Was macht das mit dir?

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 09.08.2017, 14:45

"Was macht das mit dir?", höre ich immer öfter in den Medien.

Da ist die Rede von einem Ereignis oder Objekt, das jemand mental aufnimmt und verarbeitet. Mittendrin fragt der untersuchende Journalist oder Therapeut (oder therapeutische Journalist) den Verarbeiter:

"Was macht das mit Ihnen?"

Und ich, zuschauend, frage mich, was meint der mit "Ihnen", oder "dir"? Der meint wohl das "Ich".

Meint der jetzt, im barocken Sinn, da sitzt irgendwo im Schädel in einer leeren Stube oberhalb der Wirbelsäule eine Erbse names "Ich", und ein Ereignis dringt von außen herein, so eine wabernde Ereigniswolke und zupfelt an der Ich-Erbse herum? "Huch", ruft die Erbse, "was macht diese Wolke mit mir?"

"Herr Schmittlowski, wenn Sie so ein Bild sehen, was macht das mit Ihnen?"

-- Ich kann diesen Spruch nicht mehr hören. Der gesamte sinnliche und sortierende Geist schrumpft hier zu einem passiven, niedlichen Dutt am Hinterkopf; zu einem Anhängsel, das nicht mehr Teil des Wesens selbst sei, sondern von "äußeren" Sinnen und Verständen geschüttelt werde, als ob sie nicht mehr Teil des Ganzen seien. Aber sie machen das gesamte Wesen doch aus! Das Bild macht nicht etwas aus dem Wesen, sondern das Wesen macht etwas aus dem Bild! -- Wach auf, Dutt!

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birke
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Beitragvon birke » 10.08.2017, 10:14

sehr schön bildlich, die „ich-erbse“, schmunzel.
ich stimme dir gern zu. ich mag ihn auch nicht, diesen satz. er hat für mich etwas von „betüddelndem“ psychiater-satz. so von oben herab, und irgendwie ausgelutscht.
treffender wäre meiner meinung nach die frage „welche wirkung hat das auf dich?“ oder aber auch tatsächlich die umkehrung (und weiterführung) ins aktive: "was machst du damit?"
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 10.08.2017, 13:16

Danke für den Kommentar!

Mir fällt gerade auf: "Huch" tut man nicht rufen (ursprünglich stand da "Hilfe"). Was tut man denn "huch"? Sagen tut man "huch" auch nicht ... Es gibt schon Verben dafür, aber die sind alle so lang und zusammengesetzt.

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birke
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Beitragvon birke » 10.08.2017, 17:16

och, doch, man kann "huch" durchaus rufen... oder auch sagen... aber auch machen.
oder "huchen". ;)
dieses "huch" passt hier aber auf jeden fall gut.
Zuletzt geändert von birke am 10.08.2017, 17:47, insgesamt 1-mal geändert.
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Niko

Beitragvon Niko » 10.08.2017, 17:30

Die Frage "Was macht das mit dir / Ihnen" ist ein typisches Beispiel für die Deutungsvariabilität der Sprache.
Im Grunde sagt die Frage: Was macht das mit dir. Ohne wenn und a-ber und vielleicht. Es fragt danach, was es in dir auslöst, wie du dich damit fühlst, ob es etwas verändert. Es ist eine neugierige Frage. Oder eine besorgte Frage. Oder eine Spitze Bemerkungs-fFrage. Es ist immer das, was wir darin erkennen wollen. So ist Sprache. Ohne dies würde zum Beispiel keine Lyrik funktionieren.
,
Aber natürlich drängen sich bei Formulierungen, die wir standardisieren, immer pauschalurteile auf. Der Psychiater, die Waldorf - Schule, der Menstruationsclub "Silberdistel"... was weiß ich. Vielleicht würde die Sprache an der nüchternen Betrachtung ihrer Wörter sterben. Sie braucht, so glaube ich, die Deutungsblüten, damit sie sich entwickeln kann.

nur mal so dazu in den Salon gesponnen....

Herzlichst - Niko

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 10.08.2017, 18:51

"Was macht das mit dir?" ist die korrekte Frage zu "es macht mich sauwütend" oder "es macht mich traurig".
Es ist allerdings keine Frage, die zu differenzierender Betrachtung auffordert.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 10.08.2017, 19:55

Und wo ist das "mit" in der Antwort?

Das macht mich wütend. Was macht das dich? Wütend.

Das macht mit mir, was es will. Was macht das mit dir? Was es will.

Das erzeugt Wut mit mir. Was macht das mit dir? Wut.

Es gibt noch ein anderes "mit"; ein transportierendes:
Ins Käfig mit dir!
Ab unter die Dusche mit dir!

Aber jenes "mit" ist einwirkend:
Was macht die böse Tante mit dir? Sie redet sehr laut mit mir.

Ins betüddelnde gehend:
Was macht so eine Musik mit dir? Sie schüttelt, sie rüttelt mich auf.

Bloß würde ich beim Fragen nicht so betüddeln, sondern traditionell formulieren:
Wie reagierst du auf so eine Musik?
Wie wirkt sie auf dich?
Wie empfindest du sie?

Es sei denn, ich rede mit einem Dutt; dann frage ich:
Was macht dieser Kopf mit dir, Dutt? Er spielt Wackelpudding mit mir.

Zufälligerweise höre ich das Betüddelnde oft dann, wenn Männer mit Dutt in der Nähe sind.

Ich finde die Floskel in Ordnung, wenn es um Organe geht:
Was macht die Bohnensuppe mit dir, beziehungsweise, mit deinem Darm?

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.08.2017, 16:25

Lieber Pjotr,

ja, sehe ich auch so! Meine Beobachtung ist, dass solche Fragen aus dem Versuch entstehen, keine von Uninformiertheit oder Grobheit zeugende Fragen zu stellen, man reduziert immer mehr den eigentlichen Impuls der zum Fragen geführt hat, weil daran immer irgendetwas falsches, unzulängliches, dummes, egozentrisches, vorurteilsbehaftetes zu finden ist, um präsent, feinsinnig, offen zu wirken, und landet dann bei solchen seichten Leerfragen, für die im Übrigen auch schon ebensolche generierte Leerantworten feststehen.
Dir ging es, glaube ich, besonders um ästhetische Kontexte, aber ich finde gerade auch im Sozialen miteinander gibt es das ganz genauso....Ganze Lebensalternativen, Kindererziehungsprogramme etc. sind so gestaltet. Der feine Ansatz hat sich in eine Hohlreflexion gesteigert.


Ich fände, "Wach auf, Dutt!" einen schönen Titel .-)

Viele Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 13.08.2017, 18:54

Liebe Lisa,

doch, auch mir ging es um das ... ich nenne es mal "soziologische". Nicht um das sprachästhetische.

Den Titel lass ich mal so, weil der Dutt erst am Ende ins Bild kommen soll ... :-)

Ich bin überrascht, dass sogar gleich zwei -- Birke und Du -- dieses gewisse "Hintergrundrauschen" herausgehört haben aus diesem ... Hörgefühl ... beim Betüddeln, das ich eigentlich gar nicht konkret beschreiben kann.


Ahoy

Pjotr

Klara
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Beitragvon Klara » 31.08.2017, 16:24

Hallo Pjotr,

treffend!

herzlich
klara

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Beitragvon Klara » 31.08.2017, 16:25

... ups, das war jetzt arg knapp, aber ich find's einfach so TREFFEND, dass andere Worte überflüssig wären - hoffe, das "treffend" macht jetzt nicht was Unzutreffendes mit dir?

;)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 31.08.2017, 19:36

Alles gut, danke! :D:


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