Die Gestrandeten

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 25.08.2016, 11:57

Die Gestrandeten


I

Das Gedränge am Flughafen überraschte Johann Kauz mehr, als es bei nüchterner Betrachtung angemessen war. Warum sollte er schließlich der einzige sein, in dem die Sonne am Himmel und die Schatten des Alltags die Reiselust geweckt hatten? Sicher aber würde sich der Andrang legen, wenn er seinem Flugsteig näher kam. Die vielen, die wollten nach New York, Mallorca oder Hawaii. Johanns Flug ging nach Athen.

Doch es blieb voll. Es gab eine Schlange am Eingang, eine an der Gepäck- und eine weitere an der Passkontrolle. Danach teilte sich die Menge, die Reisenden gingen in viele Richtungen auseinander; aber die Gänge schienen im gleichen Maß schmaler zu werden, in dem die Zahl derer sank, die sie durchquerten. Auch im Wartesaal, von dem aus Johann schließlich das Flugzeug besteigen würde, kam man kaum einen Meter weit, ohne jemand ausweichen zu müssen und Johann hatte Glück, einen Platz auf einer der Bänke zu ergattern, die hier für die Wartenden bereit standen.

Der Sitz wurde ihm schon nach wenigen Minuten unbequem. Er tröstete sich aber damit, dass er nicht lange auf ihm verbleiben musste. Im Gedränge hatte er Zeit verloren, sein Flug ging schon in einer halben Stunde.

Ein Knistern ertönte. Gleich darauf scholl eine Durchsage durch den Saal. Der Flug mit der Nummer Soundso nach Athen sei überbucht; die folgenden Passagiere sollten an der Informationstheke vorstellig werden. Es folgte eine Reihe von zehn Namen in alphabetischer Reihenfolge; und in der Mitte: „Johann Kauz“. Verstimmt über die Unterbrechung, zugleich aber über den Anlass erfreut, seinen Sitz verlassen zu können, erhob sich Kauz und ging durch den Saal zu einem Glaskasten in der gegenüberliegenden Ecke, in dem zwei Herren in Flughafenuniformen standen.

Als er nach kurzem Warten an die Reihe kam, wandte der linke der beiden sich ihm zu. „Es sind leider nicht mehr genug Plätze für alle frei. Wir suchen daher nach Freiwilligen, die bereit sind, erst morgen früh zu fliegen, mit der ersten Maschine. Selbstverständlich bezahlen wir Ihnen in diesem Fall ein Hotel. Überdies soll es ihr Schaden nicht sein: Für Ihre Unannehmlichkeiten bieten wir Ihnen als Entschädigung…“ und er nannte eine durchaus stattliche Summe.

Kauz wollte nicht. Wer konnte schon sagen, wie lange er in Athen würde bleiben können? Ein Sonnenuntergang auf der Akropolis war ihm so billig nicht abzukaufen. Sollten sich andere daran erfreuen, denen mehr am Geld und weniger an der Stadt lag. Dankend lehnte er ab und kehrte zu seinem Platz zurück, der jedoch inzwischen besetzt war.

Binnen kurzem kam der Aufruf, sich zum Ausgang zu begeben und die Maschine zu besteigen. Kauz reihte sich in die Schlange ein, die sich fast umgehend bildete. Als er nach einigen Minuten die letzte Kontrolle am Zustieg erreichte, warf der dort beschäftigte Beamte einen Blick auf Johanns Bordkarte und zog die Stirn in Falten. Er überließ die weitere Abfertigung einem Kollegen und bat Johann, sich einen Augenblick zu gedulden. Damit zog er sich in den Gang zum Flugzeug zurück, weit genug, dass Johann ihn nicht mehr hören konnte, und telefonierte.

Nach seiner Rückkehr beschied ihm der Beamte, für ihn sei kein Platz im Flugzeug. Es hätten sich offenbar nicht genug Freiwillige für den Flug am nächsten Tag gefunden, daher könne man ihn leider nicht an Bord lassen. Für alles weitere möge er sich an die Informationstheke wenden. Die letzten Worte sprach er mit einigem Nachdruck, und Kauz wich aus der Schlange.

Eine halbe Stunde darauf saß er im Taxi. Der nächste Flug, so hatte man ihm versichert, gehe gleich am nächsten Morgen um sechs Uhr in der Frühe. Man bedaure die Umstände. Er verstehe gewiss, dass man ihm die in Aussicht gestellte Belohnung für Freiwillige nun nicht mehr geben könne; er sei ja nicht freiwillig zurück geblieben, sondern unter dem Zwang der Umstände. Selbstverständlich werde man aber für das Hotel aufkommen, in dem er die Nacht bis zum Abflug verbringen könne. Das Taxi stehe schon bereit. Er möge sich nur am nächsten Morgen bereithalten, in aller Frühe werde er abgeholt, um ganz sicher seinen Flug zu erreichen.
Der Fahrer hielt den Blick stur auf der Straße, ohne sich viel um den Fahrgast auf dem Beifahrersitz zu kümmern. Ein Flugzeug flog über sie hinweg. Kauz konnte nicht umhin, sich vorzustellen, es sei seines. Sie ließen das Flughafengelände rasch hinter sich und fuhren durch ein Waldstück auf eine Landstraße, die zu beiden Seiten von einer sumpfigen Graslandschaft gesäumt wurde. Nur hier und da ragte ein einzelner kahler Baum hervor. Das Hotel, hatte man ihm erklärt, sei auf Fälle wie den seinen spezialisiert. Daher liege es natürlich nicht in der Stadt, sondern auf der anderen Seite des Flughafens, in deutlich geringerer Entfernung. So gering durfte die Entfernung denn aber auch nicht sein, dass die Hotelgäste vom Fluglärm gestört worden wären. So werde das Taxi wohl etwa eine halbe Stunde brauchen.

Bald begann es zu dämmern und mit der sinkenden Sonne stieg aus den Wiesen längs der Straße Nebel auf. Als sie über einen Hügel fuhren, erkannte Kauz am Horizont undeutlich eine Wolke von Lichtern in den Umrissen von Schloten, Türmen und großen, blockartigen Gebäuden. Auf seine Frage hin erklärte ihm der Fahrer mit knappen Worten, es liege in dieser Richtung ein Kraftwerk und gleich daneben noch eine Raffinerie.

War die Fahrt zu Beginn noch in gerader Linie der Straße gefolgt, so verlief sie nun, da die Straße sich immer wieder verzweigte, entlang zahlreicher Kurven und Abbiegungen, über die Johann bald die Übersicht verlor.

Dass die Fassade des Hotels aus dem Nebel auftauchte, geschah schließlich etwas unvermittelt. Nach einer Kurve bemerkte Kauz einige spärliche Lichter, die sich als Laternen herausstellten. Die Laternen säumten kleines Stück der Straße, ehe diese an einem vielleicht fünf oder sechs Stockwerke hohen Gebäude endeten, dessen gleichmäßig gelber Anstrich durch den Nebel irgendwie schmutzig, ja ausgewaschen wirkte. Auf der Fassade über der Eingangstür prangte in übermannshohen Buchstaben der Schriftzug „HH“. Mit einem Wink gab ihm der Fahrer zu verstehen, sie hätten ihr Ziel erreicht. Er schien es eilig zu haben, wieder fortzukommen. Verständlich. Sicher wollte er den nächsten Fahrgast, die nächste Verdienstmöglichkeit, nicht unnötig lange warten lassen.

