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Wie die Dinge lagen

Verfasst: 21.05.2011, 13:34
von Teya
Wie die Dinge lagen


Kordhosen, dachte Menno, als er an dem Klamottenladen vorbeikam. Er blieb einen Moment stehen und sah ins Schaufenster. Was hatte er seine Mutter dafür gehasst. Dass sie ausschließlich und immer wieder und nie irgendwas anderes als Kordhosen für ihn kaufte, was hatte er sie dafür gehasst. Robuste, hübsch anzuschauende und dazu verlockend preiswerte Kordhosen, damals, vor 19 Jahren, als er gelernt hatte, wie man sich schämt, wann man sich schämt und vor allem wofür. Für seine Kordhosen schämte er sich. Für die braune, für die blaue und am meisten für die violette, oh Gott, ja, die violette, dieses Scheusal, in Farbe und Haptik vom Vorhang der Dorfschenke inspiriert und dazu obenrum viel zu eng, ständig zwickte irgendwas, es war die reinste Schikane. Er musste sie ertragen. Da half kein Bitten und kein Betteln und kein Fluchen und kein Türe knallen und keine Gemüseverweigerung, er konnte machen, was er wollte, seine Mutter zog ihr Diktat voll durch. Nein, er hatte sogar das Gefühl, seine offene Missbilligung ihrer Mode-Kompetenz feuerte ihre Kaufwut noch weiter an, und dass er sich am Ende doch jedesmal fügen musste, schien ihr dabei ein zusätzlicher Triumph zu sein.

Anders konnte er sich nicht erklären, dass sie einfach nicht begriff. Begreifen wollte, was er ihr wieder und wieder erklärt hatte. Wieder und wieder hatte er es ihr erklärt. Versucht zu erklären, wie die Dinge lagen, denn das spürte er schon ziemlich genau, nur konnte er es noch nicht genau erklären, und möglicherweise war das sein Problem. Dass es bei den Hosen eines 13-Jährigen nämlich eigentlich gar nicht um Mode ging, sondern um Etiketten, um Labels, also irgendwie doch um Mode, aber in einem ganz konservativen Sinn, reduziert oder erweitert auf ihre soziale Funktion. Es ging um Status, um Akzeptanz, um das klasseninterne Zwei-Klassen-System und um Diskriminierung in diesem System. Ja, er fühlte sich diskriminiert, damals in der Siebten.
Es war doch so: Wer Kordhosen trug, war raus. Denn wer Kordhosen trug, bei dem war klar, dass er seine Hosen noch nicht selber aussuchen durfte, sonst hätte er sich keine Kordhosen ausgesucht. Nur wer seine Hosen selber aussuchen durfte, und nur, wer die richtigen Hosen selber aussuchte, war dabei. So lagen die Dinge damals in der Siebten.

Die erste selbst gekaufte Hose. Die erste selbst gekaufte Jeans. Die erste selbst gekaufte Markenjeans. Man erkannte sie auf einen Blick. Jeder erkannte sie. Sie sah anders aus und sie wurde anders getragen. In ihr steckte kein Schüler, in ihr steckte ein Cowboy. In einer Kordhose steckte kein Cowboy, sondern ein Clown: ein trauriger Clown. Sie stigmatisierte ihren Träger, markierte ihn als fremdgesteuerten Schwächling. Erst wer sein Korsett aus Kord gesprengt und gegen eine selbst gekaufte Levi’s oder Diesel oder Mustang oder Lee eingetauscht hatte, wurde in den Club aufgenommen. Nein, nicht die Typen, die in der Pause ihre Fußabdrücke auf ihrer Gesäßtasche hinterließen, sondern die Hose selbst war der Feind. Sie war die fremde Haut, die es abzustreifen galt, die Haut des verlängerten Beines der Mutter, das man abgab, solange man im Kord feststeckte. Pausenbrot, Schutzblech, Scout-Ranzen. Und Rillenröhre. Es war zum Kotzen.

