Scheiß Leben...???

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gertomat
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Beitragvon gertomat » 10.05.2021, 13:09

Scheiß Leben??

Hhmmmm...
Grmmmlll…

Ein erster zarter Augenaufschlag. Noch trübt ein leichter Nebel seinen Blick.

Nein, noch nicht aufstehen. Hhmmm....
Es war so schön zu schlafen. Seine Augen schließen sich noch einmal.
Er atmet tief. Seine Gedanken drehen sich um diesen, noch zukünftigen Tag, der im Morgengrauen vor der Höhle steht. Wieder öffnen sich leicht seine Augen.
Seine rechte Hand tastet die Umgebung ab. Er berührt ihre Hüften. Er streichelt sie. Sie schläft noch.
Sie ist schön, sofort spürt er die Erregung zwischen seinen Beinen. Er öffnet die Augen und blickt starr an die Höhlendecke, die im schwachen einfallenden Licht des anbrechenden Tages nur schwer zu erkennen ist. Seine Augen brauchen einen Moment, bis sie die Konturen der schroffen Gesteinsformationen der Decke auseinanderhalten können. Er streichelt ihren Schenkel und seine Gedanken reisen einen Augenblick zurück zum gestrigen Abend, als das lodernde Feuer noch die Decke erhellt hatte und jede noch so schwache Vertiefung, Furche oder Rille im Gestein, seine Phantasie zu einem Tanz aufforderte. Er war schon oft durch den Tanz der Flammen an dieser Decke, in seine innere Welt gelangt.
Es war beruhigend sie zu streicheln. Ihr Schenkel ist angenehm warm. Er liebte diese Wärme, er liebt sie.
Er ließ sie schlafen, obwohl sein Schwanz mit jeder Streicheleinheit härter wurde.
Dieser Tag.......
Ein neuer Tag….
Nur Minuten sind vergangen. Er blickt zum Eingang der Höhle. Es ist draußen deutlich heller geworden. An den Wänden erkennt man jetzt die Tierzeichnungen der großen Feste. Bald sollte es wieder so weit sein. Das Fest der Fruchtbarkeit brauchte nur noch einen Mond.
Jetzt räkelte sich sein Körper und mit einem Schwung stand er auf seinen muskulösen Beinen. Er kratzte sich am unteren Rücken und schlenderte zum Höhleneingang. Schon etliche Schritte davor, fangen seine Augen zu brennen an. Es ist hell da draußen. Ein herrlicher Sommertag.
Er tritt auf das Plateau vor der Höhle, seine Blicke wandern zu den Eingängen der zwei anderen Höhlen. Niemand ist da. Er spürt wie früh es noch ist, er kann es riechen. Die aufsteigende Feuchtigkeit über den Baumwipfeln, die direkt vor ihm liegen. Diese Höhlen liegen hoch. Er ist stolz so ein wundervolles Zuhause zu haben. Hier oben ist es sehr sicher. Hier in der Felswand auf Höhe der gut 30 Meter hohen Wipfel, der unten in der Senke stehenden Bäume. Die Sonne ist noch nicht hinter dem gegenüberliegen Bergkamm, der die vor der Höhle befindlichen Bäumen einrahmte, aufgegangen.
Von hieraus konnte er gut in die Baumwipfel sehen, die am Fuße, der etliche Meter steil abfallenden Felswand des Plateaus stehen und bis auf die andere Seite dieser Senke einen kleinen Wald bilden.
Die Sonne geht genau in dieser Richtung auf.
Sein Blick wendet sich entspannt nach oben und der blaue Himmel durchflutet für Sekunden seinen Geist. Er fühlt sich wach. Die Gedanken beginnen diesen Tag zu ordnen.
Er hat nicht viel liegen gelassen, gestern. Der Kadaver der großen Antilope war vollständig zerlegt und selbst das Fell war schon zum Trocknen aufgehängt und von Fleischresten befreit worden.
Die Werkzeuge -- Ja die Werkzeuge mussten repariert werden und bei der letzten Jagd waren drei Pfeile verschwunden, wobei er daran denken wollte, diesmal doch ein anderes Holz zu verwenden, da sie so leicht im Flug abgetrieben waren.
