Erzählung: Rendezvous
Verfasst: 14.05.2006, 15:09
08/V/2004
Rendezvous
Kurz vor halb neun.
Jetzt aber los.
Nur noch eben die BahnCard mitnehmen. Hä? Wieso ist die denn von 2003? Wo ist denn die neue? Schweißperlen. Kurz nach halb. Schublade. Nein. Brieftasche. Nein. Gaaanz ru-hig. Nachdenken.
Es kann nur eine Erklärung geben. Nämlich die letzte Steuererklärung. Da muss ich sie vertauscht haben. Der Ordner. Wo ist denn der Ordner? Die Belege. Rubrik Fahrtkosten. Daaa ist sie. Zwanzig vor.
Tür zu. Raus hier jetzt. Zur U-Bahn. 14 Minuten zu Fuß. Kann man schaffen. Ich stiefel los.
Was ist jetzt? Wieso lockert sich der Gürtel? Ach du Scheiße. Schraube von der Schnalle ab. M3 mal 10. Gürtelbausatz in der Hand. Ich versuche, die winzige Schraube wieder reinzufummeln. Beim Laufen. Sie packt.
Jetzt nur noch festziehen. Hab nix zum Festziehen. Daumennagel. Eingerissen. Egal. Hält. Gürtel wieder durch die Hosenschlaufen ziehen. Alles in vollem Trab. Leute bleiben stehen und gucken. Macht nix. Ich komm jedenfalls nicht zu spät. Ich nicht.
100 Meter weiter. Der Gürtel lockert sich. Ich greife sofort nach der Schnalle. Zu spät. Schraube weg. Ich wühl jetzt hier nicht im Laub rum und such ne M3. Keine Zeit mehr. Ich stecke den ganzen Krempel in die Jackentasche. Und eine Hand in die Hosentasche, damit sie nicht rutscht beim Laufen.
903 Richtung Duisburg HBf 1 Minute. Geschafft. Yeah.
9:00 Ankunft Duisburg HBf. Ticket kaufen.
9:39 Gleis 12. Alles klar. Durchatmen. Hose hochziehen. Zeit satt. Was Fettiges wär jetzt gut. Cheeseburger. Hmm, lecker.
9:20 Gleis 12 Raucherecke. Kippe, Wodka Grasovka außem Flachmann, ich sitze. Die Hose sitzt auch.
Ein flappsiger Jungspund setzt sich neben mich.
"Phärt hie ber Pug bab Emmerib?"
Ich schaue ihn an, während er noch spricht. Sein ganzer Mund, die Zähne, die Lippen, der Bart, alles ist voll mit Ei-Brötchen. Sieht gut aus. Bei dem Wort "Emmerib", was wohl "Emmerich" bedeuten soll, fliegen einige Brocken davon aus ihm heraus. Sehr hübsch.
Ich würge nur deshalb nicht, weil ich mich sofort mit einem eindeutigen "nein" ab- und meinem Flachmann zuwende. Aufstehen. Weggehen. Bevor der noch was sagt.
9:32 Urlaubsexpress MäcVorPomm fährt ein. Und zum Glück schnell wieder ab. So, der Nächste ist meiner. Erstmal nach Dortmund, wie gehabt, 9:39.
"Brzz. Auf Gleis 12 fährt ein der Interregio nach Münster/Westfalen. Planmäßige Abfahrt 9:42. Vorsicht bei der Einfahrt. Brzz" sagt der Lautsprecher. Ja wieso das denn? Wo ist denn meiner?
Kein Schaffner in der Nähe. Ich werd nervös. Hilft nix. Zurück zur Info-Theke. Einmal quer durch den ganzen Bahnhof. Die Hose rutscht.
"Tja-ha", schielt mich die Armani-Brille des Info-Flappmanns an, "der fuhr heute außerplanmäßig von Gleis 13 ab. Sie müssen auf die Lautsprecherdurchsagen achten. Der nächste Zug geht um 10:20."
Die Angebetete anrufen. "Wird ne Stunde später."
Ich hatte wohl irgendwas im Off vernommen. "Brz...ChnrarMund...ChinchGrei...chningZehnBrz."