Weniger aus echtem Interesse als vielmehr aus dem Bedürfnis heraus, von seinem verschlossenen Fahrer noch ein freundliches Wort zu hören, sagte Johann:
„Wissen Sie, ich verbringe ja nur eine Nacht hier. Gleich morgen früh fliege ich mit der nächsten Maschine nach Athen. Wenn Sie mir Ihre Nummer geben, rufe ich Sie morgen an, damit Sie mich wieder abholen können.“

Zu seinem Erstaunen verfehlte seine Bemerkung ihre Wirkung völlig. Die Miene des Mannes wurde noch eine Spur verkniffener, während er ihn einen unangenehm langen Augenblick lang schweigend musterte. Dann endlich riss er den Blick von Johann los, kramte umständlich eine Visitenkarte aus der Ablage zwischen den Sitzen und hielt sie ihm hin. Als Johann die Karte nehmen wollte, hielt der Mann sie noch einen Augenblick lang fest, als überlasse er sie ihm nur mit großem Widerwillen.




II

Hinter der Glastür, die sich automatisch öffnete, wurde Johann sogleich von einem Hoteldiener in einer etwas altmodischen Uniform empfangen, der ihm sein Gepäck abnahm und ihn zur Rezeption führte. Der Rezeptionist, ein kleiner schmaler Mann mit Schnurrbart mit einem völlig deplatziert wirkenden Strohhut auf dem Kopf saß über einen Block gebeugt und schien die Ankömmlinge nicht zu bemerken. Erst nachdem Kauz, während er direkt vor ihm stand, dreimal die Glocke auf dem Thesen betätigt hatte, sah er auf.
„Sie wünschen?“ Er musterte Kauz über den Rand seiner Brille, als sähe er zum ersten Mal einen Hotelgast. „Ah, gewiss! Sie müssen der Herr sein, der seinen Flug verpasst hat. Ihre Fluglinie hat uns bereits verständigt. Bombay, nicht wahr?“
„Athen, um genau zu sein. Und verpasst habe ich meinen Flug durchaus nicht. Vielmehr…“ Kauz brach ab, als er bemerkte, dass der Mann ihm längst jede Aufmerksamkeit entzogen und sich in eines seiner Bücher vertieft hatte. Es dauerte eine Weile, bis er wieder zu ihm aufsah. So lange, dass Kauz zwischenzeitlich erwogen hatte, erneut zu läuten.
„Richtig, da haben wir es. Zimmer 1, natürlich, es liegt dem Ausgang am nächsten, so werden Sie morgen keine Mühe haben, Ihr Taxi rechtzeitig zu erreichen. Nehmen Sie doch noch einen Augenblick Platz, Ihr Zimmer wird bald soweit sein.“ Damit deutete er auf Sofa, das in der gegenüberliegenden Ecke der Eingangshalle stand. Von dort aus sah Kauz, wie der Mann etwas in ein Mikrophon sagte; doch war er zu weit entfernt, um ein Wort davon zu verstehen. Kurz darauf begann ein großer Lärm; aus einem Gewirr von unzähligen Stimmen hörte er Türenschlagen, Schritte sowie ein Geräusch heraus, wie wenn schweres Gepäck über den Boden gezogen wird. Erst nach etwa zehn Minuten kehrte wieder Ruhe ein.
Kurz darauf kam der Hotelpage zu ihm und bedeutete ihm, das Zimmer sei nun fertig. Johanns Hoffnung, er werde ihn zum Zimmer begleiten und dabei sein Gepäck transportieren, erfüllte sich nicht. Er wies auf eine von einem gleichmäßig gelben Teppich bedeckte Treppe, die neben der Rezeption in einer Kurve nach oben führte und sagte: „Im Flur im ersten Stock gleich rechts.“ Damit ließ er Johann stehen und ging zu einem Lehnsessel herüber. Dort nahm er Platz, holte ein Jojo aus der Tasche und ließ es mit unbewegter Miene auf und ab rollen.
Dem Gang, in den Johann einbog, nachdem er seinen Koffer die Treppe herauf geschleppt hatte, widmete er nur einen flüchtigen Blick. Er führte in einer leichten Biegung nach rechts und war offenbar so lang, dass sein Ende nicht zu erkennen war. In Abständen von etwa drei Metern befanden sich zu beiden Seiten Türen. Eine Reihe von Neonlampen an der Decke tauchten die weißen Wände und den gelben Teppich, der auch hier den Boden vollständig bedeckte, in ein Licht, dessen Künstlichkeit Johann unangenehm berührte. Er war froh, sich hier nicht lange aufhalten zu müssen; rasch schloss er die Tür zu seinem Zimmer auf und ging hinein.
Das Zimmer war in der für Hotels typischen Weise spärlich eingerichtet. Es gab ein Bett mit einem kleinen Schrank am Kopf- und einem Kleiderschrank am Fußende. Auch hier war der Boden mit gelbem Teppich belegt. Durch eine Seitentür gelangte man in ein enges Bad, das eine Toilette, ein Waschbecken und eine Duschkabine. An der Wand hinter dem Bett hing ein Haustelefon. Das Fenster war von außen beschlagen. Dahinter erkannte man undeutlich den verschwommenen Schein einiger Laternen, und sonst nur Dunkelheit. Johann seufzte.
Um fünf Uhr würde das Taxi kommen, um ihn abzuholen. Zum Schlafen blieb ihm da kaum noch Zeit. Fast bedauerte er, nicht am Flughafen geblieben zu sein. In den Sesseln dort hätte er es weniger bequem gehabt, aber doch immerhin ein wenig Ruhe finden können.
Als er erwachte und die Augen öffnete, schloss er sie sogleich wieder. Die Sonne schien durchs Fenster herein und blendete ihn. Erst nachdem er mehrmals geblinzelt hatte, entpuppten sich die vermeintlich gleißenden Strahlen als die eines schwachen, hinter einem Dunstschleier verborgenen Scheinwerfers, der die Hotelwand bestrahlte, in der sein Fenster lag.
Dass etwas nicht in Ordnung war, dämmerte ihm sofort. Doch es dauerte, bis er sich die Augen gerieben, die Decke zurück geschlagen und sich aufgesetzt hatte, bis er dahinter kam, was es war; denn dabei fiel sein Blick auf seinen Reisewecker. Neun Uhr vierzig! Vor über vier Stunden hätte er abgeholt werden sollen! Hatte er etwa seinen Weckruf nicht gehört? Hektisch kontrollierte er, ob der Telefonhörer auf der Gabel lag und die Verbindung eingesteckt war. Doch alles schien in Ordnung; und als er den Hörer zur Probe abnahm, kam ein Freizeichen.
