Ihr E-Bücklein kommet!
Verfasst: 07.01.2012, 10:42
Die TAZ schrieb in einem Artikel: "Die Käufergruppe - überwiegend jung, männlich, gebildet und wohlhabend - gilt allgemein als Trendsetter."
JA, ich will auch zu den Reichen und Schönen gehören!
So habe ich mir ein Krippenkindle geschenkt.
Ein tolles Gerät. Leicht, geschmeidig, schick und intuitiv bedienbar. Das Display ist eine wahre Wonne. Ich habe den Eindruck, es lässt sich aus schrägeren Winkeln lesen als die Gutenberg Bibel.
Nur noch ein Klick, ein Buch draufladen und in praller Abendsonne und Spätlesehanglage gemütlich schmökern.
Falsch gedacht!
Der gemeine Leser oder besser Buchhändler lacht sich nun sicher ins Rauschebärtchen: "Hähä, du Depp, in praller Abendsonne! Ich sehe ja schon nichts mehr auf meinem Notebook, wenn die Augen meiner Omma listig funkeln!"
Aber weit gefehlt. Diese E-Tinte liebt Licht. Je heller, desto besser und dazu vollkommen augenschonend, weil rein statisch (nix flimmern) und ohne Hintergrundbeleuchtungsstrahlung. Nein, tränentreibend ist das große E. nicht.
Die Krokodilstränchen kullern beim Buch oder Book wie ich als frischgebackener Trendsetter nun wohl neudeutschen muss. Von zehn Titeln meiner Wunschliste gibt es nur einen einzigen als E-Book. Gut, denke ich, vielleicht bin ich beim Lesegeschmack doch mehr Exot als ExSetter. Suchen wir doch einfach mal ein Literaturnobelpreisbuch. Vorzugsweise das von 2009 (eine ganze Nation ist stolz!). Da muss es doch genug Wohlhabende und Gebildete geben, die das readen wollen. Die Atemschaukel von Herta Müller.
Das gibt’s doch nicht! Voller Wut klicke ich gefühlte hundertmal auf: " Ich möchte dieses Buch auf dem Kindle lesen." Aber es nützt ja nichts. Um mir Luft zu verschaffen, steuere ich ein Literaturforum an, in dem schon seit Monaten das E-Book in den Himmel diskutiert wird. Ich poste sinngemäß: "Ich würde ja, wenn ich könnte!". Einer antwortet Krimis und leichte erotische Literatur gingen gut.
Ich will aber Herta!
Pling. Eine neue Nachricht von Christiane F.
"Hallo Jair,
hier: http://www.EBookRead.lord wirst du sicher fündig.
LG!"
Ich überlege kurz, woher ich den Namen kenne, aber mir fällt nur Bahnhof ein. Egal.
Mein Engelchen meldet sich zu Wort:
"Bestimmt so ein linker Fileshare Server, auf dem die Viren fließend russisch sprechen. Gehe da nicht hin! Und denke doch auch mal an die armen Autoren, wenn du schon die Buchhändler in die Pleite treibst." Und spitz: "Aber Geld verdirbt ja bekanntlich den Charakter, du Neureicher"
Das Teufelchen kontert prompt: "Ach, halt die Klappe, du Sozialromantiker! Er hat doch alles Menschenmögliche versucht, legal an das Book ranzukommen! Und meine Güte, man muss auch mal was riskieren im Leben! (das Teufelchen ist in Rage) Wer nicht wagt, der nicht Gewinnt! Sieh dir die Reichen an, die haben alle mal klein angefangen!"
Also gut, ich klicke auf den Link. Ein bisschen ist mir, als schreite ich durch das Tor zur Unterwelt, als wolle ich im Bahnhofsviertel Heroin kaufen gehen. Eine seriös wirkende Seite öffnet sich. Ich bin schon fast beruhigt. Doch was ist das? Ein weiteres Fenster erscheint. Lauter spärlich bis gar nicht bekleidete Frauen fragen, ob ich ficken wolle.
Dann rollt sich ausgehend von der Uhr der Statusleiste ein Chatfenster auf:
> Hallo Süßer!
Ich freue mich über die Onlinehilfe und tippe ein:
> Hallo, ich suche Herta Müller, kennst du die?