Das alles war nicht wenig. Er denkt nach: "Ich beeile mich und schärfe das Gerbmesser, dann mache ich drei Pfeilspitzen, dann geh ich zu ihr zurück. Ich werde sie an mich drücken und in sie eindringen. Dann wird dieser Tag sehr gut sein."
Er denkt und er denkt…
Aber er handelt auch...
Er geht, in die einige Schritte entfernt liegende andere Höhle. In einer Ecke kniet er sich auf den Boden und tastet mit den Fingern den Erdboden ab. Hier ist es nicht sehr hell. Er hält einige Steinstückchen in der Hand und geht mit ihnen in der Hand ins einfallende Licht des Höhleneingangs. Sie sehen gut aus. Er läuft zu einem alten verdorrten kleinen Baum, am Rande des Plateaus, wo die Tierhäute hängen. Hier liegen auch den zu Recht geschnittenen Fleischstücken in einem großen Korb. Auf dem Boden ist überall getrocknetes Blut. Ein großer Stein ist völlig von Blut verschmiert. Es ist der Schlacht- und Opferstein. Neben ihm liegt sein Messer auf dem Boden. Die Klinge ist aus einem gläsernen Stein gefertigt. Sie steckt in einem Schaft aus gebundenem Lederstreifen. Er hebt sie auf und zieht die Klinge heraus. Er sieht auf die Schneide und lässt vorsichtig seinen Daumen darüber gleiten.
Sie ist rau.
Er setzt sich zwischen die Höhleneingänge auf einen kleinen Absatz der steil aufragenden Felswand. und fängt an zu arbeiten. Seine Sinne und Gedanken schweifen umher. Er hat Zeit und er fühlt sich sehr wohl. Sein Leben ist so einfach und harmonisch.
Nach einer Weile kommen langsam andere Menschen aus den Höhlen und beginnen einfach zu arbeiten. Jeder scheint eine Aufgabe zu haben. Sie reden nicht miteinander. Blicke schweifen umher, berühren sich. Ab und zu geben sie Laute von sich und sie gestikulieren aufgeregt mit den Händen. Es reicht aus, um sich miteinander zu verständigen.
Sie leben so einfach, sind Teil ihrer Umwelt. Sie jagen, sammeln und arbeiteten mit Werkzeugen, die ihrer eigenen Erfindungsgabe entsprungen sind. Sie genießen die Wärme der Sonnenstrahlen und aalen sich in der Zeitlosigkeit ihres Daseins.
Er ist noch einmal zu ihr gegangen. Sie war schon wach geworden und sammelte gerade Fleisch und Knochenreste vom Höhlenboden auf. Er streichelt ihr durch die Haare, sie lächelt ihn an. Ihr Gesicht ist roh, dennoch erkennt man die Züge ihrer Weiblichkeit. Er drückt sie an sich und gibt Töne des Wohlgefallens von sich. Sie spürt sofort seinen härter werdenden Schwanz an ihrem Bauch, es vergehen nur noch Sekunden, bis sie sich umdreht und er von hinten in sie eindringt.
Sie sind glücklich. Er verlässt entspannt die Höhle und geht wieder an die Arbeit. Später werden sie gemeinsam nach Holz suchen, wie auch alle anderen der Höhlengemeinschaft. Sie werden in diesen lebhaften Wald eintauchen, der jeden Tag neue Wunder für sie bereithält. Überall findet am Boden Bewegung statt. Die vielen Geräusche der kaum sichtbaren Tiere verbinden sich zu einer orchestralen Symphonie. Jeder Tag ihres Lebens ist etwas völlig Neues, etwas Geheimnisvolles. Jeder Tag regt ihre Gedanken und ihre Phantasie zu geistigen Höhelügen an und lässt sie fast jede Nacht in allen Farben des Waldes träumen.
Diese Welt fordert sie heraus. Niemand von ihnen hält sich für die Vollendung der Schöpfung. Sie stehen der Natur und ihren Gewalten mit Respekt gegenüber.
Der Begriff MENSCH ist noch nicht geprägt.
Sie leben, ohne zu wissen und ohne zu wollen. Niemand will mehr als nötig, niemand will alles für sich, niemand will der Natur ins Handwerk pfuschen, niemand will besitzen.
Noch nicht!
Es muss doch alles sehr romantisch gewesen sein.
Damals, so als Höhlenmensch.
Ein Tag wie jeder andere. Er erfüllt seine Aufgaben, er genießt die Wunder, er liebt..., er geht schlafen...