Der Club. So nannte Menno die beiden letzten Reihen im Klassenzimmer. Eigentlich nur die letzte. Wer es nach dort hinten schaffte, der war an jenem Ort, wo die Jungs einen Ton tiefer lachten und die Mädchen, wenn sie in der kleinen Pause zu Besuch waren, einen Ton höher. Wo immer ein Hauch After Shave in der Luft lag. Wo es ausreichte, raumgreifend die Beine übereinander zu schlagen, um seiner Verwegenheit Ausdruck zu verleihen. Wo man während des Unterrichts nicht tuschelte, sondern Bonmots austauschte. Und wo man den Schlabberlook kultivierte.

Dabei war der Begriff Schlabberlook am ehesten noch eine Bezeichnung für die Ahnungslosigkeit der Eltern. Was die Alten den Schlabberlook nannten, war in Wirklichkeit ein strenger Dresscode, über den die clubinterne Hackordnung geklärt wurde, und ohne den es keinen Zutritt gab. Der Schlabberlook war die Uniform, mit der sich der Club über all jene, die noch unter der Knute ihres Vormunds standen, erhob wie Offiziere über ihre Rekruten. Mit dem Unterschied, dass nicht der Status sich in der Uniform manifestierte, sondern umgekehrt: Wer den Schlabberlook beherrschte, der beherrschte die Welt. Und die Welt, damals in der Siebten, das war die Welt der Frauen. Auch wenn die noch gar keine waren.

Menno erinnerte sich noch genau. Es muss Ende der Sechsten gewesen sein, als er eines Morgens in die Schule kam, sich an seinen Platz setzte, in die Runde sah und feststellte: Alles war anders. Irgendein mysteriöser Fühler, der ihm über Nacht gewachsen sein musste, spürte etwas in den Blicken der Mädchen auf, etwas Süßliches, das seine Hände ganz feucht werden ließ. Wie Bienen auf der Suche nach dem ersten Nektar des Sommers schwärmten ihre Blicke auf einmal durchs Klassenzimmer. Was genau sie transportierten, konnte er nicht sagen, denn noch flogen sie an ihm vorbei. Doch ihm gefiel, was in diesen Tagen begann. Schule hatte plötzlich einen Sinn. Seine Fehlzeiten gingen zurück. An manchen Tagen freute er sich sogar auf den Unterricht. In jeder noch so drögen Physikstunde war plötzlich eine Spannung zu spüren, die er nicht beschreiben konnte, und die, da war er sich sicher, auch kein Physiklehrer dieser Welt würde messen können, auch wenn er sich auf dieses Experiment zur Abwechslung mal gefreut hätte. Die endlose Wiederholung des Wörtchens „Ui“, auch nach der Schule noch, war das einzige, was ihm dazu einfiel. Ein neues Gefühl. Eine neue Kategorie von Gefühl. Er begriff, dass er nichts davon verstand – noch nicht – und das war das Schöne daran. Unschuld, die sich selbst entdeckte. Die beste Zeit. Eigentlich.
Denn er fürchtete, sie zu verpassen. Fürchtete die Statistenrolle im eigenen Leben. Fürchtete das Schicksal der anderen Kord-, Brillen- oder Bauchträger, die versprengt über die vorderen Reihen ihr Dasein als Randerscheinung fristeten und sich langsam schon darin einrichteten. Doch nicht mit ihm. Sein Feuer brannte noch, ach was, es begann gerade erst zu brennen. Alles, was er für sein Glück brauchte, war diese gottverdammte Club-Mitgliedschaft. Mehr war es nicht. Und was er für die Club-Mitgliedschaft brauchte, lag doch auf der Hand. Aus Kord war es jedenfalls nicht.

Natürlich spürte er irgendwo, dass auch bei den Angebern in der letzten Reihe nicht alles stimmte, dass der Jeansstoff, aus dem ihre Welt gemacht war, am Ende wahrscheinlich nicht hielt, was er versprach. Doch wenn er dann wieder erlebte, erleben musste, wie die Blicke von Katrin, Natalie, Marion, Isa, Gunde und insbesondere die Blicke von Lea, von seiner heimlichen Göttin Lea, an ihm vorbeischrammten und nach hinten drängten und immer und ausschließlich nach da hinten drängten, wie konnte er dann noch anders, als diese letzte Reihe und alle Glücklichen, die sie besetzen durften, grandios zu finden.

