Ein Kommentar zur Lage der Welt

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 16.05.2013, 03:47

Ich muss mich wieder aufregen. Mir gehen diese romantisierenden National-Kategorien so auf den SACK, überhaupt alle Kategorien, diese unreflektierten Idealisierungen, diese verschissenen Klischees, dieser festgetrocknete Rotz in den Quadratschädeln der Schwarzweißler.

Hach, der Franzose an sich ... oh, der Deutsche an sich ... oje, der Pole, oh die Rheinländer sind so lustig, und die Schwaben so weltverschlossen weil sie das R in der Kehle sprechen (wie Amis), und die Schotten zu geizig um Hosen zu kaufen, die doofen Ostfriesen sehen alle aus wie Karl Dall, der plumpe Bayer, der wortkarge Hamburger, der lächelnde Asiate, der spanische Matador, der schlafende Grieche, und außerdem: früher war alles besser, in der 60ern wars besser, in der 80ern noch besser, Wassermänner sind nicht so labil wie Fische, Widder sind ehrgeiziger als Jungfrauen, Krebse sind bissiger als Waagen, Neger sind dümmer als Weiße, Fortuna Düsseldorf ist heiliger als Schalke, Puma ist schöner als Adidas, Frauen sind schüchterner als Männer, Männer sind dominanter als Frauen. Gruppen, Gruppen! Wir wollen Gruppen! Lasst uns in Reih und Glied uns trennen und sortieren. Ihr Götter im Himmel, ... nein ... ihr Antroposophen im Spiritus, gebt uns eine eigene Gruppe, eine Eigenschaft, die endgültige Heimeligkeit; überschaubare, kalkulierbare Geborgenheit, die erlösende Gleichgesinnung, damit wir ... buhuhu ... nicht so alleine sind im Ungewissen, im Unliebsamen, gebt uns Übersicht, schützt uns mit einem ordentlichen, einfarbigen, viereckigen DACH über dem Kopf. Ein Dach mit einer Eigenschaft, einer einzigen, klaren EIGENschaft. GEBT UNS DAS TOTALE HEIM!! Dann streichen wirs weiß an und umkringeln es in schwarz.

Ignorantenpack. In jeder dieser scheiß Kategorien, in jeder Nation, in jedem Sternzeichen, unter jeder Hautfarbe, in jedem Verein, in jedem Geschlecht, in jeder Zeitepoche, tummeln sich milliarden VERSCHIEDENER NAMEN! Bunt gemischt! Ihre Träger unterscheiden sich! Eloise ist nicht Frederique, Fritz ist nicht Erwin. Eloise geht ins Disneyland, Frederique scheißt aufs Disneyland. Fritz mag Sauerkraut, Erwin kriegt Dünnschiss davon. Eloise und Frederique mögen sich. Fritz und Erwin mögen sich. Fritz liebt Frederique. Eloise mag Erwin. Frederique zündet pariser Autos an. Erwin zündet berliner Autos an.

Die Welt ist vielgestaltig! Und deshalb ist sie wunderbar. Die Welt ist vielgestaltig nicht nur innerhalb ihrer großen, künstlich angeordneten Gruppen, sie ist vielgestaltig sogar innerhalb einer kleinen Familie!

Auch innerhalb einer Inzesten-Familie.

Selbst innerhalb eines EINZIGEN INDIVIDUUMS!

Innerhalb eines Tages.