Über dem Telefon hing ein Zettel; demnach erreichte man ein anderes Zimmertelefon, indem man die Zimmernummer wählte, die Rezeption aber durch eine Null. Johann drückte die Null und wartete. Nach kurzem Läuten meldete sich eine Stimme, die er als die des Portiers erkannte.
„Kauz hier, der Gast aus Zimmer 1. Ich sollte um fünf Uhr mit einem Taxi abgeholt werden.“
Schweigen. Dann antwortete der Portier: „Ja und?“
„Nun, das ist offensichtlich nicht geschehen. Und nun habe ich schon wieder meinen Flug verpasst. Warum haben Sie mich nicht geweckt, als das Taxi gekommen ist?“
Wieder Schweigen. Der Mann schien zu überlegen.
„Ich hatte die ganze Nacht Dienst“ sagte er schließlich. „Da war kein Taxi. Wenn eines gekommen wäre, hätte ich es gesehen. Sie werden sich an die Fluggesellschaft wenden müssen. Bis dahin kann ich Ihnen unser Frühstücksbuffet empfehlen, in Speisesaal 2. Guten Tag.“ Und er hängte auf.
Die Fluggesellschaft zu erreichen war schwieriger, als Johann zunächst geglaubt hatte. Der erste, den er erreichte, erklärte sich für unzuständig und verband ihn mit einem zweiten, der ihn, gleichfalls unzuständig an einen dritten verwies - der von nichts wusste und ihn zu einem vierten durchstellte, der sich wieder als der erste entpuppte. Es kostete Johann einige Überwindung, die nötige Heftigkeit aufzubringen um aus diesem Kreislauf auszubrechen. Doch schließlich geriet er immerhin an jemand, der ihn um einige Zahlen und Daten bat, woraufhin er auf einer Tastatur herumtippte und erklärte, eine Reservierung auf einen Johann Kauz gebe es nicht. Jedenfalls sei sie in der Datenbank nicht zu finden und vermutlich habe er gar keinen Flug gebucht; wenn er sich aber durchaus daran erinnere, so halluziniere er womöglich. Diesmal war Überwindung nötig, um die Heftigkeit zu unterdrücken, die Johann auf der Zunge lag; er besann sich so eben noch, dass es ihm wenig half, wenn sein Gegenüber einfach auflegte. Noch einer Runde durch die ersten vier fühlte er sich nervlich nicht gewachsen. Also erklärte er einige Male beharrlich, aber freundlich, er müsse darauf bestehen, gebucht zu haben. Er halte eine Buchungsbestätigung in der Hand, die durchaus keine Halluzination sei, sondern hörbar rascheln könne, wie er sogleich vorführte. Sein Gesprächspartner schwieg einen Augenblick, war aber zuletzt irritiert genug, ihn weiter zu verbinden. Es klickte in der Leitung, für einige Minuten ertönte eine zehnsekündige Sequenz mäßiger Jazzmusik, dann meldete sich eine Frauenstimme. Johann habe, das verkündete die Stimme nicht ohne Stolz, ganz klar einen Flug gebucht. Die Unterlagen ließen in dieser Hinsicht keinen Zweifel zu. Aus welchem Grund er nicht auf der Liste der heutigen Passagiere gelandet und abgeholt worden sei, sei gänzlich unerklärlich. Nun aber stehe er endgültig darauf, sie sehe es vor sich und könne es ihm versichern. Unglücklicherweise gehe am gleichen Tag kein Flug mehr nach Athen – daher müsse man ihn, wohl oder übel, auf den ersten Flug am kommenden Tag vertrösten. Er möge sich um fünf Uhr am folgenden Tag bereithalten. Inzwischen solle er im Hotel bleiben, für das man selbstverständlich aufkommen würde. Man entschuldige sich vielmals und aufrichtig. Damit verabschiedete sich die Stimme.
Der Frühstücksraum war nur spärlich besetzt; angesichts des großen Lärms, den Johann am letzten Abend von den Zimmern her gehört hatte, wunderte er sich. Auf seine Nachfrage erklärte ihm einer der Kellner, das Hotel verfüge aufgrund seiner Größe über mehrere Frühstücksräume; es stehe ihm frei, in einen der anderen zu wechseln, wenn ihm die Gesellschaft hier nicht behage. Johann blieb. Die Gesellschaft behagte ihm tatsächlich wenig: Sämtliche der verstreut im Raum stehenden Tische waren nur mit einem einzigen Stuhl versehen, und nur wenige von ihnen waren besetzt. Auf den übrigen standen benutztes Essgeschirr und halbvolle Kaffeetassen. Und die wenigen Gäste nahmen keinerlei Notiz von ihm, sondern schauten auf ihre Teller und Tassen, führten ab und an etwas davon mit mechanisch anmutenden Bewegungen zum Mund und schienen ansonsten darauf bedacht zu sein, jede unnötige Bewegung zu vermeiden. Er unternahm einige vergebliche Versuche, mit einem der Umsitzenden ein Gespräch anzufangen. Schließlich aß er stumm, wie die anderen.
Kauz beendete das Frühstück mit ungewöhnlicher Hast, was er anschließend sofort bereute. Solange er gegessen hatte, hatte er wenigstens etwas zu tun gehabt. Die Aussicht auf einen Tag zwischen gelben Teppichen, weißen Wänden und kalten Neonleuchten, der ihm nun bevorstand, ließ ihn Schaudern. Er hätte in sein Zimmer gehen und etwas lesen können; doch bestand die Gefahr, dass er sein Buch zu Ende las, ehe er einschlafen konnte, und die Vorstellung, in seinem Zimmer zu sitzen und nicht einmal mehr den Trost einer Lektüre zu haben, war ihm fast unerträglich. Er beschloss daher, das Hotel zu verlassen und so viel Zeit wie möglich damit zu verbringen, die Umgebung zu erkunden.





