Wie Kinder ihre Eltern erziehen - Satirische Geschichten
Verfasst: 05.08.2014, 12:16
Vorwort
Ich habe vier davon! Ja, und ich lebe immer noch. Nennen wir sie die Große, die Mittlere, die Kleine und den Jungen. Sie werden sich bestimmt eines Tages wiedererkennen, und andere müssen das ja nicht. Wenn ich eines als Vater gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass man das Kind als Individuum zu respektieren hat. Und zwar mindestens ab dem dritten Monat. Sie glauben zwar, dass der Dreisatz eine olympische Disziplin ist, und dass Aktiva und Passiva etwas mit Sex zu tun hat, aber sie bestehen auf den Respekt, den wir hoffnungslos senile und altmodische Eltern ihnen schulden.
Nun ja, man kann die Mathematikschwäche ja verstehen. Sie meinen ja auch sie seien mit dreizehn schon volljährig, und das Kindergeld decke alle Ausgaben. Mehr noch, eigentlich gehört das ja ihnen. Muss ja auch sein, wenn man immer das neuste Handy braucht. No-Name Schuhe; man muss sich ja schämen in der Schule. Mein Gott, die Eltern verstehen aber auch gar nichts.
Sie bringen nur Vieren und Fünfen mit nach Hause, zitieren aber die entsprechenden Paragraphen des Jugendschutzgesetzes, wenn Sie einmal im gerechten Zorn die Hand heben. (oh, ich vergaß; Paragraf schrieb man ja mit „ph“ bevor die Sprache an den IQ unserer Kinder angepasst wurde).
Auch die Drohung das Handy einzuziehen, weil sie mehr als 10 Stunden im Internet verweilen, wird sofort als üble Nötigung abgeschmettert.
Nur schade, dass man für ein Jurastudium etwas mehr als Numerus clausus 4,5 braucht.
Zumindest haben sie mit dreizehn dann aber schon so viel Lebenserfahrung, dass sie auf die Erfahrungen anderer nicht zurückgreifen müssen.
Als Elternteil erziehen Sie auch nicht mehr. Nein, Sie machen Stress und streiten. Ihr Argument, dass Kinder auf dem Schulhof streiten, Eltern und Lehrer aber zurechtweisen, geht dann meist schon ins Leere, weil Ihr Thronfolger sie schon hat stehen lassen.
Es ist eine Patchworkfamilie der ich so viel verdanke. Ohne meine Kinder hätte ich nie gelernt, wie unzulänglich meine Wertvorstellungen sind, und wie wenig lebensfähig ich war, bevor sie mir die Gnade ihrer Erziehung zuteilwerden ließen.
Die nachfolgenden Geschichten sind die reine Wahrheit. Sie glauben es nicht? Dann schaffen Sie sich mal selbst vier Kinder an. Das ist zwar Gift für Nerven und Kreislauf aber gut für die Rente.
Die Zehn Gebote
Das ist schon eine praktische Sache. Die Kleine ist ja erst neun und die kann man damit noch unter Druck setzen. Der Junge ist darin Spezialist. Sie will nicht das tun, was er sagt? Werden wir doch mal sehen. Wussten Sie, dass eines der Zehn Gebote sagt „Du sollst Deinen großen Bruder bedienen“? Sehen Sie, auch Sie bedürfen noch der Erziehung. Dass er sich selbst gegen mindestens drei Gebote versündigt hat, zählt nicht. Vater und Mutter ehren, nicht stehlen und nicht lügen; hallo …? Wie 60er Jahre ist das denn? Außerdem sollen die Menschen ja auch nicht das tun, was er tut, sondern das, was er sagt. Und wenn sich die Kleine nicht manipulieren lässt, dann kriegt sie halt eine Ohrfeige. Das Jugendschutzgesetz gilt ja nur für Erwachsene. Und außerdem ist er mit dreizehn ja noch gar nicht strafmündig.