Menno kannte seine Hausaufgaben. Er musste alle angesagten Klamottenläden im Umkreis von 20, besser 50 Kilometern rund um den Ort kennenlernen, dazu Alter, Haarfarbe und Vorname ihrer Verkäuferinnen. Er musste lernen, mit verbundenen Augen eine Diesel von einer 501 zu unterscheiden. Er musste sich in den Regalböden zwischen Boot-Cut-, Slim-Fit- und High-Waist-Schnitten so zuhause fühlen wie auf dem Gebiet der Waschungen und Applikationen. Er musste sich auch im Themenkomplex „Gürtel“ Grundkenntnisse aneignen. Und dann musste er es endlich tun: raus aus dem alten Mief, rein in die neue Lässigkeit schlüpfen. Koste es ihn, was es wolle.

Seit einem halben Jahr verzichtete er auf die Schokomilch in der großen Pause. Er sparte heimlich das Geld, das er zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Er wusste, wieviel er besaß. Es würde für 0,6 Levi’s reichen. Oder 0,8 Diesel. Oder 0,9 Lee. Oder 953 Brausebrocken. Aber auf die hatte er keine Lust mehr. Schon lange nicht mehr.

Sobald er genügend zusammen hätte, und das konnte nicht mehr lange dauern, würde er es durchziehen. Würde es einfach machen. Würde die Münzen gegen Scheine tauschen und die Scheine gegen eine Jeans. Gegen seine erste eigene Markenjeans. Im Wert des gesamten rechten Flügels seines Kleiderschranks. Seine Mutter würde ihn zerquetschen. Ihm blieb keine andere Wahl. Er war 13, und sein Leben zog gerade an ihm vorbei.

Doch Zweifel stiegen in ihm auf. Das Gift, das ihn lähmte, schon damals. War er überhaupt fähig zu einem solchen Putsch? Würde er überhaupt jemals die Kraft, den Mut, die Radikalität aufbringen, das Matriarchat zu stürzen, sich zu amputieren vom überlebensgroßen Leib einer Herrscherin, die ihn mit aller Entschiedenheit zu ihren Gliedmaßen zählte? Was käme danach? Er war kein Held, das wusste er. Wer einmal hart ist, muss immer hart sein. Er wollte das nicht, wollte nicht kämpfen, er wollte eigentlich nur, dass alle sich liebhatten. Doch langsam begriff er, wie naiv dieser Wunsch war, und das machte die Sache nicht einfacher.
Vielleicht doch noch einen Moment warten. Doch noch ein bisschen aushalten, nur noch ein bisschen, vielleicht noch bis zu den großen Ferien, höchstens bis zum nächsten Schuljahr. Die Zeit würde das Problem schon lösen, die Zeit löste schließlich alle Probleme, und vielleicht würde sie sich bei ihm ja sogar ein bisschen beeilen.

Mennos Schatten war länger geworden. Die Stadt, in der er seit zwei Wochen lebte, drehte sich langsam aus dem Tag. Er stand immernoch vor dem Schaufenster, aber er hatte heute auch nichts weiter vor. Sein Schädel brummte, die Bilder flauten nur langsam ab. Wieder war es einem Ding, an dem eine Erinnerung klebte, gelungen, die Tür zu seiner Vergangenheit aufzustoßen. Als sich sein Blick nach außen stülpte, entdeckte er sein Spiegelbild in der Scheibe. Er kniff die Augen zusammen und musterte es von Kopf bis Fuß. Dann drehte er sich weg, orientierte sich kurz und tauchte wieder in den Strom der Passanten.