III

Als die Flügel der automatischen Schiebetür sich hinter Johann schlossen, schaute er sich um und sah nicht viel. Das Wetter war, wie gestern Abend, diesig, wohl stieg auch aus den umliegenden Wiesen und Sümpfen Nebel auf. Eine unangenehme Note von Ruß in der Luft erinnerte ihn an das Industriegebiet, das der Taxifahrer erwähnt hatte. Vermutlich taten die Schlote das ihrige hinzu. Jedenfalls konnte er die Sonne nicht erkennen. Das diffuse Licht, das die Straße und, vielleicht zwanzig Meter zu jeder Seite, das schmutzig gelbe Gras erhellte, stammte von einigen Scheinwerfern sowie zwei Reihen von Laternen, die die Straße säumten.
Abseits der Straße war das Licht so schwach, dass Johann sich sogleich entschied, es dort gar nicht erst zu versuchen. In dem Dunst konnte man rasch die Orientierung verlieren. Auch wusste er nicht, wie weit der feuchte Untergrund ihn tragen würde. Und er verspürte wenig Lust, im Morast zu versinken. Daher schlug er die einzige Richtung ein, die ihm noch offen stand und ging die Straße entlang. Nach einigen hundert Metern war das Hotel außer Sicht. Nur noch die nach hinten hin verblassenden Laternenreihen wiesen die Richtung, in der es liegen musste. Johann war es ganz recht so. Einstweilen war er froh, dass der Bau ihm nicht nachblicken konnte.
Einige Dutzend Laternen später gabelte sich die Straße in zwei Straßen der gleichen Größe, von denen die eine leicht nach rechts, die andere scharf nach links verlief. Johann überlegte. Das Labyrinth aus gleichförmigen, sich ständig verzweigenden Straßen, das er gestern vom Taxi aus gesehen hatte, fiel ihm wieder ein. Die Aussicht, sich darin zu verlaufen war kaum vergnüglicher als die auf einen Tag im Hotel. Er beschloss daher, sich von nun an strikt an jeder Kreuzung für die Straße ganz rechts zu entscheiden. Womöglich führte ihn das im Kreis herum, doch was tat das schon? Zurück musste er ohnehin. Und wenn ihm der Weg lang wurde, musste er sich nur umdrehen und an jeder Kreuzung links gehen, um den Rückweg zu finden. Also lief er weiter.
Beiläufig bemerkte er im Vorbeigehen schmale Linien aus niedergedrücktem Gras, die vereinzelt zu beiden Seiten von der Straße fort in die Ebene führten. Es mochten Trampelpfade sein. Doch Johann ließ es sich nicht einfallen, einen davon zu benutzen. So etwas kannte er. Vermutlich wurden sie mit jedem Meter noch schmaler und undeutlicher, verführten einen dazu, in irgendeinen Sumpf hinein zu gehen, wo sie sich dann gänzlich verliefen und es einem unmöglich machten, einen Rückweg zu finden. Sich immer recht zu halten – als er das beschlossen hatte, hatte er selbstverständlich an Straßen gedacht, nicht an Wildwechsel. Die Straße würde er nicht verlassen, so viel stand fest.
Nicht lange darauf zweigte nach rechts etwas ab, was mit etwas gutem Willen noch als Straße erkennbar war: Auf etwa drei Metern Breite lagen die Fragmente der Pflasterung verstreut, dazwischen wucherten Gras und Brombeerranken. Hier und da hatten sich Wasser zu breiten Pfützen gesammelt. War man bereit, ab und zu einen größeren Schritt oder einen kleineren Sprung zu machen, konnte man ihr folgen, ohne die Pflasterung je zu verlassen. Jedenfalls soweit die Sicht reichte. Indes war, so überlegte Johann, aus diesen ersten zwanzig Metern noch nicht viel zu schließen. Wenn er hier entlang ging, würde er früher oder später an einer Pfütze stehen, die zu breit war, um hinüber zu springen. Dann würde er sich entscheiden müssen, hindurch zu waten oder umzudrehen. Wenn es dazu kam, würde er sicher bereits Pfützen durch Sprünge überwunden haben, die ihn nur gerade so von Rand zu Rand brachten. Selbst wenn er dann noch umkehrte, würden seine Schuhe nass und seine Hose verdreckt sein. Lieber nicht.
Die Veränderung vollzog sich unmerklich, und so dauerte es eine geraume Zeit, bis Kauz bemerkte, wie sehr die Qualität der Straße unter ihm sich inzwischen verschlechtert hatte. Die Risse waren allmählich zahlreicher geworden. Moose und Gräser waren auf dem Asphalt aufgetaucht und hier und da kleine Unebenheiten, in denen sich Wasser sammelte. Erst als er erneut vor einer breiten Pfütze stand, fiel ihm auf, dass er längst auf Wegen ging wie denen, an denen er noch vor einer Stunde vorbei gegangen war. Er beschloss, umzukehren.
Immer links. So hatte er es sich vorgenommen. Da er auf dem Hinweg stets rechts abgebogen war, musste er so den Rückweg finden. Aber war dieser matschige Feldweg, der da nach links abbog, wirklicher einer der Wege gewesen, die er auf dem Hinweg genommen hatte? Zu Beginn jedenfalls hatte er derartige Abzweigungen ignoriert. Andererseits: So viel schlechter als der Weg, auf dem er sich gerade befand, war er auch nicht. War er also doch dorther gekommen? Oder war gar schon der Weg, auf dem er sich jetzt befand, der falsche? Es war ja auch möglich, dass dieser Abzweig da auf der anderen Seite ganz anständig anfing und sich erst allmählich zu so einer Schlammsuhle entwickelte. Dann hätte er ihn auf dem Hinweg sicherlich gewählt. Kam ihm die Stelle hier bekannt vor? Johann konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Hier sah alles gleich aus. Schlamm, Asphalt, gelbes, kniehohes Gras, ein paar Baumgerippe.
Alles in allem war es durchaus möglich, dass er schon einmal hier gewesen war. Ging er etwa im Kreis herum? Wenn das der Fall war, so erkannte er erschrocken, so würde er, wenn er nun immer den linken Weg wählte, keinen Ausweg daraus finden, sondern den immer wieder gleichen Weg abgehen, nur jetzt in umgekehrter Richtung.
Ob er versuchen sollte, die Kreuzung zu markieren? Dann würde er, wenn er die Markierung wiederfand, Gewissheit haben. Wenn er das aber tat und weiterlief und sich die Markierung nicht zeigte – woher konnte er dann je wissen, ob er nicht im Kreis lief oder nur in einem sehr großen? So etwas würde seine Zweifel nur verstärken. Und außerdem: Womit sollte er hier auch etwas markieren, wo alles weich und feucht und schmutzig war? Im Nebel war es bei diesem Gewirr von Straßen ganz unmöglich, zu bestimmen, in welcher Richtung das Hotel liegen mochte. Sie mochten ihn überall hin führen, oder nirgendwo. Nur an einem führte hier kein Weg vorbei: An der Einsicht, dass er sich verlaufen hatte.
Angst kam in ihm auf. Erst beschleunigte er seinen Schritt, in der Hoffnung, doch noch an eine Stelle zu kommen, die er erkannte. Dann verlangsamte er sein Tempo drastisch, in der Befürchtung, sich nur noch weiter zu verirren. Dabei stieg Panik in ihm auf. Um ihr zu entgehen, ging er wieder schneller, lief, rannte. Geriet außer Atem, geriet in neue Zweifel. Blieb stehen. Und dann noch einmal. Und wieder. Schließlich war er so erschöpft, dass er sich auf die Straße setzte und die Augen schloss.
Etwas berührte ihn an Schulter.
„Geht es Ihnen nicht gut, mein Herr? Sie sollten unbedingt aufstehen, Sie holen sich hier noch den Tod! Wir verfügen im Übrigen über weitaus bequemere Sitzgelegenheiten, wenn Sie mir gestatten, Sie hinzugeleiten?“
Johann öffnete die Augen und fand sich dem Hotelpagen gegenüber. Der Mann sah ihn an und hob eine Augenbraue; doch zu Johanns Freude und Überraschung stellte er keine einzige Frage, während er ihn zur nächsten Kreuzung führte, hinter der, keine dreihundert Meter später, das Hotel auftauchte.