Aber am Allerschlimmsten ist ja, dass sogar die Lehrer ihn nicht respektieren. Die verlangen doch glatt, dass man im Unterricht sitzen bleibt, die Klappe hält, nicht die Mitschüler disst (von engl. disrespect, discriminate oder discredit abgeleitetes Verb; Abkürzung für Diskreditieren oder Diskriminieren), und sein Blätterwerk in Ordnung hält. „Am Ende soll ich wohl auch noch lernen?“ OMG (Geheimsprache für: „Oh My God“) womit haben die mich verdient.
Und so kam es auch, dass ich zur Klassenkonferenz geladen wurde, um mich in Sachen gründliches Versagen in der Erziehung zu rechtfertigen. Natürlich musste es meine Schuld sein, dass der Junge sich schlecht verhielt, und wenn er dann der Klasse verwiesen wurde, noch „blöde Lehrer“ murmelte. Zuerst wies man aber noch darauf hin, dass ich ja eigentlich gar nicht erziehungsberechtigt bin, man aber mal eine Ausnahme mache. Cleverer Schachzug dies vor einem renitenten Schüler zu erwähnen. Danke für die Stärkung meiner Position. Aber man muss es den Lehrern nachsehen, denn sicher haben sie keine Kinder und somit auch keine gründliche Erziehung. Sie glauben sich noch immer als Respektsperson. Die Armen!
Nun, ich parkte also auf dem Schulparkplatz und begab mich zu Fuß zum Haupteingang. Auf den 150 Metern dorthin strömte mir die hoffnungsträchtige Jugend entgegen. All diese Lieben, die einmal Deutschlands Ruf als Land der Dichter und Denker hochhalten werden, und für unsere Rente sorgen. Nachdem ich mich zweimal vor jeweils in Dreiergruppen nebeneinander gehenden Zwölfjährigen mit schwerem Abendmakeup auf die Straße geflüchtet hatte kam in mir aufmüpfiger Trotz auf. Ich würde auf dem Gehsteig bleiben! Die nächste Gruppe rammte mir ihre Designerschultasche gegen die Brust und ging mit einem gänsehaften Gegackere weiter. Nun war mir auch klar, warum diese Designertaschen zweieinhalb Kindergelder kosten. Sie sind extrem gut gearbeitet und nahkampfgeeignet. Die nächste Gruppe sah mich schon von weitem strafend an und rempelte sich dann mit einem „Ey Alder“ an mir vorbei. Die dritte Gruppe bestand aus mindestens Vierzehnjährigen, denn sie sahen aus wie 24, und ich wich einem Bodycheck auf die Straße aus. Ich hatte sowieso schon eine leichte Thoraxprellung. Dort wurde ich fast von einem Schüler auf einem Fahrrad getötet, der mir dann noch ein „Du Opfer“ nachrief.
Nun also saß ich mit meinen 188 cm und 112 Kg Kampfgewicht auf einem Schülerstühlchen und lauschte dem Vortrag wegen des fehlenden Respekts meines Jungen. Nach der Anhörung wurden wir vor die Tür geschickt und das Gremium zog sich zur Beratung zurück.
Nach nur einer Viertelstunde wurden die Sanktionen verkündet. Der Junge bekam zwei Tage Ausschluss vom Unterricht. Mein Unterkiefer fiel herab. Zu meiner Zeit brauchte man dafür noch eine Entschuldigung. OMG welch eine Strafe! Dann musste er die Papierkörbe leeren und nach jeder Stunde ein Smiley in das Heft eintragen lassen. Aber das war noch nicht alles. Das Kollegium holte aus zum ultimativen Schlag der immer dann erfolgt, wenn die Pädagogik und die Pädagogen versagen. Die Spannung stieg ins Unerträgliche und die Lehrerin sagte: „Sie sollten mal mit einem Psychotherapeuten sprechen“.
