Das Konstrukt

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Hetti
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Beitragvon Hetti » 26.01.2018, 12:19

Das Konstrukt

Margit zeterte und haderte mit Gott. „Verflixt noch mal, warum habe ich damals das Sparbuch aufgelöst und alles weggegeben. Du hättest mir einen kleinen Hinweis schicken müssen, das ich einmal alt werde.“

Aus Wut über ihren Bruder hatte Margit 1953 das Sparbuch aufgelöst. Giftig und völlig überstürzt spendete sie dem Kinderhilfswerk Deutschland e. V. hundertfünfunddreißigtausend Deutsche Mark und somit alles, was sie an Geldvermögen besaß.

Auch heute noch war sie der Auffassung, dass die Seligen geben müssen. In ihrem Herzen schwellte lebenslang eine latente Scham. Mit der Spende hatte sie sich gut gefühlt. Und im Recht. Der Zorn auf den älteren Bruder Thomas loderte und tobte in jenen Tagen so stark in ihrem Körper, dass sie nicht schlafen oder essen konnte.

Thomas seinerseits, dem sie den schriftlichen Nachweis über die großzügige Spende unverzüglich vorlegte, war außer sich. Eine Weile konnte er keinen vernünftigen Satz hervorbringen, japste nur mehrfach: „Du dumme Kuh.“ Irgendwann fasste er sich, beschimpfte drastisch ihre Frömmigkeit, ihre eingebildete Klugheit und ihre arrogante Gottgefälligkeit.

Der Anlass, das Geld wegzugeben, war ein handfester. Im wahrsten Sinne des Wortes. Viel lieber hätte sie Thomas geschlagen, mit Fausthieben auf seine Brust eingedroschen, bis er die kleine Schwester in den Arm genommen und getröstet hätte. Im Laufe der Jahre lernte Margit, dass Thomas sehr genau wusste, wie sie tickte, er sie in ihrem Innerstes erkannte, wie es später eigentlich nie wieder jemand tat. 1953 allerdings war die Zeit der Jugend und die Zeit der Verteufelung der lieben Familie. So kühlte sein Zorn den eigenen. Margit wandte sich ab und ging ihrer Wege. Thomas starb früh, die Geschwister hatten aber noch Gelegenheit, sich zu versöhnen.

Der Zwist lag lange zurück und gestern Abend, im dämmerigen Garten, trat Margit auf ihr Gebiss. Es zerbrach. Nur ein Teilgebiss, aber schlimm genug und sie hatte keine Ahnung, warum sie es überhaupt herausgenommen hatte im Garten. Es war geschehen, der Schaden mit Sicherheit irreparabel. Sie kannte sich aus, es gab fast nichts mehr, dass repariert werden konnte.

Unbezahlbar. Für Ersatz reichte ihr Geld bestimmt nicht. Vage erinnerte sich Margit an den hohen Preis des nun zerbrochenen Teilgebisses. Die guten, die finanziell unbeschwerten Jahre waren vorüber. Das Geldvermögen 1953 verschenkt, niemals geheiratet, bescheiden gelebt, aber weit gereist, besaß sie heute kaum Einkünfte aus ihrer früheren Berufstätigkeit. Ein kleines Mehrfamilienhaus, das einer umfassenden Sanierung bedurfte. Margits Zustand hatte einen Namen: Mittellos.

In der Küche sitzend, vor sich, auf einer Untertasse, die Bruchstücke des Gebisses, befasste sie sich wieder einmal mit den wichtigen Fragen des Lebens. Was wollte Gott ihr sagen? Im Zwiegespräch erhielt Margit zuverlässig Antwort, allerdings in komplexen und verschlungenen Arrangements. Oft musste sie selbst bei scheinbar einfachen Fragen ihr gesamtes breites Wissen rund um die Welt vergegenwärtigen, um zu verstehen. Die zehn Gebote? Immer hilfreich. Gott war Hirte von allen Schäfchen. Margit übersah das manchmal.

In aller Regel verstand Margit, ihre Wege waren meist hell und sonnenbeschienen. Meist. Es gab auch Lektionen, die mehrfach wiederholt werden mussten. Sie hatte eine Idee.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 03.02.2018, 10:15

Hallo Hetti,

dem Konstrukt nach klingt das Ende nach einem Anfang. Wenn dem so ist und du das Ende vom Ende noch nicht fertig hast, dann will ich dir den Flow mit frustrierendem Detailkram nicht nehmen. Schreibe erstmal fertig.
Von ganz oben betrachtet könnte ich mir vorstellen -nach sehr gründlicher Überarbeitung- die Geschichte reizvoll zu finden.

Grüße
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Hetti
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Beitragvon Hetti » 03.02.2018, 16:43

:ah:

Grüße Hetti


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