Ich steh auf
1997…
Meine Müdigkeit will mich nicht wach werden lassen. Meine innere Uhr sagt mir, dass es Zeit ist aufzustehen. Aber mein Geist sträubt sich, einem neuen Tag entgegen zu sehen.
6°° Uhr früh, ich weiß genau, was ich heute alles zu tun habe. Die Kinder sind schon wach. Wie immer, sie spielen unüberhörbar in ihrem Zimmer.
Ich muss meinen Körper zwingen hoch zu kommen. Frühstück machen und dann geht´s auch schon los. Die Kinder müssen in die Kita. Draußen ist wunderschönes Wetter, noch kalt aber sonnig. Ein Ausflugstag, das wäre es. Ich verdränge diesen Gedanken sofort wieder. Um 7°° muss ich bei der Arbeit sein. Gerüstbau, d.h. schleppen, ackern bis man nachmittags wieder alle Knochen spürt und die Müdigkeit jede Muskelfaser erreicht hat.
Keine weiteren Gedanken an einen schönen Tag mit den Kindern. Warten aufs Wochenende.
Mein Schatz nimmt mich noch mal kurz in die Arme, aber ich kann es kaum noch genießen, da meine Gedanken schon unterwegs sind.
Ja, ich habe meine Aufgabe und das jeden Tag. Von morgens bis abends im Dienst gesellschaftlicher Pflichten. Geld ranschaffen, denn das Leben muss bezahlt werden.
Harmonie ist mir fremd, wir versuchen dennoch, das Beste daraus zu machen.
Meine Zeit ist berechnet, die Zeit für meine Frau, die Zeit für die Kinder, die Zeit für mich, für meine Kreativität, sie steht weit im Hintergrund meiner gesellschaftlichen Bindungen.
Ich träume von gestern, ich träume von einem Dasein, wo ich mich als natürlicher Mensch empfinden kann.
Das Leben ist schnell geworden, der tägliche Ablauf wird zur Monotonie. Die wesentlichen Dinge meines Daseins sind mir nicht mehr voll bewusst. Meine natürlichen Empfindungen sind von der marktwirtschaftlichen Disziplin übernommen worden. Dieses unbeschwerte Glücksgefühl aus der Kindheit, einfach am Leben zu sein und den nächsten Tag zu genießen, ist schon längst von der materialistischen gesellschaftlichen Identifikation untergraben worden.
Im Grunde bin ich eher ständig unglücklich, denn ein positives Gefühl entsteht nur noch, wenn ich die Bedingungen meines gesellschaftlichen Daseins zur Genüge erfüllt habe. Miete zahlen, Strom zahlen, Telefon zahlen, Auto zahlen…
Zahlen..., Zahlen…, Zahlen!
Es gehört doch alles unabdingbar dazu, ein deutscher Mensch zu sein.
Diese Gesellschaft hat mich völlig im Griff und bestimmt mein Glück, doch sie ist nicht einmal in der Lage dazu, die Bedingungen dafür zu erfüllen.
Ich muss zahlen, aber kann ich auch verdienen?
Ich will Kinder, aber habe ich überhaupt Zeit für sie?
Ich will lieben, aber schaffen meine Gefühle noch den Wechsel zwischen Alltag und harmonischer Familie?
Wie war das noch?
Aufstehen, vor die Höhle treten, den Aufgaben entgegensehen und die Zeit genießen. Entdecken und sich entwickeln.
Ich stehe jeden Morgen elektrisiert vor dem Spiegel und arbeite im Geiste den Zeitplan meiner heutigen Pflichterfüllung ab. Abends steht dann das Fazit, dass ich gerade die Dinge, die mir oder meiner Familie zu Gute kommen, mal wieder vernachlässigen musste.
So ist das eben als 'normaler' deutscher Mensch.
Die soziale Hysterie reißt uns alle mit und wir versuchen krampfhaft das Maß aller Dinge zu finden. Das Maß unserer Pflichterfüllung, das Maß unserer Genusssucht, wenn wir überhaupt noch in der Lage dazu sind und nicht schon völlig diesem, uns langsam verdauenden, ökonomischen Systemen unterworfen sind.
Ist unser gesellschaftliches Leben wirklich so viel wertvoller, als... Ja, als was denn? Wie war das denn nun wirklich, damals?
Der Mensch als Teil der Natur.
Irgendwie bleibt es dennoch verblüffend, dass die Menschheit etliche Zehntausende von Jahren auf einem natürlichen Niveau existierte, also in ihrer Entwicklung stagnierte und irgendwie keine Anstalten machte, die zivilisatorische Entwicklung voranzutreiben.
War es die mangelnde Intelligenz, aufgrund biologischer Tatsachen?
Oder war dieses Leben nicht eher so einfach und harmonisch, dass man es tatsächlich als Glück beschreiben könnte und es keinen Grund gab, wesentliche Veränderungen voranzutreiben?
Ich weiß es auch nicht.
Aber ich muss mich fragen, ob nicht letztendlich nur die Zeit zählt, die ich zur Verfügung habe. Was ist mir wichtig?
Warum will ich leben?
Um gesellschaftliche Normen zu erfüllen? Um mich mit ökonomischen Zielen zu identifizieren?
Die einfachen Dinge sind die, meines Erachtens, wertvolleren. Meine Kinder, das ist einfach. Aus Liebe geboren, mit Liebe gemacht.
Und jetzt will ich mir Zeit für sie nehmen. Nicht alle Zeit, aber mehr Zeit, als man mir zugestehen will. Vor allem, sie sollen einmal Zeit haben. Für sich selbst, für andere Menschen.
Geben wir unser eigentliches natürliches Dasein nicht einfach auf?
Schneller, Höher, Weiter…?
Wir haben die Erde zu einem Reagenzglas gemacht, in dem wir Menschen selbst zu einem Versuch unter Laborbedingungen geworden sind.
Der Besitzstand des Menschen ist absolut geworden, wir glauben dieser Planet gehört nur uns. Wir zeigen es jeden anderem auf jedem Quadratmeter. Zäune; Grenzen; Minenfelder! Und die gesellschaftlichen Systeme, die wir geschaffen haben, haben jeden Einzelnen entmündigt.
Klont euch eure Babys, 5 Jahre Vollgarantie, Umtausch jederzeit möglich.
Die Armen dieser Welt werden durch eine neue Generation Klone ausgetauscht, sie werden mit einem Zehntel der Nahrung eines Normalmenschen auskommen.
Alles ist möglich! Hurra!
Ich frage mich wirklich, wo sind wir hergekommen?

