Walther

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 06.08.2011, 20:08

[tabs][tabs: Version2]Der Traum kehrt immer wieder. Im Grunde genommen ist es gar kein Traum, eher eine Phantasie. Ich lade eine Waffe durch, eine schwarze Pistole. Vermutlich eine Walther P1. Der Traum beruhigt mich, kurz vor dem Endlich-Einschlafen. Soweit ich mich erinnere, schieße ich nie.
Ich könnte, ich weiß, wie das geht. Aber ich tue es nicht. Statt dessen schlafe ich ein. Doch die Bewegung ist da, das Klicken beim Einrasten des Magazins, das Zurückziehen und Loslassen des Schlittens. Ich spüre das schwere Metall, den Druck des Sicherungshebels am rechten Daumen, seltsam vertraut. Dann schlafe ich ein. Im Bewusstsein, dass ich das kann. Wenn ich will. Das beruhigt mich – das beunruhigt mich.
[tabs: Version1]Der Traum kehrt immer wieder. Im Grunde genommen ist es gar kein Traum, eher eine Phantasie, kurz vor dem Einschlafen. Ich lade eine Waffe durch, eine schwarze Pistole. Vermutlich eine Walther P1. Der Traum beruhigt mich, so kurz vor dem Endlich-Einschlafen. Soweit ich mich erinnere, schieße ich nie. Ich könnte, ich weiß, wie das geht. Aber ich tue es nicht. Statt dessen schlafe ich ein. Doch die Bewegung ist da, das Klicken beim Einrasten des Magazins, das Zurückziehen und Loslassen des Schlittens. Ich spüre das schwere Metall, den Druck des Sicherungshebels am rechten Daumen, seltsam vertraut. Dann schlafe ich ein. Im Bewusstsein, dass ich das kann. Wenn ich will. Das beruhigt mich – das beunruhigt mich.[/tabs]
Zuletzt geändert von Zakkinen am 07.08.2011, 19:01, insgesamt 2-mal geändert.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 06.08.2011, 20:32

Hallo Henkki,
das finde ich genial - gerade weil es mir so bekannt vorkommt (ich habe selbst auch oft seltsame Phantasien vor dem Einschlafen, wenn auch keine so regelmäßigen). Wenn auch der Text absolut nicht das ist, was ich unter dem betulich klingenden Titel "Walther" erwartet hätte ...
"Soweit ich erinnere ..." ist ein Angliszismus, der mich persönlich stört; ich würde immer "soweit ich mich erinnere" schreiben.
Besonders interessant finde ich den Schlusssatz. Beunruhigt Dich der Umstand, dass die Phantasie Dich beruhigt? Es klingt verrückt, ist aber trotzdem aus dem Text heraus gut zu verstehen. (Die Phantasie hat etwas Atavistisches an sich, wie beim Klischee des Cowboys, der nur mit der geladenen Knarre neben sich einschlafen kann.)
Gefällt mir!
Grüße von Zefira
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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 06.08.2011, 20:39

Du hast recht mit dem Anglizismus. Pfusch, wird korrigiert :)

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 06.08.2011, 22:15

Ich finde den Titel gerade gut, weil man - ich habe es jedenfalls - etwas anderes erwartet. Obwohl man beim "th" schon etwas stutzt, denn die meisten Walter-Menschen schreiben sich ja ohne h.

Diese Beschreibung eines immer wiederkehrenden "Films" vor Augen, gegen den man nichts machen kann, der andererseits auch schon irgendwie "dazugehört", wirkt sehr authentisch. Einzig das Wort "Phantasie" stört mich, da es schon alles vorwegnimmt, indem es das, was folgt, schon kurz und bündig bezeichnet.

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 06.08.2011, 22:27

Wie würdest Du es nennen, Amanita? Ein Traum ist es ja nicht wirklich, oder?

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 06.08.2011, 22:41

Darüber habe ich mir natürlich auch schon Gedanken gemacht, Zakkinen, ohne zu einem überzeugenden Ergebnis zu kommen.
Vielleicht muss man es ja auch gar nicht benennen. Wenn ich jetzt was vorschlagen müsste:


[...] Im Grunde genommen ist es gar kein Traum, sondern nur so ähnlich. Ich bin kurz vor dem Einschlafen. Lade eine Waffe durch, eine schwarze Pistole. [...]

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 06.08.2011, 23:12

Mich stört das Wort "Phantasie" überhaupt nicht. Der Clou an der Geschichte ist ja nicht, dass die Szene eingebildet ist, sondern die Wirkung, die sie auf den Erzähler hat.

Gruß von Zefira
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.08.2011, 23:36

Hallo Henkki,

diese kurze Szene gefällt mir sehr gut, da sie sehr authentisch rüberkommt. Ich, als Leser, kann da richtig mit dem Erzähler mitgehen, dieses seltsame gewisse und gleichzeitig ungewisse Gefühl, das man hat. Wie ein Déjà-vu-Erlebnis, dem man nicht so recht traut. Der Schlusssatz hat es in sich, bringt es auf den Punkt.

Saludos
Gabriella

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Beitragvon Amanita » 06.08.2011, 23:38

Ja, Zefira, und genau diese Wirkung wird bei mir durch das Wort Phantasie gebremst. Ich kann mir aber natürlich vorstellen, dass es Dir und anderen nicht genauso geht.

pjesma

Beitragvon pjesma » 07.08.2011, 10:15

vorschlag:"Im Grunde genommen ist es gar kein Traum, eher eine verrutschte Wirklichkeit"...?
eine gute miniatur über die angst von unbekannten tiefen eigener psyche...

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 07.08.2011, 11:05

Hallo Henkki,

ich finde es klasse, wie das Stück es schafft, diese Atmosphäre selbst heraufzubeschwören vor allem durch die Sprache des ersten Teils, den ich bis "nie" sehen würde. (Da würde ich persönlich vielleicht einen Umbruch einfügen.)
kurz vor dem Einschlafen.
Das klingt für mich angehängt, ich komme beim Lesen schon bei Phantasie an und würde das gerne noch ein wenig nachhallen lassen? Da kurz darauf noch einmal steht: so kurz, vor dem Endlich-Einschlafen, würde ich überlegen, das zu streichen.
Phantasie würde ich dagegen schon allein aus klanglichen Gründen (ist, wieder, Phantasie, ich, Pistole, erinnere, schieße, nie) auf jeden Fall drin lassen. Für mich passt das aber auch inhaltlich wunderbar, weil es eben auch diese seltsame Ambivalenz des ganzen Textes aufgreift.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 07.08.2011, 19:00

Hallo Ihr Lieben,
Ich lasse die Phantasie erst mal drin, nehme aber dir Dopplung, die Flora zu Recht stört, heraus.
Danke und Gruß
Henkki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.08.2011, 15:31

Lieber Henkki,

gefällt mir auch sehr gut, fein gemacht und alles drin, nicht beliebnig, obwohl so kurz - nicht moralisch und all das, du hast den Text gelassen und das merkt man ihm an. In sich fertig.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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