Aber er besserte sich. Es vergingen endlose vier Tage, bis er die Lehrer wieder mit mangelndem Respekt für ihre unverschämten Forderungen bestrafte. Aber er schien auch Großmut gelernt zu haben, denn am Ende der Stunde bot er dem Lehrer die Chance seinen Fehler ohne Gesichtsverlust wieder gut zu machen. Er sagte: „Warum müssen wir denn streiten? Man sieht es Ihnen doch an, dass Sie private Probleme haben und deshalb so sauer sind“. Dass der Lehrer diese Geste als Impertinenz empfand, werde ich nie verstehen. Das war doch ein pädagogisches Meisterstück. Nun ja, als ich dazu Stellung nehmen musste, fragte man mich prompt, ob ich einen Termin mit dem Therapeuten gemacht hatte. Kleinlaut gab ich zu, dass ich mir nicht sicher war, ob ich den Termin für den Lehrer oder für mich hätte machen sollen.
Eltern raus!
„Liebe Eltern,
es geschah, dass sich Eltern herausnahmen Kinder die nicht die ihren waren, auf dem Schulhof zurechtzuweisen. Sicher werden Sie verstehen, dass wir als Schule uns dieses Recht vorbehalten wollen.
Mit sofortiger Wirkung bitten wir alle Eltern den Schulhof nicht mehr zu betreten und ihre Kinder am Tor abzugeben“.
Dies ist der Originaltext eines Rundschreibens einer Grundschule in Hessen. De facto und de jure erteilte man allen Eltern pauschal Hausverbot. Als obrigkeitshöriger Bürger brachte ich meinen Jungen, der einen Vorschulkurs in Deutsch besuchte, zum Tor um ihn „abzugeben“. Allein, da war niemand. Diese Eltern kommen ja auch immer während des Frühstückskaffees. Unverschämtheit.
Da mein zu dieser Zeit 6 jähriger intelligenter Weise im dritten Stock Unterricht hatte, und die Viertklässler im zweiten Stock tobten, musste der Junge beim Betreten und Verlassen an einem Stockwerk vorbei, wo Darwins Gesetze des Stärkeren galten. Konsequenterweise hatte ich Angst um sein Leben. Auch die Große, damals neun Jahre alt, wäre schon beinahe mehrmals die Treppe hinunter gestoßen worden. Da die hoffnungsvollen Jungen ohne Rücksicht auf Verluste jeden beiseite stießen der im Weg war, schien meine Angst berechtigt. Aufsichtspersonen waren nicht zu sehen, auch nicht in der großen Pause, obwohl ihre angeregte Unterhaltung und das Klappern von Kaffeetassen wohl zu hören war. Also brach ich das Gesetz und beging Hausfriedensbruch, indem ich meine Kinder zum Klassensaal brachte. Vor den Grundschulhooligans schützte ich sie durch puren Körpereinsatz. Das hatte ich aus dem Film „Bodyguard“ gelernt. Danke Kevin Costner! Zurechtzuweisen traute ich mich allerdings nicht.
Irgendwie wunderte mich diese Haltung der Schule auch nicht. Ich erinnere mich an die Eignungsprüfung. Der Junge war gerade mal 3 Monate in Deutschland und sprach natürlich kaum Deutsch. Nach einem schwierigen Interview schaute mich der Direktor mit großen Augen an und sagte mit vorwurfsvoller Stimme: „Der kennt ja noch nicht einmal die Farben“. Meine Antwort war, dass er wohl die Farben kenne, man müsse ihn nur in Spanisch fragen. Daraufhin erklärte der Direktor, dass er kein Spanisch könne. Ich sagte daraufhin mit vorwurfsvollem Unterton: „Dann kennen Sie ja noch nicht einmal die Farben“.
