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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 23.10.2017, 20:37

"Sie wollen den männlichen Anteil im Bundestag verkleinern?", fragt er leise.

"Ja", bestimmt sie mit einer senkrechten Entschlossenheitsrunzel auf der Stirn.

"Sie sehen: Ich bin auch Abgeordneter, in der Kategorie 'männlich'. Hören Sie, ich will gerne drin bleiben. Lassen Sie wenigstens ein paar Versuche zu, mich Ihrem Wunsch anzupassen."

"Sieh an."

"Da ich ohnehin etwas Gewicht abnehmen will, bin ich durchaus damit einverstanden, mir eins meiner kleineren Glieder abschneiden zu lassen. Würde das Ihnen entgegenkommen?"

"Viel ist das nicht."

"Und wenn ich alle meine Rückenhaare epilieren lasse? Das sind viele."

"Hören Sie auf damit."

"Das meine ich ernst! -- Wenn ich fragen darf: Wie tief dringt Ihr Gestaltungswille? Ich kann auch meine Brusthaare rasieren. Nass."

"Meingott, es geht ums Verhalten, nicht um Körperanhängsel."

"Ich werde meinen Gang verändern. Ich werde dieses gewisse Breitbeinige mehr einschränken. Und beim Fuchteln mit den Armen werde ich die Ellbogen körpernah halten und die Handgelenke entspannen, damit die Hände baumeln."

Ihr Gesicht ist starr, außer einer Augenbraue; die wandert aufwärts.

"Nein? -- Und wenn ich meine Stimmlage erhöhe?"

Ihre andere Augenbraue drückt nun auch nach oben während ihre Augäpfel eine Mischung aus Resignation und Traurigkeit eröffnen.

"Stört Sie meine berufliche Herkunft vielleicht? Weil ich LKW-Fahrer war? So männliche LKWs. Ich habe auch Kinder erzogen, liebevoll erzogen. Zählt das? Wieviel zählt das? Was muss ich tun, damit unser aller Bundestag fraulicher wird? Sagen Sie es mir. Ich mache alles. Gliedabnahme. Epilierung. Rasur. Körperhaltung. Stimmlage. Berufliche Tätigkeit. Worauf zielen Sie? -- Und, nur damit ich es begreife, was sagen Sie den zahllosen LKW-fahrenden, oberlippenbärtigen Müttern, jenen mit schnaps-geätzten Bass-Stimmbändern, deren mollige Oberschenkel nur Breitgang ermöglichen, -- machen diese ehrenwerte Damen den Bundestag nicht auch weiblicher? Was für Eigenschaften fordern Sie? Es geht doch um Eigenschaften, oder nicht? Ist es die Eigenschaft, einen Mädchenvornamen im Pass zu haben? Ist es das?"

"Ach. So vieles rutscht aus dem Gleichgewicht. Im Bundestag gibt es zum Beispiel auch eine ungleiche Verteilung der Haarfarben. Es gibt deutlich mehr Abgeordnete in der blond-braunen Kategorie als im schwarzhaarigen Sektor. Eine Quotenregelung für Schwarzhaarige wäre gar nicht so verkehrt. Und das sage ich nicht aus Eigennutz. Schauen Sie mich an, ich bin blond. Echt blond."

"Sie mögen Martini gerührt? -- Spass. -- Jadenn, wenn Sie solche Sachen abwägen, was halten Sie dann von diesem Riesenüberschuss an Juristen und Lehrern im Parlament?"

"Genau das ist auch so ein Problem! Es gibt fast keine Handwerker in diesem hohen Haus."

"Auf den ersten Blick hat mich das auch erstaunt. Auf den zweiten wiederum nicht. Ich denke, die Ursache liegt in der Natur des Handwerkers: Handwerker sind die, die mit der Hand werken, und nicht vor Publikum Reden halten. Juristen und Lehrer hingegen sind berufen zu letzterem. Eben deswegen haben sie ja ihre Berufe ergriffen. Es erstaunt mich deshalb auch nicht, dass alle Abgeordnete zur Zeit Abgeordnete sind."

"Die Handwerker sollen mehr reden. Und die Redner sollen mehr handwerken."

"Warum?"

Es klingelt. Die Abgeordneten strömen wieder in den Plenarsaal.
Zuletzt geändert von Pjotr am 26.10.2017, 22:07, insgesamt 8-mal geändert.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 23.10.2017, 21:42

Ich glaube, Pjotr, Du trauerst immer noch dem Faden mit der Beinbehaarung von - ich weiß den Namen der Dame nicht mehr - nach ... Immerhin mal ein Versuch, die Frauenquote zu veralbern. Ist sie tatsächlich so lächerlich? fragt sich Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 23.10.2017, 22:59

Nein, ich trauere nicht um den Comic-Faden.

