Dein Tag

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 06.03.2013, 22:17

Dein Tag
Ein Geburtstagsnichtgruß

Ja, ich weiß welcher Tag heute ist. Ich ignoriere ihn, so wie er mich ignoriert, weil er nicht anders kann. Ist doch nur ein Tag, einer wie jeder andere. Einer, an dem die Sonne scheint, irgendwo, vielleicht auch hier. Es war mal Dein Tag, wahrscheinlich ist er es für Dich noch immer. Doch wer bist Du? Oder es regnet, oder schneit, stürmt und friert. Mir ist es egal, ob die Sonne scheint. Wenn sie es doch tut, werde ich Fenster und Türen aufreißen und lüften und lüften und lüften und lüften, auf dass die letzten Gestänke der faulenden Erinnerung verziehen. Ich werde dann am Fenster stehen und lächeln und den Vorübergehenden grüßend zuwinken - lächeln und winken, so dass sie denken, "Was für ein freundlicher Mensch", bevor sie dann weitergehen und Deinen Tag nicht bemerken. Und wenn es dunkel bleibt, werde ich Eisschichten auf die Schwären legen, kalte krustige Panzer, die Herzen bedecken und Hände und Hirne und werde warten. Ich kann sehr gut warten, noch ein paar Jahre. Ich werde ihn nicht anrufen und ihr nicht schreiben und an Dich nicht denken, weil es nichts zu denken und schreiben und sagen gibt. Weil es keinen Grund gibt, auf dem wir zusammen stehen könnten - weil ich kein Du für Dich bin. So werde ich Nichts sagen und Nichts schreiben und Nichts denken und nicht hoffen an Deinem Tag. Bis zum nächsten Jahr, wo ich ihn bestimmt wieder vergessen werde.



Erste Version:
Dein Tag
Ein Geburtstagsnichtgruß

Ja, ich weiß welcher Tag heute ist. Ich ignoriere ihn, so wie er mich ignoriert, weil er nicht anders kann. Ist er doch nur ein Tag, einer wie jeder andere. Einer, an dem die Sonne scheint, irgendwo, vielleicht auch hier. Es war mal Dein Tag, wahrscheinlich ist er es Dir noch immer. Doch wer bist Du? Oder es regnet, oder schneit, stürmt und friert. Mir ist es egal, ob die Sonne scheint. Wenn sie es doch tut, werde ich Fenster und Türen aufreißen und lüften und lüften und lüften und lüften, auf dass die letzten Gestänke der faulenden Erinnerung verziehen. Ich werde dann am Fenster stehen und lächeln und den Vorübergehenden grüßend zuwinken - und lächeln, so dass sie denken, "Was für ein freundlicher Mensch", bevor sie dann weitergehen und Deinen Tag nicht bemerken. Und wenn es dunkel bleibt, werde ich Eisschichten auf die Schwären legen, kalte krustige Panzer, die Knospen bedecken und Herzen und Hände und Hirne und werde warten. Ich kann sehr gut warten, noch ein paar Jahre. Ich werde ihn nicht anrufen und ihr nicht schreiben und an Dich nicht denken, weil es nichts zu denken und schreiben und sagen gibt. Weil es keinen Grund gibt, auf dem wir zusammen stehen könnten - weil ich kein Du für Dich bin. So werde ich Nichts sagen und Nichts schreiben und Nichts denken und nicht hoffen an Deinem Tag. Bis zum nächsten Jahr, wo ich ihn bestimmt wieder vergessen werde.


Sehr vernünftige Anmerkungen. Ich habe sie (fast) vollständig übernommen.
Zuletzt geändert von Zakkinen am 09.03.2013, 22:40, insgesamt 2-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 08.03.2013, 20:02

Hallo Henkki,

der Ton des Textes gefällt mir gut, er nimmt einen gleich mit hinein in diese Stimmung und lässt gut diese Mischung aus Trotz und Trauer spüren. Das Nichtwollen aber doch Nichtanderskönnen. Den Verlust. Die Hoffnung, die sich da immer wieder einnisten will, das Nichtvergessenkönnen, das sich an besonderen Tagen dann wieder aufschwingt und wühlt. Ein paar Kleinigkeiten, die mir vor allem aufgefallen sind, weil ich den Text gerne durchgängig ungeschliffener, rau lesen würde, sozusagen noch zwischen Bauch und Kopf, oder Sprechen und Schreiben gefangen, noch nicht zu Ende bearbeitet. .-)
Ist er doch nur ein Tag, einer wie jeder andere.
Das "er" würde ich daher streichen.
wahrscheinlich ist er es Dir noch immer.
Das klingt ziemlich gedrechselt? Würde ich versuchen alltagssprachlicher, bzw. schlichter, "gedankenechter" hinzubekommen.
Wenn sie es doch tut, werde ich Fenster und Türen aufreißen und lüften und lüften und lüften und lüften, auf dass die letzten Gestänke der faulenden Erinnerung verziehen.
Sehr schön, vor allem die Vermehrung, Steigerung des Gestankes, klingt genau richtig. :)
Ich werde dann am Fenster stehen und lächeln und den Vorübergehenden grüßend zuwinken - und lächeln, so dass sie denken, "Was für ein freundlicher Mensch", bevor sie dann weitergehen und Deinen Tag nicht bemerken.
Das erste "und lächeln" würde ich streichen, die Wiederholung wirkt unbeabsichtigt auf mich? Ansonsten meine Lieblingsstelle, ein gutes und neues Bild für mich.
Ich werde ihn nicht anrufen und ihr nicht schreiben und an Dich nicht denken, weil es nichts zu denken und schreiben und sagen gibt.
Huch, wer sind die ersten beiden, wie fügen sie sich in die Geschichte ein? Ich bekomme keine Auflösung, aber es zeigt seinen kompletten Rückzug an, der sich eben nicht nur auf das Du bezieht, sondern sich wohl aus diesem Gefühl heraus auf alle (alten) Beziehungen auswirkt.
weil ich kein Du für Dich bin.
Sehr schön trocken und bitter.
So werde ich Nichts sagen und Nichts schreiben und Nichts denken und nicht hoffen an Deinem Tag. Bis zum nächsten Jahr, wo ich ihn bestimmt wieder vergessen werde.
Schön, wie sich der Text und auch der Protag hier selbst entlarvt.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 08.03.2013, 21:39

Hallo Henkki,

es ist fast peinlich, aber Flora hat eigentlich alles geschrieben, wie es mir auch ging; vielleicht ergänzend noch die Nähe der Knospen und der Schwären, da ist, scheint mir, etwas zu viel gewollt (die Knospen-Seite deckt der letzte Satz doch eigentlich ab?).
Grüße
Franz

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 08.03.2013, 22:32

Danke Euch beiden! Ich schlaf mal drüber und ändere sicher noch mal.

Liebe Grüße
Henkki

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 09.03.2013, 22:43

Das erste "und lächeln" würde ich streichen, die Wiederholung wirkt unbeabsichtigt auf mich? Ansonsten meine Lieblingsstelle, ein gutes und neues Bild für mich.

Ich probiere es mal andersherum, mit noch einer Wiederholung. Das Lächeln und Winken ist wichtig, eigentlich muss man die Zähne knirschen hören.

Huch, wer sind die ersten beiden, wie fügen sie sich in die Geschichte ein? Ich bekomme keine Auflösung, aber es zeigt seinen kompletten Rückzug an, der sich eben nicht nur auf das Du bezieht, sondern sich wohl aus diesem Gefühl heraus auf alle (alten) Beziehungen auswirkt.

Dann geht das also auf. War ich sehr unsicher mit.


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