Der alte Mann an der Kreuzung

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Wolfgang

Beitragvon Wolfgang » 13.02.2014, 08:55

Version Nr. 3:

An der Kreuzung stand ein Fremder. Ich sah bereits von weitem, dass es ein alter Mann war, dessen Blicke ziellos umherstreiften. Als ich ihn erreichte, fragte ich: Kann ich helfen?

Bin falsch abgebogen, sagte er mit hängenden Schultern.

Ich kenne mich in der Gegend aus!, sagte ich aufmunternd, wo möchten Sie hin?

Er schwieg mit gesenktem Blick. Ich sah ihn genauer an: er strich sich die weißen Stirnhaare aus dem bleichen Gesicht. Seine hagere Figur sah aus wie eine schlaffe Fahne. Sein Gesicht erinnerte mich schleierhaft an jemanden.

Kennen wir uns?, fragte ich und runzelte meine Stirn.

Ja, sagte er. Ich kenne Dich.

Ich wich einen Schritt zurück. Der Mann kam mir unheimlich vor. Ich kenne Sie nicht, sagte ich kopfschüttelnd.

Er lächelte müde. Du hast Dich verlaufen, sagte er plötzlich.

Ich?, wiederholte ich mit ernster Stimme. Offenbar ein Verrückter! Ich muss weiter, sagte ich gereizt und lief rasch an ihm vorbei.

Irgendwann bist Du falsch abgebogen, rief er mir nach, denke über die Wege nach, die Du gegangen bist!

Jäh drehte ich mich um. Was bilden Sie sich ein?, wollte ich ihn fragen, aber da war keiner. Die Kreuzung war menschenleer. Plötzlich würgte mich ein Gefühl im Hals: War ich falsch abgebogen? Vielleicht war ich aber auch nie auf dem richtigen Weg gewesen? Alles was ich wusste, war, dass ich mich hier auskannte. Aber was bedeutete das schon?

Das würgende Gefühl stieg mir zu Kopf und wirbelte meine Gedanken wirr durcheinander. Ich blickte mich hilflos um. Mit Lerchengesang und einer lachenden Sonne hatte der der Morgen begonnen. Nun stand ich an der Kreuzung, während die Abendsonne verdämmerte, und wusste nicht wohin.

Ich hörte mich atmen. Mein Herz klopfte, klopfte, klopfte. Meine Gedanken verknoteten sich. Jetzt fiel mir auch ein, an wen mich der Fremde erinnerte.






Version Nr. 2:

An der Kreuzung stand ein Fremder. Ich sah bereits von weitem, dass es ein altes Männlein war, dessen Blicke ziellos umherstreiften. Als ich ihn erreichte, fragte ich: „Kann ich Ihnen helfen?“

„Bin falsch abgebogen“, sagte er mit hängenden Schultern.

„Ich kenne mich in der Gegend aus!“, sagte ich aufmunternd, „wo möchten Sie hin?“

Er schwieg mit gesenktem Blick. Ich sah ihn genauer an: er strich sich die weißen Stirnhaare aus dem bleichen Gesicht. Seine hagere Figur sah aus wie eine schlaffe Fahne. Er erinnerte mich an jemanden, wenn auch nur schleierhaft.

„Kennen wir uns?“, fragte ich mit ernster Stimme.

„Nein. Ä-ja, wir kennen uns“, sagte er.

Ich wich einen Schritt zurück. Der Mann kam mir unheimlich vor. Ich kenne Sie nicht, sagte ich kopfschüttelnd.

Er lächelte müde. Plötzlich sagte er: „Wir haben uns verlaufen.“

„Ja, ganz sicher haben „wir“ uns verlaufen!“, sagte ich. Offenbar ein Verrückter! „Ich muss dann“, fügte ich noch hinzu und lief rasch an ihm vorbei.

„Irgendwann bist Du falsch abgebogen“, rief er mir nach.

Jäh drehte ich mich um. „Was bilden Sie sich ein?“, wollte ich ihn fragen, plötzlich würgte mich aber ein Gefühlt im Hals. War ich falsch abgebogen? Vielleicht war ich aber auch nie auf dem richtigen Weg gewesen? Alles was ich wusste, war, dass ich mich hier auskannte. Aber was hatte das schon für eine Bedeutung?