Musste mir aber leider erstmal das Ei-Brötchen vom Leib halten. Naja. Satt Zeit. Dann eben nochmal Cheeseburger. Brauche beide Hände. Die Hose rutscht.
Neuer Zug. 10:15. Das Gleis stimmt. Ich sitze endlich drin. Es fährt nicht los. Was ist nun wieder? Ich muss den Anschluss kriegen. "Meine Damen und Herren, leider verspätet sich die Abfahrt unseres Zuges ein wenig, da wir einen ICE vorbeilassen müssen. Wir bitten um Ihr Verständnis."
Ich sinke in die Polster. Flachmann hilf!
Da, wir rollen. Uhrenvergleich. Laut Plan und Adam Riese 40 Sekunden Zeit, um in Essen von Gleis 8 auf Gleis 11 zu kommen. Kann man schaffen.
Essen HBf. Ich reiße die Flügeltür aus den Angeln, renne los Richtung Treppe, hinein, hinein in eine sich zäh fortbewegende Menschenmasse. Keine Lücke. 17 Sekunden. Ich lasse mich mitschwappen. Ich kann keinen niedermetzeln. Sozialer Typ.
Ich komme unten an. Renne los. Gleis 11. Da rauf. Die Hose rutscht wie Sau. Da steht ein Zug. Kann die Schilder nicht entziffern. Bin zu schnell zum Lesen. Die Türen fahren langsam zu. Ich springe einfach rein. Keine Ahnung, ob das der Richtige ist. Von drinnen quetsche ich mich nochmal hindurch nach außen, um die Tafel zu lesen. Sie fahren wieder auf. Gute Türen. Soziale Türen. Ich reibe mir das Salz aus den Augen und erkenne: RE 16. Stimmt. Setzen. Türen zu. Flachmann. Es rumpelt los.
Gleich kommt Hagen. Da muss ich raus. Der Zug ist auch nicht pünktlich. Maximal zwei Minuten, um das Gleis zu wechseln. Eher 90 Sekunden. Wenn überhaupt. Ich präge mir ein: "RE nach Fröndenberg, RE nach Fröndenberg, Ankunft Gleis 6. Abfahrt Gleis 4. Gleis 4."
Wir halten. Raus, die Treppe runter. Schilder. Gleis 3 und Gleis 5. Hä? Wo ist 4? Ich drehe mich um. Ah, hinter mir, da wo ich gerade herkomme. Na klar. In Hagen werden ungerade von geraden Gleisen immer noch schön säuberlich getrennt. Wie es sich gehört.
Die Treppen wieder hoch. Die Hose. Mein Herz. Da steht der Zug. Alle Türen schon zu. Der Zugführer guckt ein letztes Mal aus dem Zugführerfenster.
"Fröööööndenbeeeerchch???" brülle ich flehend in vollem Galopp durch die Halle. "Schnäääälllll", brüllt der Zugführer aus dem Zugführerfenster. Ich sprinte an ihm vorbei zur ersten Zugtür. Sie hat keinen Griff. Wo geht denn dieses Mistding auf? "Dää grüüünäää Knooo-hopf", brüllt der Kommandant. Grün. Knopf. Ich hyperventiliere. Die Hose kann nicht mehr rutschen. Sie klebt an den Beinen fest. Da. Ich sehe ihn. Grün. Ein grüner Knopf. Ich drücke ihn. Die Tür geht auf. Preiset den Herrn. Halleluja.
Das blau karierte Muster der Polster polstert mich sanft. Ich sehe immer noch unscharf. Zwei Stationen noch. Menden. Menden/Sauerland. Dann wird sie endlich vor mir stehen, die Schöne aus dem Sauerland, die ich nur vom Foto und vom Telefon kenne.
Ich steige aus. Sie steht am Gleis gegenüber und winkt. Gemächlich gehe ich meine Treppe hinunter, ihre wieder hinauf, wir laufen aufeinander zu, sehen uns zum ersten Mal, sie lächelt, und ich tue das auch, und wir wissen im selben Moment, dass wir nicht füreinander geschaffen sind.