Den Rest der Prüfung führte dann die Stellvertreterin durch. Sie meinte, der Junge habe noch erhebliche Defizite im Erkennen von geometrischen Formen. Ich sagte ihr dann, dass ich ihn noch nicht zum Abitur anmelden wolle, sondern zur Grundschule, und dass ich guter Hoffnung war, dass der Lehrkörper ihm Geometrie in der dritten Klasse vermitteln werde.
Dann nach einer Woche antwortete ich auf den Hausverbotsbrief. Ich gestand, dass ich ständig den Hausfrieden breche. Ich brachte zum Ausdruck, dass ich die Zivilcourrage bewundere; und zwar die der Eltern, die ihre Stimme gegen die Hooligans erhoben. Ich teilte meine Meinung mit, dass das Verhalten der Schule das Signal setzte, dass Jugendlichen einen Ausländer ins Koma prügeln können, und die Erwachsenen dabei stehen und nichts tun sollten (sind ja nicht ihre Kinder).
Ich skizzierte alle Missstände und verwies auf den Pargraf(ph)en 13 des Strafgesetzbuches. Dieser sagt:
Begehen durch Unterlassen
Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
Das heißt, ein Lehrer hat aufzupassen, dass nichts passiert, und tut er das nicht, wird er so bestraft als hätte er die Tat selbst begangen.
Wenn man sich Rechte vorbehält, muss man auch die Pflichten tragen. Sollte meinen Kindern etwas passieren, würde das ein Fall für die Staatsanwaltschaft sein.
Das Resultat meiner Aufmüpfigkeit war dann ein Besuch des Jugendamtes aufgrund einer Anzeige durch die Schule. Dann zogen wir um.
Du verstehst das eben nicht…
Ich hatte immer gedacht, dass ich in meiner Jugend ein Spezialist für plausible Ausreden war. Ein Waisenknabe war ich verglichen mit der Großen. „Meine Freundin (14) hat mich angerufen. Kann ich ihr eine Binde in die Shisha Bar bringen?“ Wow, darauf muss man erst mal kommen, abends um halb zehn.
Der ultimative Wahrheitsbeweis einer Ausrede ist immer: „Du kannst ja (…) fragen“. Dabei ist die Person austauschbar. Meinen Bruder, die Kleine, meine Freundin. Ganz egal, solange diese nur vorher instruiert wurden. Zugegeben, das habe ich früher auch schon erfolglos ausprobiert. Unverständlich eigentlich. Wenn ich doch einen Zeugen habe, und die Eltern haben nichts außer meiner jahrelangen Lügenkarriere und meinen offensichtlich unwahren Ausreden, wieso glauben sie mir dann nicht? Aber was soll‘s, ich habe ja eine Zeugenaussage angeboten, und wenn die Alten die Wahrheit nicht wissen wollen, kann ich mich entspannt zurücklehnen. Das ist dann nicht mehr mein Problem.
„Warum darf die Große das, und ich nicht? (die Kleine)“ „Warum darf die Kleine das, und ich nicht? (die Große)“ „Warum hast Du Geld um Essen zu kaufen, aber wir können nicht jeder ein iPod haben? (alle vier)“ „Warum soll ich immer alles gewesen sein? (der Junge)“
„Wenn ich lerne, wird alles nur schlimmer!“ Ich habe ja gehört, dass es Menschen geben soll, die durch Lernen nichts dazugewinnen. Aber dass das Lernen Wissen vernichtet, das ist schon eine schwerwiegende Theorie. Wenn man den Gedanken weiterspinnt, dann würde man ja die Zukunft der Kinder gefährden, wenn man sie zum Lernen anhält. Ja, es wäre geradezu ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht in der Erziehung. Auf solche fundierte, psychologisch wohl durchdachte Argumente kann nur ein Superhirn kommen. Ich sollte stolz sein, dass meine Kinder zu solch komplexen Gedankengängen fähig sind.
Und das Allerschönste ist, dass sich dann alle vier einig sind, was sonst niemals vorkommt. Gute Argumente fördern eben den Teamgeist.