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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 16.05.2013, 10:11

Hallo Pjotr,

ich wollte heute Morgen kurz was im Forum schreiben, und nun bin ich schon fast drei Stunden drin ...
Das heißt, mein kleines Hirn ist schon müde, und trotzdem spüre ich Lust, etwas zu deinem Schreiben zu sagen.
Ich glaube schon, dass es globale Unterschiede unter den Menschen gibt, die kulturell bedingt sind. Ich glaube, dass es profunde Unterschiede bei verschiedenen Völker gibt, oft in ein und demselben Land.
Am besten argumentiert man hier doch mit Beispielen.
Ich glaube schon, dass es so etwas wie ein "griechischer" Charakter gibt, der vielleicht nicht für ALLE Griechen, aber doch für die meisten von ihnen zutrifft.
Die Art wie sie feiern, zum Beispiel. Ich habe es selbst erlebt, und ein Freund von mir, ein Grieche der hier aufgewachsen ist und als er Mitte zwanzig sich doch für Griechenland entschied und seitdem dort lebt hat es mir bestätigt. Er sagte mir, dass ein Grieche geht zur Bank und holt dort eine große Summe ab, die er am nächsten Tag bezahlen muss. Abends geht er in ein Lokal, wo Sänger live auftreten und gibt dort das ganze Geld für Blüten ab, die man den Sängern zuwirft.
Das habe ich selbst erlebt.
Ein Deutscher würde das niemals tun. Er würde Geld für eine wohltätige Organisation spendieren, aber nicht für Blüten.
Du kennst bestimmt den Film "Zorba der Grieche".
Nun, das ist Wirklichkeit.
Nur noch ein Beispiel, etwas, das mich wirklich nachdenklich macht.
Ich weiß nicht, ob du das kennst, aber in Mainz gibt es seit vielen Jahren Bettler auf den Straßen, die den ganzen Tag auf den Knien sind. Bei den meisten ist kein Gebrechen zu sehen, viele sind sehr jung, manche sehen gut aus, strotzen vor Jugend und Kraft. Ich glaube, sie sind aus Rumänien.
Egal woher sie stammen, was ich sagen will, ist Folgendes: Nie wirst du einen Lateinamerikaner dazu bringen, öffentlich auf den Knien zu betteln. Das hat nicht mit Stolz zu tun, wir können auch kriechen oder müssen es manchmal, aber das nicht, niemals.
Ich kann dir viele Beispiele dieser Art geben. Aber ich glaube, diese zwei reichen um die Möglichkeit der Existenz von national bedingten Verhaltensweisen in Erwägung zu ziehen.

Ich finde deinen Text sehr schön und sehr gut geschrieben, es macht mir Spaß es zu lesen. Du hast Recht in der Behauptung, wir sind alle
unterschiedlich. Natürlich sind wir das.
Nur bei diesen knienden Bettlern habe ich meine Zweifeln.

Liebe Grüße,

Carlos

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 16.05.2013, 10:38

Ich sehe überhaupt keinen Widerspruch. Wenn ich sage, dass im Durchschnitt Männer größer und schwerer sind als Frauen, dann ist das zweifellos richtig (zumindest in Europa), lässt aber keinen Rückschluss auf den Einzelfall zu.

Wenn ich die Erfahrung gemacht habe, dass Engländer oft höflicher sind als Franzosen und Italiener lauter sind als Spanier, dann ist das meine persönliche Erfahrung, die ich mir nicht absprechen lasse. Deshalb erwarte ich aber selbstverständlich nicht vom einzelnen Franzosen Unhöflichkeit und vom Spanier Zurückhaltung. Ich erwarte ja auch in Deutschland nicht automatisch, dass es jeden Tag regnet, obwohl es das oft tut.

Primitive Grüße
zefira
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.05.2013, 11:17