Rendezvous
Kurz vor halb neun.
Jetzt aber los.
Nur noch eben die BahnCard mitnehmen. Hä? Wieso ist die denn von 2003? Wo ist denn die neue? Schweißperlen. Kurz nach halb. Schublade. Nein. Brieftasche. Nein. Gaaanz ru-hig. Nachdenken.
Es kann nur eine Erklärung geben. Nämlich die letzte Steuererklärung. Da muss ich sie vertauscht haben. Der Ordner. Wo ist denn der Ordner? Die Belege. Rubrik Fahrtkosten. Daaa ist sie. Zwanzig vor.
Tür zu. Raus hier jetzt. Zur U-Bahn. 14 Minuten zu Fuß. Kann man schaffen. Ich stiefel los.
Was ist jetzt? Wieso lockert sich der Gürtel? Ach du Scheiße. Schraube von der Schnalle ab. M3 mal 10. Gürtelbausatz in der Hand. Ich versuche, die winzige Schraube wieder reinzufummeln. Beim Laufen. Sie packt.
Jetzt nur noch festziehen. Hab nix zum Festziehen. Daumennagel. Eingerissen. Egal. Hält. Gürtel wieder durch die Hosenschlaufen ziehen. Alles in vollem Trab. Leute bleiben stehen und gucken. Macht nix. Ich komm jedenfalls nicht zu spät. Ich nicht.
100 Meter weiter. Der Gürtel lockert sich. Ich greife sofort nach der Schnalle. Zu spät. Schraube weg. Ich wühl jetzt hier nicht im Laub rum und such ne M3. Keine Zeit mehr. Ich stecke den ganzen Krempel in die Jackentasche. Und eine Hand in die Hosentasche, damit sie nicht rutscht beim Laufen.
903 Richtung Duisburg HBf 1 Minute. Geschafft. Yeah.
9:00 Ankunft Duisburg HBf. Ticket kaufen.
9:39 Gleis 12. Alles klar. Durchatmen. Hose hochziehen. Zeit satt. Was Fettiges wär jetzt gut. Cheeseburger. Hmm, lecker.
9:20 Gleis 12 Raucherecke. Kippe, Wodka Grasovka außem Flachmann, ich sitze. Die Hose sitzt auch.
Ein flappsiger Jungspund setzt sich neben mich.
"Phärt hie ber Pug bab Emmerib?"
Ich schaue ihn an, während er noch spricht. Sein ganzer Mund, die Zähne, die Lippen, der Bart, alles ist voll mit Ei-Brötchen. Sieht gut aus. Bei dem Wort "Emmerib", was wohl "Emmerich" bedeuten soll, fliegen einige Brocken davon aus ihm heraus. Sehr hübsch.
Ich würge nur deshalb nicht, weil ich mich sofort mit einem eindeutigen "nein" ab- und meinem Flachmann zuwende. Aufstehen. Weggehen. Bevor der noch was sagt.
9:32 Urlaubsexpress MäcVorPomm fährt ein. Und zum Glück schnell wieder ab. So, der Nächste ist meiner. Erstmal nach Dortmund, wie gehabt, 9:39.
"Brzz. Auf Gleis 12 fährt ein der Interregio nach Münster/Westfalen. Planmäßige Abfahrt 9:42. Vorsicht bei der Einfahrt. Brzz" sagt der Lautsprecher. Ja wieso das denn? Wo ist denn meiner?
Kein Schaffner in der Nähe. Ich werd nervös. Hilft nix. Zurück zur Info-Theke. Einmal quer durch den ganzen Bahnhof. Die Hose rutscht.
"Tja-ha", schielt mich die Armani-Brille des Info-Flappmanns an, "der fuhr heute außerplanmäßig von Gleis 13 ab. Sie müssen auf die Lautsprecherdurchsagen achten. Der nächste Zug geht um 10:20."
Die Angebetete anrufen. "Wird ne Stunde später."
Ich hatte wohl irgendwas im Off vernommen. "Brz...ChnrarMund...ChinchGrei...chningZehnBrz."
