Wegwarte
Verfasst: 09.06.2013, 23:03
Wegwarte
Als sie noch sehr jung war und vom Leben nichts wusste, nichts, wirklich nichts, weniger noch als die bigotte lebensfremde Oma, weniger als der gesamte ignorante Familienklan, der sich damals noch besser dünkte als das gesamte Pack, Judenpack und Slawenpack und Zigeunerpack vorneweg, Pack auch das Gesindel, herrenloses Gscherr, herumlungerndes Volk.
Damals also, in den langen Wartejahren, in der Warteschleife einer von jeder Aussicht von vorneherein ausgeschlossenen Jugend, in einer solch endlos scheinenden mit unendlicher Ungeduld gefüllten ereignislosen Zeit, damals standen Texte abenteuerhaft auf vor Begierde brennenden Seiten.
Das war die Geschichte jener blauäugigen (in jeder Hinsicht, möchte man hinzufügen) jungen Frau, die von einem Bauerntölpel oder einem Herrensohn oder einem vorbeiziehenden Viehhändler oder Söldner soviel oder auch genug Liebe erfahren hatte, um in einer Erwartung sondergleichen am Dorfeingang Wartesäule zu spielen, Jahr über Jahr.
Und wie dann dem blauäugigen Geschöpf die Tränen zuerst das Gesicht auswuschen, und dann die Schultern, die zärtlichen, und dann den Leib, den armen verführten Leib, und wie das Geschöpf einsank in der dicken fetten Erde, die alles aufnimmt, auch die Sünden der Armseligen und Beladenen...
"Und wie dann...", so steht es in allen Märchen und Legendenbüchlein, die Muttergottes ein Erbarmen gehabt habe und wie dann aus der wartenden Sünderin eine Blume wurde, eine Blume also am Wegesrand, Unkraut zwar, aber solches mit leuchtend blauen Augen.
Und dann? Und dann folgte der Wegwarte, die mich so widerwärtig aus dem Legendenbuch anschaute eine Schlagersängerin. Mit einem Mal versetzte mir eine Frau mit Brille und griechischem Akzent (hergelaufenes Volk !) einen zweiten Schlag, eine zweite Endlosschleife, in jenen langen Wartejahren.
"Ein Schiff wird kommen", sang Nana Mouskouri und mit ihr sang spöttisch jene Halbstarkenclique, der ich nicht angehörte und machte aus mir ein Gespött, ein Spott der gelegentlich – aber nun immer seltener – meine Ohren erreicht.
Denn heute kann ich erhobenen Hauptes feststellen, dass zum einen das Erstarren zur Wegwarte verhindert werden kann, immer verhindert werden kann, von dem der zwei Füße hat zu gehen, oder mindestens einen Rollstuhl um zu fahren und in noch dramatischeren Fällen einen hochsensiblen Computer, der auf Lidschlag den Weg ebnet zu Welten, die, Gott sei gelobt, nichts hinterwäldlerisches mehr an sich haben.
Zum andern aber, Schiffe kommen immer. In Wirklichkeit, in der Wirklichkeit die wir uns schaffen, sind Schiffe in der Überzahl. Aber es sind die Landestege, die Zufahrten, die Landebahnen, die zu befahren, zu begehen gelernt sein will.
Wie es anders nicht sein kann. Verbringen wir doch eine unendlich lange, beschwerliche Zeit damit, die Sprache des Wartens zu lernen. Und beherrschen sie meistens nicht.
Als sie noch sehr jung war und vom Leben nichts wusste, nichts, wirklich nichts, weniger noch als die bigotte lebensfremde Oma, weniger als der gesamte ignorante Familienklan, der sich damals noch besser dünkte als das gesamte Pack, Judenpack und Slawenpack und Zigeunerpack vorneweg, Pack auch das Gesindel, herrenloses Gscherr, herumlungerndes Volk.
Damals also, in den langen Wartejahren, in der Warteschleife einer von jeder Aussicht von vorneherein ausgeschlossenen Jugend, in einer solch endlos scheinenden mit unendlicher Ungeduld gefüllten ereignislosen Zeit, damals standen Texte abenteuerhaft auf vor Begierde brennenden Seiten.
Das war die Geschichte jener blauäugigen (in jeder Hinsicht, möchte man hinzufügen) jungen Frau, die von einem Bauerntölpel oder einem Herrensohn oder einem vorbeiziehenden Viehhändler oder Söldner soviel oder auch genug Liebe erfahren hatte, um in einer Erwartung sondergleichen am Dorfeingang Wartesäule zu spielen, Jahr über Jahr.
Und wie dann dem blauäugigen Geschöpf die Tränen zuerst das Gesicht auswuschen, und dann die Schultern, die zärtlichen, und dann den Leib, den armen verführten Leib, und wie das Geschöpf einsank in der dicken fetten Erde, die alles aufnimmt, auch die Sünden der Armseligen und Beladenen...
"Und wie dann...", so steht es in allen Märchen und Legendenbüchlein, die Muttergottes ein Erbarmen gehabt habe und wie dann aus der wartenden Sünderin eine Blume wurde, eine Blume also am Wegesrand, Unkraut zwar, aber solches mit leuchtend blauen Augen.
Und dann? Und dann folgte der Wegwarte, die mich so widerwärtig aus dem Legendenbuch anschaute eine Schlagersängerin. Mit einem Mal versetzte mir eine Frau mit Brille und griechischem Akzent (hergelaufenes Volk !) einen zweiten Schlag, eine zweite Endlosschleife, in jenen langen Wartejahren.
"Ein Schiff wird kommen", sang Nana Mouskouri und mit ihr sang spöttisch jene Halbstarkenclique, der ich nicht angehörte und machte aus mir ein Gespött, ein Spott der gelegentlich – aber nun immer seltener – meine Ohren erreicht.
Denn heute kann ich erhobenen Hauptes feststellen, dass zum einen das Erstarren zur Wegwarte verhindert werden kann, immer verhindert werden kann, von dem der zwei Füße hat zu gehen, oder mindestens einen Rollstuhl um zu fahren und in noch dramatischeren Fällen einen hochsensiblen Computer, der auf Lidschlag den Weg ebnet zu Welten, die, Gott sei gelobt, nichts hinterwäldlerisches mehr an sich haben.
Zum andern aber, Schiffe kommen immer. In Wirklichkeit, in der Wirklichkeit die wir uns schaffen, sind Schiffe in der Überzahl. Aber es sind die Landestege, die Zufahrten, die Landebahnen, die zu befahren, zu begehen gelernt sein will.
Wie es anders nicht sein kann. Verbringen wir doch eine unendlich lange, beschwerliche Zeit damit, die Sprache des Wartens zu lernen. Und beherrschen sie meistens nicht.