Ich habe vier davon! Ja, und ich lebe immer noch. Nennen wir sie die Große, die Mittlere, die Kleine und den Jungen. Sie werden sich bestimmt eines Tages wiedererkennen, und andere müssen das ja nicht. Wenn ich eines als Vater gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass man das Kind als Individuum zu respektieren hat. Und zwar mindestens ab dem dritten Monat. Sie glauben zwar, dass der Dreisatz eine olympische Disziplin ist, und dass Aktiva und Passiva etwas mit Sex zu tun hat, aber sie bestehen auf den Respekt, den wir hoffnungslos senile und altmodische Eltern ihnen schulden.
Nun ja, man kann die Mathematikschwäche ja verstehen. Sie meinen ja auch sie seien mit dreizehn schon volljährig, und das Kindergeld decke alle Ausgaben. Mehr noch, eigentlich gehört das ja ihnen. Muss ja auch sein, wenn man immer das neuste Handy braucht. No-Name Schuhe; man muss sich ja schämen in der Schule. Mein Gott, die Eltern verstehen aber auch gar nichts.
Sie bringen nur Vieren und Fünfen mit nach Hause, zitieren aber die entsprechenden Paragraphen des Jugendschutzgesetzes, wenn Sie einmal im gerechten Zorn die Hand heben. (oh, ich vergaß; Paragraf schrieb man ja mit „ph“ bevor die Sprache an den IQ unserer Kinder angepasst wurde).
Auch die Drohung das Handy einzuziehen, weil sie mehr als 10 Stunden im Internet verweilen, wird sofort als üble Nötigung abgeschmettert.
Nur schade, dass man für ein Jurastudium etwas mehr als Numerus clausus 4,5 braucht.
Zumindest haben sie mit dreizehn dann aber schon so viel Lebenserfahrung, dass sie auf die Erfahrungen anderer nicht zurückgreifen müssen.
Als Elternteil erziehen Sie auch nicht mehr. Nein, Sie machen Stress und streiten. Ihr Argument, dass Kinder auf dem Schulhof streiten, Eltern und Lehrer aber zurechtweisen, geht dann meist schon ins Leere, weil Ihr Thronfolger sie schon hat stehen lassen.
Es ist eine Patchworkfamilie der ich so viel verdanke. Ohne meine Kinder hätte ich nie gelernt, wie unzulänglich meine Wertvorstellungen sind, und wie wenig lebensfähig ich war, bevor sie mir die Gnade ihrer Erziehung zuteilwerden ließen.
Die nachfolgenden Geschichten sind die reine Wahrheit. Sie glauben es nicht? Dann schaffen Sie sich mal selbst vier Kinder an. Das ist zwar Gift für Nerven und Kreislauf aber gut für die Rente.
Die Zehn Gebote
Das ist schon eine praktische Sache. Die Kleine ist ja erst neun und die kann man damit noch unter Druck setzen. Der Junge ist darin Spezialist. Sie will nicht das tun, was er sagt? Werden wir doch mal sehen. Wussten Sie, dass eines der Zehn Gebote sagt „Du sollst Deinen großen Bruder bedienen“? Sehen Sie, auch Sie bedürfen noch der Erziehung. Dass er sich selbst gegen mindestens drei Gebote versündigt hat, zählt nicht. Vater und Mutter ehren, nicht stehlen und nicht lügen; hallo …? Wie 60er Jahre ist das denn? Außerdem sollen die Menschen ja auch nicht das tun, was er tut, sondern das, was er sagt. Und wenn sich die Kleine nicht manipulieren lässt, dann kriegt sie halt eine Ohrfeige. Das Jugendschutzgesetz gilt ja nur für Erwachsene. Und außerdem ist er mit dreizehn ja noch gar nicht strafmündig.
