jedenfalls wird so etwas kurzsichtig und rasch von weniger sensiblen Zeitgenossen behautet.
Damit wird LvT unterstellt, dass hinter seinen Äußerungen, die übergeordnete Absicht der Werbung für sich und seine Kunst stehe, die er überdies nicht nötig hat, mit der er evtl. auch "Rechte Geister" ansprechen könne.
Betrachtet man die Fakten jedoch differenzierter, so wird man sich deiner in der Kolumne geäußerten Meinung anschließen.
Danke für diesen Beitrag.

Liebe Grüße
Gerda

Sam

Beitragvon Sam » 08.06.2011, 13:32

Hallo Zusammen,

vielen Dank für eure Kommentare!

Henkki,

die Sau fürs globale Dorf, das trifft irgendwie. Das Problem bei dieser Empörungsinflation liegt ja darin, dass keiner mehr richtig hinschaut, wenn es etwas gibt, über das man sich wirklich empören sollte.


Lisa,

mag sein, dass in extremen Situationen das Verhalten eines Künstlers auf die Rezeption seiner Kunst bei mir Auswirkungen hätte. Bisher ist mir das aber nicht passiert. Ich glaube, da müsste ich in seiner Kunst den Versuch einer Beeinflussung erkennen, oder einer bestimmten Haltung, die mich abstößt. Aber das wäre dann doch in erster Linie das Kunstwerk selbst, mit dem ich Konflikt geriete. Ein Künstler ist ja nicht gleich ein guter Mensch, nur weil er Künstler ist. Er ist genauso anfällig für Verirrungen und Verwirrungen, wie jeder andere Mensch auch. Vielleicht sogar anfälliger, aus einem Übermaß an Intellektualität oder Emotionalität heraus. Erfahrungsgemäß aber entsteht aus extremen, für mich unvertretbaren Haltungen heraus, keine Kunst, die mich anzusprechen vermag.


Franz,

ich habe ein Interview mit ihm auf Spiegel-online gelesen. Da hat er alles ziemlich relativiert. Er sagte, er gebrauchte das Wort Nazi als Synonym für Deutscher, so würde man halt die Deutschen in Dänemark nennen. Und da sein leiblicher Vater ein Deutscher war, ist er eben auch ein Nazi. Man kann davon halten was man will, aber ich glaube auch, dass von Trier das Ganze eigentlich gerne rückgängig machen würde.


Gerda,

vielleicht war das sogar ein Hintergedanke von ihm. Was schade wäre, denn er hat das meiner Meinung nach nicht nötig. Angesichts seiner Filme jedoch, kann ich mir solche Ausfälle eigentlich nur so erklären, wie ich es in dem Text beschrieben habe.

Nochmals vielen Dank!


Gruß

Sam


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