Gedanken eines Mörders

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 06.04.2016, 13:32

Gedanken eines Mörders / anlässlich eines Krimidinners in Schleswig 2016

Ich bin ein Mörder! Ja, Sie haben richtig gehört. Ich bringe Leute um, gegen Bezahlung, das versteht sich. Skrupel kenne ich nicht, man kann mich buchen, gegen Vorauskasse natürlich. Ich arbeite diskret und erfolgsorientiert. Zwar kann ich keine Anzeigen in den Printmedien schalten, auch Werbung im Internet ist für meine Tätigkeit als bezahlter Killer nicht möglich. Aber es gibt in meinem Job eine hervorragende Möglichkeit Kunden zu gewinnen, das ist die Mundpropaganda. Gute Arbeit spricht sich schnell herum, meine Klientel kommt aus den unterschiedlichsten Kreisen der Bevölkerung. Wirtschaftsbosse, Politiker, betrogene Ehefrauen, kurz, ich bin ein Problemlöser in allen Bereichen des Lebens.

Mein Dasein ist, abgesehen von meinem Beruf, vollkommen unspektakulär. Ich lebe in Schleswig, einer Kleinstadt im Norden der Republik, in einem schmucken, mit Reet gedeckten Haus, direkt an der Schlei. Meine Nachbarn laden mich im Sommer manchmal zum Grillen ein, wenn die wüssten, mit wem sie Steaks und Bier und Schnaps teilen.Ich habe meine Stammkneipe und bin im örtlichen Schützenverein. Schießtraining ist in meinem Beruf immer gut, das versteht sich von selbst. Ich habe ein Abo im Landestheater und liebe die Königsdramen von Shakespeare, weil da so schön gemordet wird. Ich gehe auch regelmäßig ins Fitness-Center. Ein gut trainierter Körper ist für mich die beste Lebensversicherung.

Beruflich habe ich natürlich meinen Preis. Das geflügelte Wort „umsonst ist der Tod“ gilt bei mir nicht. Trotz jahrelanger Erfahrung bleibt in meinem Job immer ein gewisses Restrisiko bestehen. Manche Aufträge muss ich aus ethischen Gründen ablehnen, zum Beispiel die Tötung von Kindern, schließlich ist man ja Mensch. Ansonsten kenne ich keine Skrupel, das wäre schlecht für meine Konzentration bei der Arbeit.

Bei der Erledigung meiner Aufträge bediene ich mich gerne einer Schusswaffe, abgesehen von ein paar Blutspritzern eine „saubere“ Angelegenheit. Aber auch Gift, Messer und Sprengstoff sind in meinem Beruf wunderbare Problemlöser.

Halten Sie mich für verrückt? Ich kann es Ihnen nicht verdenken. Sie meinen, ein Mensch mit meiner Vita kann nicht richtig ticken? Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube, es macht mir Spaß zu töten. Es ist wie eine Sucht, andere nehmen Haschisch und Koks, meine Sucht heißt Mord. Die Angst in den Augen meiner Opfer knapp vor ihrem Ende, ihr zittern, manchmal ihre Schreie, das ist es, was mich antörnt.

Ich bin kein verrohter Mensch, könnte keinem Tier etwas zuleide tun. Ich heule regelmäßig vor dem Fernseher, wenn ein kitschiger Liebesfilm läuft, „Love Story“ zum Beispiel, oder „Doktor Schiwago“. Den Krimis im Fernsehen kann ich nichts abgewinnen, es ist schon sehr abstrus, was sich Drehbuchautoren alles einfallen lassen. Und wenn dann noch ein unverständlich nuschelnder Schauspieler wie Till Schweiger als Tatort-Kommissar durch das Bild läuft, nein Danke. Ich liebe klassische Musik, bevorzugt jene der Romantik, Schubert und Chopin. Aber trotzdem, ich bin ein Mörder!

Keine Angst, heute bin ich vollkommen privat hier, ohne Mordauftrag. Also keine Panik, Leute. Außer, Sie haben ein Problem, das vielleicht sogar neben Ihnen am Tisch sitzt. Dann können Sie mich gerne zwischen den einzelnen Gängen ansprechen. Aber machen Sie es unauffällig, was wir ausbrüten muss nicht der ganze Saal mitbekommen.

Gestern war ich noch in Rom, traumhaftes Wetter und nach getaner Arbeit ein Cappucino in der Nähe des Colloseums, Mörderherz, was willst du mehr. Der heutige Tag dient der Entspannung, da passt dieses Krimidinner wie die Faust aufs Auge. Ich freue mich schon auf die Storys der Krimiautoren, die in langen, dunklen Nächten ihre Morde zu Papier gebracht haben. Da ist sicher manche Anregung für mich dabei. Ab Morgen bin ich wieder im Dienst. Diesmal in Selk, im Nahbereich der Stadt, dort wo die Schönen und Reichen zuhause sind. Das ist sozusagen ein Heimspiel für mich. Natürlich kann ich nicht verraten, wem ich morgen einen Besuch abstatten werde. Das können Sie in den nächsten Tagen der örtlichen Presse entnehmen. An Kandidaten mangelt es ja nicht, Politiker, Kulturbeauftragte und viele andere, deren Verschwinden nur zum Wohle der Stadt beitragen würde. Jeder einzelne von ihnen eine lohnende Aufgabe. Wie sie in dieser Stadt an ihren Sesseln kleben, Steuergelder verschwenden, Kultur vernichten, da würde ich bei manchem Auftrag sogar auf mein Honorar verzichten.