Ich habe heute Zeitungen gelesen; da stehen Statistiken drin über die Zusammensetzung des nächsten deutschen Bundestags. Das hat verschiedene alte Gedanken wiedererweckt und sie mit neuen verwoben.

Der Text oben ist ein satirischer Versuch mit mehreren Ebenen, und teilweise auch eine private Übung in Sachen "Bildersprache" ... (ich bin Anfänger).



Viele reden von Frauenquote. Dabei stellen sich doch zu allererst zwei andere grundlegende Fragen:

1. Macht die Frauenquote eine Gruppe wirklich weiblicher?
2. Welche Eigenschaften fallen in die Kategorie "weiblich"?

Wenn die Frauenquote nur auf Mädchenvornamen basiert, dann ist das keine Weiblichkeitsquote, sondern eine Mädchenvornamen-Quote. Wofür soll das gut sein?

Aber wenn die Frauenquote auf Weiblichkeit basiert, dann müssen auch weibliche Menschen mit Bubenvornamen als "Frau" gezählt werden, und männliche Menschen mit Mädchenvornamen müssen runter von der Liste. Und in dem Fall muss auch geklärt werden, wo die Ja-Nein-Grenze verlaufen soll; welche Eigenschaften sind weiblich, und wie intensiv sollen die Eigenschaften sein für die Ja-Nein-Festlegung.

Also wenn beispielsweise sozialpädagogisches Talent im Umgang mit Kindern als "weibliches" Talent definiert wird, dann muss die Frauenquote auch penistragende Sozialpädagogen in ihren Kreis aufnehmen. Und wenn das Vernachlässigen von Kindern, oder der Kriegsdienst zum Beispiel, als "unweiblich" gilt, dann müssen manche vaginalausgestattete Menschen von der Frauenquote ausgeschlossen werden. Wenn das jetzt grotesk klingt, dann soll die Frauenquote eben Klartext reden: Um was für Eigenschaften geht es genau? Oder geht es einfach nur um einen abstrakten Gruppenkampf? Die hier gegen die da drüben?

Ich halte dieses Gruppierungsstreben für so unsinnig wie der Versuch, eine Leitkultur festzulegen. Um eine "Frau" oder "die Weiblichkeit" zu definieren, müsste man gleichfalls eine Leitfrau festlegen, nach der alle Menschen in "männlich" und "weiblich" zu spalten sind.

Ich will lieber eine bunte Wolke. Und es ist mir egal, wenn mal die eine oder andere Farbe überwiegt. Bei den Grünen und Linken überwiegen zur Zeit die Mädchennamen. Mir ist das völlig wurscht. So rum oder so rum.



Ich habe den Verdacht, dass der Frauengruppierungswunsch mancher Frauen, oder der Männergruppierungswunsch mancher Männer, aus dem selben Gefühlscocktail besteht wie der Gruppierungswunsch jeglicher Gruppierungswünschenden, also jenen, die sich ausschließlich Katalonien zuordnen, oder Deutschland, oder Schalke 04. Man pickt sich irgendwelche Eigenschaften aus einem Ozean von Eigenschaften, und auf der herausgepickten Eigenschaft gründet man eine Gruppe und findet seine Heimat und Geborgenheit in einem fiktiven Gründungsmythos. Die Sehnsucht nach Gruppe, und das daraus resultierende Kämpfen um diese Gruppe ... Die eigentlich gar nicht angegriffen werden kann, weil sie nur ein abstraktes Sprachkonstrukt ist. Deshalb ist sie auch immer so schwer zu definieren.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 24.10.2017, 22:15

Ich teile ja Deine Skepsis, lieber Pjotr, gegenüber dem Glauben, es würde alles besser, wenn mehr Frauen mitbestimmten. Offen gestanden kann ich jede Frau gut verstehen, die lieber zu Hause bleibt, ihre Kinder und einen liebevollen Mann umsorgt und vielleicht nebenher noch einen Krimi schreibt, als sich in die Politik zu begeben und sich dort von den überall verbreiteten Weinsteins belästigen und betatschen zu lassen. Ein Text von 1899, den ich gerade meiner Frau vorgelesen habe, wird Dich, wenn Du ihn nicht schon kennst, sehr interessieren:
http://gutenberg.spiegel.de/buch/-1412/1
Fanny zu Reventlow - eine Pionierin - sicherlich einige blinde Flecken, aber auch vieles Wahre!
Gruß Quoth
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Beitragvon Pjotr » 24.10.2017, 23:19

Da hast Du mich falsch verstanden, Quoth. Ich rede nicht vom Besserwerden oder Schlechterwerden wenn mehr Frauen mitbestimmen. Das bewerte ich nicht. Kann gut sein, dass es besser wird. Ich weiß es nicht.

Es geht auch nicht um Skepsis.

Ich denke beim "Frauenbegriff" auch nicht an Hausfrau, wie Du es gerade tust. Hausarbeit sehe ich als eine geschlechtsneutrale Aufgabe.

