Ein simples Spiel
Verfasst: 19.05.2006, 07:28
Er kam über die Steinbrücke in seine Kindheit.
Die Sonne kämpfte sich den Fichtenhang herab und schaffte es, die ersten Kringel auf den Bolzplatz zu werfen. Der Bach kurvte durch Streuobstwiesen und Nebel, darüber stand ein Bussard und schrie Kommandos ins Blau.
Alles war wie immer, frisch und kraftvoll.
Er kam ans Tal-Ende. Beim Anblick des Wehrs schweiften die Gedanken zurück, als er mit einem Jungen aus seiner Mannschaft die Bretterkrone und damit den Turbinendruck abgebaut hatte. Der Nachbar war von der Mühle heraufgeschnaubt um ihnen eine Tracht Prügel zu verpassen. Gestern noch hatte er ihn besucht und beim Blick vom Balkon die Leistung der Turbine auf 50 Kilowatt geschätzt. Der Alte hatte nur gelacht. Es gab Rollbraten, Spätzle, Kartoffelsalat, Most, alles selbstgemacht, alles aus eigenem Anbau. Die Küchenmöbel waren dieselben wie vor Jahrzehnten. Dort hatte er an Sonntag-Nachmittagen beim Kartenspiel Taktik gelernt und erste Lebensweisheiten. Dass „dia eschte Gwenner no nia nonz gsei send“ konnte er inzwischen bestätigen.
Viel war gewachsen, verändert und sich doch gleich geblieben. Er war nicht mehr derselbe. Am Ende des Weges kehrte er um und ging auf der andern Bachseite im Schatten des Westhangs zurück.
Da sah er den roten Ball im Schwemmholz. Er holte ihn sich, es war Goofy im Trainingsanzug darauf und er beschloss, ihn seiner kleinen Nichte mitzubringen. Eine Weile kickte er vor sich hin, dann landete der Ball mitten im Bach. Er zögerte. Seine Nichte hatte alles Spielzeug, sie würde einen kleinen Ball nicht vermissen. Also beschloss er, ihn treiben zu lassen. Er wollte ihm dabei zuschauen und der Versuchung widerstehen Schiedsrichter zu spielen oder gar Schicksal, falls er hängen bliebe. Wie weit würde es der Ball bringen?
Es war interessant. Er hatte nicht gewusst, wie komplex Strömungen sein können. Scheinbar freie Rinnen entwickelten sich durch eine Querdrift zu Abseitsfallen und manche hakelige Situation fand ihren Meister in einer verblüffenden Unterströmung. Manchmal wurde der Ball sogar flussaufwärts zurückgegeben. Selbst Wirbel in Strömungskehlen zeigten sich mit etwas Geduld wandelbar. Allen Wiederholungen zum Trotz brachten geringe Änderungen der Spielzüge letztlich den Durchbruch. Bemerkenswert auch, wie lange der Ball auf der Endwelle einer Stromschnelle surfen konnte: Stillstand bei rasender Fahrt, eine klassische Pose.
Schluss war erst unter der Eisenbahnbrücke, über die er mit Dampfloks zur Schule gefahren war. Die qualvolle dreiviertel Stunde in einer Treibholztasche vor den kleinen Fällen ließ seinen Ethos bröckeln. Ein paar Kieselsteinwürfe später saß der Ball dann endgültig fest in einem Engpass zwischen zwei Granitblöcken.
Er warf ihn zurück. Drei mal. Trotz beträchtlich abweichender Anstoßpositionen war das Ergebnis jedes mal gleich. Der Ball schaffte einfach die Kurven der Strömung nicht und landete immer im Aus. Ein vierter Versuch stürzte ihn dann in die Fälle. Das Prinzip der Nichteinmischung war längst zugunsten einer deutlichen Parteinahme gewichen: umsonst. Der Ball stand hinter einem Schleier stürzenden Wassers, wurde von ihm fest gegen die Brustwehr der Endstufe gepresst. Eine sensationelle Lage, sehenswert, in der Endlosschleife einer Zeitlupe eingefroren...
Schließlich ließ er den Ball dort zurück und machte sich auf den Weg in das stille, verwaiste Haus, in dem er schon seit Jahren nicht mehr lebte. Der Tag verlief ruhig, eine Zeit außer der Zeit, bis er wieder fortgehen und eintauchen würde in seinen Alltag. Er sah noch etwas fern und ging zu Bett.
In der Nacht hatte es geregnet. Am nächsten Morgen war der Bach über die Ufer getreten. Von der Schwemmholzfalle war kein Ast mehr übrig und selbst die gewaltigen Findlinge unter der Brücke waren nur noch an ihren Bugwellen zu erahnen.