Ich begann an mir zu zweifeln und blickte mich hilflos um. Der Morgen hatte mit Lerchengesang und einer lachenden Sonne begonnen. Nun stand ich an der Kreuzung, während die Abendsonne verdämmerte und wusste weder ein noch aus.

Ich hörte mich atmen. Aufgeregt klopfte mein Herz. Meine Gedanken verknoteten sich. Jetzt fiel mir ein, an wen mich der Fremde erinnerte.










An der Kreuzung stand ein Fremder. Ich sah bereits von weitem, dass es ein alter Mann war, dessen Blicke ziellos umherstreiften. Als ich ihn erreichte, fragte ich: Kann ich Ihnen helfen?

Ich bin falsch abgebogen, sagte er mit hängenden Schultern.

Ich kenne mich in der Gegend aus!, sagte ich aufmunternd, wo möchten Sie hin?

Er schwieg mit gesenktem Blick. Ich sah ihn genauer an: er strich sich die weißen Stirnhaare aus dem bleichen Gesicht. Seine hagere Figur sah aus wie eine schlaffe Fahne. Er kam mir irgendwie bekannt vor.

Kennen wir uns?, fragte ich und runzelte meine Stirn.

Ja, sagte er. Ich kenne Dich.

Ich wich einen Schritt zurück. Der Mann kam mir unheimlich vor. Ich kenne Sie nicht, sagte ich kopfschüttelnd.

Er lächelte müde. Du hast Dich verlaufen, sagte er plötzlich.

Ich?, wiederholte ich. Offenbar ein Verrückter! Ich muss weiter, sagte ich und lief rasch an ihm vorbei.

Irgendwann bist Du falsch abgebogen, rief er mir nach, denke über die Wege nach, die Du gegangen bist!

Jäh drehte ich mich um. Was bilden Sie sich ein?, wollte ich ihn fragen, aber da war keiner. Ich war allein. Die Gegend war menschenleer und hinter den Bergen verdämmerte die Abendsonne. Plötzlich würgte mich ein Gefühl im Hals: War ich falsch abgebogen? Vielleicht war ich aber auch nie auf dem richtigen Weg gewesen? Alles was ich wusste, war, dass ich mich hier auskannte. Aber was bedeutete das schon?

Ich begann an mir zu zweifeln und blickte mich hilflos um. Der Morgen hatte mit Lerchengesang und einer lachenden Sonne begonnen. Nun stand ich an der Kreuzung, während die Abendsonne verdämmerte und wusste weder ein noch aus.

Ich hörte mich atmen. Mein Herz klopfte aufgeregt. Plötzlich kam ich mir vor wie eine andere Person. Jetzt fiel mir auch ein, an wen mich der Fremde erinnerte. Ich war verwirrt.
Zuletzt geändert von Wolfgang am 17.02.2014, 14:43, insgesamt 2-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.02.2014, 12:32

Hallo Wolfgang,

ein bisschen verwirrend finde ich die Zeichensetzung in den Dialogen. Frage- und Ausrufungszeichen sind gesetzt, jedoch keine Anführungszeichen. Ich würde gar keine setzen, und die "D" klein, aber das ist nur eine Marginalie.

Enden lassen würde ich diese Begegnung nach:

Er lächelte müde. Du hast dich verlaufen, sagte er.

Damit lässt du die Szene etwas offener, da vorhersehbar ist, wie es weitergeht, du es somit meiner Meinung nach nicht mehr ausschreiben musst.

Liebe Grüße
Gabi

Quoth
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Beitragvon Quoth » 15.02.2014, 21:23

Die Spiegelung, die Umkehrung gefällt mir sehr gut, dieser vollständige Verlust der Selbstsicherheit. Ein schönes und eindrücklich ausgeführtes Motiv!

Gruß

Qioth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Wolfgang

Beitragvon Wolfgang » 17.02.2014, 08:44

Hallo Leute,

ich habe die erste Version überarbeitet, hoffe, sie ist nun prägnanter.