Aber am Allerschlimmsten ist ja, dass sogar die Lehrer ihn nicht respektieren. Die verlangen doch glatt, dass man im Unterricht sitzen bleibt, die Klappe hält, nicht die Mitschüler disst (von engl. disrespect, discriminate oder discredit abgeleitetes Verb; Abkürzung für Diskreditieren oder Diskriminieren), und sein Blätterwerk in Ordnung hält. „Am Ende soll ich wohl auch noch lernen?“ OMG (Geheimsprache für: „Oh My God“) womit haben die mich verdient.
Und so kam es auch, dass ich zur Klassenkonferenz geladen wurde, um mich in Sachen gründliches Versagen in der Erziehung zu rechtfertigen. Natürlich musste es meine Schuld sein, dass der Junge sich schlecht verhielt, und wenn er dann der Klasse verwiesen wurde, noch „blöde Lehrer“ murmelte. Zuerst wies man aber noch darauf hin, dass ich ja eigentlich gar nicht erziehungsberechtigt bin, man aber mal eine Ausnahme mache. Cleverer Schachzug dies vor einem renitenten Schüler zu erwähnen. Danke für die Stärkung meiner Position. Aber man muss es den Lehrern nachsehen, denn sicher haben sie keine Kinder und somit auch keine gründliche Erziehung. Sie glauben sich noch immer als Respektsperson. Die Armen!
Nun, ich parkte also auf dem Schulparkplatz und begab mich zu Fuß zum Haupteingang. Auf den 150 Metern dorthin strömte mir die hoffnungsträchtige Jugend entgegen. All diese Lieben, die einmal Deutschlands Ruf als Land der Dichter und Denker hochhalten werden, und für unsere Rente sorgen. Nachdem ich mich zweimal vor jeweils in Dreiergruppen nebeneinander gehenden Zwölfjährigen mit schwerem Abendmakeup auf die Straße geflüchtet hatte kam in mir aufmüpfiger Trotz auf. Ich würde auf dem Gehsteig bleiben! Die nächste Gruppe rammte mir ihre Designerschultasche gegen die Brust und ging mit einem gänsehaften Gegackere weiter. Nun war mir auch klar, warum diese Designertaschen zweieinhalb Kindergelder kosten. Sie sind extrem gut gearbeitet und nahkampfgeeignet. Die nächste Gruppe sah mich schon von weitem strafend an und rempelte sich dann mit einem „Ey Alder“ an mir vorbei. Die dritte Gruppe bestand aus mindestens Vierzehnjährigen, denn sie sahen aus wie 24, und ich wich einem Bodycheck auf die Straße aus. Ich hatte sowieso schon eine leichte Thoraxprellung. Dort wurde ich fast von einem Schüler auf einem Fahrrad getötet, der mir dann noch ein „Du Opfer“ nachrief.
Nun also saß ich mit meinen 188 cm und 112 Kg Kampfgewicht auf einem Schülerstühlchen und lauschte dem Vortrag wegen des fehlenden Respekts meines Jungen. Nach der Anhörung wurden wir vor die Tür geschickt und das Gremium zog sich zur Beratung zurück.
Nach nur einer Viertelstunde wurden die Sanktionen verkündet. Der Junge bekam zwei Tage Ausschluss vom Unterricht. Mein Unterkiefer fiel herab. Zu meiner Zeit brauchte man dafür noch eine Entschuldigung. OMG welch eine Strafe! Dann musste er die Papierkörbe leeren und nach jeder Stunde ein Smiley in das Heft eintragen lassen. Aber das war noch nicht alles. Das Kollegium holte aus zum ultimativen Schlag der immer dann erfolgt, wenn die Pädagogik und die Pädagogen versagen. Die Spannung stieg ins Unerträgliche und die Lehrerin sagte: „Sie sollten mal mit einem Psychotherapeuten sprechen“.
