Gkotti

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Kurt
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Beitragvon Kurt » 05.05.2012, 00:02

Morgenröte über der Stadt
eine blutende Narbe
geheftet an den Kondensstreifen
eines Fliegers über dem Zehlendorfer
Friedhof direkt an der im Sommer
aufgewärmten Innenmauer verschlief
Gott die lauen Nächte in denen
sich Katzen gelegentlich neben ihm
in wilden Liebesspielen verwickelten
und entsetzlich kreischten
am späten Morgen packte Gott
seinen Schlafsack und die paar
übrige Habseligkeiten
zog eine Urinspur hinter sich her
und schlurfte gen *Kotti auf
zum ewigen Bodenkrieg
mit den anderen Pennern
gesehen habe ich aber immer nur ihn
zwischen den drei krüppeligen
Eschen sitzend vor dem zertretenen
Rasen – wie versteint.

*Platz in Berlin
Zuletzt geändert von Kurt am 28.06.2012, 00:45, insgesamt 4-mal geändert.
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so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 05.05.2012, 16:52

hallo kurt,

mir gefällt dieses kleine, atmosphärische stück lyrische prosa, das von einem obdachlosen erzählt.
du beschreibst mit wenigen zeilen ein szenario, das ich mir, mit einer einschränkung, sehr gut vorstellen kann.

die idee, dass gott als penner (unerkannt) unter den menschen weilt, ist meiner meinung nach nicht ganz neu, ich meine, mich an einige filme erinnern zu können, die ebenfalls mit diesem gedanken spielen. was das LYRich dazu bringt, im obdachlosen gott zu sehen, bleibt im text unausgesprochen. vielleicht, der gedanke scheint mir naheliegend, aber auch klischeehaft, ist es das äußere des mannes. ein rauschebart? eigentlich hoffe ich als leser, dass es eine komplizierteres erklärung für den heiligenschein des penners gibt.
die letzten zeilen könnten eine erklärung bergen, allein, ich verstehe sie nicht. offenbar ist der kotti-penner jeweils als sieger im bodenkrieg hervorgegangen. warum? aufgrund übernatürlicher kräfte?
abschließend: es fällt mir schwer, das wort MONUMENTAL mit einem obdachlosen in verbindung zu bringen, auch dann, wenn er zwischen bäumen und vor einem zertretenen rasen sitzt.

a.

Kurt
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Beitragvon Kurt » 05.05.2012, 18:58

Jemand hatte in einem Schreibforum einen Text eingegeben, in dem von diesem am Kotti sitzenden Penner die Rede war, der wohl Gott genannt wird oder sich selber so bezeichnet. Es hat mich dazu verführt, über diesen mir interessant erscheinenden „Gott“ einen eigenständigen Text zu verfassen, in dem ich offen lassen wollte, ob es sich nicht doch um Gott handelt. Die fröhliche Wissenschaft Nietzsches bezeichnet ja schon, dass es sich um keine ernsthafte, sog. exakte handelt. Und in der Philosophie ist bereits die Frage nach Gott laut Wittgenstein unzulässig. Hier im Literaturforum scheint mir der einzig legitime Platz, um etwas Abgefahrenes zu realisieren, Schabernack mit Gott zu treiben. Warum also am Ende nicht ein „monumental“, dass man als Eindruck des LyrIchs deuten kann oder/gleichzeitig ebenso als Bild der Wirklichkeit von dem Penner. In der Schreiberei hat man diese Freiheit. Das ist ja das Geile daran. Zuerst hatte ich allerdings hinten stehen „ganz versteinert“ anstatt monumental. Na ja, bin mir noch nicht schlüssig, ob ichs ändern soll. Werde über deine Einwände nachdenken. Danke.

LG Kurt
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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 05.05.2012, 19:39

"versteinert" würde mir besser gefallen.


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