Mir geht es um eine ganz andere Ebene. Wird das in meinen Kommentaren oben nicht deutlich?

Wenn ich frage, ob eine Frauenquote eine Gruppe wirklich weiblicher macht, dann meine ich buchstäblich den Begriff "weiblicher", und nicht "besser". Die Gleichung "weiblich = gut" existiert für mich genauso wenig wie "männlich = gut". Mir geht es nicht um Wertung. Mit geht es um die Definition der "Leitfrau", die es ja geben muss (die ich aber nicht erfinden will). Wie muss ein Mensch seelisch ausgestattet sein, um in die Kategorie "Frau" zu gelangen. An den Körperteilen wird die Seele wohl nicht gemessen.

Die Frauenquote misst aber nur Körperteile, beziehungsweise den Vornamen im Ausweis.

Im Ausweis steht aber auch die Augenfarbe. Warum gibt es keine Augenfarbenquoten? Oder Körpergrößenquoten?

Warum gruppiert sich die Eigenschaft A, nicht aber die Eigenschaft B, oder C?

Beispiel: Wenn 2 Frauen und 1 Mann arbeitslos sind, warum gruppieren sich dann 2 Frauen zur Frauengruppe zwecks Bekämpfung der Frauenarbeitslosigkeit? Warum die Geschlechtertrennung? Warum nicht eine Haarfarbentrennung? Warum gruppieren sich nicht einfach 3 arbeitslose Menschen zur Bekämpfung der Menschenarbeitslosigkeit und fokusieren sich auf die Eigenschaften genau dieser 3 Arbeitslosen, anstatt diese 3 Arbeitslose in nebensächliche Eigenschaften zu unterteilen? Das Frausein an sich erzeugt ja keine Arbeitslosigkeit, sonst wären alle Frauen arbeitslos. Daran kann es also nicht liegen. Es liegt an INDIVIDUELLEN Problemen, egal welchen Geschlechts.

Arbeitslosigkeit ist nur ein Beispiel.

Wenn eine gelbe Tasse einen Sprung hat und eine lila Tasse keinen, dann hat die eine nicht einen Sprung weil sie gelb ist, sondern weil sie einen Schlag bekommen hat. Dasselbe kann der lila Tasse passieren. Um das Problem zu bekämpfen, müssen die Tassen nicht ihre Farben ausdiskutieren und bequoten.


Ahoy

Pjotr

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Beitragvon Pjotr » 26.10.2017, 18:29

Gerade habe ich alte Filmausschnitte gesehen über den kürzlich verstorbenen thailändischen König, und über seine Untertanen, wie sie auf den Knien rutschend ihm Sachen übergaben; man durfte sich ihm nur auf den Knien gehend nähern. Sie verehrten ihn wirklich sehr. Die Gesellschaftsregeln der Menschheit, diese Spielregeln, verblüffen mich doch immer wieder. Sie erscheinen so bizarr, wenn man aus einem gewohnten Kulturkreis in einen fremden schaut. Die Rituale, die Ritualsprache, das sich selbst ordnende Chaos, die selbstchaotisierende Ordnung, alles funktioniert im Großen Ganzen irgendwie. Diese Filmausschnitte lenkten meinen Gedankengang wieder auf diesen Faden. Vielleicht sollte ich einfach aufhören, immer so tief in die Gründe zu bohren, sollte besser an diesem Spiel teilnehmen, mir einfach ein paar Fahnen aussuchen (für Nationen, Geschlechter, Religionen, Atheismen, Sportklubs, Kunstrichtungen etc.), Urgefühle aufschäumen lassen und meine auserwählten Fahnen schwenken. Die Schwarmintelligenz wird sowieso das letzte Wort haben. Mein Hirn ist nur ein Neuron eines erdumfassenden Menschenschwarmhirns. Alles wird gut. Es weiß nicht, was es tut, aber es tut etwas, was ihn am Leben erhält, denn andernfalls wäre es nicht so weit gekommen. Ich schalte meinen Bohrer jetzt aus, für eine Weile.

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birke
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Beitragvon birke » 26.10.2017, 22:23

och nö, nur nicht aufgeben, pjotr!
wir brauchen doch dringend menschen, die bohren.
ich finde die idee der frauenquote auch zumindest hinterfragwürdig. hat das wirklich etwas mit gleichberechtigung zu tun?
wie seltsam ist es, einen job nicht vordergründig aufgrund der qualifikation zu bekommen, sondern weil man (haha) zufällig eine frau ist? (edit: wobei es in deinem text um die abgeordneten geht, aber das prinzip ist ja ähnlich..) und, du sagst es selbst glaub ich, auch männer können weibliche züge haben und umgekehrt.
naja, ein weites feld. und wie bei allem, gibt es eben nicht nur schwarz oder weiß.
also, schalt halt aus, aber nur für eine ganz kleine weile, ja? ;-)
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/


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