Aber er besserte sich. Es vergingen endlose vier Tage, bis er die Lehrer wieder mit mangelndem Respekt für ihre unverschämten Forderungen bestrafte. Aber er schien auch Großmut gelernt zu haben, denn am Ende der Stunde bot er dem Lehrer die Chance seinen Fehler ohne Gesichtsverlust wieder gut zu machen. Er sagte: „Warum müssen wir denn streiten? Man sieht es Ihnen doch an, dass Sie private Probleme haben und deshalb so sauer sind“. Dass der Lehrer diese Geste als Impertinenz empfand, werde ich nie verstehen. Das war doch ein pädagogisches Meisterstück. Nun ja, als ich dazu Stellung nehmen musste, fragte man mich prompt, ob ich einen Termin mit dem Therapeuten gemacht hatte. Kleinlaut gab ich zu, dass ich mir nicht sicher war, ob ich den Termin für den Lehrer oder für mich hätte machen sollen.
Eltern raus!
„Liebe Eltern,
es geschah, dass sich Eltern herausnahmen Kinder die nicht die ihren waren, auf dem Schulhof zurechtzuweisen. Sicher werden Sie verstehen, dass wir als Schule uns dieses Recht vorbehalten wollen.
Mit sofortiger Wirkung bitten wir alle Eltern den Schulhof nicht mehr zu betreten und ihre Kinder am Tor abzugeben“.
Dies ist der Originaltext eines Rundschreibens einer Grundschule in Hessen. De facto und de jure erteilte man allen Eltern pauschal Hausverbot. Als obrigkeitshöriger Bürger brachte ich meinen Jungen, der einen Vorschulkurs in Deutsch besuchte, zum Tor um ihn „abzugeben“. Allein, da war niemand. Diese Eltern kommen ja auch immer während des Frühstückskaffees. Unverschämtheit.
Da mein zu dieser Zeit 6 jähriger intelligenter Weise im dritten Stock Unterricht hatte, und die Viertklässler im zweiten Stock tobten, musste der Junge beim Betreten und Verlassen an einem Stockwerk vorbei, wo Darwins Gesetze des Stärkeren galten. Konsequenterweise hatte ich Angst um sein Leben. Auch die Große, damals neun Jahre alt, wäre schon beinahe mehrmals die Treppe hinunter gestoßen worden. Da die hoffnungsvollen Jungen ohne Rücksicht auf Verluste jeden beiseite stießen der im Weg war, schien meine Angst berechtigt. Aufsichtspersonen waren nicht zu sehen, auch nicht in der großen Pause, obwohl ihre angeregte Unterhaltung und das Klappern von Kaffeetassen wohl zu hören war. Also brach ich das Gesetz und beging Hausfriedensbruch, indem ich meine Kinder zum Klassensaal brachte. Vor den Grundschulhooligans schützte ich sie durch puren Körpereinsatz. Das hatte ich aus dem Film „Bodyguard“ gelernt. Danke Kevin Costner! Zurechtzuweisen traute ich mich allerdings nicht.
Irgendwie wunderte mich diese Haltung der Schule auch nicht. Ich erinnere mich an die Eignungsprüfung. Der Junge war gerade mal 3 Monate in Deutschland und sprach natürlich kaum Deutsch. Nach einem schwierigen Interview schaute mich der Direktor mit großen Augen an und sagte mit vorwurfsvoller Stimme: „Der kennt ja noch nicht einmal die Farben“. Meine Antwort war, dass er wohl die Farben kenne, man müsse ihn nur in Spanisch fragen. Daraufhin erklärte der Direktor, dass er kein Spanisch könne. Ich sagte daraufhin mit vorwurfsvollem Unterton: „Dann kennen Sie ja noch nicht einmal die Farben“.
