Beim Schuster

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 10.05.2021, 13:53

"Waschen Sie Ihre Hände mit Luft, ohne Wasser?"

"Ich wasche nicht, ich ringe; ich ringe meine Hände."

"Verstehe. Man könnte es auch Putzen nennen. Wenn es sprudelt, heißt es Waschen;
wenn es kratzt, heißt es Putzen. Nicht?"

"Kann sein. Also heute morgen habe ich meine Zähne gewaschen, und meine Haare geputzt."

"Nun ringen Sie Ihre Hände. Zuviel Dreck?"

"Nein, gar nicht. Ich suche. Für meine Werkstatt."

"Was denn?"

"Lehrlinge."

"Lehrlinge? Sie suchen händeringend Lehrlinge?"

"Ja."

"Neulich war ich auf dem Flohmarkt, da hat ein Passant für tausend Mark ein Originalfoto von
Julius Cäsar gekauft. Der Händler hat hinterher, wie Sie gerade, seine Hände mit Luft geputzt."

"Er suchte wohl händeringend Käufer."

"Das Händeringen begann er erst beim Anblick des Geldbeutels."

"Hm."

"Hm."

"Hm."

"Ich glaube, Händeringen dient nicht der Reinigung."

"Sondern?"

"Schauen Sie auf meine Handfläche. Was sehen Sie da?"

"Eine Murmel. Aus Glas. Schön blau!"

"Jetzt tue ich meine andere Hand darauf, und die Murmel ist eingeschlossen."

"Und Sie ringen Ihre Hände. Suchen Sie etwas?"

"Nein, ich habe es schon. Ich fühle die Murmel in meinen Handflächen. Ich genieße den Kontakt
mit dem glatten, runden Glas."

"Was gibt es da zu genießen?"

"Den Kontakt. Ich erfreue mich daran. Bei Ihnen ist es noch die Vorfreude."

"Worauf?"

"Na auf die Lehrlinge."

"Sie meinen, ich freue mich auf die Lehrlinge, die ich noch nicht habe?"

"Ja, Sie freuen sich sinnlich auf Ihr zukünftiges Hab."

"Hab und Gut?"

"Zumindest darauf, Lehrlinge zu haben."

"Nun gut, jedenfalls brauche ich noch etwas, was die Lehrlinge anzieht."

"Am besten etwas magisches."

"Stimmt, etwas, was die Leute magisch anzieht. Wie eine Murmel, zum Beispiel."

"Absolut. Einfach nur suchen und anziehen, das ist zu schwach. Lehrlinge sucht man händeringend,
und angezogen wird man stets magisch."

"Und wenn keiner kommt, war es eine Fehlanzeige."

"Wie bei dem Foto von Cäsar. Das war auch eine Fehlanzeige."

"Der Kunde schien von dem Foto magisch angezogen worden zu sein."

"Ja."

"Ja, hm."

"Hm."

"Oh, da kommt ein Bewerber! Kommen Sie herein. Haben Sie die Anzeige gelesen?"

"Guten Tag, ich suche seit Monaten eine Lehrstelle! Ihre Anzeige hat mich magisch angezogen."

"Was für ein Glück. Das war offensichtlich keine Fehlanzeige. Darf ich Ihnen die Hände schütteln?"

"Gerne."

"Ich spüre, Sie sind das, was ich suche."

"Sie haben einen festen Händedruck".

"Sie aber auch! Rund und glashart. Das gefällt mir."

"Wegen mir können Sie jetzt loslassen."

"Sicher. Nun schauen Sie sich gerne um. Dort ist die Werkbank, da ist Ihr Stuhl, und hier sind Ihre Leisten."

"Überzeugt! Hier bleibe ich. Was für einen Lohn zahlen Sie? -- Was machen Sie da mit Ihren Händen?"

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birke
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Beitragvon birke » 10.05.2021, 15:02

schmunzel :)
frage mich gerade, ob "händeringend - hände ringen" wohl von wringen kommt? wringt man nicht eher seine hände? *lach.
ich mags, derart mit der sprache zu spielen, dinge mal wörtlich zu nehmen. oder auch: bildlich zu nehmen. :)
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 10.05.2021, 15:33

Ja, an "wringen" habe ich auch gedacht ... und auch an Ringer, also zwei Hände im Ringkampf ...

Danke

P.


Edit: Am liebsten würde ich diesen Satz streichen, weil er zu erklärend wirkt:
"Absolut. Einfach nur suchen und anziehen, das ist zu schwach. Lehrlinge sucht man händeringend,
und angezogen wird man stets magisch."

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birke
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Beitragvon birke » 10.05.2021, 15:42

ja, das bild des "ringens" entsteht natürlich auch ganz deutlich vor meinem auge.
aber auch ein "hilfe-ich-bekomme-den-ring-nicht-mehr-vom-finger" - da ringen dann die hände auch schon mal miteinander, entringen sich sozusagen. ;) "händeringend" hat auch etwas atemloses, flehendes. oder je nachdem auch etwas nervöses. ach, da entstehen viele bilder. :)
oh, ne, pjotr, den satz mag ich. finde ich gar nicht so erklärend, ist ja auch bestandteil des dialogs, auf mich wirkt das hier eher - hm - philosophierend, nachsinnend?
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aram
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Beitragvon aram » 11.05.2021, 08:55

hallo pjotr,
erklären kann ich's nicht genau, finde wie birke den erklärsatz hier aber gerade gut - vielleicht erklärt es sich doch darüber, dass eine weitere absurditäts- mit dieser erklärebene einhergeht, weil die beiden auch noch erklärend reflektieren, wie erklärtermaßen korrekt sie hier sprechen. finde ich schön - ausführlichkeit /länge, rhythmus, ende - verströmen ebenso holprigen wie geschmeidigen, somit unerklärlichen charme (>spröden charme); ich erkläre mich zum selbsterklärend erklärten fan.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 11.05.2021, 09:18

Guten Morgen Birke, Aram. Ahso, Ihr seht den Sprecher des erklärenden Satzes eher so als nachdenklichen Trottel (im netten Sinn), der sein Gesagtes überhaupt nicht ironisch meint. Ich habe befürchtet, man nimmt ihn als nichtironischen Erklärbar wahr.

Haja, dann lass ich ihn drin :-)

aram
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Beitragvon aram » 11.05.2021, 09:41

guten morgen,
ja - wobei 'trottel' trotz klammerspezifizierung klingt doch stark abwertend - mich erinnern die beiden eher an vladimir und estragon; würde den text auch unter 'dramatisches' einordnen. ich sehe feines absurdes theater.


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