Hi Pjotr,

die Welt und damit auch ein Teil von uns bzw. unserem Denken oder unserer Denkweise IST aber voller Klischees.
Da gibt es zig Beispiele, die einfach den Tatsachen entsprechen.
Ja, die Japaner lächeln. ABER: dieses Lächeln ist kein echtes Lächeln. Es ist eine Form der Höflichkeit. Was hinter diesem Lächeln steckt, ist ein ganz anderes Thema. Ja, alle Japaner haben glattes schwarzes Haar mit einem natürlichen Blauschimmer darin. Ich liebe das. Die japanischen Frauen hassen es und lassen sich Dauerwellen machen oder die Haare färben, weil alle japanischen Frauen diese glatten, schwarzen Haare haben, die ich wiederum bewundere.
Ja, die Südländer sind laut und emotional. Wenn sie sich zu einer Tasse Kaffee verabreden, denkt ein Ausländer, der ihre Sprache nicht versteht, sie würden sich streiten. *lach*
Du erkennst am Aussehen der meisten Menschen, aus welchem Land sie stammen. So ist es nun mal. Ich finde das faszinierend, dass man einem Griechen ansieht, dass er ein Grieche ist, dass man einem Engländer ansieht, dass er Engländer ist, etc. etc.
Die Argentinier sind stolz und arrogant, sagen die Chilenen. Und der Argentinier antwortet darauf: Ja, das sind wir!

Jedes Land/Nationalität hat seine Eigenarten, seinen Charakter. Ich sehe darin keine romantisierende Primitivierung, sondern genau das Gegenteil. Diese Eigenart macht doch gerade die Individualität aus.

Saludos
Gabriella

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 16.05.2013, 12:36

Ohgott. Die Lage ist noch schlimmer als ich dachte.

Zuerst einmal: Ich bin nicht gegen die Verallgemeinerung von Körpergewichten oder Haarfarben, sondern gegen die von Charaktereigenschaften.

Dann zur Sprache. Wir sind ja hier im Literaturforum. Carlos und Zefira, ich meine, Ihr solltet genauer auf Eure Sprache achten.

Carlos hat geschrieben:Ich glaube schon, dass es so etwas wie ein "griechischer" Charakter gibt, der vielleicht nicht für ALLE Griechen, aber doch für die meisten von ihnen zutrifft.
Die Art wie sie feiern, zum Beispiel.
Was jetzt? Nicht für alle? Für zwei Drittel? Aber doch für die meisten. 99% meinst Du. Die Art wie sie feiern. Aha. Sie. Also alle. Was ist das für eine verlogene Sprache? Du denkst für eine Sekunde an eine winzige Ausnahme, um dann sofort wieder in die absolute Verallgemeinerung zu versinken, hinein in den Einheitsbrei.

Ich habe es selbst erlebt, und ein Freund von mir, ein Grieche der hier aufgewachsen ist und als er Mitte zwanzig sich doch für Griechenland entschied und seitdem dort lebt hat es mir bestätigt.
Soso, jetzt kennst Du also schon zwei Griechen, und damit jeden Griechen, nun kannst Du Dir also anmaßen, den zig Millionen anderen Individuen, die Du noch nie gesehen hast, einen Charakter zuzuschreiben.

Er sagte mir, dass ein Grieche geht zur Bank und holt dort eine große Summe ab, die er am nächsten Tag bezahlen muss. Abends geht er in ein Lokal, wo Sänger live auftreten und gibt dort das ganze Geld für Blüten ab, die man den Sängern zuwirft.
Das habe ich selbst erlebt.
Ein Deutscher würde das niemals tun.
Falsch. Es gibt zig Tausende Deutsche, die das ebenfalls taten. Das hängt von der Persönlichkeit ab, nicht vom Pass. Deine Rassentheorie ist falsch.

Du kennst bestimmt den Film "Zorba der Grieche".
Nun, das ist Wirklichkeit.
Den Film kenne ich. Und, nein, das ist Deine Wirklichkeit, Deine Wirklichkeit in Deinem kleinen, engen Schubladenhirn. Deine Behauptung ist eine Frechheit. Ich habe Griechenland in vielen Jahren kreuz und quer bereist und hunderte von Griechen kennengelernt. Ein Zorbas war in meiner Auswahl nicht dabei. Will aber nicht sagen, dass es keine Zorbasse dort gibt. Ich pauschaliere ja nicht. Jedoch bin ich gegen Deine Pauschalierung, die alle Griechen klonisch gleichschaltet. Unter denjenigen Griechen, die ich kennengelernt habe -- quer durch alle Gesellschaftsschichten -- war kein Zorbas dabei, das waren hart schuftende Leute, sparsame Menschen, die wussten, dass sie Familien zu ernähren haben. Besoffen waren die auch nie. Zu Nutten sind sie auch nicht gegangen. Drei Gläschen Ouzo und ein wenig Sirtaki heißt nicht Zorbas zu sein. Verstehst Du? Kannst Du soweit differenzieren oder ist das zu kompliziert?