Den Rest der Prüfung führte dann die Stellvertreterin durch. Sie meinte, der Junge habe noch erhebliche Defizite im Erkennen von geometrischen Formen. Ich sagte ihr dann, dass ich ihn noch nicht zum Abitur anmelden wolle, sondern zur Grundschule, und dass ich guter Hoffnung war, dass der Lehrkörper ihm Geometrie in der dritten Klasse vermitteln werde.
Dann nach einer Woche antwortete ich auf den Hausverbotsbrief. Ich gestand, dass ich ständig den Hausfrieden breche. Ich brachte zum Ausdruck, dass ich die Zivilcourrage bewundere; und zwar die der Eltern, die ihre Stimme gegen die Hooligans erhoben. Ich teilte meine Meinung mit, dass das Verhalten der Schule das Signal setzte, dass Jugendlichen einen Ausländer ins Koma prügeln können, und die Erwachsenen dabei stehen und nichts tun sollten (sind ja nicht ihre Kinder).
Ich skizzierte alle Missstände und verwies auf den Pargraf(ph)en 13 des Strafgesetzbuches. Dieser sagt:
Begehen durch Unterlassen
Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
Das heißt, ein Lehrer hat aufzupassen, dass nichts passiert, und tut er das nicht, wird er so bestraft als hätte er die Tat selbst begangen.
Wenn man sich Rechte vorbehält, muss man auch die Pflichten tragen. Sollte meinen Kindern etwas passieren, würde das ein Fall für die Staatsanwaltschaft sein.
Das Resultat meiner Aufmüpfigkeit war dann ein Besuch des Jugendamtes aufgrund einer Anzeige durch die Schule. Dann zogen wir um.
Du verstehst das eben nicht…
Ich hatte immer gedacht, dass ich in meiner Jugend ein Spezialist für plausible Ausreden war. Ein Waisenknabe war ich verglichen mit der Großen. „Meine Freundin (14) hat mich angerufen. Kann ich ihr eine Binde in die Shisha Bar bringen?“ Wow, darauf muss man erst mal kommen, abends um halb zehn.
Der ultimative Wahrheitsbeweis einer Ausrede ist immer: „Du kannst ja (…) fragen“. Dabei ist die Person austauschbar. Meinen Bruder, die Kleine, meine Freundin. Ganz egal, solange diese nur vorher instruiert wurden. Zugegeben, das habe ich früher auch schon erfolglos ausprobiert. Unverständlich eigentlich. Wenn ich doch einen Zeugen habe, und die Eltern haben nichts außer meiner jahrelangen Lügenkarriere und meinen offensichtlich unwahren Ausreden, wieso glauben sie mir dann nicht? Aber was soll‘s, ich habe ja eine Zeugenaussage angeboten, und wenn die Alten die Wahrheit nicht wissen wollen, kann ich mich entspannt zurücklehnen. Das ist dann nicht mehr mein Problem.
„Warum darf die Große das, und ich nicht? (die Kleine)“ „Warum darf die Kleine das, und ich nicht? (die Große)“ „Warum hast Du Geld um Essen zu kaufen, aber wir können nicht jeder ein iPod haben? (alle vier)“ „Warum soll ich immer alles gewesen sein? (der Junge)“
„Wenn ich lerne, wird alles nur schlimmer!“ Ich habe ja gehört, dass es Menschen geben soll, die durch Lernen nichts dazugewinnen. Aber dass das Lernen Wissen vernichtet, das ist schon eine schwerwiegende Theorie. Wenn man den Gedanken weiterspinnt, dann würde man ja die Zukunft der Kinder gefährden, wenn man sie zum Lernen anhält. Ja, es wäre geradezu ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht in der Erziehung. Auf solche fundierte, psychologisch wohl durchdachte Argumente kann nur ein Superhirn kommen. Ich sollte stolz sein, dass meine Kinder zu solch komplexen Gedankengängen fähig sind.
Und das Allerschönste ist, dass sich dann alle vier einig sind, was sonst niemals vorkommt. Gute Argumente fördern eben den Teamgeist.