2033: Erschwärzung nimmt weiter zu

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 12.10.2023, 16:09

30. Januar 2033 • Die Zahl der gemeldeten erschwärzten Hellhäutigen ist in dieser Woche global auf etwa 1,3 Milliarden gestiegen. Die in den Meldungen enthaltenen sozialen und genetischen Zusatzdaten werden weiterhin in zahlreichen internationalen Instituten ausgewertet, so auch im Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle unter der Leitung von Prof. Maria Prontova. Sie sieht ihre These bestärkt, dass die zunehmende Erschwärzung ausschließlich diejenigen Menschen befällt, die in ihrem Erbgut sowohl ausgeprägte Xenophobie-Gene tragen als auch Gene für eine ursprünglich pigmentarme Veranlagung. Bei der Auswertung der sozialen Daten mit Blick auf das politische Spektrum der Betroffenen sehen die Forschenden aus Halle signifikante Korrelationen: Während alle Mitglieder der Höcke-Zentral-Partei (HZP), einschließlich des Reichskanzlers Höcke selbst, inzwischen erschwärzt sind, wurden in der eher oppositionellen Öffentlichkeit und in regierungsfremden Gruppen bisher fast keine Erschwärzungen beobachtet. Gleiche Verhältnisse sind auch außerhalb des Deutschen Reichs zu beobachten, wie etwa bei den Unterstützern der Trumpistischen Zentralpartei im Amerikanischen Reich, als auch im Regierungsumfeld des Großbritischen Reichs. Die psychische Verfassung der Betroffenen verschlechtert sich zunehmend. Nachdem Reichsinnenministerin Alice Weidel am vergangenen Freitag, drei Tage nach ihrer Erschwärzung, Selbstmord beging, werden derzeit weitere Suizidgefährdete der HZP in Psychatrien aufgenommen. Laut Prof. Prontova leiden die Betroffenen unter einer sogenannten hautfarbenbezogenen Kognitiven Dissonanz. Sie haben das Gefühl, dass Afrika ihre neue Heimat ist und haben das Bedürfnis, dorthin auszuwandern; zugleich wollen sie ihre Staatsgrenzen dicht geschlossen halten, um ihre eigene Ausreise zu blockieren. Verstärkt wird diese psychische Instabilität durch den Umstand, dass der von den Betroffenen ausgelebte Schwarzenhass sich nun auch gegen die Erschwärzten selbst richtet, besonderns morgens beim Zähneputzen.

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birke
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Beitragvon birke » 12.10.2023, 22:01

wow! was für eine dystopie. gruselig, weil irgendwie vieles mal gar nicht so ganz abwegig. und schön ironisch. uah. krass. gelungen.
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 13.10.2023, 11:09

Danke sehr ...

Nifl
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Beitragvon Nifl » 13.10.2023, 18:18

Ich mag das Wort „Erschwärzung“ nicht, das tut mir in den Ohren weh, ich sehe da eine Verdunklung. Ansonsten eine gelungene bitterlustige Vorstellung.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 13.10.2023, 18:44

Naja, eine Verdunkelung sollte das ja auch sein :-)

Ich wollte ein in diesem Kontext neues Wort verwenden, das sich dann als dermatologischer Fachbegriff etablieren könnte. So, wie beispielsweise das Wort "Regel" im gynäkologischen Kontext; jeder weiß, dass damit keine Schach-Regeln gemeint sind. Verstehst Du, was ich meine?

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 14.10.2023, 09:05

Nifl hat geschrieben:Ich mag das Wort „Erschwärzung“ nicht, das tut mir in den Ohren weh, ich sehe da eine Verdunklung.

Hab ich das Wort "da" misinterpretiert? Nicht da in dem Wort Erschwärzung, sondern da in Deiner Sicht auf die Dinge?
"Verdunklung" klingt mir zu unmedizinisch, zu unbiologisch.
Wenn dann eher "Schwärzung", so ähnlich wie in "Bräunung". Die Haut wird gebräunt. Dann kann sie in der Science Fiction auch geschwärzt werden. Aber "Schwärzung" klingt mir zu normal. Da fehlt die Seltsamkeit. Vielleicht ist es ein gutes Zeichen, dass "Erschwärzung" in den Ohren weh tut :-) Das Wort muss außergewöhnlich sein und wie ein (zukünftig) etablierter wissenschaftlicher Begriff klingen für ein ganz spezifisches Phänomen. Die Färbung kommt nicht durch äußerlichen Einfluss (Sonne), sondern durch einen inneren Griff: Ergreifen, erfassen, erschwärzen ...

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birke
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Beitragvon birke » 14.10.2023, 10:07

ich finde "erschwärzung" passend, ja, es tut schon ein bisschen weh, aber ich denke eben auch, das sollte hier kein angenehmes (wort) sein.
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 15.10.2023, 14:20

Das hier finde ich lesenswert:

https://innn.it/afdverbot/

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Beitragvon Nifl » 15.10.2023, 14:21

Vermutlich habt ihr recht.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)


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