Verfasst: 21.05.2011, 19:40
von RäuberKneißl
Hallo Teya,

erstaunlich, wie du in so einen kurzen Text so viel epische Breite unterkriegst. Will sagen - es hat so seine Längen, obwohl es ein flüssig geschriebener Text bleibt. Ich hatte beim Lesen sehr schnell den Eindruck okay, Setup klar, die Sehnsucht ein Mainstream-Boy zu werden - was passiert, was macht er draus? Es sind einige schöne atmosphärische Schilderungen drin, aber ich sehe bis jetzt nur eine glatte literarische Miniatur, der für meinen Geschmack noch jede Menge Pfeffer guttun würde (brummender Schädel am Ende könnte so ein Keimpunkt sein).
Grüße
Franz

Verfasst: 22.05.2011, 08:21
von Sam
Hallo Teya,

mir geht es ähnlich wie Franz. Der Text ist gut zu lesen und enthält einige sehr schöne und auch hervorragend formulierte Passagen. Nun bin ich selbst ein Freund von sich wiederholenden Formulierung, die immer wieder Schleifen in einem Text bilden. Diese so zu setzen, dass eine ganz eigene Melodie entsteht, und somit die Sprache selbst zu Träger einer Geschichte wird - daran versuche ich mich auch immer wieder und bin als Leser begeistert, wenn ich auf Texte treffe, in denen diese Kunst meisterlich gehandhabt wird.

Warum ich bei deinem Text die Wiederholungen z.T. als störend empfinde, bzw. als unnötig oder überflüssig, weiß ich gar nicht so sehr zu sagen. Womöglich deshalb, weil man dem Text sosehr anmerkt, dass er im Nachhinein geschrieben wurde. All die beschriebnen Teenagererfahrung sind gefiltert durch den Blick des Erwachsenen. So analytisch, wie z.B. das das Erwachen des Interesses für die Mädchen geschildert wird, steht sich kein Jugendlicher gegenüber. So wirken die Wiederholungen nicht als Melodie, sondern als eine aufgesetzte Flapsigkeit, die Jugendlichkeit suggerieren soll.

Wo Franz sich mehr Pfeffer wünscht, da hätte ich es gerne etwas entschiedener, was die Erzählperspektive angeht.

Aber trotz dieser Einwände stelle ich fest, dass es dir gelingt, mich als Leser auch auf langer Strecke am Text zu halten.

Gruß

Sam

Verfasst: 22.05.2011, 10:03
von Mucki
Hi Teya,

da sind sehr amüsante Stellen in deinem Text, an denen ich herzhaft gelacht habe. Z.B. hier:
Teya hat geschrieben:Für die braune, für die blaue und am meisten für die violette, oh Gott, ja, die violette, dieses Scheusal, in Farbe und Haptik vom Vorhang der Dorfschenke inspiriert

Teya hat geschrieben:Da half kein Bitten und kein Betteln und kein Fluchen und kein Türe knallen und keine Gemüseverweigerung

Teya hat geschrieben:Es würde für 0,6 Levi’s reichen. Oder 0,8 Diesel. Oder 0,9 Lee. Oder 953 Brausebrocken.

Diese Passagen machen deine Story sehr lebendig. Als ich zu lesen begann, dachte ich, es würde eine Glosse werden.
Doch ist es zu kopfgesteuert, zu erwachsen, geschrieben, finde ich. Das Wort "Bonmot" z.B. ist da ein gutes Beispiel. Mir würde hier insgesamt mehr Chili besser gefallen.
Zu den Wiederholungen: manche finde ich genau richtig, wie z.B. hier:
Teya hat geschrieben:Die erste selbst gekaufte Hose. Die erste selbst gekaufte Jeans. Die erste selbst gekaufte Markenjeans.

Andere wiederum würde ich rausnehmen, hier z.B.:
Teya hat geschrieben:Anders konnte er sich nicht erklären, dass sie einfach nicht begriff. Begreifen wollte, was er ihr wieder und wieder erklärt hatte. Wieder und wieder hatte er es ihr erklärt. Versucht zu erklären, wie die Dinge lagen, denn das spürte er schon ziemlich genau, nur konnte er es noch nicht genau erklären,

da ich diese hier nicht als Stilmittel sehe, sondern sie überflüssig finde.
Hier frage ich mich, ob es stimmig ist:
Teya hat geschrieben:Wo es ausreichte, raumgreifend die Beine übereinander zu schlagen, um seiner Verwegenheit Ausdruck zu verleihen.