> Du hast ja einen ganz Kräftigen
> Nicht?
> Das macht ja meine Nippel ganz hart!
> Herta?
Ich gebe auf.
Nein Quatsch. Ich habe natürlich alle Fenster so schnell geschlossen, als gäbe es einen Preis für den schnellsten Fensterschließer.
Ich versuche mich zu beruhigen. Ist doch gar nichts passiert. Die Seite ist übersichtlich und hell. Am oberen Rand ist ein Banner mit verschiedenfarbigen Buchrücken. Eine Online-Bibliothek wie schön gemütlich.
Ich gebe im Suchfeld "Titel" Atemschaukel ein. Und, Tarahh, zwei Treffer.
Nun erscheint ein Popup um einen Code zu ermitteln. Ich sehe lauter Buchstaben und Zahlen und kapiere nichts. Aber für E-Book-Klau-Dummies gibt es sogar ein erklärendes Filmchen. Aha- ein wenig stolz, dass ich schlauer Fuchs wahrscheinlich die richtige Lösung ermittelt habe- klicke auf U2. Tatsächlich, das Stargate öffnet sich. Aber es erscheint nur weiß auf schwarzem Hintergrund :"File gelöscht".
Okay, dann eben den anderen Link. Wieder öffnet sich ratternd das kleine Guckloch in der massiven Holztür: "Codewort?"
Ich nervös: "Ficken ä nein Sesam öffne dich ä nein H2"
Diesmal gibt es ein Zip-File. Ein neuerlich erscheinendes Casinofenster klicke ich profimäßig wieder weg.
Ein Fetter grüner Download-Button prangt mittig. Grün heißt gehen und ist erlaubt. Ich klicke. Nun nur noch lokal "Rechte Maustaste und unzippen". Fertig. "Es handelt sich um ein ungültiges Format."
Ich: "Format Virus?". Keine Antwort.
Schnell löschen. Fehlermeldung: "Datei wird benutzt".
Äh, okay, Neustart. File weg. Ich denke: "Nein, nicht File weg, Finger weg von synthetischen Lesedrogen". Das ist nichts für mein Alter, dann doch lieber der gute alte Papierjoint.
JA, ich will auch zu den Reichen und Schönen gehören!
So habe ich mir ein Krippenkindle geschenkt.
Ein tolles Gerät. Leicht, geschmeidig, schick und intuitiv bedienbar. Das Display ist eine wahre Wonne. Ich habe den Eindruck, es lässt sich aus schrägeren Winkeln lesen als die Gutenberg Bibel.
Nur noch ein Klick, ein Buch draufladen und in praller Abendsonne und Spätlesehanglage gemütlich schmökern.
Falsch gedacht!
Der gemeine Leser oder besser Buchhändler lacht sich nun sicher ins Rauschebärtchen: "Hähä, du Depp, in praller Abendsonne! Ich sehe ja schon nichts mehr auf meinem Notebook, wenn die Augen meiner Omma listig funkeln!"
Aber weit gefehlt. Diese E-Tinte liebt Licht. Je heller, desto besser und dazu vollkommen augenschonend, weil rein statisch (nix flimmern) und ohne Hintergrundbeleuchtungsstrahlung. Nein, tränentreibend ist das große E. nicht.
Die Krokodilstränchen kullern beim Buch oder Book wie ich als frischgebackener Trendsetter nun wohl neudeutschen muss. Von zehn Titeln meiner Wunschliste gibt es nur einen einzigen als E-Book. Gut, denke ich, vielleicht bin ich beim Lesegeschmack doch mehr Exot als ExSetter. Suchen wir doch einfach mal ein Literaturnobelpreisbuch. Vorzugsweise das von 2009 (eine ganze Nation ist stolz!). Da muss es doch genug Wohlhabende und Gebildete geben, die das readen wollen. Die Atemschaukel von Herta Müller.
Das gibt’s doch nicht! Voller Wut klicke ich gefühlte hundertmal auf: " Ich möchte dieses Buch auf dem Kindle lesen." Aber es nützt ja nichts. Um mir Luft zu verschaffen, steuere ich ein Literaturforum an, in dem schon seit Monaten das E-Book in den Himmel diskutiert wird. Ich poste sinngemäß: "Ich würde ja, wenn ich könnte!". Einer antwortet Krimis und leichte erotische Literatur gingen gut.