Die Flügel der automatischen Schiebetür glitten lautlos auseinander, als Johann sich näherte. Er trat hindurch, und sofort fühlte er wieder die gleiche Beklemmung, die ihn heute Morgen heraus getrieben hatte. Unwillkürlich schaute er auf seine Armbanduhr, um festzustellen, wie viel Zeit er noch totzuschlagen hatte, ehe er hoffen konnte, die restlichen Stunden einfach zu verschlafen. Sie fehlte. Der Verschluss war schon seit einer Weile defekt. Sie musste ihm draußen vorm Arm gefallen sein. Johann fluchte und sah sich um. Irgendwo in dieser verdammten Lobby musste doch eine Uhr hängen! Aber er fand keine.
„Sie müssen hungrig sein nach der ganzen Lauferei. Wollen Sie zu Abend essen?“ fragte der Page.
Zeit zum Abendessen. Wenn es Zeit zum Abendessen war, musste es fünf, sechs, vielleicht schon sieben Uhr sein. Das Taxi kam um fünf Uhr in der Frühe. Wenn er es bis acht Uhr schaffte, war er gerettet – so lange konnte man durchschlafen. Erleichtert nickte er, und der Page wies ihm die Richtung. Zu Johanns Erstaunen war es nicht der gleiche, in dem er sein Frühstück eingenommen hatte. Anscheinend hatte man hier für jede Mahlzeit einen eigenen Raum.
Die Stimmung unterschied sich wenig von der, die ihn schon sein Frühstück möglichst rasch hatte hinunterschlingen lassen: Einsame Herren und Damen an verstreuten Tischen, die mit verschlossenen Mienen schweigend ihre Suppen löffelten oder ihre Steaks zerschnitten. Johann überlegte, ob ihm jemand davon vom Frühstück her bekannt vorkam. An das eine oder andere Gesicht meinte er sich vage zu erinnern, doch sicher war er sich bei niemand. Also schlang er sein Essen herunter und verließ den Raum. Hierzu benutzte er aber aus Versehen nicht die Tür, durch die er hereingekommen war, sondern die gegenüberliegende. Als er hindurchging, fand er sich zu seiner Verblüffung im Frühstücksraum wieder. Dabei war es weniger die unerwartete Verbindung zwischen den Räumen, die ihn erstaunte, als vielmehr die Tatsache, dass Leute darin saßen. Und aßen, Brote schmierten, Eier aufschlugen, Tee und Kaffee tranken, kurz: Jetzt, um sechs oder vielleicht auch schon sieben Uhr am Abend – frühstückten!
Das Erstaunen genügte, um ihn den Widerstand überwinden zu lassen, einen der stumm über sein Mahl gebeugten Gäste anzusprechen. Er trat an den nächstbesten Tisch und sagte:
„Verzeihung, mein Herr, ich habe meine Uhr verloren. Können Sie mir sagen, wie spät es ist?“
Der Angesprochene hob nicht den Kopf, nicht einmal den Blick zu ihm. Er schaute flüchtig auf seine Armbanduhr, erwiderte: „Gleich acht.“ – und wandte sich wieder seinem Müsli zu.
Acht? War es wirklich möglich, dass er derart lange draußen unterwegs gewesen war? Das war kaum zu glauben. Nein, das war ganz und gar unmöglich. Der Mann musste sich geirrt haben, vielleicht ging seine Uhr auch falsch. Ihn noch einmal anzusprechen kam natürlich nicht in Frage. Verstohlen bewegte sich Johann einige Tische weit aus der Hörweite des Mannes und stellte einer Dame dort die gleiche Frage.
„Viertel vor zehn.“ Kam die knappe Antwort.
Er fragte noch eine dritte und einen vierten, die behaupteten, es sei kurz nach halb neun und viertel nach sechs, dann gab er verwirrt auf. Was ging hier vor? Wollte man sich etwa über ihn lustig machen? Aber die Leute hier sahen ganz und gar nicht danach aus, als würden sie sich zu gemeinsamen Streichen verabreden. Eher schienen sie jeden Kontakt zueinander zu meiden. Er beschloss, sich an den Portier zu wenden. Also ging er zurück in die Eingangshalle.
Der Portier kratzte sich auf seine Frage nach der Uhrzeit hin am Kopf und machte mehrere Ansätze, etwas zu sagen. Leider endeten alle davon damit, dass er sich unterbrach oder zu stottern begann. Schließlich hatte er sich offenbar gefasst und entgegnete:
„Sehen Sie, das ist in unserem Hotel eine Frage, auf die es keine Antwort gibt – oder so viele Antworten wie Gäste, was im Grunde auf das gleiche hinaus läuft. Sie werden bemerkt haben, dass wir weder durch unsere Lage noch durch unsere luxuriöse Einrichtung ausgezeichnet sind. Tatsächlich besteht unsere Kundschaft fast ausschließlich aus Fluggästen, die aus dem einen oder anderen Grund noch eine Nacht in der Nähe des Flughafens verbringen müssen. Den allermeisten geht es wie ihnen – ein Flug ist ausgefallen oder wurde verpasst, nun warten sie auf den nächsten. Häufig geht es dabei um Anschlussflüge. Bei einem großen Flughafen wie unserem können Sie sich denken, was das bedeutet: Wir haben Gäste aus sämtlichen Zeitzonen der Welt, die in die unterschiedlichsten Zeitzonen weiterfliegen wollen. Die meisten kommen von weither, erwarten Tag und Nacht zu völlig anderen Zeiten als den Ihnen gewohnten und sprechen, wie sie schon bemerkt haben werden, allenfalls ein paar Brocken Ihrer Sprache. Jedem davon wollen wir gerecht werden. Aus diesem Grund hat unser Hotel keine Zeit, wenn Sie so wollen. Jederzeit gibt es Frühstück, Mittagessen, Abendbrot, unsere Personalstärke bleibt stets die gleiche und Uhren aufzuhängen oder auch nur zu tragen ist uns untersagt. Ich kann ihnen bei ihrer Frage also leider nicht weiterhelfen.“
Johann entgegnete, unter diesen Umständen nehme er seine Frage zurück. Natürlich habe er Verständnis für die besondere Art des Hotels. Tatsächlich zeigte er dabei etwas mehr Verständnis, als er eigentlich besaß. Aber Johann war eine höfliche Natur. Außerdem war er ohne seine Uhr auf darauf angewiesen, dass ihn der Mann anrief, sobald das Taxi ankam. Er wollte es auf keinen Fall riskieren, den Portier zu verärgern. Am Ende mochte der Mann es fertig bringen, den Anruf zu „vergessen“ und Johann würde das Taxi erneut verpassen. Nein, da war Vorsicht geboten. Er erinnerte den Portier noch einmal daran, ihm unbedingt Bescheid zu geben, wenn der Wagen für ihn käme. Dann ging er zu Bett.
Als Johann erwachte, bemerkte er sogleich zu seinem Befremden, dass es nicht vom Läuten des Telefons geschehen war. Vor dem Fenster hing der gleiche Dunst wie bei seiner Ankunft; doch es schien ihm jetzt etwas heller zu sein als zu der Zeit, da er zu Bett gegangen war. War inzwischen die Sonne aufgegangen? Das hätte um sechs Uhr dreißig geschehen müssen, während das Taxi ihn um fünf Uhr holen sollte. Hatte er es erneut versäumt? Er wollte auf die Uhr sehen, erinnerte sich aber dann, dass er sie verloren hatte. Auch jemand zu fragen, fiel ihm nun auch ein, würde nichts helfen. Immerhin konnte er die Fluggesellschaft auf Verdacht anrufen. Wenn er sich erkundigte, ob das Taxi wie geplant kommen werde, musste seine Anfrage nicht einmal besonders seltsam erscheinen.
Wie erwartet dauerte es fast zehn Minuten, bis sich jemand fand, der mit seiner Frage etwas anzufangen wusste. In der Zwischenzeit wurde ihm von verschiedenen Gesprächspartnern versichert, eine Buchung auf seinen Namen gebe es nicht oder die Gesellschaft fliege Athen bereits seit Jahren nicht mehr an; energisch wurde die Existenz eines Hotels geleugnet, das zu seiner Beschreibung passe. Zwischendurch geriet er gar an jemand, der bestritt, dass Athen überhaupt einen Flughafen besitze. Doch zuletzt fand sich einer, der Johanns Buchung bestätigte, ebenso seine Unterbringung im Hotel. Was den Flug angehe, so hätte er allerdings unter normalen Umständen vor einigen Stunden dazu abgeholt werden sollen. Leider herrsche aber derzeit ein furchtbarer Sturm, weswegen für heute sämtliche Flüge gestrichen seien. Man müsse ihn daher unglücklicherweise auf den nächsten Tag vertrösten, wenn der Sturm sich gelegt habe. Indem er für die Mitteilung dankte und sich verabschiedete, fiel Johann noch ein, sich nach der Uhrzeit zu erkundigen, doch da hatte sein Gesprächspartner schon aufgelegt.