Auf den restlichen Schwachsinn gehe ich nicht ein, ich würde mich nur wiederholen.


Zefira hat geschrieben:Wenn ich die Erfahrung gemacht habe, dass Engländer oft höflicher sind als Franzosen und Italiener lauter sind als Spanier, dann ist das meine persönliche Erfahrung, die ich mir nicht absprechen lasse.

Was genau ist Deine Aussage? Was für Schlüsse ziehst Du? Deine Sprache ist unscharf. Was bedeutet dieses hingeschluderte Wort "oft"?

Du kannst sagen: "Unter den Engländern und Franzosen die ich getroffen habe, waren vor allem die Engländer höflich zu mir, weniger die Franzosen". So eine Aussage ist klar, deutlich, und begrenzt auf Deinen empirischen Rahmen. Sie verallgemeinert nicht, und das finde ich gerecht und redlich.

Du könntest auch sagen: "Ich habe einige Engländer und Franzosen getroffen. Engländer sind generell höflicher als Franzosen". Das wäre eine oberflächliche, einfältige Scheiß-Aussage, denn in England gibt es Bowler-Hat-tragende Geschäftleute, dreckige Punks, süße Boy-Groups, hässliche Nutten, intelligente Philosophen, dumpfe Hooligans, freundliche Spielkameraden, Militär-Fuzzis, Friedensaktivisten ... und das gleiche gilt natürlich auch für Frankreich, nur tragen die Geschäftsleute dort keine Bowler-Hats, aber wir reden hier ja auch nicht über Körperliches.


Gabrielle hat geschrieben:die Welt und damit auch ein Teil von uns bzw. unserem Denken oder unserer Denkweise IST aber voller Klischees.
Da gibt es zig Beispiele, die einfach den Tatsachen entsprechen.
Ja, die Japaner lächeln. ABER: dieses Lächeln ist kein echtes Lächeln.
Ohmeingott. Hier muss ich echt abbrechen. Ich kann nicht mehr.


P.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.05.2013, 12:49

Pjotr, ich glaube, du trägst das Temperament eines spanischen Stierkämpfers in dir, wobei das "rote Tuch" bei dir wohl eher ein anderes ist. ;-)

Schmunzel- und Oooooom-Grüße
Gabriella

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 16.05.2013, 12:51

Was genau ist Deine Aussage? Was für Schlüsse ziehst Du? Deine Sprache ist unscharf. Was bedeutet dieses hingeschluderte Wort "oft"?


Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es oft so ist. Was ist daran unscharf oder hingeschludert?
Ich hätte es auch so formulieren können, wie Du es tust. Das hätte den gleichen Sinngehalt.
Ich behaupte weder, dass es immer so ist, noch dass ich die Erfahrung gemacht hätte, dass es immer so ist (was in scharfer Sprache von mir aus bedeutet: Bei mir war es immer so), sondern bei mir war es oft so. Ist das scharf genug?

Alsdann,
Zefira

ps. Nur zur Sicherheit: Ich kann auch gern noch einschränken, dass die meisten Engländer, denen ich begegnete, zu mir höflicher waren als die meisten Franzosen. Es könnte ja auch an mir gelegen haben. Da ich besser Englisch spreche als Französisch, habe ich vielleicht bloß die Franzosen nicht richtig verstanden, oder ihr Mienenspiel nicht richtig gedeutet, oder ich hatte etwas an mir, was mich den meisten Engländern sympathischer erscheinen ließ als den meisten Franzosen, oder vielmehr: den meisten Engländern und Engländerinnen im Gegensatz zu den meisten Franzosen und Französinnen.
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Beitragvon Pjotr » 16.05.2013, 13:05

Zefira hat geschrieben:
Was genau ist Deine Aussage? Was für Schlüsse ziehst Du? Deine Sprache ist unscharf. Was bedeutet dieses hingeschluderte Wort "oft"?


Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es oft so ist. Was ist daran unscharf oder hingeschludert?
Ich hätte es auch so formulieren können, wie Du es tust. Das hätte den gleichen Sinngehalt.
Ich behaupte weder, dass es immer so ist, noch dass ich die Erfahrung gemacht hätte, dass es immer so ist (was in scharfer Sprache von mir aus bedeutet: Bei mir war es immer so), sondern bei mir war es oft so. Ist das scharf genug?

Ja!

Scharf genug.

Danke.

Nun bin ich wieder sanft.


Ahoi

Pjotr

Rosebud

Beitragvon Rosebud » 16.05.2013, 17:30

.
Zuletzt geändert von Rosebud am 26.06.2015, 16:04, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Zefira » 16.05.2013, 17:39

Interessant jedenfalls, dass dieser Herr Harras - abgesehen von der blonden Lateinschülerin - nur Männer aufzählt. Vielleicht gab es beim Rhein keine Frauen (außer den drei Rheintöchtern natürlich).
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RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 16.05.2013, 17:48

Hallo Pjotr,

so ein Ausbruch ist mir immer verdächtig, riecht für mich sehr nach faschistoidem Antifaschisten.
"Ihr seid alle Individuen!" - Chor: "Ja" - nur einer sagt 'Ich nicht', bei Monty Python.
Wie du dich im Rechthaben badest ... - macht mich mißtrauisch.
Ich meinesteils bin einer der 'Anthroposophen im Spiritus'. Bin ich also Rassist?
Ich würde sagen, aber ja, natürlich bin ich Rassist. Ich bin einmal durch Chikago gelaufen, ins falsche Viertel abgebogen, war plötzlich nur noch von Schwarzen umgeben, fühlte mich sehr unbehaglich, da fiel's mir auf. In meiner Kindheit gab es nun mal weit und breit keinen einzigen Schwarzen, davon komme ich nicht los. Ich gehe mit Bekanntem anders um, als mit Unbekanntem, davon komme ich nicht los (ich kenne inzwischen nur viel mehr als früher).
In meinem Kopf kann ich viele antirassistische Gedanken haben, die habe ich vielleicht ähnlich wie du, aber die Realität ist eine andere, das ist mir bewußt, ich bedaure das sehr, aber es ist ein großes Glück, wenn ich es an ein paar Stellen ändern kann; ich konnte mal ein Jahr mit Chinesen zusammenleben, das hat nicht meinen Kopf, aber meine praktisch wirksame Einstellung geändert, ein großes Stückchen. Ich bin mir sicher - nicht genug.
Ich bin skeptisch, wenn jemand sagt, er ist kein Rassist, frage mich, ob er sich selbst kritisch beobachtet: ob er bei einem lautstarken Streit zwischen süditalienischen Taxifahrern dasselbe empfindet wie bei einem lauten Streit zweier Eifelbauern. Ich schließe von mir auf andere, wie meistens.
Ich meine, brav anthroposophisch: es gibt im Menschen das Ich, das ist völlig sein Eigenes, das lebt in einer Seele, die ist halb von ihm selbst und halb vom Umfeld (mal mehr auf der einen, mal mehr auf der anderen Seite) geprägt, das alles sitzt in einem Körper, der wieder anders Präferenzen und Fähigkeiten hat.
Ich ziehe nicht den Schluß, zu sagen 'nur' weil jeder ein Individuum ist, gibt es nicht Unterschiede zwischen den Menschen, wie sie in Kolumbien, in Finnland, in Schwarzafrika herumlaufen, leibliche Unterschiede und auch kulturell/seelische Färbungen. Ich sage nicht, das eine ist schlechter als das andere, ich finde sie schön und "die Welt beleidigend", sie zu verleugnen.
Ich schleppe mein Mann-Sein, mein Deutsch-sein mit mir herum, und trotz guten Willens, einiger Arbeit und eines den Gedanken der Vorurteilsfreiheit sehr hochschätzenden Kopfes - jede Menge tiefsitzender Vorbehalte, die bewirken, dass ich mich im vollen Cafe an dem einen Tisch dazusetze und an den anderen nicht.
Aber, so wie dein Ausbruch klingt, du auch.
Was jetzt ja alles keine Textarbeit ist, insoferne OT :->
Grüße
Franz