Musste mir aber leider erstmal das Ei-Brötchen vom Leib halten. Naja. Satt Zeit. Dann eben nochmal Cheeseburger. Brauche beide Hände. Die Hose rutscht.
Neuer Zug. 10:15. Das Gleis stimmt. Ich sitze endlich drin. Es fährt nicht los. Was ist nun wieder? Ich muss den Anschluss kriegen. "Meine Damen und Herren, leider verspätet sich die Abfahrt unseres Zuges ein wenig, da wir einen ICE vorbeilassen müssen. Wir bitten um Ihr Verständnis."
Ich sinke in die Polster. Flachmann hilf!
Da, wir rollen. Uhrenvergleich. Laut Plan und Adam Riese 40 Sekunden Zeit, um in Essen von Gleis 8 auf Gleis 11 zu kommen. Kann man schaffen.
Essen HBf. Ich reiße die Flügeltür aus den Angeln, renne los Richtung Treppe, hinein, hinein in eine sich zäh fortbewegende Menschenmasse. Keine Lücke. 17 Sekunden. Ich lasse mich mitschwappen. Ich kann keinen niedermetzeln. Sozialer Typ.
Ich komme unten an. Renne los. Gleis 11. Da rauf. Die Hose rutscht wie Sau. Da steht ein Zug. Kann die Schilder nicht entziffern. Bin zu schnell zum Lesen. Die Türen fahren langsam zu. Ich springe einfach rein. Keine Ahnung, ob das der Richtige ist. Von drinnen quetsche ich mich nochmal hindurch nach außen, um die Tafel zu lesen. Sie fahren wieder auf. Gute Türen. Soziale Türen. Ich reibe mir das Salz aus den Augen und erkenne: RE 16. Stimmt. Setzen. Türen zu. Flachmann. Es rumpelt los.
Gleich kommt Hagen. Da muss ich raus. Der Zug ist auch nicht pünktlich. Maximal zwei Minuten, um das Gleis zu wechseln. Eher 90 Sekunden. Wenn überhaupt. Ich präge mir ein: "RE nach Fröndenberg, RE nach Fröndenberg, Ankunft Gleis 6. Abfahrt Gleis 4. Gleis 4."
Wir halten. Raus, die Treppe runter. Schilder. Gleis 3 und Gleis 5. Hä? Wo ist 4? Ich drehe mich um. Ah, hinter mir, da wo ich gerade herkomme. Na klar. In Hagen werden ungerade von geraden Gleisen immer noch schön säuberlich getrennt. Wie es sich gehört.
Die Treppen wieder hoch. Die Hose. Mein Herz. Da steht der Zug. Alle Türen schon zu. Der Zugführer guckt ein letztes Mal aus dem Zugführerfenster.
"Fröööööndenbeeeerchch???" brülle ich flehend in vollem Galopp durch die Halle. "Schnäääälllll", brüllt der Zugführer aus dem Zugführerfenster. Ich sprinte an ihm vorbei zur ersten Zugtür. Sie hat keinen Griff. Wo geht denn dieses Mistding auf? "Dää grüüünäää Knooo-hopf", brüllt der Kommandant. Grün. Knopf. Ich hyperventiliere. Die Hose kann nicht mehr rutschen. Sie klebt an den Beinen fest. Da. Ich sehe ihn. Grün. Ein grüner Knopf. Ich drücke ihn. Die Tür geht auf. Preiset den Herrn. Halleluja.
Das blau karierte Muster der Polster polstert mich sanft. Ich sehe immer noch unscharf. Zwei Stationen noch. Menden. Menden/Sauerland. Dann wird sie endlich vor mir stehen, die Schöne aus dem Sauerland, die ich nur vom Foto und vom Telefon kenne.
Ich steige aus. Sie steht am Gleis gegenüber und winkt. Gemächlich gehe ich meine Treppe hinunter, ihre wieder hinauf, wir laufen aufeinander zu, sehen uns zum ersten Mal, sie lächelt, und ich tue das auch, und wir wissen im selben Moment, dass wir nicht füreinander geschaffen sind.