Fragen Sie mich nicht, wie man zum Killer wird. Es ist, so wie auch bei Priestern und Künstlern, einfach Berufung. Schwierig ist nur der erste Mord, hat man den mal erfolgreich hinter sich gebracht, ist jeder weitere nur mehr, wie sagt man so schön, „tödliche Routine“.

Aber natürlich ist Erfüllung im Beruf nicht alles im Leben. Auch die Nächte eines Mörders können kalt und einsam sein, was gäbe es da schöneres, als eine liebende und zärtliche Frau an seiner Seite zu haben. Natürlich müsste sie Verständnis für meine Arbeit aufbringen, aber das würde viele Frauen überfordern. Obwohl, einige haben in ihrer Seele eine dunkle Kammer, wenn man die öffnet blickt man in einen Abgrund aus Schmerz, Wollust und Leidenschaft.

Ich habe vor einigen Jahren die Erinnerungen eines Scharfrichters gelesen, der Ende des 19. Jahrhunderts in Wien lebte. Dieser vom Staat bezahlte Tötungsbeamte traf sich mit einer Dame aus höchsten Kreisen zu einem Schäferstündchen im Sépareé eines noblen Etablissements. Sie empfand die Vorfreude, bald mit einem Scharfrichter zu schlafen als sehr prickelnd und erregend. Nach dem reichlichen Genuss von Austern und Champagner wollten beide endlich „zur Sache“ kommen. Als diese vornehme Dame allerdings den Wunsch in sein Ohr flüsterte, er möge doch während des Liebesspiels eine Serviette wie einen Strick um ihren Hals legen und langsam zuziehen dabei, da war es mit der Lust des Henkers vorbei und wutentbrannt verließ er das Etablissement. Nicht, ohne dieser Dame noch zuzurufen: „Ich bin ja nicht pervers!“ So viel zu mancher weiblicher Seele.

Haben Sie keine Angst, meine Damen, auch ich bin nicht pervers. Eher ein Gentleman der alten Schule. Einfühlsam, charmant, zärtlich, kurz alles, was Frau sich von einem Mann wünschen kann. Und wenn Sie noch in einer Beziehung stecken oder verheiratet sind, alles kein Problem, bei meiner Profession.

Manche von Ihnen werden sich nun möglicherweise fragen, kann man morden lernen? Mit Sicherheit, bleibt nur die Frage, wie soll das gehen? Drei Jahre Ausbildung bei einem Profikiller mit Abschlussprüfung und Zertifikat? Ein Abendkurs in der Volkshochschule mit dem Thema „Morden leicht gemacht“? Beides wird nicht angeboten, also vergessen Sie es.

Das Einzige, was ich Ihnen empfehlen könnte, wäre „Learning by Doing“. Und ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen, je früher Sie damit anfangen, um so besser.
Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet. (Karl Kraus)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.04.2016, 13:57

Hallo Franz,

vorab eine Frage: was hat dich zu diesem Text inspiriert?

Liebe Grüße
Mucki

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 06.04.2016, 14:09

Hallo Gabi,

zwei mal im Jahr lesen vier Autoren im Hotel-Restaurant "Alter Kreisbahnhof" in Schleswig im Rahmen eines Krimidinners speziell für diesen Abend geschriebene Texte. Nachdem ich in den letzten Jahren immer "normale" Krimistorys zum Gelingen des Abends beigesteuert habe, wollte ich diesmal etwas neues probieren. Der Text kam gut an, keinem der Gäste blieb das köstliche 4-Gänge-Menü im Halse stecken.

Liebe Grüße
Cicero, der Franz
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.04.2016, 16:39

Hallo Franz,

so etwas Ähnliches dachte ich mir. Ich hatte einen Schreibwettbewerb im Auge, welcher unter dem Motto "Gedanken eines Mörders" lief. ,-)

Einzig diesen Passus
Cicero hat geschrieben:Ich heule regelmäßig vor dem Fernseher, wenn ein kitschiger Liebesfilm läuft, „Love Story“ zum Beispiel, oder „Doktor Schiwago“.

halte ich für übertrieben, würde ich streichen.

Ansonsten liest es sich ganz sachlich, wie eine ganz normale Berufsvorstellung, wobei du das Wort "Mörder" immer wieder lässig einfließen lässt, ob als Substantiv oder als Adjektiv.

Ich hab mich gefragt, ob man diesen Text auch so schreiben könnte, dass er wirklich Gänsehaut erzeugt. Wäre vielleicht ein interessanter Versuch.