Jungs schlagen ja nicht ihre Beine übereinander, sondern setzen sich breitbeinig hin.
Bei diesem Passus würde ich zumindest den letzten Satz streichen, der ist zu platt.
Teya hat geschrieben:Vielleicht doch noch einen Moment warten. Doch noch ein bisschen aushalten, nur noch ein bisschen, vielleicht noch bis zu den großen Ferien, höchstens bis zum nächsten Schuljahr. Die Zeit würde das Problem schon lösen, die Zeit löste schließlich alle Probleme, und vielleicht würde sie sich bei ihm ja sogar ein bisschen beeilen.

Ich glaube, dass die ganze Story wesentlich kräftiger rüberkäme, wenn du aus der Ich-Perspektive des 13-Jährigen schreiben würdest und nicht aus der des Erwachsenen. Und dann ruhig mehr ausmalen, so wie bei den Lila-Kordhosen. Das ist nämlich wunderbar plastisch und so herrlich nachvollziehbar.

Lieben Gruß
Gabi

Verfasst: 22.05.2011, 11:04
von Eule
Hallo Teya, der Text hat für mich zuviel Längen und der Schluss erscheint mir zu abrupt angefügt. Hier könntest Du noch ein wenig aus Mennos "Zwischenzeit" erzählen, den ersten Textteil etwas kürzen und die Zeit nach 13 ein bisschen weniger auktorial, analytisch gestalten ? An vielen Stellen hast Du aber lebendig und vergnüglich erzählt. Viele Grüße !

Verfasst: 23.05.2011, 00:15
von Teya
Hello,

danke für eure konstruktive Kritik. Ich nehme die von euch angesprochenen Punkte/ Schwächen zum Anlass, nochmal grundsätzlich über den Text nachzudenken und freue mich, dass ihr ihm trotzdem in Teilen etwas abgewinnen könnt.
Vielleicht würde ihm bereits die eine oder andere szenisch erzählte Passage etwas mehr Schärfe verleihen, Franz. Das werde ich mal versuchen.
Die Sache mit den Wiederholungen war für mich ein Experiment, Sam. Auch ich bin fasziniert von Texten, in denen dieses Element gekonnt eingesetzt wird, und ich wollte es selbst auch einmal ausprobieren. Deshalb freue ich mich, dass du und Gabi explizit darauf eingegangen seid. Ihr habt recht, man muss da wirklich aufpassen, dass man es nicht übertreibt und sie irgendwann nur noch um ihrer selbst Willen einsetzt, was mir in diesem Text möglicherweise hier und da passiert ist.
Die richtige Erzählperspektive zu finden, ist mir bei diesem Text nicht leicht gefallen, da es ja der erwachsene Blick ist, der auf die erinnerten Eindrücke des Kindes trifft. Womöglich habe ich es mir durch diese Konstruktion selbst schwer gemacht und es wäre besser, ich würde mich für einen der beiden Mennos entscheiden. Interessant, dass du die Stelle des "Erwachens" ansprichst, Sam. Gerade die finde ich nämlich erzählperspektivisch recht gelungen.
Gabi, mit Beine übereinander schlagen meine ich die männliche Version, also diese ausladende Haltung, bei der man den Fuß des einen Beines quer auf den Schenkel des anderen Beines legt (oje, ich glaub, ich hab sowas noch nie beschrieben, ich hoffe, du verstehst, was ich meine :-)
Arne, auch dir vielen Dank. Der Schluss kommt mir bei wiederholtem Lesen auch zu abrupt, da will ich nochmal ran, und auch über deine anderen Vorschläge werde ich in Ruhe nachdenken.