IV

Er verließ sein Zimmer und ging zum Frühstück, vor dem es ihm graute. Dasselbe kalte Neonlicht, derselbe elende gelbe Teppich! Der gleiche Raum, die gleichen Gestalten, die kein Wort sprachen, nirgends hin als auf ihre Teller schauten, sich kaum bewegten! Ob es dieselben waren wie am Tag zuvor, konnte Johann schon wieder nicht erkennen. Er hatte selbst Mühe, diejenigen, die vor ihm saßen, auseinander zu halten. Er schlang ein Brötchen und einen Kaffee herunter so schnell er konnte und ergriff die Flucht.
Ausgeschlossen, hier den ganzen Tag zu verbringen, erst recht keinen dieser verfluchten Untage, die ebenso gut Nacht, Abend oder Morgen sein konnten und tatsächlich nichts davon waren. Sich erneut auf die Straße zu wagen, kam natürlich nicht infrage. Dass er zuletzt den Pagen getroffen hatte, war ein unglaublicher Zufall gewesen. Andernfalls – nicht auszudenken! Womöglich wäre er in diesem trüben Labyrinth noch tagelang umhergeirrt und zum Schluss der Erschöpfung erlegen. Man durfte sich nicht darauf verlassen, noch einmal solch ein Glück zu haben.
Aber schließlich gab es eine einfache Methode, seinen Rückweg zu sichern. Das Hotelgebäude war, so hatte es jedenfalls von innen den Anschein, ziemlich weitläufig. Es zu umrunden konnte eine halbe Stunde oder länger dauern, wenn er sich nicht zu sehr beeilte. Dann konnte er den Weg in die Gegenrichtung gehen. Mit etwas Glück gab es ausgelagerte Lagerhallen, Schuppen oder Verwaltungsgebäude, an denen er ebenfalls entlang gehen konnte. So würde er schon ein paar Stunden herumbringen können, ohne das Hotel auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu verlieren. Er musste nur an der Wand entlang gehen. Er überlegte kurz, ob er im oder gegen den Uhrzeigersinn beginnen sollte, konnte aber für keines von beidem Gründe oder Gegengründe finden. Schließlich begann er im Uhrzeigersinn, ohne recht zu wissen, wie er dazu kam.
Er hatte darauf gehofft, dass seine Runde wenigstens eine halbe Stunde dauern würde und fand diese Hoffnung bald bestätigt. Form und Ausmaße des Gebäudes waren vorab nicht auszumachen gewesen: Der Nebel beschränkte die Sicht auf knappe zwanzig Schritte und das Ende der Wand war also nicht zu erkennen. Tatsächlich dauerte es nach Johanns Schätzung fast eine Viertelstunde, bis er zum ersten Mal an eine Ecke gelangte. Und zu seiner Überraschung verlief diese nicht nach rechts, sondern nach links, fort vom Gebäude, im rechten Winkel in die Landschaft aus vertrocknetem Gras, trüben Pfützen und den Gerippen vom Bäumen.
Johann folgte dem schmalen Trampelpfad, der in einigen Metern Abstand von dieser an der Mauer entlang führte. Über kurze Passagen war sein Verlauf nur an platt getretenen Halmen zu erkennen; die meiste Zeit aber bestand er aus fester, von Bewuchs weitgehend freier Erde. Und ein paar Hundert Meter weiter kam die erwartete Wendung nach rechts. Allerdings bogen Wand und Pfad hier nicht im rechten Winkel ab, sondern änderten beide ihren Kurs nur um vielleicht 45 Grad, so dass er anschließend nicht, wie er gedacht hatte, zurück marschierte, sondern fast in die gleiche Richtung lief wie zuvor.
Der nächste Abzweig verlief im rechten Winkel nach rechts, bald gefolgt von einem scharfen Kurswechsel zurück nach links, so dass er einige Minuten fast auf dem gleichen Weg zurück lief, den er gekommen war; dann verlief die Wand in einer sanften Rechtswölbung, die aber bald ihre Orientierung wechselte und wieder wechselte und so in zahlreichen Wellen in eine Richtung führte, für die Johann längst jedes Gefühl abhandengekommen war. Als nächstes folgte ein Dickicht aus spitzen Winkeln zwischen Mauerabschnitten, von denen einige mehrere hundert Meter lang waren und andere so kurz, dass er sie mit einem Schritt passierte.
Dann wieder die Wellen; eine Kurve, die sich so lange in eine Richtung neigte, dass Johann schon meinte, er laufe in eine Spirale hinein; und ein Abschnitt, an dem eine unglaubliche Weile lang schnurgerade weiter ging. Johann wurde langsamer. Seine Beine waren müde und seine Füße nass von einem Weg, der umso weniger Spuren zeigte, je weiter man ihn ging. Die erdigen Stellen lagen lange hinter ihm; nur ein Streifen zaghaft niedergedrückten Grases, das sich schon wieder hob, markierte den Verlauf. Wer immer vor ihm hier entlang gegangen war, die meisten dieser Ausflüge hatten offenbar auf dem gleichen Pfad hin und zurückgeführt, waren abgebrochen worden, ehe die Umrundung abgeschlossen war.
Nicht lange danach verlor sich jede Spur des Pfades. Das Gras zeigte immer weniger Anzeichen, je betreten worden zu sein, bis Johann sich schließlich vor kniehohem, nassem Gras fand. Die Wand war hier leicht nach rechts gekrümmt, wie zum Ansatz eines weitläufigen Kreisbogens. Nichts deutete darauf hin, dass sie zur Straße, zum Eingang lief. Und doch – irgendwann musste man doch wieder zum Ausgangspunkt gelangen! Das Gebäude mochte groß sein, bizarr verwinkelt, zum Staunen weitläufig – aber sein Umfang musste doch Grenzen haben! Gewiss – und zweifellos recht enge. Den größten Teil der Mauer war er zweifellos bereits abgelaufen, etwas anderes war gar nicht zu denken. Ein Stück noch durch die Wiese, dann hatte er es geschafft. Womöglich würde er dann der erste, der die Umrundung nicht mutlos aufgegeben, sondern vollendet hatte, beflügelt von der glasklaren Einsicht, dass es möglich war, sie zu vollenden.
Den ersten Schritt in die unberührte Wiese tat er mit dem Stolz des Eroberers, den zweiten mit der Leidenschaft des Entdeckers. Beim dritten aber wurden ihm die Füße nass, beim vierten, fünften, sechsten drang mit der Feuchtigkeit auch Kälte durch seine Schuhe. Mit dem zehnten dann geriet er in ein Sumpfloch, in dem er bis zum Knie versank. Mühsam befreite seine Wade aus dem saugenden Morast. Er blickte an seinem mit Schlamm bespritzten Hemd herunter bis zu seinem völlig ruinierten Hosenbein und beschloss, dass es genug war. Eine längere Weile später kam er erschöpft am Haupteingang an und ging hinein.
Fast automatisch lief er zu dem Raum, in dem es das Abendessen gab. Er bemerkte es erst, als er schon halb durch die Tür war und war über diese Verselbstständigung seiner Füße nicht wenig verärgert. Er war ein freier Mann. Wenn einer hier entschied, wann er aß und was, dann war er das. Trotzig wandte er sich mit einem Ruck herum und ging den Gang ein Stück zurück, um statt des Abendessens ein zweites Frühstück einzunehmen. Nachdem er damit fertig war, begab er sich in sein Zimmer und legte sich ins Bett, wo er, zufrieden über diesen Akt der Rebellion, bald einschlief.