Danke und Gruß

Wolfgang

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Beitragvon birke » 17.02.2014, 12:12

lieber wolfgang,
mir gefällt dir ursprüngliche version deutlich besser - für mich ist sie die prägnantere!
ich finde das sehr eindrücklich, und würde nur den letzten satz (der ursprungsversion) streichen, wie du es dann auch in der 2. fassung hast.
gern gelesen,
birke
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Wolfgang

Beitragvon Wolfgang » 17.02.2014, 14:48

Hallo Birke,

ich habe mir die zweite Version noch mal angesehen; dort fehlte der Hinweis, dass der Alte nicht mehr da ist. Ich hielt das für eine gute Idee, weil so der Schluss überraschender wirkt. Jetzt habe ich den Hinweis erneut drin. Mal sehen, ob es jetzt besser wirkt.

Grüße

Wolfgang

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Beitragvon birke » 17.02.2014, 15:13

ich finds gut so, ja!
(eine frage nur noch, schreibst du die personal- (bzw. anrede-)pronomen (du, dich) mitten im satz extra groß? eigentlich müssten sie ja dort klein geschrieben werden?)

lg,
birke
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Wolfgang

Beitragvon Wolfgang » 17.02.2014, 15:57

Hallo Birke

wenn eine Person direkt angesprochen wird, wenn ich also Dich meine, dann schreibt man die Pronomen groß.

Grüße

Wolfgang

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Beitragvon birke » 17.02.2014, 20:28

hm, nee, nach "neuer" rechtschreibung nicht mehr, wolfgang. außer natürlich die höfliche anrede "Sie".
(und in briefen, da kann/ darf man es noch groß schreiben.)
lg, birke
edit - überhaupt, grübel, hat man diese pronomen in texten doch noch nie groß geschrieben ...? naja, egal.
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Beitragvon Nifl » 21.02.2014, 19:32

Hallo Wolfgang.

Erinnert ein bisschen an Heinz Körners Johannes und dieses Bild das Leben als Weg und Entscheidungen als Kreuzungen zu betrachten, ist auch nicht gerade frisch. Dann die mystisch esoterische Ichspiegelung mittels altem Weisen haut mich auch nicht vom Hocker. Aber am meisten stören mich die handwerklichen Mängel.

An der Kreuzung stand ein Fremder. Ich sah bereits von weitem, dass es ein alter Mann war,

woran? überdies : dass er ein...

dessen Blicke ziellos umherstreiften

woher will der Erzähler das wissen?
Ich glaube Elsa hat mal zu Sätzen mit "dessen" geschrieben das klänge schulaufsatzmäßig und genau so empfinde ich das auch.
Was ist so schlimm an einem neuen Satz?


sagte er mit hängenden Schultern.
sagte ich aufmunternd
sagte ich kopfschüttelnd
sagte er plötzlich.
sagte ich gereizt

diese erklärenden Zusätze machen die Dialoge lahm, künstlich und lassen sie manieriert wirken. Ich möche das der Situation oder dem Dialog entnehmen und nicht erklärt bekommen. Und wenn klar ist wer spricht, bitte ganz aufs "sagte" verzichten.

Seine hagere Figur sah aus wie eine schlaffe Fahne.

Der ist klasse der Vergleich.

Ich wich einen Schritt zurück. Der Mann kam mir unheimlich vor.

Schönes Beispiel wie du den Text kaputt erklärst. Wann weicht man denn einen Schritt zurück?


Ich?, wiederholte ich mit ernster Stimme. Offenbar ein Verrückter! Ich muss weiter, sagte ich gereizt und lief rasch an ihm vorbei.

-Ich?
Offenbar ein Verrückter!
-Ich muss weiter!

Alles was ich wusste, war, dass ich mich hier auskannte.

Das ist gut gemacht, zeigt schön die Bodenständigkeit, die Affinität zu Rationalem. Ich würde das noch festmachen an dem, was er gerade sieht, was ihm die vermeintliche Sicherheit gibt.

Das würgende Gefühl stieg mir zu Kopf und wirbelte meine Gedanken wirr durcheinander.

schräg ausgedrückt

während die Abendsonne verdämmerte,

dito

Meine Gedanken verknoteten sich

noch so ein Erklärbärtellbeispiel. Was denkt er denn?

Ich würde dir dringend raten, diese ganzen Erklärungen und "fetten Zusätze " zu streichen, dafür mehr Beobachtungen rein und die unkommentiert stehenlassen ohne zu werten, deuten usw.

Gruß
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)


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