Das Karussell
Verfasst: 19.04.2013, 20:32
Jedes Jahr kehren Heike und ich zum selben Hotel in Paris, um die Ecke der Sorbonne, zurück. Das Hotel heißt »Excelsior«, im Internet findet man es unter »Excelsior Latin«. An der Rezeption kennen sie uns schon, weil wir uns immer nach dem Befinden von »Boeing«, der Hauskatze erkundigen. Sie heißt so, weil sie im Flughafen gefunden wurde, sie müsste inzwischen an die zwanzig Jahre alt sein. Das Hotel befindet sich in der Rue Cujas, in dieser Straße soll Gabriel García Márquez irgendwo in einer Mansarde gewohnt haben. In dem Haus direkt gegenüber dem Hotel gibt es eine »Ecole Maternelle«. Wenn man im vierten oder fünften Stock des Hotels wohnt, kann man oben an der Fassade des Gebäudes das Stadtwappen der Stadt sehen, ein Schiff, und darunter den Wahlspruch der Stadt: FLUCTUAT NEC MERGITUR.
Letztes Jahr hatte ich ein besonderes Anliegen im Zusammenhang mit dem Besuch der Stadt, ich wollte das Karussell im »Jardin du Luxembourg« sehen, das Rilke zu seinem berühmten Gedicht inspirierte. Am zweiten Tag also, gleich nach dem Frühstück, machten wir uns auf den Weg. Der Haupteingang zum Jardin ist nur zehn Minuten vom Hotel entfernt. Wie jedes Jahr betraten wir die lange Allee des Parks, die zum großen Teich führt. Es war ein schöner, sonniger Tag. Paris hat viel weniger grüne Flächen als London, und die halbe Stadt schien sich an diesem Sonntag hier versammelt zu haben. Überall standen unangekettet alte, schwere Eisenstühle. Mir fiel auf, dass manche Menschen gleich zwei davon in Anspruch genommen hatten, den zweiten, um die Füße darauf auszustrecken. Normalerweise machen wir eine halbe Runde um den Teich, bevor wir nach links, Richtung Rue de Montparnasse, abbiegen, diesmal aber, nachdem ich einen dort Dienst habenden Polizisten fragte, gingen wir weiter geradeaus.
»Immer geradeaus«, hatte der Polizist gesagt, als ich ihn nach dem Karussell fragte. Ich versuchte, ihm zu erklären, warum wir dieses Karussell besichtigen wollten, aber da schaute er mit diesem praktischen, schlauen Blick, den die Franzosen haben, wenn sie vermuten, jemand will sie auf den Arm nehmen. Wir folgten also der von seinem ausgestreckten Arm angedeuteten Richtung. Ich konnte es kaum fassen, dass wir in Kürze vor diesem Karussell stehen würden, vor demselben Karussell, vor dem Rilke Anfang des 20. Jahrhunderts in diesem Park gestanden hatte. Schon von Weitem konnten wir es auf einmal zwischen den Bäumen erkennen.
Ich muss sagen, das Karussell an sich war eine Enttäuschung, es war viel zu klein und viel zu langsam. Es war offensichtlich ein Museumsstück, das aus Pietät hier draußen, im Freien also, wie ein altes Pferd gelassen wurde.
Ich suchte mit den Augen den weißen Elefanten, die zentrale Figur des Gedichts, der immer wieder, immer schneller wiederkehrende Elefant ... Der Elefant war da, ein einziger unter mehreren Pferden und anderen Tieren, war aber genau so klein wie die anderen und grau ...
Ich fragte mich, wie ein so lächerliches Objekt Rilke derart inspirieren konnte. Ich vermute, dieses für mich sich so langsam drehende Karussell drehte sich damals mit derselben Geschwindigkeit, aber die Welt um das Karussell herum muss wesentlich langsamer gewesen sein ...
Letztes Jahr hatte ich ein besonderes Anliegen im Zusammenhang mit dem Besuch der Stadt, ich wollte das Karussell im »Jardin du Luxembourg« sehen, das Rilke zu seinem berühmten Gedicht inspirierte. Am zweiten Tag also, gleich nach dem Frühstück, machten wir uns auf den Weg. Der Haupteingang zum Jardin ist nur zehn Minuten vom Hotel entfernt. Wie jedes Jahr betraten wir die lange Allee des Parks, die zum großen Teich führt. Es war ein schöner, sonniger Tag. Paris hat viel weniger grüne Flächen als London, und die halbe Stadt schien sich an diesem Sonntag hier versammelt zu haben. Überall standen unangekettet alte, schwere Eisenstühle. Mir fiel auf, dass manche Menschen gleich zwei davon in Anspruch genommen hatten, den zweiten, um die Füße darauf auszustrecken. Normalerweise machen wir eine halbe Runde um den Teich, bevor wir nach links, Richtung Rue de Montparnasse, abbiegen, diesmal aber, nachdem ich einen dort Dienst habenden Polizisten fragte, gingen wir weiter geradeaus.
»Immer geradeaus«, hatte der Polizist gesagt, als ich ihn nach dem Karussell fragte. Ich versuchte, ihm zu erklären, warum wir dieses Karussell besichtigen wollten, aber da schaute er mit diesem praktischen, schlauen Blick, den die Franzosen haben, wenn sie vermuten, jemand will sie auf den Arm nehmen. Wir folgten also der von seinem ausgestreckten Arm angedeuteten Richtung. Ich konnte es kaum fassen, dass wir in Kürze vor diesem Karussell stehen würden, vor demselben Karussell, vor dem Rilke Anfang des 20. Jahrhunderts in diesem Park gestanden hatte. Schon von Weitem konnten wir es auf einmal zwischen den Bäumen erkennen.
Ich muss sagen, das Karussell an sich war eine Enttäuschung, es war viel zu klein und viel zu langsam. Es war offensichtlich ein Museumsstück, das aus Pietät hier draußen, im Freien also, wie ein altes Pferd gelassen wurde.
Ich suchte mit den Augen den weißen Elefanten, die zentrale Figur des Gedichts, der immer wieder, immer schneller wiederkehrende Elefant ... Der Elefant war da, ein einziger unter mehreren Pferden und anderen Tieren, war aber genau so klein wie die anderen und grau ...
Ich fragte mich, wie ein so lächerliches Objekt Rilke derart inspirieren konnte. Ich vermute, dieses für mich sich so langsam drehende Karussell drehte sich damals mit derselben Geschwindigkeit, aber die Welt um das Karussell herum muss wesentlich langsamer gewesen sein ...