Der Ball war unterwegs zum Meer.
Die Sonne kämpfte sich den Fichtenhang herab und schaffte es, die ersten Kringel auf den Bolzplatz zu werfen. Der Bach kurvte durch Streuobstwiesen und Nebel, darüber stand ein Bussard und schrie Kommandos ins Blau.
Alles war wie immer, frisch und kraftvoll.
Er kam ans Tal-Ende. Beim Anblick des Wehrs schweiften die Gedanken zurück, als er mit einem Jungen aus seiner Mannschaft die Bretterkrone und damit den Turbinendruck abgebaut hatte. Der Nachbar war von der Mühle heraufgeschnaubt um ihnen eine Tracht Prügel zu verpassen. Gestern noch hatte er ihn besucht und beim Blick vom Balkon die Leistung der Turbine auf 50 Kilowatt geschätzt. Der Alte hatte nur gelacht. Es gab Rollbraten, Spätzle, Kartoffelsalat, Most, alles selbstgemacht, alles aus eigenem Anbau. Die Küchenmöbel waren dieselben wie vor Jahrzehnten. Dort hatte er an Sonntag-Nachmittagen beim Kartenspiel Taktik gelernt und erste Lebensweisheiten. Dass „dia eschte Gwenner no nia nonz gsei send“ konnte er inzwischen bestätigen.
Viel war gewachsen, verändert und sich doch gleich geblieben. Er war nicht mehr derselbe. Am Ende des Weges kehrte er um und ging auf der andern Bachseite im Schatten des Westhangs zurück.
Da sah er den roten Ball im Schwemmholz. Er holte ihn sich, es war Goofy im Trainingsanzug darauf und er beschloss, ihn seiner kleinen Nichte mitzubringen. Eine Weile kickte er vor sich hin, dann landete der Ball mitten im Bach. Er zögerte. Seine Nichte hatte alles Spielzeug, sie würde einen kleinen Ball nicht vermissen. Also beschloss er, ihn treiben zu lassen. Er wollte ihm dabei zuschauen und der Versuchung widerstehen Schiedsrichter zu spielen oder gar Schicksal, falls er hängen bliebe. Wie weit würde es der Ball bringen?
Es war interessant. Er hatte nicht gewusst, wie komplex Strömungen sein können. Scheinbar freie Rinnen entwickelten sich durch eine Querdrift zu Abseitsfallen und manche hakelige Situation fand ihren Meister in einer verblüffenden Unterströmung. Manchmal wurde der Ball sogar flussaufwärts zurückgegeben. Selbst Wirbel in Strömungskehlen zeigten sich mit etwas Geduld wandelbar. Allen Wiederholungen zum Trotz brachten geringe Änderungen der Spielzüge letztlich den Durchbruch. Bemerkenswert auch, wie lange der Ball auf der Endwelle einer Stromschnelle surfen konnte: Stillstand bei rasender Fahrt, eine klassische Pose.
Schluss war erst unter der Eisenbahnbrücke, über die er mit Dampfloks zur Schule gefahren war. Die qualvolle dreiviertel Stunde in einer Treibholztasche vor den kleinen Fällen ließ seinen Ethos bröckeln. Ein paar Kieselsteinwürfe später saß der Ball dann endgültig fest in einem Engpass zwischen zwei Granitblöcken.
Er warf ihn zurück. Drei mal. Trotz beträchtlich abweichender Anstoßpositionen war das Ergebnis jedes mal gleich. Der Ball schaffte einfach die Kurven der Strömung nicht und landete immer im Aus. Ein vierter Versuch stürzte ihn dann in die Fälle. Das Prinzip der Nichteinmischung war längst zugunsten einer deutlichen Parteinahme gewichen: umsonst. Der Ball stand hinter einem Schleier stürzenden Wassers, wurde von ihm fest gegen die Brustwehr der Endstufe gepresst. Eine sensationelle Lage, sehenswert, in der Endlosschleife einer Zeitlupe eingefroren...
Schließlich ließ er den Ball dort zurück und machte sich auf den Weg in das stille, verwaiste Haus, in dem er schon seit Jahren nicht mehr lebte. Der Tag verlief ruhig, eine Zeit außer der Zeit, bis er wieder fortgehen und eintauchen würde in seinen Alltag. Er sah noch etwas fern und ging zu Bett.
In der Nacht hatte es geregnet. Am nächsten Morgen war der Bach über die Ufer getreten. Von der Schwemmholzfalle war kein Ast mehr übrig und selbst die gewaltigen Findlinge unter der Brücke waren nur noch an ihren Bugwellen zu erahnen.
Der Ball war unterwegs zum Meer.