Ich will aber Herta!
Pling. Eine neue Nachricht von Christiane F.
"Hallo Jair,
hier: http://www.EBookRead.lord wirst du sicher fündig.
LG!"
Ich überlege kurz, woher ich den Namen kenne, aber mir fällt nur Bahnhof ein. Egal.
Mein Engelchen meldet sich zu Wort:
"Bestimmt so ein linker Fileshare Server, auf dem die Viren fließend russisch sprechen. Gehe da nicht hin! Und denke doch auch mal an die armen Autoren, wenn du schon die Buchhändler in die Pleite treibst." Und spitz: "Aber Geld verdirbt ja bekanntlich den Charakter, du Neureicher"
Das Teufelchen kontert prompt: "Ach, halt die Klappe, du Sozialromantiker! Er hat doch alles Menschenmögliche versucht, legal an das Book ranzukommen! Und meine Güte, man muss auch mal was riskieren im Leben! (das Teufelchen ist in Rage) Wer nicht wagt, der nicht Gewinnt! Sieh dir die Reichen an, die haben alle mal klein angefangen!"
Also gut, ich klicke auf den Link. Ein bisschen ist mir, als schreite ich durch das Tor zur Unterwelt, als wolle ich im Bahnhofsviertel Heroin kaufen gehen. Eine seriös wirkende Seite öffnet sich. Ich bin schon fast beruhigt. Doch was ist das? Ein weiteres Fenster erscheint. Lauter spärlich bis gar nicht bekleidete Frauen fragen, ob ich ficken wolle.
Dann rollt sich ausgehend von der Uhr der Statusleiste ein Chatfenster auf:
> Hallo Süßer!
Ich freue mich über die Onlinehilfe und tippe ein:
> Hallo, ich suche Herta Müller, kennst du die?
> Du hast ja einen ganz Kräftigen
> Nicht?
> Das macht ja meine Nippel ganz hart!
> Herta?
Ich gebe auf.
Nein Quatsch. Ich habe natürlich alle Fenster so schnell geschlossen, als gäbe es einen Preis für den schnellsten Fensterschließer.
Ich versuche mich zu beruhigen. Ist doch gar nichts passiert. Die Seite ist übersichtlich und hell. Am oberen Rand ist ein Banner mit verschiedenfarbigen Buchrücken. Eine Online-Bibliothek wie schön gemütlich.
Ich gebe im Suchfeld "Titel" Atemschaukel ein. Und, Tarahh, zwei Treffer.
Nun erscheint ein Popup um einen Code zu ermitteln. Ich sehe lauter Buchstaben und Zahlen und kapiere nichts. Aber für E-Book-Klau-Dummies gibt es sogar ein erklärendes Filmchen. Aha- ein wenig stolz, dass ich schlauer Fuchs wahrscheinlich die richtige Lösung ermittelt habe- klicke auf U2. Tatsächlich, das Stargate öffnet sich. Aber es erscheint nur weiß auf schwarzem Hintergrund :"File gelöscht".
Okay, dann eben den anderen Link. Wieder öffnet sich ratternd das kleine Guckloch in der massiven Holztür: "Codewort?"
Ich nervös: "Ficken ä nein Sesam öffne dich ä nein H2"
Diesmal gibt es ein Zip-File. Ein neuerlich erscheinendes Casinofenster klicke ich profimäßig wieder weg.
Ein Fetter grüner Download-Button prangt mittig. Grün heißt gehen und ist erlaubt. Ich klicke. Nun nur noch lokal "Rechte Maustaste und unzippen". Fertig. "Es handelt sich um ein ungültiges Format."
Ich: "Format Virus?". Keine Antwort.
Schnell löschen. Fehlermeldung: "Datei wird benutzt".
Äh, okay, Neustart. File weg. Ich denke: "Nein, nicht File weg, Finger weg von synthetischen Lesedrogen". Das ist nichts für mein Alter, dann doch lieber der gute alte Papierjoint.