Liebe Grüße
Mucki

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 06.04.2016, 17:41

Hallo Gabi,

den Versuch mit der "Gänsehaut" habe ich mir jetzt ganz fest vorgenommen, Danke für den Tipp. Allerdings habe ich im Moment mit der Organisation der Literaturtage 2016 am 22. und 23. April in Lübeck zu tun. Aber danach ...

Ich hoffe, mir kommt kein Mord dazwischen. ;o)

Liebe Grüße
Cicero, der Franz
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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 06.04.2016, 17:51

Hallo Cicero,
der nüchterne Ton ist gut getroffen, der Kontrast von Form und Inhalt entfaltet sich zusehends. Ein zwischen den
prosaisch gehaltenen Zeilen durchschimmernder Schauder, der den Leser ergreift, würde dem ganzen noch ein gewisses zusätzliches "etwas" verleihen.

Der Text hat mich zum einen an die Fernsehserie "Dexter" erinnert, zum anderen - und mehr noch - an dieses Schätzchen:

https://www.youtube.com/watch?v=enTdIvSQUMM

Liebe Grüße
Merlin

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Beitragvon Mucki » 06.04.2016, 18:18

Hui, da wünsche ich dir viel Erfolg bei der Organisation der Literaturtage, Franz!

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 07.04.2016, 14:19

Hallo Merlin,

herzlichen Dank für Deinen Kommentar, am "Schauer" wird gearbeitet.

Liebe Grüße,
Cicero
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Quoth
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Beitragvon Quoth » 07.04.2016, 18:08

Hallo Cicero, das Kernproblem des Textes ist die Absurdität der Situation. Ein Profikiller stellt sich einem Publikum von Mitbürgern in aller Blauäugigkeit vor - es wäre der letzte Tag, den er in Freiheit verbringt. Das Blut etlicher bisher unaufgeklärter Morde klebt an seinen Händen - die Polizei würde mit Wonne und Brutalität auf der Stelle zuschnappen! Es ist also alles eine Clownerie, ein So-tun-als-ob, das von Anfang durchschaubar ist, den Text trägt und jeglichen Schauder verhindert. Um den Schauder zu ermöglichen, müsstest Du die Situation ändern, es müsste z.B. das Coming out eines Serienkillers daraus werden, der des Mordens müde ist, sich zu seinen Taten bekennt und festgenommen werden möchte, um sein behagliches Reetdachhäuschen gegen Schwedische Gardinen einzutauschen ...
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.04.2016, 20:28

Quoth hat geschrieben:Um den Schauder zu ermöglichen, müsstest Du die Situation ändern, es müsste z.B. das Coming out eines Serienkillers daraus werden, der des Mordens müde ist, sich zu seinen Taten bekennt und festgenommen werden möchte

oder in einer Art Kammerspiel wie im "Der Totmacher", in dem ein Massenmörder in einem Verhörraum ganz nüchtern seine Methoden schildert. So nüchtern, dass es einen graust.

Klar, so etwas ist extrem schwierig.

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Cicero
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Beitragvon Cicero » 07.04.2016, 21:50

Nun merke ich zwar durch Eure Kommentare, dass die Basis für eine gute Story vorhanden ist, aber noch eine Menge Arbeit auf mich wartet. Der Vorschlag von Dir, Quoth, hat etwas für sich.

Wer schreibt mordet nicht ...

;o)

Cicero, der Franz
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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 08.04.2016, 12:41

Eine weitere Möglichkeit - und so habe ich den Text auch gelesen - wäre, das ganze als innere Inventur zu schreiben (solche Stellen gibt es bei "Dexter" häufiger), dann müssten nur die Ansprachen ("ja, Sie haben richtig gehört") heraus; oder es könnte ein Dialog mit einem fiktiven Gesprächspartner sein (da müsste man aber motivieren, warum er sich jemand vorstellt, dem er gerade das erzählt); und schließlich könnte es ein Dialog mit einer ganz bestimmten Person sein, der der Täter aus irgend einem Grund vertraut (so ist es in dem Lied über Kuno, das ich verlinkt hatte).

Quoth
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Beitragvon Quoth » 08.04.2016, 13:14

Der Grund für das Coming out des Serienkillers könnte sein, dass ihm nun infolge der Panama-Papers auch noch Steuerhinterziehung nachgewiesen wird - ihm, der doch nichts lieber sein wollte als ein ehrsamer Bürger! Das wäre dann eine Anspielung auf Al Capone, der auch wegen Steuerhinterziehung in den Knast kam.
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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 08.04.2016, 14:40

Schöne Idee, Quoth! :-D

"Ein Skandal! Ich, ein ehrbarer Mörder, stehe plötzlich als Verbrecher da, weil ich das vor der Verschwendungssucht des Staates schützen wollte, was ich unter Gefahr für Leben und Freiheit mühsam verdient habe!"

So einen Text kann ich mir zwar als durchaus vergnüglich vorstellen, aber es scheint mir eher ein ganz neuer Text zu sein als eine "Rahmung" von Ciceros Text.


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