Lieben Gruß
Teya

Verfasst: 23.05.2011, 08:51
von Gerda
Guten Morgen Teya,

ich habe deine Geschichte vom "Abnabeln wollen" eines Dreizehnjährigen, den du rückblickend erzählen lässt, mit Interesse gelesen. Sie ist flüssig und und schlüssig geschrieben, aber sie hat Längen, ja, weil es ihr m. M. n. an einem lebhaften und direkten Erzählton fehlt.
Es wurde schon angesprochen, Gabi sagte, dass die Geschichte lebendiger werden würde, wenn du sie aus der Perspektive des Dreizehnjährigen erzähltest. Das ist auch mein Eindruck.
Es dürfte möglich sein nach zwei drei Sätzen der Rahmenhandlung, "umzusteigen" und unreflektiert in der Gegenwart zu erzählen, weil die Leser, das, was du Ihnen an Reflektion vorgibst, selbst leisten können und sicher dann mit mehr Vergnügen, wenn sie selbst Erlebtes in deiner Mennogeschichte wiedererkennen.
Denn, wer kennt das nicht?, und da komme ich zu einer Frage: Was ist das Besondere an Menno? Wodurch unterscheidet sich sein Schicksal von jenem der anderen Kordhosenträger? Was ist so wichtig und möglicherweise einmalig, dass du Mennos Geschichte erzählst?
Verstehe mich bitte nicht falsch, aber ich gehe davon aus, dass du den Leser mehr als nur oberflächlich interessieren möchtest.
Was ist mit Mennos Wut? Die kommt mir (Mutter zweier erwachsener Söhne 23 und 25 Jahre) mir zu kurz.
Oder die Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein?
Ich dachte beim Lesen daran, vielleicht einen Hinweis darauf zu erhalten, dass diese Geschichte Teil eines größeren Ganzen sei, keine typische in sich abgeschlossen Kurzgeschichte sondern eher eine Novelle/Erzählung. Mit anderen Worten, mir fehlt etwas.

Das sind meine Leseeindrücke.

Liebe Grüße
Gerda

@ Gabi, die Beine schlagen Jugendliche schon übereinander. Entweder, so wie Teya im Antwort-Komm. beschrieben hat oder sie legen raumgreifend die ausgestreckten Beine übereinander. ;-)

Verfasst: 24.05.2011, 12:15
von Teya
Hallo Gerda,

zunächst einmal danke für deine Vorschläge zur Justierung der Erzählperspektive. Das klingt plausibel.
Zu deiner Frage, was das Besondere, das Einzigartige an der Figur ist: Ich glaube, an Menno ist nichts besonders. Er ist ein ganz normaler Junge, vielleicht ein bisschen reflektierter und ein bisschen mehr unter seiner Unmündigkeit leidend als der Durchschnitt. Aber genau diese Normalität ist meiner Ansicht nach das Spannende an ihm, weil er einen an die eigene 13-Jährigkeit erinnert. Wie du sagst: Wer kennt das nicht. Ich denke, sobald dieses Gefühl im Leser aufsteigt, hat ein Text schon was erreicht. Die Frage ist dann eher, in welche Situation man die Figur wirft, um ihr Schicksal zu erzählen. Und da, denke ich, hat der Text schon etwas Besonderes.

Du sagst, du hast dir beim Lesen einen Hinweis darauf erhofft, dass die Geschichte irgendwie weitergeht. Genauso gings mir beim Schreiben :-) Aber du hast natürlich recht, seine Wut, seine Hilflosigkeit, sein Ausgeliefertsein klingt hier und da an und müsste vielleicht nochmal etwas ausführlicher betrachtet werden. Mal schauen...

Lieben Gruß
Teya

Verfasst: 26.05.2011, 12:12
von Gerda
Danke, dass du auf meine Replik so differenziert Bezug genommen hast.

Liebe Grüße
Gerda

Verfasst: 13.04.2013, 11:12
von Klimperer
"Meno erinnerte sich noch genau. Es muss Ende der Sechsten gewesen sein, als er eines Morgens in der Schule kam, sich an seinen Platz setzte, in die Runde sah und feststellte: Alles war anders. Irgendein mysteriöser Fühler, der ihm über Nacht gewachsen sein musste, spürte etwas in den Blicken der Mädchen auf, etwas Süßliches, das seine Hände ganz feucht werden ließ. Wie Bienen auf der Suche nach dem ersten Nektar des Sommers schwärmten ihre Blicke auf einmal durchs Klassenzimmer. Was genau sie transportierten, konnte er nicht sagen, denn noch flogen sie an ihm vorbei."
Lange verweilte ich bei diesem wunderbaren Absatz.
Oft haben Geschichten Probleme mit dem Schluss: Hier ist dieser unerwartet und perfekt.