#OnlyOneLIfe #OnlyOneEarth #fuckthesystem :ff:

aram
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Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 11.05.2021, 06:33

hallo gertomat, herzlich willkommen im blauen salon.

gerade tut sich hier wenig (jedenfalls verglichen mit vor über einem jahrzehnt); also nicht persönlich nehmen, wenn keine oder spärliche rückmeldung kommt.

ich selber bin nicht so der große prosaleser; nach überfliegen einiger zeilen - die mich nicht fesselten, bisschen kitschig auf mich wirkten - scrollte ich erstmal weiter zu "ich steh auf / 1997...", ab da hab ich dann weitergelesen.

ein persönlicher text, sehr klar, relevant im inhalt - ja, wir selbst haben das mit aufgebaut, was uns zu entmündigen droht oder schon teil-entmündigt hat.

wir wollen kontrolle über unser leben, setzen das, eingelullt von annehmlichkeiten und werbesprüchen der zivilisation und 'des systems', mit stabilität unserer lebensumstände gleich - doch die natur, unsere natur, legt deutlich mehr weisheit in unsicherheit als in sicherheit - sobald wir einer sache sicher sind, überspannen wir regelmäßig den bogen.

wir sehen und erleben, was nicht mehr gesund ist und so nicht weitergehen kann, finden uns aber im dilemma, es zugleich weiter funktional halten zu wollen, um nicht ins vermeintliche chaos zu stürzen - streben wir doch nach kontrolle -- eben weil wir fürchten, sonst den halt zu verlieren - wir setzen diese beiden dinge gleich - soweit haben wir uns von der 'natur' schon entfernt.

'fuck the system' bedeutet radikal verstanden nicht einfach nur 'fuck their system', sondern auch 'fuck my own system' .

drängend auftauchende fragen, die herausforderung, in teils toxischer struktur eine bewegung ins leben zu finden, sich ihr hinzugeben - das beschreibt der text sehr gut, bzw. das nehme ich nach erster halb-lektüre mit.


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