Morgen? Abend? Nacht? Wie lange mochte er geschlafen haben? Johann rieb sich die Augen. Einige Minuten lang versuchte er, seiner Müdigkeit nachzuspüren in der Hoffnung, so die ungefähre Dauer seines Schlafes abschätzen zu können. Vergebens. Seine Bemühungen, wieder einzuschlafen, scheiterten beharrlich. Die Mattigkeit, die er dennoch spürte, mochte ebenso gut auf fehlenden Schlaf zurückzuführen sein wie auf dieses elende, immer gleiche fahle Licht, das nie ganz erlosch und nie richtig hell wurde, auf eine beginnende Melancholie oder einfach darauf, dass es eben eine Weile dauerte, wach zu werden. Jedenfalls war ihm nun, wie ihm beim Frühstück auffiel, jeder Rest zeitlicher Orientierung abhandengekommen. Er hatte keine Verbindung mehr zum Takt jener Welt außerhalb des Hotels, die ihm allmählich zur Erinnerung wurde. Und die, wie jede Erinnerung, ein Körnchen Zweifel enthielt, ob es tatsächlich so gewesen war. Ob da überhaupt etwas gewesen war. In der grauen, bleiernen Stille und Bedrückung, die das Hotel verströmte, kamen ihm die bunten, geräuschvollen und bewegten Städte seiner Erinnerung fast schon erträumt vor.
Johann erschrak. War er tatsächlich schon so weit, den Glauben an die Stadt, den Flughafen, sein Reiseziel zu verlieren? So schien es. Offenbar wurde er allmählich verrückt - was kein Wunder war angesichts der letzten Zeit, deren Dauer er inzwischen nicht einmal mehr auf den Tag genau schätzen konnte. Er musste hier raus. Und zwar so schnell wie möglich. Er würde ein Taxi nehmen und in die Stadt zurück fahren. Dort konnte er seinen Flug in einem Hotel abwarten, in dem es Sonnenlicht, Gespräche, eine Umgebung und eine Zeit gab. Und in dem ihm sein Aufenthalt hier hoffentlich möglichst bald vorkommen würde wie ein schlechter Traum. Durch seinen Entschluss belebt griff er zum Telefon. Doch es gab kein Freizeichen. Die Leitung war tot.
Gewiss, sagte ihm der Portier, als Johann gleich darauf sehr aufgebracht im Schlafanzug in der Empfangshalle erschien, gewiss, dergleichen komme hier bisweilen vor. Das Wasser, von dem man hier ja genug, fast etwas zu viel habe, dringe bisweilen in die Leitungskästen ein und verursache Kurzschlüsse. Das komme immer wieder einmal vor, sei aber nie dramatisch und werde sicher bald repariert. Worauf Johann barsch entgegnete, er habe nicht die geringste Absicht, darauf zu warten. Er habe genug von diesem Hotel und wünsche unverzüglich, in die Stadt gefahren zu werden.
Der Portier hob die Hände. „Wir würden Ihnen natürlich sofort ein Taxi rufen, aber unsere Telefone sind ja genauso betroffen wie Ihres. Ich fürchte also, dass wir im Moment nicht viel für Sie tun können.“
Hierauf schimpfte Johann ein wenig herum, aber nur halbherzig; denn dass der Portier für den Ausfall der Telefone nichts konnte und unter den gegebenen Umständen auch kein Taxi rufen konnte, sah er natürlich ein. Bald grummelte er nur noch, eher zu sich selbst und eher in Gedanken als in Verlautbarungen, schließlich schwieg er und überlegte. Er musste auch gar nicht lange überlegen, bis ihm ein anderer Einfall kam.
„Sagen Sie, das Hotel muss doch beliefert werden, mit Vorräten zum Beispiel. Wäre es nicht möglich, mit einem der Lieferanten in die Stadt zurück fahren?“
„Sich, das ließe sich einrichten“, gab der Portier zurück, „Und wenn es das ist, was Sie wünschen, so haben Sie Glück – die nächste Lieferung erwarten wir in ein paar Minuten.“
„Ich gehe schnell packen“ rief Johann, sprang auf und war schon halb die Treppe hinauf, als er die Stimme des Portiers in seinem Rücken hörte. „Allerdings gebe ich zu bedenken, dass auch Ihr Taxi jeden Augenblick hier eintreffen kann. Sollten Sie nicht anwesend sein, wen es eintrifft, gilt Ihr Flug als nicht angetreten und ihr Ticket als verwirkt. Die Vertragsbedingungen sind in diesem Punkt sehr klar. Erst kürzlich habe ich es erlebt, dass einer unserer Gäste ein Taxi in die Stadt genommen hatte, nur Minuten bevor er abgeholt werden sollte. Das hat ihn um seinen Urlaub auf Hawaii gebracht. Sind Sie sich Ihrer Sache wirklich sicher?“




V

Sein Buch hatte Johann ausgelesen, dann noch einmal und schließlich ein drittes Mal. Nun konnte er es nicht mehr sehen. Die Ausflüge hatte er ohnehin längst aufgegeben. Wenn er nicht schlief, saß er am Fenster und starrte hinaus. Ab und zu bekam er Hunger und ging zum Frühstück oder zum Abendessen, nach Möglichkeit abwechselnd, doch mit der Zeit war ihm die Erinnerung zu einem grauen Brei verschwommen und er konnte sich nur noch selten darauf besinnen, was seine letzte Mahlzeit gewesen war.
Tage? Wochen? Monate? Johann wusste nicht, wie lange er hier war. Er machte sich auch keine Gedanken darüber, was später sein würde. Wie die Sümpfe um das Hotel schien auch die Zeit jenseits eines engen Bereiches von gerade Gegenwärtigem im Nebel zu verschwimmen. Ein enger Bereich vor dem Fenster, ein Dutzend Quadratmeter Asphalt, von Scheinwerfern und einigen Laternen beschienen, am Rand ein paar Büschel von gelbem Gras. Das war alles. Das war die Welt. Johann sah keinen Grund, hinein zu gehen. Er schaute sie an. Inzwischen hatte ihre Gleichförmigkeit, die er früher einmal langweilig gefunden hatte, etwas Beruhigendes.
So erschrak er über die plötzliche Bewegung in seinem Gesichtsfeld. Ein Licht durchdrang den Nebel, nein, nicht eines, zwei Lichter waren es, und sie bewegten sich, kamen näher! Dort, wo man ihre Quelle vermuten musste, war das Grau dunkler, voller, dort war etwas. Und nun hörte er auch ein Motorengeräusch, das allmählich lauter wurde. Kein Zweifel – ein Auto! Bald würde es nahe genug heran sein, um seine Farbe zu erkennen. Gierig presste Johann sein Gesicht an die Scheibe. Eine Farbe! Das Auto musste doch eine haben. Er würde eine Farbe sehen. Autos hatten doch immer eine Farbe. Auf die Entfernung war sie aber noch schwer zu erahnen. Blau vielleicht? Nein, heller. Grün? Nicht ganz. Eher – gelb?
Ein elektrisches Knacken vom Flur her ließ ihn hochfahren. Kurz darauf meldete sich, blechern verzerrt, die Stimme des Portiers:
„Sehr verehrte Gäste! Wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit. Aus organisatorischen Gründen müssen wir Sie leider ersuchen, Ihr derzeitiges Zimmer zu verlassen und in das Zimmer mit der nächsthöheren Zimmernummer umzuziehen. Bitte lassen Sie Ihren Zimmerschlüssel außen in der Tür stecken und achten Sie darauf, alle persönlichen Gegenstände mitzunehmen. Für einen möglichst reibungslosen Ablauf möchten wir Sie außerdem bitten, den Umzug innerhalb der nächsten fünfzehn Minuten abzuschließen. Wir entschuldigen uns für die entstandenen Unannehmlichkeiten und danken für Ihr Entgegenkommen.“
Johann schaute noch immer ungläubig auf die Gegensprechanlage, als die ersten Geräusche vom Flur her in sein Zimmer drangen. Türenschlagen. Schritte. Stimmen, vereinzeltes Fluchen. Das Geräusch von Taschen und Koffern, die über den Boden gezerrt wurden oder an den Wänden entlang schabten. Ohne viel zu überlegen verstaute er seine wenigen Habseligkeiten in seinem Koffer und trat nach draußen. Dass der Lärm bei offener Tür lauter sein würde, war nicht überraschend; wohl aber, dass er auch hier von Sekunde zu Sekunde lauter wurde. Ein Dröhnen kam aus dem Gang, das in Wellen anschwoll und entfernt an einen Gewitterdonner erinnerte. Fast mochte es einem scheinen, als ob der Flur nicht hinter der nächsten, übernächsten oder überübernächsten Biegung ende, sondern stattdessen ins Unermessliche weiterlief, in dem Zahllose mit ihren Umzügen beschäftigt waren.
Auch Johann zerrte nun seinen Koffer durch die Tür, ließ gehorsam den Schlüssel stecken. Sein Koffer kam ihm schwerer vor als er ihn in Erinnerung hatte, doch zum Glück waren es zu Zimmer 2 ja nur ein paar Schritte. Und zum Glück befand er sich am Anfang des Ganges, denn so blieb ihm das Gewimmel und Gedränge vor ihm erspart. Viele waren inzwischen in ihrem neuen Zimmer angekommen und allmählich wurde es wieder leiser. In dem allgemeinen Wirrwarr waren schon wieder einzelne Stimmen auszumachen. Das diffuse Grollen, das er zuvor gehört hatte, war zwar noch zu hören; doch nur gedämpft, als halle es von weither zu ihm herüber. Hinter ihm kam der Page keuchend die Treppe herauf. Er hielt einen imposanten Seekoffer in den Armen, den er mit einem Seufzer der Erleichterung in Zimmer 1 abstellte.
Nun hörte er auch Stimmen vom Portierstisch. Was das denn da oben für ein Lärm sei fragte jemand in der Stimme einer Frau mittleren Alters. Das sei weiter nichts und werde sich bald legen, kam die Antwort vom Portier. Dann fügte er noch hinzu: „Sie bekommen Zimmer 1. Es liegt dem Ausgang am nächsten, so werden Sie morgen keine Mühe haben, Ihr Taxi rechtzeitig zu erreichen. Nehmen Sie doch noch einen Augenblick Platz, Ihr Zimmer wird bald soweit sein.“
Offenbar war ein neuer Gast eingetroffen. Aber was scherte ihn das? Johann zuckte die Schultern und wandte sich ab, dem Gang zu, in dem sich inzwischen, so weit er sehen konnte, alle Türen geschlossen hatten.