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Beitragvon Pjotr » 16.05.2013, 23:26

Hallo Franz,

ich bin ein Mann der Mitte. Ich bin kein Faschist, kein Extremist. Ich weigere mich, nachweislich falsche Pauschalierungen anzuerkennen, ebenso, wie ich mich weigere, totalen Individualismus anzuerkennen. Totalen Individualismus halte ich für asozial. Beide Extreme sind hochgradig idiotisch, meiner Meinung nach. Wenn mein Text hier, der halb gesprudelt und halb konstruiert ist (der literarischen Ästhetik wegen), gegen Pauschalierungen wettert, heißt das nicht, dass er zum totalen Individualismus aufruft. Es gibt auch noch viele andere Farben zwischen schwarz und weiß!

Der Text soll die Extremität des Pauschalismus anprangern. Die VORURTEILE. Diese grauenhaften Vorurteile, die man selbst hier in manchen Kommentaren nachlesen kann. Haarsträubend!

Deine 180°-Taktik, Anprangerungen von Extremen ins gegenteilige Extrem zu verdrehen, greift hier nicht. Zudem ist diese 180°-Taktik so universal, dass sie eigentlich nie greifen kann. George W. Bush, einer von vielen, die mit dieser Taktik argumentieren, wandte das einmal in dieser Form an: "Wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind". Diese Art des Denkens (ich weiß nicht ob sie echt ist oder nur ein hilfloses Fuchteln, Rücken an der Wand) bringt ja gerade dieses dumpfe Schwarzweiß-Denken ans Licht. Bist du nicht das, dann kannst du nur dies sein. Bist du gegen Pauschalismus, kannst du nur ein Individualist sein. Bist du gegen ungeregelten Kapitalismus, kannst du nur ein Kommunist sein. Bist du gegen Faschismus, kannst du nur ein Faschist sein. HUMBUG!


P.

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Beitragvon Pjotr » 16.05.2013, 23:37

Rosebud, ich möchte Deine Hand küssen.

Danke!

Pjotr

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Beitragvon Pjotr » 17.05.2013, 07:51

Weiß nicht, ob es angekommen ist, daher nochmal genau:

Ich bin sowohl gegen Pauschalismus als auch gegen dessen Gegenteil.

Beispiel:

Ich halte es für möglich, dass ...
... 55% aller US-Amerikaner gerne mit Waffen hantieren
... 45% aller Europäer gerne mit Waffen hantieren

Das interpretieren Pauschalisten dummerweise so:
"Alle US-Amerikaner hantieren gerne mit Waffen."
"Europäer tun das nicht gerne."

Ich würde das Beispiel hingegen so interpretieren:
"Laut einer Statistik hantieren 55% aller US-Amerikaner gerne mit Waffen."
"Laut einer Statistik hantieren 45% aller Europäer gerne mit Waffen."

Ich sage NICHT, in den USA hantieren sie mit Waffen genauso gerne wie in Europa. Das setze ich nicht gleich!

Aber ich falle auch nicht in das andere Extrem und mache daraus kategorische 100% oder 0%.

Alles klar?


P.


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