aram
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Beitragvon aram » 25.08.2016, 14:09

hallo mnem,

anfangsdetail: erstmal nur den ersten absatz gelesen, an dessen ende ich stocke - wo könnte sich ein flughafen befinden, von dem aus jeweils 'viele' reisende nach new york, hawaii und mallorca wollen? - den gibt es wohl nicht; die beiden letzten destinationen scheinen dafür inkompatibel - vielleicht soll das als hinweis auf fiktionalität der erzählung oder realitätsferne der gedanken des protags dienen - ein so früher bruch ist ungewohnt, zu anfang einer geschichte möchte ich als leser gerne an sie 'glauben' können, um überhaupt erst mal 'hineinzukommen' .-)

liebe grüße!

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 25.08.2016, 18:27

Nun, eben habe ich eine traumhafte Erzählung gelesen.

Ich fühlte mich wie mitten in einem Traum, einem Traum, wie ich oft selbst gehabt habe, ich meine, unter ganz anderen Umständen.

Was ich sagen will ist, dem Verfasser ist es gelungen, diese Traumatmosphäre zu erschaffen, die nicht unbedingt, aber scharf an der Grenze, ein Alptraum sein kann.

Genial, und bewunderswert die ausführlichen Schilderungen, die es glaubhaft machen.

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Beitragvon Mnemosyne » 26.08.2016, 10:23

Hallo Aram,
vielleicht würde es dein Unbehagen lindern, wenn dort "an Orte wie New York..." stünde? Aber das wäre mir an dieser Stelle zu aufdringlich, zu früh. Und wenn man nicht gerade auf einem Direktflug besteht, kommt man wohl von jedem größeren Flughafen zu jedem anderen. Na, mal sehen. Jedenfalls danke für die Rückmeldung.

Hallo Klimperer,
sehr schön, das freut mich! :)
Zuletzt geändert von Mnemosyne am 26.08.2016, 16:25, insgesamt 1-mal geändert.

aram
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Beitragvon aram » 26.08.2016, 13:16

hallo mnem,
new york ist ja nicht das problem, sondern die kombination von hawaii und mallorca - an welchem terminal der welt könnte man auf die idee kommen, dass eine substanzielle zahl der reisenden, die sich da tummeln, jeweils dorthin unterwegs sind? - an welchen ausgangspunkt von johann kauz' reise dachtest du denn?

pjesma

Beitragvon pjesma » 26.08.2016, 20:37

(ich ignoriere den text nicht,hab schon geschlunzt, will es in ruhe langsamer lesen weil bildschirm und lang, bald :-)
lg

Nifl
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Beitragvon Nifl » 02.09.2016, 18:49

Toller Text, Merlin. Spinnt einen richtig in den Traum ein, sehr bedrückend. Und natürlich liest es sich kafkaesk. Stellenweise fand ich den Duktus übertrieben formalisiert. Und schön, dass es noch jemanden außer mir gibt, der kein Handy besitzt (vielleicht die Abwesenheit erläutern?). Auch das Ende gut "gelöst", hatte schon Panik, du ließest ihn aufwachen.
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Beitragvon Zefira » 08.09.2016, 23:04

Ganz tolle Geschichte, Merlin! Erinnert mich sehr an Robert Aickman - hast Du mal was von ihm gelesen?
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Beitragvon Mnemosyne » 09.09.2016, 11:59

Ihr Lieben,
vielen Dank fuer eure Kommentare. Ich bin die letzten beiden Wochen in netz- und weitgehend auch stromfreien Zonen in Island gewesen und melde mich daher etwas verspaetet zurueck.

Nifl, dein Kommentar freut mich. Kannst du mir vielleicht ein Beispiel fuer den zu formalen Duktus geben? Ich versuche ja gerade, den unter Kontrolle zu bringen.
Ueber die Handyfrage habe ich auch kurz nachgedacht (ich habe uebrigens auch keins). Vermutlich ist es inzwischen wirklich ein Stolperstein, wenn so etwas nicht erklaert wird. Vielleicht lasse ich ihn eben in eine netzfreie Zone hinein fahren.

Zefira, nein, von dem hoere ich jetzt zum ersten Mal - kannst du einen Text empfehlen?

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Beitragvon Zefira » 09.09.2016, 12:36

Hallo Merlin,
ich war eine Zeitlang Aickmans Fan Nummer eins in Deutschland - habe zeitweise sogar versucht, so ähnlich zu schreiben wie er. Inzwischen ist er mir etwas zu weitschweifig und geschwätzig, aber ich halte ihn immer noch für einen der besten Autoren aus dem Bereich der Realphantastik. Seine bekannteste und oft anthologisierte Geschichte dürfte "Wechselgeläut" sein (der Titel wird unterschiedlich übersetzt, auch als "Wechselläuten" oder noch anders); mein persönlicher Favorit ist "Die Züge". Es gab zwei Geschichtensammlungen von ihm bei DuMont ("Glockengeläut" - also nochmal anders ;o) und "Schlaflos"), aber die bekommt man wahrscheinlich nur noch antiquarisch.

Grüße von Zefira
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Beitragvon Nifl » 09.09.2016, 19:10


Kannst du mir vielleicht ein Beispiel fuer den zu formalen Duktus geben?

grrr, war klar das die Frage kommt, andererseits ist der Text wirklich so gut, dass ich ihn ein zweites Mal lesen könnte.


Ueber die Handyfrage habe ich auch kurz nachgedacht (ich habe uebrigens auch keins)

Mir hat letztens ein Inder gesagt: "Du bist der zweite Mensch, den ich kenne, der kein Handy besitzt." Jetzt weiß ich endlich wer der erste ist.
Ä, zum Text, ja, aber "kein Netz" reichte ja nicht, weil die Dinger ja auch Uhr, Wecker und Trallala haben.
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Beitragvon Zefira » 09.09.2016, 21:35

Ich könnte mir vorstellen, dass sein Handy entladen ist und er keine Möglichkeit findet, im Hotel den Akku aufzuladen. Er findet keine passende Steckdose oder dergleichen ... die Lampenkabel verschwinden in fest montierten Leerrohren, im ganzen Zimmer ist keine frei zugängliche Steckdose. Würde doch irgendwie passen ...
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Beitragvon Mnemosyne » 12.09.2016, 11:57

Ja, das passt gut. Mal sehen!

CPMan

Beitragvon CPMan » 14.10.2016, 23:50

Positives vorneweg: Handwerklich gibt es wenig bis gar nichts zu beanstanden. Du kannst schreiben. Auch den Ansatz finde ich vielversprechend. Ebenos mag ich, wie langsam das Befremdliche (oder Kafkaeske) in die Handlung eindringt. Die Situation, die du beschreibst erlaubt eine hohe Identfifikation des Lesers mit dem Protagonisten, da die Szene etwas Alltägliches beschreibt. Aber, und jetzt kommt meine Hauptkritik: Die detailverliebte Textfülle, die im Vergleich dazu relativ wenig Inhaltliches anbietet, erschwerte mir zunehmend das Lesen so dass ich nach drei Vierteln aufgab, weil mich das Schicksal des Protagonisten kalt ließ. Der Text entwickelte für mich persönlich keinen Sog, leider.


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